Brigitte Peucker, Ido Lewit (Hg.): New Approaches to Ernst Lubitsch. A Light Touch.
Amsterdam: Amsterdam University Press 2024. ISBN: 9789048558063. 326 Seiten, 140,99 €.
DOI:
https://doi.org/10.25365/rezens-2025-1-15Abstract
Ernst Lubitsch wurde lange Zeit in der Filmwissenschaft vernachlässigt. Ein Hollywood-Studioregisseur hat es gewohnheitsmäßig schwerer als markanter Auteur wahrgenommen zu werden. Doch auch das frühe deutsche Werk des späteren Emigranten wollte nicht in die Filmgeschichte passen, die ein Siegfried Kracauer oder eine Lotte Eisner erzählten. Unterhaltungsfilme, noch Komödien dazu, hatten lange keinen Platz neben den Meistern des Deutschen Expressionismus wie Friedrich Wilhelm Murnau oder Fritz Lang. Einen ersten wichtigen Vorstoß für solche im System agierenden Künstler:innen wie Lubitsch konnte dann der von der Auteur-Theorie geleitete Hitchcocko-Hawksianismus der Nouvelle Vague leisten. Doch so sehr François Truffaut Lubitschs Sublimität auch pries, dauerte es nach den 1960er-Jahren noch einige Zeit, bis die Fachliteratur Lubitsch nachhaltig für sich entdeckte. Heute scheint Lubitschs Zeit endlich gekommen zu sein. Nicht nur stieg die Publikationsdichte an Monografien in den letzten Zehn Jahren (Novak 2014, Allred 2017, McBride 2018, McCormick 2020), auch machen neue Heimvideo-Veröffentlichen (die Murnau Stiftung legte 2022 ein neues Box-Set der Weimarer Stummfilme vor), Restaurationen (die Berlinale zeigte 2024 neue Versionen von Kohlhiesels Töchter und The Love Parade) und Retrospektiven (wie etwa vom Filmarchiv Austria Anfang 2025) das Werk einer breiten Masse zugänglich. New Approaches to Ernst Lubitsch reiht sich nun darin ein mit dem Anliegen, zu zeigen, wie lohnend und variantenreichen die Auseinandersetzung mit diesem nun teilweise schon hundert Jahre alten Œuvre sein kann.
Denn dies ist der primäre Akzent der Publikation: durch eine breite Aufstellung Ansätze zeigen, die weiter verfolgt werden können. Die Beiträge des Sammelbandes werden dabei in vier Teile aufgegliedert: (1) Identität und Historie, (2) Theatralität und Performance, (3) Objekte und Räume sowie (4) die Ungreifbarkeit von Lubitschs Kino. Dies sorgt für Schwerpunkte verschiedenster Art: Diese können soziologisch oder geschichtswissenschaftlich geprägt sein, intersektionale genauso wie intermediale Perspektiven anlegen, humanistische wie neo-materialistische Diskurse aufgreifen. Obwohl der Band insgesamt einen autorentheoretischen Ansatz verfolgt und sich dezidiert vor dem großen Filmkünstler Lubitsch verneigen will, ist er also in seiner Anlage überaus differenziert, offen und weiß sich in der gegenwärtigen Forschungslandschaft zu verorten. Das Interesse am Auteur ist hier trotz aller Begeisterung kein Geniekult, vielmehr wird Lubitsch als Knotenpunkt verschiedenster Stränge gesehen, die man zwar auch aus ihm heraus gehend nachvollziehen kann, deren komplexe Verstrickung aber als besonders bemerkenswert betrachtet wird. Nicht nur führt Lubitschs persönliche Identität als deutscher Jude, der seine Karriere in der Weimarer Zeit begann und der dann im amerikanischen Exil Filme über die politische Lage auf seinem ehemaligen Heimatkontinent schuf, allerlei Stränge zusammen. Sein Schaffen als Künstler führt auch allerlei Personen zueinander. Es werden daher unter anderem die Rolle des österreichischen Filmarchitekten Kurt Richter, die Zusammenarbeit mit Schauspielerinnen wie May McAvoy oder Miriam Hopkins sowie exemplarisch an Charlie Chaplin die gegenseitige künstlerische Beeinflussung unter Kolleg:innen betrachtet. Eine klassische Kritik an konventioneller Auteur-Theorie wie ein Truffaut sie zelebrierte wird also gezielt unterlaufen, indem Lubitsch gerade durch seine relationale Verfasstheit begriffen wird. Der Impuls, sich mit Lubitsch zu beschäftigen, ist hier daher auch einer, um sich mit der Fülle der Filmgeschichte und -theorie zu beschäftigen. Das macht die einleitenden Verweise des Bandes darauf, welche Themen ebenfalls noch ausführlich behandelbar wären – Einflüsse auf spätere Filmschaffende, queere Rezeption der Filme, die Rolle von Tanz, von race uvm. – umso anregender. Der Titel New Approaches to Ernst Lubitsch ist daher implizit mit einem Ausrufezeichen zu lesen: Weder wird hier eine grundlegende Neuinterpretation des Werkes unternommen noch werden letzte, nur für ohnehin schon mit der Materie vertraute Spezialist:innen interessante Ausfransungen nachvollzogen. Stattdessen dient der Band als ein das gesamte Œuvre durchschneidender Überblick der Möglichkeiten zur Beschäftigung mit Lubitsch: einleuchtend für Neulinge, erfrischend für Kenner, an beide appellierend, selber von Neuem auf Lubitsch zuzugehen.
