Adolf Scherl: Berufstheater in Prag, 1680-1739.

Österreichische Akademie der Wissenschaften, Kommission für Theatergeschichte. Theatergeschichte Österreichs, Bd. X: Donaumonarchie, H. 5 (Wien: Verl. der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, 1999). 245 S., 21. Taf. ISBN 3-7001-2799-5. Preis: ATS 358,--

Autor/innen

  • Otto G. Schindler

Abstract

Nach vier gewichtigen Arbeiten zur ungarischen und polnischen Theatergeschichte hat die Kommission für Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften nunmehr einen weiteren Band zu ihrer Abteilung "Donaumonarchie" vorgelegt, der diesmal einem herausragenden Kapitel der böhmischen Theatergeschichte, dem Prager Berufstheater der Jahre 1680 bis 1739, gewidmet ist.

Er beleuchtet somit das gerade in den letzten Jahren (neben dem Prag Rudolfs II.) stark in den Vordergrund gerückte "Prager Barock" diesmal auch von theaterhistorischer Seite, nachdem es bisher von kunsthistorischen Aspekten dominiert wurde und wo theatrale Phänomene, gleichwohl sie zu den zentralen, ja konstituierenden Kategorien dieser Epoche gehören, vielfach nur in ihrer bild-künstlerischen Ausformung, dem Bühnenbild, zur Sprache kamen.

Eine Darstellung des Berufstheaters, zumal wenn sie sich, wie dieser Band, in erster Linie mit dem Sprechtheater befaßt, ist aber vor allem auch eine Darstellung des jeweiligen Spielangebots - und dieses war im Prag jener Zeit zu überwiegenden Teilen in Deutsch. Da sich die tschechische Theatrologie begreiflicherweise in der Hauptsache der Erforschung ihres eigenen Nationaltheaters zuwandte, blieb die Aufarbeitung der deutschsprachigen Theatergeschichte Böhmens meist auf wenige Spezialisten beschänkt - einer davon, Adolf Scherl, ist auch der berufene Verfasser des vorliegenden Buches. Es ist, nach Oskar Teubers verdienstvoller dreibändiger Geschichte des Prager Theaters (Prag 1883-1888), also nach einem Zeitraum von mehr als einem Jahrhundert, zugleich die erste umfassende Darstellung eines größeren Abschnitts der böhmischer Theatergeschichte in deutscher Sprache und vermag so dieses bedeutende Kapitel mitteleuropäischer Kulturgeschichte einem größeren Leserkreis nahezubringen.

Adolf Scherl stützt seine Forschungen vor allem auf die reichen, größtenteils noch unveröffentlichten Quellenbestände des Staatlichen Zentralarchivs Prag und der Theaterabteilung des Prager Nationalmuseums. Er ist aber auch ein ausgezeichneter Kenner der Theatermanuskripte der Österreichischen Nationalbibliothek und der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. Diese Basis wird durch die lokale tschechische Forschungsliteratur erweitert sowie, für derartige Vorhaben unerläßlich, um die weitverstreute Literatur zur Wanderbühne des gesamten deutschen Sprachraums ergänzt.

Scherl läßt seine Darstellung mit dem Herrschaftsantritt des böhmischen Grafen Franz Anton von Sporck beginnen, einer schillernden, um das böhmische Kulturleben überaus verdienstvollen Persönlichkeit, dem auch der österreichische Historiker Heinrich Benedikt eine ausführliche Monographie gewidmet hat. Indem Sporck auf dem Theatersektor die Monopolstellung des Jesuitentheaters durch Berufung von Wanderbühnen durchbrach, trug er wesentlich zur Professionalisierung der böhmischen Theaterszene bei und glich so die Nachteile aus, die dem Land, das nur mehr sporadisch von seinem Landesherrn aufgesucht wurde, (auch) in kulturpolitischer Hinsicht erwachsen waren.

