Katja Glaser: Street Art und neue Medien. Akteure – Praktiken – Ästhetiken.
Bielefeld: transcript 2017. (Reihe: Locating Media | Situierte Medien, Bd. 17). ISBN: 978-3-8376-3535-5. 414 S., m. farbigen Abb., Preis: € 34,99.
Abstract
Mit ihrer Monografie Street Art und neue Medien. Akteure – Praktiken – Ästhetiken schließt die Autorin Katja Glaser eine methodologische und theoretische Lücke, die sich durch mediale Entwicklungen im akademischen Umgang mit Street Art ergeben hat. Indem sie auf medien- und kunstwissenschaftliche Ansätze zurückgreift, gleichzeitig aber durch medienethnografische Beobachtung nicht nur nah am, sondern geradezu im, Forschungsfeld agiert, gelingt ihr eine ganzheitliche Perspektive auf den Konnex der Street Art mit den sogenannten 'Neuen Medien'. In der Tradition der Akteur-Netzwerk-Theorie versteht Glaser dabei mobile Medien nicht als unveränderlich beschreibbare Geräte, sondern als dezidiert prozessuale, im-Werden-begriffene Interfaces, die in erster Linie durch ihre Medienpraktiken beschreibbar werden. Ganz ähnlich steht es um die im Titel aufgerufenen Ästhetiken, die Glaser nicht bei den RezipientInnen verortet, sondern stattdessen als situative, eingebettete und erscheinende Pluralität verstanden wissen will.
Das Buch zeichnet sich zudem durch ein hohes Maß an Selbstreflexion aus, sowohl bezüglich der Methodik, als auch der persönlichen Begeisterung Glasers für die Werke und deren SchöpferInnen. So schreibt sie selbst, dass das Buch auch dem medialen Wandel unterliegt, bzw. unterliegen wird (S. 360), und ihr eigenes Schreiben ein situatives Festschreiben ist: Bestandsaufnahme, Archiv und Speicher – Funktionen, die im Laufe des Textes gerade auch den diversen Smartphone Apps zugeschrieben werden, die durch Fotografie und Kartenfunktionen die symptomatisch flüchtigen Werke der Street Art zu fixieren streben.
Street Art und neue Medien beginnt mit der Diagnose einer enormen Verästelung der Street Art-Thematik durch diverse Geräte, Apps und Soziale Medien, die es in den folgenden fünf Kapiteln aufzuarbeiten gilt. Zunächst bereitet Glaser aber den weitläufigen Forschungsstand auf und betont dabei vor allem die terminologischen Unschärfen von Street Art, Graffiti, Straßenkunst, Urban Art etc. So erreicht der historische Durchgang durch AutorInnen und KünstlerInnen circa 2010 eine Gabelung in Gestalt der aufkommenden Blogs, die Street Art online publizieren, sammeln, besprechen und verbreiten. Genau hier setzt Glaser mit ihrer Analyse an, um "der Street-Art-Ästhetik in Form einer dezidierten Rückverfolgung von Praktiken, seien sie nun künstlerisch motiviert, medial vermittelt oder sozial konstruiert – bzw. ja gerade alles gleichzeitig – nachzuspüren." (S. 59)
Hierzu zieht sich als roter Faden durch das ganze Buch der Leitbegriff des 'Schnittbildes'. Angeschnittene, ausgeschnittene, beschnittene Fotos, Schablonen und Momente rücken in den Betrachtungen Glasers in den Fokus, werden durch die menschlichen und technischen Akteure bearbeitet und zusammengesetzt und durch die Autorin weiterbearbeitet. Einschichtige und mehrschichtige Schablonen (vgl. S. 174f), abgelöste und abgewandelte Werke (vgl. S. 160f), zeitliche Überlagerungen (vgl. S. 221) etc. machen das Schnittbild zum Sinnbild der Schichtenpluralität und lassen es als analysierbares "Dazwischen" hervortreten, als temporäre Verfestigung im Werdens-Prozess.
Immer wieder greift Glaser gekonnt auf theoretische Ansätze anderer AutorInnen zurück, unter anderem von Walter Benjamin, Jean Baudrillard, Bruno Latour, Carolin Gerlitz, Heike Derwanz, Adriana de Souza e Silva, Sybille Krämer oder Jan und Aleida Assmann. Dem sorgfältigen Umgang der Autorin mit den theoretischen Texten mangelt es aber manchmal an einer wertenden Einordnung. Ganz anders bei den gewählten Street Art-KünstlerInnen: Glasers Auswahl aus dem deutschsprachigen Raum ist auch von einer spürbaren Faszination und Begeisterung für die jeweiligen Arbeiten geprägt. Besonders prominent in Bild und Wort sind dabei die Oeuvres von FEED, TONA, ALIAS, kurznachzehn und El Bocho. Manche sind vor allem über ihre Auftritte im Netz präsent, während andere selbst zu Wort kommen, wenn Glaser auf eigene Interviews zurückgreift.