Eine besondere Qualität ist dabei die Filmauswahl des Bandes: Man bearbeitet einschlägige Klassiker, vor allem aber richtet man auch den Scheinwerfer auf vernachlässigte Titel der Filmografie. Nicht nur in der Literatur ansonsten im Grunde unsichtbare Filme aus dem Weimarer Stummfilmwerk wie Der Stolz der Firma, Schuhpalast Pinkus oder Der Blusenkönig finden dabei Beachtung. Dies alleine wäre schon ein Verdienst, da Lubitsch in diesen entweder noch primär, wenn nicht gar ausschließlich als Darsteller auftrat oder die Werke nach späterem Standard bloß als Kurzfilme gelten. Der Blusenkönig ist wie fast alle jüdischen Komödien Lubitschs größtenteils verschollen und bloß als Fragment erhalten. Über die Beschäftigung mit Richter erfahren zudem Lubitschs frühe Kostüm- und Monumentalfilme Aufmerksamkeit, die allzu oft in Diskussionen um den Komödienregisseur ausgeblendet werden. Darüber hinaus werfen andere Kapitel aber auch einen Blick auf vernachlässigte Filme der Hollywoodzeit, darunter das Melodram Angel mit Marlene Dietrich oder That Uncertain Feeling, ein bei Lubitsch seltener Blick auf das moderne Amerika. Gerade die Analyse von Ersterem unter dem Gesichtspunkt des Umgangs mit der Zensur arbeitet dabei besonders anschaulich die Qualität des berühmten und doch nie wirklich konkretisierbaren Lubitsch-Touch heraus. Dessen Dezenz, Implizitheit und Ungreifbarkeit werden dabei nicht nur in die Tradition modernistischer Avantgarde wie Luigi Pirandello oder Luis Buñuel gestellt. Sie sind exemplarisch für das Anliegen dieses Bandes, den Lubitsch-Touch als Gegenansatz zur zeitgenössischen ideologischen Verhärtung und manipulativen Direktheit der Debattenkultur zu entwerfen, die sich auch im Kino niederschlägt. Dieser Hinweis auf die Relevanz einer erneuten Lubitsch-Analyse erscheint als besonders potent. Der erneute Blick auf etwa To Be or Not to Be mit Fokus auf die Migrationsperspektive lässt sich ähnlich aktuell anschließen, erscheint aber eher als Vertiefung bereits existierender Diskussionen dieses Anti-Nazi-Klassikers. Im Vergleich wirkt der Blick auf Ninotschka mit Fokus auf Dekor und Kostüm durch diese ungewöhnliche Akzentverschiebung hingegen inspirierender. Besonders originell erscheint das Kapitel, das die reziproken Einflüsse zwischen Chaplin und Lubitsch beleuchtet. The Marriage Circle, einer von Lubitschs prestigeträchtigsten Stummfilmen, wird hierbei mit A Woman of Paris und A Countess from Hong Kong in Dialog gesetzt, zwei tendenziell aus den üblichen Besprechungen von Chaplins Werk herausfallende Titel, da er in beiden nur hinter der Kamera wirkt. Indem die Ähnlichkeiten, aber auch gerade die Unterschiede der Filme herausgearbeitet werden, wird nicht nur ein tieferes Verständnis der Herangehensweisen beider Regisseure, sondern auch allgemeiner Genremechaniken gegeben. Denn erneut spielen Wissen und Unsicherheit, Explizitheit und Implizitheit die Schlüsselrollen. Gerade dass Lubitsch uns zwar die Irrungen und Wirrungen seiner Charaktere vorführt, aber insgesamt die Instabilität und Ambiguität der uns wahrnehmbaren Realität daran illustriert, wird zum prägnantesten Thema des Bandes.
Egal ob in seinen Stumm- oder Tonfilmen, egal ob in Weimar oder Hollywood, Lubitschs Schaffen entzieht sich einer einfachen Lesart. Filme, die als Unterhaltungsprodukte eines Studiosystems erscheinen, entpuppen sich als thematisch wie formal komplexe Kunstwerke, zu denen es nicht nur die eine richtige Lesart gibt. New Approaches to Ernst Lubitsch fordert uns daher auf, nicht bloß zusammen mit seinen Autor:innen die Filme neu zu lesen, sondern auch selbst zu ergründen, was sich alles hinter Greta Garbos Hüten, Miriam Hopkins' Zwinkern und all den vielen Türen zwischen Budapest und Paris verbirgt. Der Band ist gerade deswegen lesenswert, weil er trotz seiner Breite keine vollständige Studie von Lubitsch bietet. Die Größe des Auteurs zeigt sich darin, dass dessen Werk nie zu Ende besprochen, nie vollständig gesehen ist. Der Untertitel A Light Touch erscheint daher sinnfällig, weil es um keine finale Durchdringung, sondern um mögliche Annäherungen geht. Die Berührung behält aber auch dahingehend ihre Leichtigkeit, dass trotz aller illustrierten Komplexität, der Humor und das Unterhaltsame der Filme nie verdrängt werden. So bleibt sowohl das Schauen, als auch das Analysieren von Ernst Lubitsch bei jeder neuen Annäherung ein Vergnügen.

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