Dennis Göttel (Hg.): Frauen Film Arbeit.

Berlin: Aviva 2021. (Frauen und Film, Heft 69) Unter Mitarbeit von Aycha Riffi und Stefan Udelhofen. ISBN 978-3-932338-98-4. 144 Seiten, Preis: € 25,00.

Autor/innen

  • Christoph Büttner

DOI:

https://doi.org/10.25365/rezens-2022-2-08

Abstract

Nach fünfjähriger Pause und einem insolvenzbedingten Verlagswechsel erschien im vergangenen Jahr die erste Ausgabe der Zeitschrift Frauen und Film seit 2016. Verantwortet von Gastherausgeber Dennis Göttel versammelt das Heft unter dem etwas abstrakten Titel Frauen Film Arbeit eine Reihe von Beiträgen, die allesamt die konkrete Arbeit von Frauen* am und beim Film in den Blick nehmen und dabei versuchen, den Fokus weniger hagiografisch auf das Werk einzelner, herausgehobener Auteur*innenfiguren (Regisseur*innen, Drehbuchautor*innen usw.) zu setzen, sondern jene oft wenig beachteten, bisweilen dreckigen und schlecht bis gar nicht entlohnten Arbeiten in den Blick zu nehmen, ohne die Filmproduktion – im Großen wie im Kleinen – unmöglich wäre.

Die einzelnen Beiträge weisen dabei eine erstaunliche Variabilität in Ansätzen, Gegenständen und Stil auf. Neben gänzlich neuen Texten finden sich in der Ausgabe Auszüge aus Erin Hills ausführlich recherchierter Monografie zur Geschichte der Frauenarbeit in der Medienproduktion (2016) in deutscher Erstübersetzung sowie Wiederveröffentlichungen älterer Texte von Hortense Powdermaker (1950) und Esther Dayan (1976). Gerade durch die Einbindung letzterer gelingt es dem Heft, seine eigenen Argumente stets in einer reflexiven historisierten Distanz zu halten sowie bestimmte Bruchlinien und Kontinuitäten – sowohl filmischer Praxis als auch der intellektuellen Reflexion darüber – ganz konkret greifbar zu machen.

Thematisch stehen in der ersten Hälfte des Heftes kulturindustrielle Produktionszusammenhänge (insbesondere jene Hollywoods) im Vordergrund. Theodor Frisorger beispielsweise wendet sich in seinem (inzwischen mit dem Karsten-Witte-Preis ausgezeichneten) Beitrag der Kombination "menschliche[r] wie mediale[r] Supplemente" (S. 24) des Films in Form der Statistinnen von Cleopatra (USA 1963, R: Joseph L. Mankiewicz) sowie ihrer zeitgenössischen Inszenierung im Playboy zu. Frisorger kann zeigen, wie diese Inszenierung einen "Mythos der Filmproduktion als eine Choreografie weiblicher Intimität" (S. 30) perpetuierte und wie dieser Mythos, im Anschluss an einen tradierten Hollywood-Mythos des sogenannten Extra-Girls, nicht nur dazu beitrug, materialistische Aspekte der Statist*innen-Arbeit zu verdecken, sondern wie er überdies bereits bestimmte Sinngehalte postfordistischen Arbeitens präfigurierte.

Eine solche Verbindung kultureller Sinn- als Sozialkonfigurationen (von Arbeit) und der konkreten Praktiken der Filmarbeit leistet auch Fabienne Liptays Essay "Testbilder". Darin argumentiert sie, dass die Praktiken filmischen Testens – des Schauspielerischen (im Rahmen von screen tests) ebenso wie des Technischen (mithilfe analoger Startbänder oder digitaler Testbilder) – nicht ohne die kulturelle Erweiterung eines "Feld[s] des Testierbaren" (S. 18) zu verstehen sind und damit insbesondere Fragen von Arbeitsleistung und -ausführung betreffen. Dass es gerade Frauen* waren, die als sogenannte China Girls in die Startbänder von Filmen einkopiert wurden, kann Liptay überzeugend als Ausweis eines kulturellen (d. h. auch: patriarchalen) Ideals weiblicher Servilität plausibilisieren (S. 12). Diesen eher essayistischen Bemerkungen stellt das Heft mit den Texten von Erin Hill und Esther Dayan konkrete empirische Beschreibungen kulturindustrieller Filmproduktionen zur Seite, denen im Falle Hills eine ausgiebige akademische Recherche der Geschlechterstruktur klassischer Hollywood-Studios und im Falle Dayans das eigene Erleben als Arbeiterin im Kopierwerk sowie als Editorin für Film und Fernsehen zugrunde liegen.

