Stephan Ahrens: Mit Wolkenkratzer und Handtasche. Eine Geschichte des Filmmuseums.

München: Edition text+kritik 2024. ISBN: 978-3-96707-879-4. 379 Seiten, 29,00 €.

Autor/innen

  • Torben Bunzenthal

DOI:

https://doi.org/10.25365/rezens-2025-2-02

Abstract

Bei einem Besuch des Deutschen Filmmuseums Frankfurt im Sommer 2025 erwartete die Besucher*innen auf drei Etagen eine Vielzahl an Exponaten: Im ersten Geschoss fanden sich – teils achronologisch angeordnet – zahlreiche Objekte von der "Vorgeschichte" des Films bis zum "Kino der Attraktion" (Gunning 1996). Im zweiten Stock wurde unter anderem mithilfe von Kostümen, Requisiten und Storyboards das filmische Erzählen thematisiert. In der dritten Etage vermittelten schließlich vor allem Monitore und Projektionen Einblicke in Plansequenzen der Filmgeschichte. Diese Heterogenität filmischer Artefakte in Filmmuseen bildet auch den Ausgangspunkt von Stephan Ahrens’ Dissertation Mit Wolkenkratzer und Handtasche (2023), die 2024 als fünfter Band der von Chris Wahl herausgegebenen Reihe Film-Erbe erschien.

Ahrens stellt angesichts der unterschiedlichen Sammlungen und Ausstellungskonzepten internationaler Filmmuseen die grundlegende Frage, worum es sich bei einem Filmmuseum überhaupt handle (S. 9). Anstelle einer eindeutigen Antwort entfaltet sein Buch eine Vielfalt musealer Konzepte, von denen einige nie umgesetzt wurden. In sieben Kapiteln werden ausgewählte Filmmuseen vorwiegend unter ausstellungsanalytischen Gesichtspunkten betrachtet. Dabei findet Ahrens unterschiedliche Antworten auf die – teils bis heute diskutierte – Frage, wie sich Bewegtbilder in den Ausstellungsraum übersetzen lassen. Die untersuchten Filmausstellungen stammen aus dem Zeitraum vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1980 und wurden teils mittels Primärquellen rekonstruiert. Darüber hinaus knüpft der Autor an die bisherige kunst- und medienwissenschaftliche Forschung zum Thema Film in Ausstellungen an – ein bislang randständig behandeltes Feld, zu dem erst in letzterer Zeit ausführlichere Studien vorliegen (vgl. Pantenburg 2021). Zwar existieren bereits Monografien zu einzelnen Institutionen (zum Beispiel Wasson 2005), doch viele Bereiche bleiben bislang unerforscht.

Aufgrund seiner Fragestellung geht es Ahrens nicht um eine Genealogie des Filmmuseums, sondern um die Analyse einzelner Museen im jeweiligen historischen Kontext. Auch bereits gut erforschte Institutionen, wie die Cinémathèque française, werden unter neuen Perspektiven betrachtet. Bereits zu Beginn des Buches steht die – für einige Leser*innen sicherlich überraschende – Erkenntnis, dass die Ursprünge des Filmmuseums auf die Weltausstellungen und Gewerbemessen des ausgehenden 19. Jahrhunderts zurückgehen. Exemplarisch beschreibt Ahrens zunächst die Weltausstellung in Chicago (1893), auf der Ottomar Anschütz und Eadweard Muybridge unabhängig voneinander ihre Chronofotografie präsentierten (S. 30–34). Die dort entwickelten Präsentationsformen wurden später von Technikmuseen, Kunstausstellungen und ähnlichen Formaten aufgegriffen, wie Ahrens anschaulich erläutert. Dabei verweist er immer wieder auf die Unterschiede zwischen diesen frühen Präsentationsweisen und der sich zeitgleich etablierenden Filmvorführung im Kino. Dort blieben technische Apparaturen für das Publikum unsichtbar – ein Umstand, der zur wiederkehrenden Kritik an frühen Filmausstellungen führte, sie würden zur "Entzauberung" (S. 69) der filmischen Illusion beitragen.
Dieser Vorwurf tauchte erneut bei Filmausstellungen in Kunstmuseen und Galerien der 1920er- und 1930er-Jahre auf. Zugleich wurde in diesen Ausstellungen intensiv über den künstlerischen Wert des neuen Mediums diskutiert. Auch prominente Vertreter der Kino-Debatte, wie Ricciotto Canudo, experimentierten in diesem Kontext mit Ausstellungsformen (vgl. S. 85–87). Während sich Messen und Technikmuseen vorrangig auf die Darstellung der Technikgeschichte und der filmischen Produktion konzentrierten, rückte in Kunstmuseen zunehmend die Vermittlung filmischer Ästhetik in den Fokus. Neue Exponatarten wie Kostüme, Requisiten, Entwurfszeichnungen und Filmstills fanden verstärkt Eingang in die Präsentationen. Trotz zahlreicher Sonderausstellungen und erster musealer Ansätze – etwa der UFA-Lehrschau in Babelsberg – gelang es bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs jedoch nicht, ein dauerhaftes Filmmuseum zu institutionalisieren.

