Der gebrauchte Autor - Zur Situation der Drehbuchautoren in der neuen Fernsehlandschaft.
Hg. v. Sabine Perthold, Drehbuchforum Wien. (Wien, 1998). 116 Seiten.
Abstract
Im Herbst 1995 fand in Wien ein mehrtägiges Symposium des Drehbuchforums mit dem Titel Der gebrauchte Autor statt. Dabei referierten Redakteure, Produzenten und Autoren zur Arbeit des Drehbuchautors im fiktionalen Bereich des Fernsehens.
Ich habe damals die meisten der Vorträge gehört. Erst 1998 erschien als Dokumentation dieses Symposions das vorliegende Buch. Die Fernsehlandschaft hat sich seitdem verändert.
Die späte Veröffentlichung in Buchform ist dennoch begrüßenswert. Denn die 13 Aufsätze, aus denen sich der Band zusammensetzt, spiegeln die unterschiedlichsten Meinungen wider: Das reicht von belanglosem Geschwafel über konkrete (aus dem anglo-amerikanischen Raum übernommene) How-to-do-Anleitungen, Berichten aus der Praxis bis zu hin zur Lebenshilfe für Drehbuchautoren.
Die Drehbuchautorin Lida Winiewicz liefert außer Platitüden wenig Einsichtiges oder gar Neues zum Thema. Ihr Artikel ist wie ihre Arbeit fürs Fernsehen: gefällig, hohl und schnell vergessen.
Günther Jeschonnek, Redakteur bei SAT. 1, legt in seinem Artikel das Denken des Senders in Hinsicht auf Quote und Qualität offen. Welche Hauptfigur in welchem Ambiente angesiedelt ist, sieht er als ausschlaggebend für den Publikumserfolg einer Geschichte. Sein Beitrag ist einleuchtend pragmatisch und besonders für Drehbuchschreibende interessant.
Matthias Herbert, heute umworbener Autor von RTL-Actionserien, 1995 atheistischer Drehbuchautor einer religiösen Krimiserie, schildert den für Drehbuchschreibende nicht sonderlich neuen Hürdenlauf bei Sendern, Sendungsverantwortlichen und anderen liebenswerten Personen mit Entscheidungsbefugnissen. Zur Desillusionierung von Drehbuchneulingen äußerst geeignet.
Michael Bütow, 1995 noch Redakteur für Fernsehfilme bei RTL 2 (jetzt Redakteur bei Pro 7), versucht, ein junges Publikum mit Filmen anzusprechen, die an aktuellen Kinoerfolgen optisch und dramaturgisch orientiert sind. Darüber hinaus sollen die Filme auch universelle Themen ansprechen, aber nicht auswechselbar sein, sondern über einen eigenen Charakter verfügen. Mein einem Wort: Quadratur des Kreises gesucht!
Klaus Bassiner, langjähriger ZDF-Fernsehspiel-Redakteur, gibt praktische Tips für Autoren, u.a. wie Absagebriefe wirklich gemeint sind und warum es auch für Autoren besser ist, zunächst ein Treatment (= mehrseitige Szenenabfolge einer Geschichte) und nicht gleich ein komplettes Drehbuch zu schreiben.
Manfred Heid, Produzent und Professor an der Münchener Hochschule für Film und Fernsehen, schildert das Fernsehsystem in Deutschland, wie es früher, vor dem Start der Privatsender, funktioniert hat, und vergleicht es mit dem derzeit vorherrschenden Quotendruck. In der anschließenden Diskussion erfährt man immerhin, daß es in ganz Deutschland nur 4000 Testhaushalte gibt, durch die die vielumkämpfte Quote ermittelt wird.
Robert Thayenthal, Autor der Bergdoktor-Serie, fordert in seinem Aufsatz auf so intelligente Weise mehr Format, Anspruch und Qualität vom Drehbuch, daß man fast vergißt, wie das Ergebnis seiner Überlegungen und Bemühungen aussieht - nämlich genauso wie die Serie Bergdoktor.
Erwin Kraus, Vorstand der Drehbuchwerkstatt München und Fernsehredakteur, unterteilt Autoren zunächst in drei Klassen (polemisch verkürzt: Genies, Begabte und Handlanger), die für ihn anscheinend ohne fließende Übergänge existieren, und bietet so einen Einblick in die kästchenmäßige Denkart vieler Redakteure.
Ronald Gräbe, dessen Vortrag damals mit einem Schrei begann (den man kurioserweise in der Buchform unterschlägt) und dann in eine Art Dramaturgie-Unterricht für Dumme überging (womit er sich erwartungsgemäß nicht allzu viele Freunde unter den Symposiumsteilnehmern schuf), ist Redakteur beim WDR. Sein Artikel ist in Buchform etwas erträglicher, aber nicht hilfreicher. Wenigstens beweist er, daß ihm Namen wie Robert McKee und Linda Seger ohne Nachdenken von der Zunge gehen.
Knut Boeser, einer der gefragtesten und bestbezahlten Fernsehautoren des deutschen Sprachraums, schließlich plädiert in seinem erfrischend ehrlichen Beitrag für Standhaftigkeit und Gerissenheit der Autoren. Wenn man nur fest genug an seine Geschichten glaubt und sie den Fernsehredakteuren listig verkauft, werden diese Geschichten ein Publikum finden, lautet sein Credo.
Die Produzentin Dagmar Rosenbauer erbringt anhand der Entstehungsgeschichte eines Fernseh-Mehrteilers den Beweis, daß niemand weiß, ob ein Film beim Publikum ankommt oder nicht. Der zweite Teil ihrer Überlegungen ist von der Realität eingeholt worden: 1995 mag es noch Leute gegeben haben, die sich für die Arbeit im Fernsehen nicht hergeben wollten, 1999 wird die Höhe der Einschaltquote von fast allen automatisch mit dem Qualitätsgrad gleichgesetzt. Wenn ein Film wenige Zuschauer hat, muß er ja schlecht sein, oder?
Werner Swossil, ORF-Fernsehspiel-Redakteur, der bei der Vortragsreihe mit Abwesenheit glänzte, liefert in seinem Buchbeitrag eine nette Abwandlung von Rilkes Brief an einen jungen Künstler, in dem er sich konsequent dem mittlerweile vorherrschenden Quotendenken und absurder Amerikanismen verweigert, im ganzen gesehen aber trotzdem nicht viel zu sagen hat.
Der Gesamteindruck des Buches ist so vielfältig wie die darin geäußerten Meinungen: Letztlich scheint keiner der Beteiligten genau zu wissen, warum eine Geschichte nun ankommt und die andere nicht. Die einen gestehen sich diese Ahnungslosigkeit ein, die anderen berufen sich auf ein starres Regelwerk.
Oder, den amerikanischen Drehbuchautor William Goldman zitierend: Nobody knows anything.
Veröffentlicht
Ausgabe
Rubrik
Lizenz
Dieser Rezensiontext ist verfügbar unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0. Diese Lizenz gilt nicht für eingebundene Mediendaten.