Die zweite Hälfte des Heftes wendet sich dann weniger industriell produzierten Bewegtbildern zu, etwa künstlerischen Dokumentarfilmen, feministischer Pornografie oder Videokunst. Erstaunlicherweise sind die hier gezogenen Schlüsse keineswegs radikal verschieden von den Ergebnissen, zu denen die Heftautor*innen bezüglich einer globalisierten Filmindustrie kommen. So beschreibt beispielsweise Leonie Zilch, wie ein pornografisches Authentizitätsversprechen (als eine Art Industrie-Mythos) dazu beiträgt, die sexuelle Performance onscreen – als eben Arbeit – zu unterminieren (vgl. S. 120-122). Annette Urban wiederum kann zeigen, wie bestimmte feministische Filmpraktiken gerade in ihrer ostentantiven Amateurlogik immer auf die Techniken und Ästhetiken des 'anderen', professionellen Filmemachens verwiesen bleiben. Hierin trifft sie sich mit Liptay, die betont wie "sich Avantgarde und Mainstream […] ihr[e] material[e] und technisch[e] Basis immer schon teilten“ (S. 17).

Trotz der theoretischen, methodischen und perspektivischen Heterogenität des Heftes finden sich also immer wieder Anknüpfungspunkte und Querverweise, vermittels derer sich die einzelnen Beiträge zueinander in Bezug setzen lassen – übrigens ohne dass dies jeweils unbedingt expliziert wäre. Dieser Aspekt bezeugt nicht nur die Qualität des tollen Heftes, sondern er motiviert insbesondere zur tatsächlichen Lektüre jedes einzelnen Beitrags. Aufgrund des hohen Niveaus und der spannenden Themen der einzelnen Beiträge fällt es dann auch weniger ins Gewicht, dass diese nicht unbedingt in Richtung einer gemeinsamen These entwickelt werden. Im Gegenteil regt das Heft vielmehr zur kritischen Fortführung der angerissenen Diskussionsfäden an.

In diesem Sinne möchte ich kurz einige kritische Einsatzpunkte umreißen, die ich indes nicht als abwertend, sondern vielmehr als zugewandte Kritik und als Aufnahme jener Diskussionsfäden verstanden wissen möchte. So ließe sich beispielsweise fragen, wie produktiv die im Heft häufig wiederholte Rede von einer Unsichtbarkeit der entsprechenden Arbeitspraktiken ist, überführt doch der Topos der Unsichtbarkeit von Arbeit Fragen gesellschaftlicher Machtverteilung semantisch in eine epistemologische Frage technischer Repräsentierbarkeit (vgl. Przywara 2018, Büttner 2022). Interessanterweise bietet das Heft mit der Theoriefigur der Ränder des Films eine eigene Alternative zur Figur der Unsichtbarkeit an (vgl. S. 16, S. 24, S. 98). Diese scheint mir in diesem Zusammenhang vielversprechender, schafft sie es doch, eine soziale Marginalisierung bestimmter (vergeschlechtlicher) Arbeiten, ein darin dennoch angelegtes widerständiges oder utopisches Potential sowie die Untrennbarkeit und reziproke Abhängigkeit verschiedener (randständiger und zentrierter) Tätigkeiten voneinander zusammenzubinden.

