Alfonso de Toro: De las similitudes y diferencias. Honor y drama de los siglos XVI y XVII en Italia y España.
Übers. v. Angel Repáraz, Andrés. 708 S. Frankfurt am Main: Vervuert 1998. ISBN 3-89354-875-0. Preis: DM 88, /SFr 88, /ATS 642,-
Abstract
Fünf Jahre nach der deutschen Ausgabe (Von den Ähnlichkeiten und Differenzen. Ehre und Drama des 16. und 17. Jahrhunderts in Italien und Spanien) ist nun auch die spanische Übersetzung dieses Buches herausgekommen. Alfonso de Toro, der diese Arbeit 1993 als Habilitationsschrift an der Universität Hamburg herausgebracht und dann publiziert hat, merkt in seinem Vorwort zur spanischen Ausgabe an, daß er die Thematik einem breiteren Publikum zugänglich machen wollte. Tatsächlich liegt hier eine Eins-zu-eins-Übersetzung vor, die nur durch einige Illustrationen aufgeputzt ist.
Das überaus umfangreiche Werk - 685 Seiten, wovon allein 155 Seiten Bibliographie und Stichwortverzeichnis ausmachen - kann sicherlich zu den bedeutendsten Arbeiten über das vieldiskutierte Thema der "Ehre" gezählt werden. Der Autor möchte mit seiner Analyse auch mit dem Klischee aufräumen, "Ehrbesessenheit" sei ein ausschließliches Merkmal des spanischen Kulturraumes. De Toro hat mehrere Zugänge gewählt. Zunächst schlüsselt er das juristische, theologische und humanistische Konzept der Ehre auf. Wir erfahren, daß Ehre, Ehrverletzung, Jungfräulichkeit und Ehebruch in ganz Europa eng mit der römischen Gesetzgebung verbunden waren. Bei einem auf frischer Tat ertappten Ehebruch durfte der Ehemann laut Gesetz die untreue Ehefrau samt Liebhaber töten. In der Realität wurden Geldbußen und Verbannung ausgesprochen. Adelige blieben bei Ehrverletzungen überhaupt verschont, auch wenn sie sich der Vergewaltigung oder anderer Sexualdelikte schuldig gemacht hatten. Diese Hinweise entnimmt De Toro spanischen Gerichtsakten, wobei er mit Beispielen nicht spart. Amüsant zu lesen sind die Ratschläge von Mönchen, die aufgrund von Ehebrüchen schwangeren Frauen nahelegen, dem Ehemann lieber alles zu verschweigen, um sich und die Privilegien des Kindes nicht zu gefährden. (vgl. Fray B. Medina 1579, S. 121 ff.) Blutrache, so folgert De Toro, wie sie in vielen Theaterstücken der damaligen Zeit überliefert ist, gab es nicht - zumindest konnten Blut und Rache die Ehre nicht wiederherstellen. Man war besser beraten, zu vertuschen und unverletzte Ehre zu heucheln. In besonders schwerwiegenden Fällen war das Duell, obwohl verboten, ein göttliches und juristisches Mittel, einen Ehrkonflikt zu "lösen", da die Gerichte im 16. und 17. Jahrhundert von falschen Zeugen und Aussagen lebten.
Daß Frauen, Kinder und das "gemeine Volk" vom Privileg der Ehre ausgeschlossen waren, dürfte hinlänglich bekannt sein. Ehre besaßen Adelige, Priester, Mächtige und Reiche - entweder als "Naturzustand" oder aufgrund von Herkunft und Geld. Frauen erhielten Ehre nur durch Heirat mit einem Mann von Ehre. Einer keuschen Jungfrau wurde zumindest ein Minimum an Ehre zugestanden. Tüchtigkeit oder gute Charaktereigenschaften zählten nicht ausreichend genug, um dieses Ziel zu erreichen. Entehrte zogen den Tod einem Leben in Schande vor. Ehebruch war gleichbedeutend mit Ehebruch der Frau. Ein Mann konnte nur dann des Ehebruchs angeklagt werden, wenn er mit einer verheirateten Frau sexuelle Beziehungen unterhielt. De Toro bedient sich für seine Untersuchungen mit bemerkenswertem Engagement altspanischer und lateinischer Texte, die juristischen und auch theologischen Ursprungs sind.