Noch in den 1680er und 90er Jahren wurde die böhmische Hauptstadt nur von vereinzelten Wandertruppen besucht. Erst seit der 1702 erfolgten Gründung des Sporckschen "Comoedien-Hauses auf der Neu-Stadt" wird das Berufstheater zu einer kontinuierlichen Einrichtung. Sporcks Bühne war gemäß der didaktischen Wirkungsabsicht, die der Graf mit seiner Theatergründung verfolgte, von Anfang an als öffentliche Institution konzipiert. Mehrmals kam er dadurch in Konflikt mit den lokalen Behörden; und seine aus diesem Anlaß formulierten, oft direkt an den Kaiser gerichteten Rechtfertigungsschreiben erinnern an die Schauspiel-Apologien der damaligen Theaterprinzipale. Unterstützt wurden seine Bemühungen durch eine Reihe der bedeutendsten Theaterleiter des deutschen Sprachraums: Anton Joseph Geißler, der bis 1708 in gräflichen Diensten stand; Christian Spiegelberg, bei dessen "Württembergischen Komödianten" der alte Pickelhering erstmals von einem "deutschen Harlekin" (dargestellt von Leonard Andreas Denner) ablöst wird; der legendären Truppe der Witwe Velten u.a.m. Aus dieser Zeit sind auch die ersten Theaterzettel aus Prag erhalten. Sie sind in der Sammlung des Prager Genealogen Wunschwitz (heute Zentralstaatsarchiv Prag) überliefert, sind zum Großteil bisher unveröffentlicht und werden von Scherl dankenswerterweise im vollem Wortlaut reproduziert. Auf einem dieser Zettel findet sich als Mitwirkender auch "Kilian Brustfleck", in dem wir wohl noch den berühmten "Krumauer Komödien-Bauern" Johann Valentin Petzolt zu erblicken haben, der vermutlich mit dem Rest der Eggenbergischen Komödianten damals bei Geißler spielte. In der Folge konnte sich Geißler in dem indessen neu entstandenen Theater im Manhartischen Haus in der Zeltergasse eine privilegierte Stellung verschaffen, wobei ihm zuletzt Heinrich Rademin als Kompagnion zur Seite stand. 1718 kommt Johann Heinrich Brunius mit dem "wiennerischen Bauren Hanß-Wurst und Pantalon" nach Prag; wohl mit Recht nimmt Scherl an, daß es sich dabei um Gottfried Prehauser und Johann Leinhaas gehandelt hat, die dann später viele Jahre hindurch die Stützen des Wiener Stadttheaters am Kärntnertor abgeben werden.

Als Geißler 1720 den Prager Schauplatz verläßt, rückt Marcus Waldmann an seine Stelle. Wie Geißler hatte auch er zuvor im ostböhmischen Kukus gespielt, einem kleinen Kurort an der Elbe, der zu Sporcks Herrschaft gehörte und wo dieser für sich und seine Gäste ebenfalls ein Theater unterhielt. Waldmanns stärkster Konkurrent war Franz Anton Defraine, der gleichfalls mit einer Empfehlung des Grafen Sporck ausgestattet war. In Kukus spielte Defraine auch die erste deutsche Version des bekannten Commedia-dell'arte-Stückes vom "Basilisco del Bernagasso", das man dann in Wien noch im 19. Jahrhundert aufführen wird. In Wien trat Defraine dann besonders als Übersetzer Goldonis hervor.

Wien wurde auch für die folgenden Jahrzehnte für das Prager Theaterleben bestimmend. Stegreifburleske und Maschinentheater mit ihren "Komödienarien" als Gesangseinlagen beherrschten den Spielplan, besonders, als dann ab 1734 mit Felix Kurz, dem Vater des nachmaligen Starkomikers Joseph Felix Kurz-Bernardon, einer der führenden Vertreter der Wiener Burleske nach Prag kam. Auch für diese Zeit kann Scherl eine ganze Reihe bisher unbekannter Theaterzettel beisteuern, deren oft sehr ausführliche Ankündigungen wertvolle Einblicke in die Thematik und Spielweise dieses Genres gewähren. Es ist bezeichnend, daß auch Kurz vor seinem Prager Debüt zunächst am Sporckschen Theater in Kukus gespielt hatte. Mit Sporcks Tod im Jahre 1738 wird dieses Theater allerdings für immer geschlossen, und auch die Prager Theaterszene verliert in ihm einen ihrer bedeutendsten Förderer. Mit dieser Zäsur ist auch die barocke Phase des Prager Theaters zu Ende, und Scherl schließt seine Darstellung mit einem Ausblick auf das im Folgejahr 1739 eröffnete "Kotzen-Theater" - dieses ist bereits eine bürgerlich-städtische Gründung und steht an der Schwelle zur Epoche Maria Theresias.

Im Anhang seines Buches veröffentlicht Scherl auch den vollständigen Text des Wanderbühnenstückes Amor der Tyrann oder Die bereüete Rache, der sich in einem Sammelband der Wiener Stadt- und Landesbibliothek (Cod. Ia 38.589) erhalten hat und 1717 von Geißler in Prag aufgeführt wurde. Eine detaillierte Dokumentation der einzelnen Theatertruppen und ihres Repertoires, ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Registerteil schließen sich an; ein vorzüglich dokumentierter Abbildungsteil liefert bisher unveröffentlichtes Bildmaterial.

Adolf Scherl ist jedenfalls vorbehaltslos für seinen Einblick in die frühe Phase des böhmischen Berufstheaters zu danken, und es wäre zu wünschen, daß die Kommission für Theatergeschichte schon bald weitere Bände ihrer verdienstvollen Publikationsreihe folgen läßt.

Autor/innen-Biografie

Otto G. Schindler

Von 1967 bis 2002 Universitätsassistent, Lektor und Bibliotheksleiter am Institut für Theaterwissenschaft an der Universität Wien, Mitarbeiter der Theatersammlung der Österreichischen Nationalbibliothek und des Instituts für Publikumsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; Research Fellow der State University of New York.  Univ.-Lektor und Mitglied der Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Mitarbeiter der Fondazione Mantova Capitale Europea dello Spettacolo. Zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge zur Theatergeschichte der Frühen Neuzeit.

Veröffentlicht

2000-01-20

Ausgabe

Rubrik

Theater