Alice Bienk: Filmsprache. Einführung in die interaktive Filmanalyse.

Marburg: Schüren 2019. ISBN 978-3-7410-0325-7. 192 S., Preis: € 24,90.

Autor/innen

  • Rayd Khouloki

Abstract

An Einführungen in die Filmanalyse mangelt es nicht und die erste Frage, die sich stellt, wenn man Alice Bienks Buch in den Händen hält, ist, ob es noch eine braucht. Der Bedarf scheint gegeben zu sein. Immerhin ist diese 2019 erschienene Version die fünfte Auflage. Dies mag auch daran liegen, dass sich Bienks Einführung um einen komprimierten Überblick bemüht, der vor allem LehrerInnen den Einstieg in die Thematik erleichtern soll. Der Ansatz ist also ein pragmatisch-didaktischer und so sind die Stärke von Bienks Konzept die zu konkreten Filmausschnitten gestellten Aufgaben, die auf einer Onlineplattform abrufbar sind, so dass die LeserInnen mit dem Buch nicht nur eine Einführung in die Grundbegriffe der Filmanalyse, sondern auch konkretes Lehr- und Lernmaterial vor sich liegen haben, anhand dessen sie ihr erworbenes Wissen (und das ihrer SchülerInnen) anwenden und überprüfen können. Die Aufgaben sind in die entsprechenden Kapitel zu den Grundbegriffen integriert, die Lösungen sind getrennt davon im zweiten Teil des Buches zu finden. Die Onlineplattform, über welche die Filmausschnitte abrufbar sind, funktioniert einfach und schnell, wenngleich das grafische Design nicht gerade ansprechend ist. Hier wurde auf Pragmatismus gesetzt. Der Anhang des Buches überrascht dann mit den sehr kurzen Kapiteln "VI Selbst einen Film drehen" und "VII Filmmaterial am Computer bearbeiten", denn Ausführungen zur Filmpraxis sind ansonsten in Einführungen in die Filmanalyse nicht zu finden. Die Kapitel können in der Kürze diesen Themen natürlich nicht ansatzweise gerecht werden und so stellt sich die Frage, wieso stattdessen nicht das sinnvolle Kapitel "VIII Informationen im Internet" ausführlicher gestaltet worden ist.

Die Zusammenstellung der Grundbegriffe im ersten Teil lehnt sich an einschlägige Standardwerke an, insbesondere an Lothar Mikos und dessen Ansatz der 'struktur-funktionalen Analyse'. Positiv hervorzuheben ist, dass eine reichhaltige Illustrierung durch Screenshots und Grafiken die Veranschaulichung der Begriffe gewährleistet. Leider stolpert man als LeserIn immer wieder über Ungenauigkeiten, die leicht vermeidbar gewesen wären. Das beginnt mit der anvisierten Zielgruppe: Das Kapitel 1.6 des ersten Kapitels "Einführung" liest sich wie ein Pamphlet für die Integration des Films und anderer Bildmedien in den Deutschunterricht, aber von der Universität als Zielgruppe des Buches ist auch immer wieder die Rede. Sind hier also (angehende) LehrerInnen oder auch Film- und MedienwissenschaftlerInnen angesprochen? Auch der schillernde Begriff der 'Medienkompetenz', in der die SchülerInnen den LehrerInnen überlegen sein sollen, bleibt unklar, wenn Bienk lapidar schreibt, "Schüler besitzen oftmals eine höhere Medienkompetenz als ihre Lehrer" (S. 25). Auf welche Definition von Medienkompetenz wird sich hier bezogen? Zwar könnte man das in den zahlreichen Quellen nachschauen, auf die sich Bienk bezieht, aber einer Einführung, die kompaktes Wissen vermitteln will, widerspricht dieses voraussetzungsvolle Vorgehen. Noch stärker ins Gewicht fällt der Mangel an Präzision bei den Ausführungen zu den Grundbegriffen der Filmanalyse. So werden die Begriffe Schnitt und Montage selbstverständlich synonym benutzt, dabei wird in anderer einschlägiger Literatur, etwa James Monacos Film verstehen, das Bienk auch immer wieder zitiert, darauf hingewiesen, dass Schnitt die technische Seite und Montage die ästhetische des Aneinanderfügens von Einstellungen meint[1]). Den unsichtbaren Schnitt definiert Bienk folgendermaßen: "Beim unsichtbaren Schnitt bleiben alle Aspekte des Films, die auf die technische Fertigung oder auf die Künstlichkeit der Filmwelt verweisen, in der Regel vom Zuschauer unbemerkt" (S. 82). Auch diese Definition ist in ihrer Ungenauigkeit irreführend, da es beim unsichtbaren Schnitt nicht um die Technik des Aneinanderfügens von Einstellungen geht, sondern um die Geschlossenheit von Raum, Zeit und Logik der Handlung. Die ZuschauerInnen sind nur dann irritiert, wenn sie die Einstellungsfolge nicht in die Narration einordnen können. Andere Begriffe, wie etwa der 'jump cut' oder der 'match cut', sind sehr abstrakt und umständlich beschrieben (S. 90). Zwar werden dann in der dazugehörigen Aufgabe geeignete Filmausschnitte verwendet, aber die Texte dazu sind eher verwirrend denn erhellend.