Von der Vielzahl der Filmmuseen, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts etablierten, richtet Ahrens seinen Fokus auf die Cinémathèque française, das Filmmuseum München und das Deutsche Filmmuseum Frankfurt. Erstere weitete ihre Ausstellungen weltweit aus, wobei ihr Leiter Henri Langlois sich selbst und sein Museumskonzept zunehmend kanonisierte. Ahrens erläutert dies insbesondere anhand zweier 1958 sowohl in Ost- als auch Westdeutschland gezeigter Wanderausstellungen der Institution. Als Besonderheit des Ausstellungsdesigns der Cinémathèque française hebt Ahrens den Einsatz von Kostümen – als Vertreter der Filmstars – sowie die kreative und immersive Inszenierung der Objekte hervor (vgl. S. 243–246).
In Rudolph S. Josephs Ausstellungsdesigns für das Filmmuseum München erkennt Ahrens hingegen ein völlig anderes Verständnis von Ausstellung, das stark vom Kunstmuseum und einer vergleichenden Analyse geprägt ist. Josephs personenbezogene Ausstellungen präsentierten vorwiegend Fotografien und Filmstills und wurden durch begleitende Filmvorführungen ergänzt. Ahrens sieht hier Einflüsse von Heinrich Wölfflins Kunsttheorie, die den Vergleich von Kunststilen betont (vgl. S. 281–282).
In der ursprünglichen Dauerausstellung des Deutschen Filmmuseums Frankfurt erkennt Ahrens wiederum verschiedene zuvor diskutierte Konzepte des Filmmuseums. So wurde im ersten Stockwerk zwar eine Technikgeschichte erzählt, jedoch auch der kulturhistorische Kontext immersiv – etwa in einer Passagen-Inszenierung – räumlich erfahrbar gemacht. Die präsentierten Objekte waren dabei, im Gegensatz zur Cinémathèque française, laut Ahrens eher zweitrangig; stattdessen lag der Schwerpunkt auf der Vermittlung filmischer Mittel. Im zweiten Geschoss sollten beispielsweise die "Manipulationsmechanismen" (S. 327) des Mediums sichtbar gemacht werden – ein Ansatz, der in gewisser Weise zur "Entzauberung" des Films führte.

Die genannten Beispiele bieten nur punktuelle Einblicke in Ahrens’ sehr facettenreiches Buch. Besonders hervorzuheben sind – neben den historischen Fakten – die teils äußerst präzisen und aufschlussreichen Analysen einzelner Ausstellungen. So wird etwa überzeugend aufgezeigt, inwiefern die Berliner Film- und Foto-Schau von 1932 einer teleologischen Fortschrittserzählung hin zum Tonfilm folgte (vgl. S. 187–188). Ebenso interessant sind seine Untersuchungen zur wechselseitigen Beziehung zwischen Filmtheorie und -wissenschaft einerseits und Filmmuseen andererseits. Im Fall des Filmmuseums Frankfurt erkennt Ahrens beispielsweise Einflüsse der Dispositiv-Debatten sowie der New Film History (vgl. S. 322–323). Bei der Berliner Film- und Foto-Schau untersucht er wiederum die Rezeption Kracauers (vgl. S. 189–194).

Es bleibt zu hoffen, dass das Buch als Ausgangspunkt für zahlreiche weitere Forschungen dient. Einige Ausstellungsdesigns werden lediglich angerissen und nicht im Detail analysiert – teils bleibt dabei unklar, inwiefern dies der Quellenlage geschuldet ist. Darüber hinaus wäre eine Ergänzung der Analysen um wirtschaftliche Aspekte wünschenswert: Inwiefern war etwa das auf Stills und Fotografien fokussierte Ausstellungskonzept des Filmmuseums München nicht nur kunsthistorisch, sondern auch ökonomisch motiviert? Schließlich fehlen trotz eines grundsätzlich transnationalen Zugangs – abgesehen von einem kurzen Seitenblick nach Argentinien – Beispiele aus dem globalen Süden. Eine Untersuchung, wie sie die Filmwissenschaftlerin Rinella Cere bereits 2021 in ihrer Studie zu Filmmuseen eingefordert hatte (vgl. Cere 2021, S. 104). Ahrens ist abschließend dennoch ausdrücklich zu Gute zu halten, dass er mit seinem Buch ein zentrales Referenzwerk für die deutschsprachige Filmmuseumsforschung vorlegt.

Literatur

Haidee Wasson: Museum Movies. The Museum of Modern Art and the Birth of Art Cinema. Berkeley/Los Angeles/London: University of California Press 2005.

Rinella Cere: An international study of film museum. London/New York: Routledge 2021.

Tom Gunning: "Das Kino der Attraktionen: Der frühe Film, seine Zuschauer und die Avantgarde ". In: Meteor: Texte zum Laufbild, Wien: PVS 1996, S. 25-34.

Volker Pantenburg: "Black Box/ White Cube". In: Bernhard Groß/ Thomas Morsch (Hrsg.): Handbuch Filmtheorie, Wiesbaden: Springer 2021, S. 287 – 303.

Autor/innen-Biografie

Torben Bunzenthal

Doktorand bei Prof. Dr. Bernhard Groß, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kunstgeschichte und Filmwissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Aktuelle Forschungsschwerpunkte: Bewegtbilder bei der documenta und das Verhältnis von Film und Geschichte.

Cover: Mit Wolkenkratzer und Handtasche

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Veröffentlicht

2025-11-12

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Film