Ein weiterer interessanter Teil dieses Buches behandelt den Zusammenhang zwischen Ehre und Blutreinheit. Zur Zeit der spanischen Reconquista (darunter versteht man die Wiedereroberung Spaniens und die Vertreibung der Mauren, bis zum Fall von Granada 1492) begannen die Spanier Debatten über "Blutreinheit" ("limpieza de sangre"). Juden und Moslems wurde das Recht auf Ehre abgesprochen. Als nach der Reconquista tausende Juden und Moslems zum Christentum konvertieren mußten, um das Land nicht verlassen zu müssen, gab es wieder zahlreiche "Spanier mit Ehre". Da aber der Neid auf die Geschäftstüchtigkeit und der Angriff auf diese privilegierten Schichten nicht damit abnahm, daß die Konkurrenten nun auch Christen waren, verfiel man auf die Vorform des Ariernachweises: Die Verdächtigen mußten ihre Herkunft und Stammbäume offenlegen, um ihre "Blutreinheit" (nur spanisch-christlicher und nicht jüdischer oder moslemischer Abstammung) zu beweisen. Da die Bevölkerung aber durch das jahrhundertelange friedliche Zusammenleben stark vermischt war, ergab sich das Problem, daß nur mehr entlegen lebende Bauern tatsächlich "blutrein" waren. Diese wurden kurzerhand mit ehrenvollen und üblicherweise nur von Adeligen bekleideten Ämtern bedacht, wodurch sie sowohl durch ihre neuen Berufe als auch durch ihre "Blutreinheit" Ehre erlangten. Dies ist ein paradoxes Beispiel aus einem der wohl dunkelsten Kapitel der spanischen Geschichte. Gerade an dieser Stelle wäre der/die LeserIn interessiert weiterzulesen, aber De Toro wählt einen neuen Zugang zu seinem Thema: anhand von trockenen humanistischen Aufsätzen spanischer Autoren werden Abstufungen der Ehre in Ruf, Tugend etc. vorgenommen. Danach folgt ein Kapitel, das sich einer langwierigen Analyse der Poetik des Aristoteles widmet. Der/die LeserIn fragt sich zu Recht, wozu diese Ausführungen dienen sollen. Man wird den Verdacht nicht los, daß krampfhaft eine Überleitung zu den Dramen des 16. und 17. Jahrhunderts gefunden werden mußte.
So gut und spannend das Buch begonnen hat, so mühsam gestaltet es sich nun. Wir erfahren ausgiebigst über alle nur erdenklichen Merkmale der Tragödie, Komödie und Tragikomödie und müssen uns über 300 Seiten durch semiotische und strukturelle Modelle der italienischen und spanischen Ehrendramen quälen. Kein noch so unbedeutender Dramatiker bleibt unerwähnt, jedes Drama wird auf Biegen und Brechen einer Ehrabstufung zugeteilt. Die Protagonisten werden eingeteilt in: schuldig, nicht schuldig, entehrt, teilweise schuldig, in Opfer: verheiratet, verlobt, verheiratet mit gegenseitigem Interesse und einseitigem Interesse, sich nur verpflichtet fühlend, nicht verheiratet und betrogen, nicht verheiratet und geraubt etc. p. p. Es folgen genaue Aufbauten von Dramen, Vergleiche, Kategorisierungen, Tabellen, Diagramme und endlose Zitate aus den Dramentexten. De Toro ist derart um Beweise bemüht, daß er für eine These nicht ein bis drei Beispiele, sondern bis zu sieben gibt. Dies läßt selbst die tapferste Leserin verzweifeln. Auch kann sich die Rezensentin zwar vorstellen, daß es versierte HispanistInnen gibt, die alle Stücke von Lope de Vega oder Tirso de Molina auf Knopfdruck parat haben, aber nicht 55 spanische Stücke aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Zusätzlich bedient sich der Autor sehr vieler Abkürzungen und Kürzel, die umständlich im Anhang entschlüsselt werden müssen und nur zeigen, wieviel De Toro gelesen hat. Ein kleines Beispiel von vielen ("Übersetzung" von der Rezensentin): "....Variation 2: (CC, CSV, LT/An, LH, VH, Tol V, CD, ASASV, SH, FM)". Was dies bedeutet, erfahren wir gleich im Anschluß: "während zwischen der w.P. A und der m.P. B ein reziprokes Interesse besteht, ist die Beziehung zwischen m.P. B und m.P. C von Rivaliät und Haß geprägt." (S. 365.)
Letztendlich laufen De Toros Analysen darauf hinaus, daß die Dramen nur am Theater blutig enden und kein Abbild der Wirklichkeit waren, sondern vielmehr die Scheinheiligkeit der Werte und der Ehre darstellen wollten - aber auch das nicht in allen Fällen. Bei so viel Arbeitsaufwand eine etwas dürftige Conclusio. Wie auch immer, Alfonso de Toro hat ein ambitioniertes Werk geschrieben, das zweifelsohne genau recherchiert ist und auch 200 Seiten lang bemerkenswerte Erkenntnisse und Quellen präsentiert. Doch die weiteren Analysen sind viel zu langatmig und stellen ein typisches Beispiel dafür dar, wie Wissenschaft nicht aussehen sollte: nämlich langweilig und verwirrend. Vielleicht bringt - unfreiwillig - ausgerechnet die letzte Fußnote genau den schalen Nachgeschmack auf den Punkt, den dieses Buch hinterläßt. Es ist eine Theaterkritik aus den Kieler Nachrichten: "...und zu diesem sei erwähnt, daß das abstrakte Problem der Ehre uns und unsere Sensibilität kalt läßt."
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