Giulia Evolvi: Blogging My Religion. Secular, Muslim, and Catholic Media Spaces in Europe.
New York, London: Routledge 2018. ISBN: 9781138562110. 174 S., Preis: £ 110,–.
Abstract
Die Feststellung, dass Religion in Europa im Wandel ist und dieser Wandel in virtuellen genauso wie physischen Räume stattfindet, ist die Ausgangslage für das kürzlich bei Routledge erschienene Buch Blogging my Religion. Secular, Muslim, and Catholic Media Spaces in Europe der Medien- und Religionswissenschaftlerin Giulia Evolvi. Aufbauend auf ihrer Dissertation zeigt Evolvi anhand der Analyse von Blogs muslimischer, katholischer und atheistischer Gruppen in Italien und Frankreich, wie in einem 'hypermediated religious space', also einem hypermediatisierten, religiösen Raum, Religion und religiöse Identitäten verhandelt werden und religiöser Wandel begünstigt wird.
Nach einer Einleitung präsentiert die Autorin in zwei Kapiteln den theoretischen Rahmen ihrer Analyse und schließt daran mit drei empirischen Kapiteln an, der Analyse von Blogging-Aktivitäten muslimischer, atheistischer sowie katholischer Gruppen in Italien und Frankreich. Sie beschließt ihre Studie mit einem Schlusswort, in welchem sie die Analyse von religiösem Wandel durch das theoretische Konzept der Hypermediation reflektiert.
Die Autorin interessiert sich in ihrem Buch nicht so sehr für die mediale Inszenierung offizieller Positionen, bspw. der katholischen Kirche, sondern für diejenigen Gruppen, die an der Verhandlung europäischer, religiöser Identitäten beteiligt sind, die sich gegen das richten, was die Autorin als katholischen Säkularismus bezeichnet. "These groups constitute an important facet of European religiosity because they symbolically and implicitly refuse to accept the concept of Catholic secularism, even if in antithetical ways from each other: they imagine a more multicultural society, a more secular society, or a more religious society. In doing so, they force a re-thinking of European religious identity" (S. 4).
Die Verhandlung von Religion und religiöser Identität via Blogs ist dabei insbesondere deshalb von Interesse, weil diese als Schaltstellen zwischen öffentlichem und privatem Raum fungieren. Als Journale, in denen persönliche Meinungen und Erfahrungen einem potenziell unbeschränkten Publikum öffentlich zugänglich gemacht werden, nehmen sie eine Zwischenposition ein, die in der Religionsforschung bislang noch nicht allzu häufig beleuchtet wurde.
Eine weitere Innovation ist das theoretische Konzept des 'hypermediated religious space', welches die Autorin ins Zentrum ihrer Arbeit stellt. Darunter versteht sie digitale Orte, die sich dadurch auszeichnen, dass in ihnen soziale und kulturelle Bedeutungen ausgehandelt werden und so religiöser Wandel angestoßen werden kann: "The concept of 'hypermediated religious spaces' designates those internet-based venues that exist in between online and offline activities and discuss the presence of religion in various spaces" (S. 43). Giulia Evolvi entwickelt in dieser Definition ein religionswissenschaftliches Verständnis von Religion als räumliche Kategorie, die in der Gegenwartsgesellschaft in konstitutiver Abhängigkeit zu säkularen und post-säkularen Räumen verstanden werden muss.
Diesem dreiteiligen Verständnis von Religion, Säkularität und Post-Säkularität stellt sie ein dreiteiliges Medienverständnis zur Seite. Medien werden hier – immer in Bezug zu Religion – nicht lediglich als Möglichkeiten der Übermittlung von religiösen Inhalten verstanden, sondern in ihrer Materialität sowie als Institutionen und Technologien bedacht. Das heißt, dass Medien zum einen verstanden werden als Objekte, die im Prozess der Mediatisierung die Erfahrung von Transzendenz ermöglichen, da sie mit religiöser Bedeutung aufgeladen sind, wie etwa bestimmte Gegenstände oder auch der menschliche Körper selbst. Das zweite Verständnis von Medien orientiert sich am Begriff der Mediatisierung, also der Rolle und dem Einfluss, den Medien auf Institutionen haben und dadurch indirekt darauf, wie Menschen Realität wahrnehmen und ihr begegnen. Hierbei ist der Wandel mitgemeint, der in (religiösen) Institutionen passiert, sobald Menschen ihre Informationen über Religion hauptsächlich aus Verbreitungsmedien beziehen bzw. religiöse Praktiken und Symbole im Zuge der Verbreitung religiös inspirierter Popkultur neu und anders wahrgenommen werden. Und schließlich umfasst der Begriff der Mediatisierung auch die Veränderung von religiösen Institutionen, wenn Massenmedien Funktionen, etwa der Repräsentation, herausfordern, die zuvor ausschließlich der Kontrolle religiöser Institutionen unterlagen. Das dritte Verständnis von Medien komplementiert die beiden vorangehenden, weil der Fokus hier auf den Einfluss digitaler Technologien auf Religion gelegt wird. Ähnlich wie bei der Analyse gesellschaftlicher Veränderungen, die ab dem 15. Jahrhundert von der Ausbreitung des Buchdruckes ausgingen, liegt die Aufmerksamkeit hier bei den Veränderungen für Religion, die von technologischen Neuerungen und ihrem Gebrauch ausgehen.