Der starke Fokus des Hefts auf filmische Produktionspraktiken geht überdies zulasten stärker theoretischer Argumente, die an der ein oder anderen Stelle eine sinnvolle Ergänzung dargestellt hätten und deren es prinzipiell, gerade in der Verbindung feministischer, klassentheoretischer und arbeitsbezogener Theoriebildung, nicht nur für die Film- und Medienwissenschaft weiterhin dringend bedarf. Gerne hätte ich beispielsweise gewusst, wieso der Herausgeber welchen Begriff des Biografischen anlegt, wenn er einem Text Harun Farockis (2018 [1975]) dessen Kritik am Biografischen vorhält und auf den Text Dayans als feministisches Gegenbeispiel verweist (S. 79). Schließlich lässt sich in genau jenem Text ein ähnlicher Impuls zum Vorgehen Farockis erkennen, das ich als Kritik am Biografischen als bürgerlichem Modus der Lebenserzählung lesen würde. Wenn Dayan in ihrem Text mehrfach die Abhängigkeit des eigenen Werdegangs von den Produktionsverhältnissen betont (vgl. S. 84-86), eröffnet sie eine Sichtweise, derzufolge Lebenswege zwar unbestreitbar individuell (und vergeschlechtlicht) erfahren werden, aber nicht ohne eine gesellschaftliche (mithin materialistische) Perspektive verstanden werden können. Die aufgeführten Kritikpunkte mögen jedoch selbst am Rand dieses schönen Heftes verbleiben, dem gerade nach dem Neustart der Zeitschrift eine große und zugewandte Leser*innenschaft zu wünschen ist.

 

Literatur:

Büttner, Christoph A.: Postfordistische Fragmente. Filmische Arbeitswelten und Repräsentationen des Sozialen, Paderborn: Brill/Fink 2022.

dayan, esther: "stationen". In: Frauen und Film 9, 1976, S. 27-33.

Farocki, Harun: "Notwendige Abwechslung und Vielfalt" [1975]. In: ders.: Meine Nächte mit den Linken. Texte 1964-1975. Hg. v. Volker Pantenburg, Köln: Walther König 2018, S. 216-226.

Hill, Erin: Never Done. A History of Women’s Work in Media Production, New Brunswick/London: Rutgers UniversityPress 2016.

Powdermaker, Hortense: Hollywood, the Dream Factory. An Anthropologist Looks at the Movie-Makers, New York: Grosset and Dunlap 1950.

Przywara, Adam: "The Disappearance of the Working Class from the Cinematic Screen". In: View. Theories and Practices of Visual Culture 21, 2018. https://www.pismowidok.org/en/archive/2018/21-invisible-labor/the-disappearance-of-the-working-class-from-the-cinematic-screen, abgerufen am 19.10.2022.

Autor/innen-Biografie

Christoph Büttner

Christoph A. Büttner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF und leitet dort das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Forschungsprojekt "Die Verarbeitung der Arbeit im Film". Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Bayreuth und Konstanz. Neben Fragen medialer Repräsentationen von Arbeit beschäftigt er sich insbesondere mit Aspekten audiovisueller Diskurstheorie, Medien des Büros und Fragen medialer Gouvernementalitäten.


Publikationen:

Postfordistische Fragmente. Filmische Arbeitswelten und Repräsentationen des Sozialen. Filmische Arbeitswelten und Repräsentationen des Sozialen, Paderborn: Brill/Fink 2022.

Zus. mit Henrik Wehmeier: "Ein Film aus dem Ruhrgebiet? Deindustrialisierungsgeschichte(n) und Körperpolitiken des Metals in Thrash, Altenessen". In: ffk journal 7, 2022, S. 15-36, http://ffk-journal.de/?journal=ffk-journal&page=article&op=view&path%5B%5D=161.

"Das ‚Geld des Realen‘? Zur Rolle von Fotografien und anderen Zahlungsmitteln für Ökonomien des Wirklichen". In: Bild Medium Geld. Bildkulturen und Medienreflexionen des Monetären. Hg. v. Judith Ellenbürger und Felix T. Gregor, Paderborn: Fink 2019, S. 25-41.

Downloads

Veröffentlicht

2022-11-16

Ausgabe

Rubrik

Film