Zu Beginn des Hauptteils der Analyse wendet sich Glaser Facebook zu, wobei sie vor allem die Gruppen und die KünstlerInnenseiten, und deren jeweilige Logiken einer "like economy" (vgl. Gerlitz 2011) interessieren. Am Beispiel der Facebook-Seite Street Art in Germany wird gezeigt, mit welchen Systematiken hier agiert wird, um die gesammelten Fotografien von Street Art-Werken zu sortieren und zu verorten (vgl. S. 92f). Hier verzahnen sich solche sammelnden Seiten eng mit den Fans, die mit offenen Augen und der allzeit zugänglichen Smartphone-Kamera auf der Suche nach neuen Werken sind. Das Sammeln solcher Bilder als Hobby, das Reisen mit der Motivation Street Art und den Umgang mit dem individuellen (Um-)Raum kann Glaser immer wieder eindrucksvoll an die Relation von Street Art und Smartphone binden. Denn bei allen beleuchteten Facetten der Thematik wird deutlich, dass es nicht nur um die 'Art' sondern auch um die 'Street' als Raum gehen muss, der als physikalischer Stadtraum, Karte, digitaler, virtueller und imaginärer Raum nahezu so viele Schichten hat, wie ein kompliziertes Stencil.
Schließlich tritt das Street Art-Werk als räumlich (und zeitlich) transformatorisches Werk hervor, das aus dem KünstlerInnen-Raum (Werkstatt, Atelier, Skizzenbuch) in den Straßenraum transportiert wird, sich dessen Einflüssen aussetzt und riskiert sofort zu verschwinden, bis es "letztlich als digitales Kondensat und dokumentarisches Abbild im Internet landet, wo sich weitere Anschlussphänomene [darum] gruppieren. " (S. 173). Diese Übersetzungsprozesse sind es außerdem, welche die Ästhetiken in den Medien(-praktiken) hervortreten lassen.
Gleichzeitig spielen ökonomische Aspekte, sei es direkt monetär über Facebook-Werbung, Galerie-Vernissagen oder bezahlte Stadtführungen oder durch indirekte kapitalistische Logiken des Zuspruchs, Teilens und Bewertens, dabei immer wieder eine Rolle. BloggerInnen und SeitenbetreiberInnen, wie z. B. die "Schillers" (S. 124), die als Gatekeeper agieren und durch ihre Selektion In- und Exklusionsprozesse befeuern, sind im Buch nicht immer in ihrer vor allem kuratorischen Kunstmarkt-Funktion erkennbar. Soziale und mobile Medien, die diese Funktion übernehmen, werden hingegen ausführlich seziert und befragt.
Versteht man Bekanntheit als Währung (auch wenn Glaser diesen Begriff nicht zentral verwendet), erklärt sich auch, dass Street Art-KünstlerInnen bereitwillig "exklusive Bildrechte ab[treten] und hoffen, auf einer der zentralen Onlineplattformen gefeatured zu werden." (S. 125) Einige KünstlerInnen nutzen darüber hinaus selbst die Sozialen Medien um sich (oder zumindest ihr anonymisiertes Alias) und ihre Arbeiten bekannter zu machen.
Bei allen beschriebenen Modi der Bildverbreitung löst sich das Werk von seinem physikalischen Ort, ist häufig nicht mal mehr über das Bild an diesen rückbindbar. Dadurch verlieren sie aber die Möglichkeit des "Spiel[s] mit dem Umraum" und werden zu bloßen abbildhaften Duplikaten. Die Verschiebung des Orginalitätsaspektes tritt hier mehr oder weniger ausgesprochen immer wieder hervor, sei es durch Fragen des Urheberrechts (bei abgerissenen Stencils oder für Werbezwecke verwendeten Fotos etc.) oder auch durch die Zirkulation online, bei der wiederum den FotografInnen häufig ihr Bild entgleitet und ein Eigenleben durch das 'sharing' entwickelt.
Manchmal allerdings haben die Fotografien das Potential, die Werke aus Sicht der Kreativen (und der BetrachterInnen) neu zu perspektiveren oder ihnen etwas hinzuzufügen. Eindrücklich zeigt Glaser wie sich mobile Medienpraktiken und Street Art verschränken und gegenseitig hervorbringen. Denn eine Zurichtung auf die nachgängige Verbreitung der Bilder heißt auch, "dass ein Street-Art-Werk niemals für sich alleine steht, sondern dass seine (antizipierte) fotografische Dokumentation und die damit einhergehenden Anschlusspraktiken explizit mitgedacht werden müssen." (S. 163)
Darüber hinaus bilden Fotos der nächtlichen (und häufig illegalen) Aktionen laut Glaser ein eigenes Genre, dezidiert der Street Art zuzuordnen, aber nicht wirklich ein Teil dieser Kunst, zeigen sie doch das "Kunst-Machen" auf einer Metaebene. Ebenfalls auf einer anderen Ebene sind die diversen Projekte, die sich der Vermittlung von Wissen über Street Art verschrieben haben und die wiederum ihre eigene Beziehung zu den Sozialen Medien eingehen: Informationsseiten, Touren für TouristInnen, Festivals etc. Mit ihnen gehen auch Glasers spannende Überlegungen zu "Mappen und Navigieren" (S. 233f) einher. Gerade hier wird die Relation der Street Art mit dem Smartphone deutlich, wenn die mobilen BetrachterInnen ihre Bewegung entweder an Karten oder Apps ausrichten, die den Standort eines Werkes anzeigen, oder ihre eigene Bewegung in Fotos, Karten oder Apps dokumentieren und teilen. Die Stärken des Buchs liegen genau hier: in den Überlappungen oder Schnitt(bild)stellen, den Zwischenräumen, die Katja Glaser mit großer Aufmerksamkeit fürs Detail und scharfer medientheoretischer Kontextualisierung ausarbeitet und für LeserInnen und zukünftig Forschende fruchtbar macht.
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