In Verbindung mit den zahlreichen Zitaten und Verweisen auf andere einschlägige Literatur entsteht der Eindruck, dass hier Angelesenes von jemand Fachfremdem zwar gewissenhaft aber nicht immer gelungen zusammengetragen wurde. Auch die Bezeichnung "Rebecca – Filmanfang", zu dem eine Aufgabe gestellt wird, irritiert. Denn es handelt sich bei dem gewählten Ausschnitt nicht um den Anfang, sondern um die zweite Szene. Die Aufgabe betrifft das nicht direkt, aber es sollte zumindest erwähnt werden. Denn der tatsächliche Anfang von Rebecca ist eine Traumsequenz, in der die Protagonistin, um deren Etablierung es in der Aufgabe geht, bereits aus dem Off über den Handlungsort in der Vergangenheitsform berichtet. Die nachfolgende Szene bildet dann einen Bruch mit der traumhaften Inszenierung eines verwunschenen Anwesens, einmal abgesehen davon, dass hier schon Elemente eingeführt werden (etwa Bäume und Sträucher als Symbole), auf die später der Lösungstext zu der Aufgabe zu der zweiten Szene auch eingeht. Hier bestünden auch interessante Anknüpfungspunkte für die Analyse der Erzählperspektive und die Frage, wann und wie genau die Protagonistin eigentlich eingeführt wird. Diese Kleinigkeiten führen in der Summe dazu, dass sich gegenüber Bienks Ausführungen schleichend ein Misstrauen entwickelt. Das schadet dem Buch umso mehr, als dass es eben eine kompakte Zusammenfassung der ausführlicheren Standardwerke für Fachfremde sein will.

Bienks Buch liefert zunächst einen guten Überblick über die Grundbegriffe der Filmanalyse und die einschlägige, deutschsprachige Literatur und bietet darüber hinaus Lehrmaterialien in Form von konkreten Aufgaben zu Filmausschnitten für die Schule. Dennoch ist das Buch für LeserInnen, die kein Vorwissen auf diesem Gebiet haben, im Detail keine zuverlässige Grundlage. Für Leute vom Fach bietet das Buch zumindest alternative Perspektiven auf Bekanntes, zumal die Auswahl der Filmausschnitte nicht allein auf den Kanon beschränkt bleibt.

 

[1] James Monaco: Film verstehen. Hamburg 1998, S. 564 und 572.

Autor/innen-Biografie

Rayd Khouloki

Dr. phil., Jahrgang 1972, Studium der Erziehungswissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Promotion im Fachbereich Medienkultur an der Universität Hamburg zum filmischen Raum, Lehrbeauftragter an den Universitäten Hamburg, Flensburg und der Muthesius Kunsthochschule Kiel, seit 2018 Senior Lecturer am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien, Arbeitsgebiete: Filmgeschichte, Filmästhetik, Genretheorie.

Aktuelle Publikationen:

"Interferenzen: Diegetischer Raum und Zuschauerraum in Peeping Tom". In: RABBIT EYE – Zeitschrift für Filmforschung (online), 2. Ausg. 2010, S. 19-37.

"Männerliebe auf dem Brokeback Mountain – Der Western zwischen Konvention, Hybridisierung und Transformation". In: Hollywood Genrewandel und Medienerfahrung nach der Jahrtausendwende. Hg. v. Jennifer Henke/Magdalena Krakowski et al. Marburg 2013, S. 76–95.

"Verstörungen. Genretheoretische Überlegungen zum Horrorfilm Martyrs (F/CDN 2008, Regie: Pascal Laugier)". In: Genre-Störungen. Irritation als ästhetische Erfahrung im Film. Hg. v. Heinz-Peter Preusser, Sabine Schlickers. Marburg 2019, S. 115-140.

Onlineportal zur Filmanalyse (seit 2017): www.filmanalyse.at

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Veröffentlicht

2019-11-19

Ausgabe

Rubrik

Film