Auf der Grundlage dieses breiten Medienverständnisses befasst sich Giulia Evolvi mit der Theorie der Hypermediation, um die mehrschichtige Beziehung von Religion und Medien zu kontextualisieren. Hypermediation bezeichnet dabei den Umstand, dass Menschen die Gegenwart intensiviert erfahren. Diese veränderte Qualität wird einerseits mit einer allgemeinen Logik der Beschleunigung in der Gegenwartsgesellschaft – auch aufgrund der zunehmenden Verbreitung digitaler Medien – erklärt, andererseits an die gesteigerte Emotionalität dieser beschleunigten Interaktionen rückgebunden. Es wird also gerade nicht davon ausgegangen, dass Akteure ob der Vielzahl und Schnelligkeit der Interaktionsmöglichkeiten emotional auf Distanz gehen, sondern, im Gegenteil, sich der persönliche Austausch intensiviert, auch dank der Vielzahl affektiver Ausdrucksmöglichkeiten wie Bild, Ton oder Video.
Blogs, auf denen religiöse Inhalte und Identitäten befragt und neu verhandelt werden, sind dann Beispiele für hypermediatisierte religiöse Räume, die auch offline Wirkung entfalten können. Etwa dann, wenn atheistische Gruppen online den Einfluss aller Religionen auf die Öffentlichkeit sowie die Hegemonie der katholischen Kirche kritisieren und offline Veranstaltungen organisieren, die diese Hegemonie symbolisch in Frage stellen. Die Praktik des "sbattezzo" (S. 110), der öffentlichen Abwendung vom Christentum in einer Art der Ent-taufung, wie sie von der italienischen Vereinigung der Atheisten und Agnostiker (Unione degli Atei e degli Agnostici Razionalisti UAAR) durchgeführt wird, erreicht dank des Internets verstärkt internationale Sichtbarkeit.
Die drei empirischen Kapitel warten mit einer Vielzahl weiterer Beispiele hypermediatisierter religiöser Räume auf, anhand derer Giulia Evolvi unterschiedliche Aushandlungen von Religion und religiöser Identität analysiert. Dazu gehören etwa die Kampagne #NousSommesUnis muslimischer Studierender in Frankreich als Antwort auf die terroristischen Attacken in Paris im November 2015, genauso wie die Kundgebungen, Proteste und Diskurse konservativer Gruppen wie La Manif Pour Tous in Frankreich oder Sentinelle in Piedi in Italien, die sich der Verteidigung konservativer katholischer Werte und Vorstellungen, insbesondere traditioneller Ehe- und Familienbilder, verpflichten, ohne explizit an die katholische Kirche angebunden zu sein.
Die methodische Vorgehensweise, auf deren Grundlage sich die Autorin der Analyse der atheistischen, muslimischen und katholischen Blogs widmet, wird von ihr selbst als "hybrid methodological approach" (S. 12) bezeichnet. Die ausführliche Darstellung ihres Vorgehens sowie die kritische Reflexion ihrer eigenen Position als Forscherin, gerade in Bezug auf Fragen von Geschlecht und Ethnizität, weisen sie als kompetente empirische Forscherin aus. Sie verbindet die analysierten Blogposts mit Interviews und Gesprächen; ein Vorgehen, das sich gut in die sich immer weiter diversifizierende Disziplin der digitalen Ethnographie einpasst – auch wenn Evolvi selbst auf diese Anbindung weitestgehend verzichtet. Damit vergibt die Autorin nicht nur die Möglichkeit einer methodologischen Fundierung, sondern auch die Chance, ihr theoretisch hergeleitetes Konzept des hypermediatisierten religiösen Raumes einer empirischen Reflektion auszusetzen.
Giulia Evolvi bearbeitet im vorliegenden Buch ein zukunftsträchtiges Feld der Religionsforschung, das wie sein Gegenstand selbst im Wachsen und Wandeln begriffen ist. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Versuch der Analyse dieses Feldes konzeptionelle und methodische Fragen offenlässt. Eine der Fragen, die offenbleibt, ist, in welcher Beziehung die nationalstaatlichen Räume, die den Rahmen der empirischen Analyse vorgeben, zu den hypermediatisierten religiösen Räumen stehen, in denen Religion verhandelt wird. Schließlich ist gerade die Wechselwirkung zwischen soziopolitischen Rahmenbedingungen und hypermediatisierten Räumen für jegliche sozialwissenschaftliche Forschung in diesem Bereich höchst relevant.
Die Autorin schafft mit ihrer Analyse also zahlreiche Denkanstöße für die weitere Erforschung der Verhandlung von Religion abseits etablierter religiöser Institutionen. Dass das Konzept des hypermediatisierten religiösen Raumes auch nach der Lektüre des Buches nicht vollkommen greifbar ist, kann nicht dem mangelnden Bemühen der Autorin angelastet werden, sondern ist Aspekt eines Unterfangens, das sich mit Religion und Raum an der Schnittstelle von Konzeption und Perzeption befasst.
Insgesamt leistet Blogging my Religion. Secular, Muslim, and Catholic Media Spaces in Europe einen wertvollen Beitrag zur Erforschung religiösen Wandels in der Gegenwartsgesellschaft und bietet zahlreiche Anschlussmöglichkeiten für zukünftige Forschungsprojekte zu Religion und digitalen Räumen.
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