Klaus Eidam und Rudolf Schröder: 100 Jahre Will Meisel. Eine Berliner Geschichte mit Musik.

Mit 2 CDs: Historische Aufnahmen 1926-1940 und 18 Reminiszenzen von 1950 bis heute. (Berlin: Edition Meisel G.m.b.H., 1997). ISBN 3-00-001431-4.

Autor/innen

  • Birgit Peter

Abstract

Der 100. Geburtstag des Schlager- und Operettenkomponisten, des Musik- und Bühnenverlagsinhabers Wilhelm Meisel, wird mit einem aufwendig gestalteten Buch im Prachtbandformat gefeiert. Die Autoren - Rudolf Schröder, seit 1950 Mitarbeiter Meisels, und Klaus Eidam, Textdichter und Librettist für populäres Musiktheater - versprechen den Lesenden, neben der Biographie, der Geschichte des Musik- und Bühnenverlags auch 100 Jahre Berliner Unterhaltungskultur nahezubringen.

So setzen sie ganz klassisch Meisels Geburtsjahr 1897 - "das war in den großartigen Jahren der deutschen Kaiserzeit" - an den Anfang, erzählen kursorisch über Vater, Mutter und Bruder und interpretieren aus einem Kinderfoto Wilhelms dessen "Fähigkeit, etwas aus sich zu machen". Meisel wird als Multitalent (Tänzer, Komponist, Sänger und Unternehmer) geschildert. Als Kind bekommt er von seinen Eltern, die eine Tanzschule leiten, eine klassische Ballettausbildung und wird 1918 als "charakterisierender Tänzer" ans Opernhaus unter den Linden engagiert. Daneben tritt er mit einer Partnerin als "Mottl und Will Meisel Tanzpaar" in verschiedenen Berliner Vergnügungsetablissements auf und macht sich in den frühen 20er Jahren als Inhaber des Jäger-Casinos selbständig. Dort werden als Vergnügungen Eintänzerinnen, Publikumstanz, "Mr. Meisels Jazzband" oder Will Meisel am Klavier mit neuen Schlagern geboten.

1926 gründet Meisel seinen eigenen Musikverlag, den er bis zu seinem Tod 1967 leitet. An diesen Verlag kann er Größen der Berliner Unterhaltungskultur binden wie den Alleinunterhalter, Komponisten und Textdichter Willy Rosen, daneben komponiert Meisel Operetten, die in Berlin mit Erfolg uraufgeführt werden (z. B. 10 Minuten Glück mit Fritz Grünbaum, Paul Morgan, Adolf Wohlbrück und Blandine Ebinger). Diese Erfolgsgeschichte wird von den Autoren mal aus der Tatkraft und der Selbsteinschätzung Meisels, "Verbummelte Genies gibt es nicht", erklärt, mal seiner Fähigkeit zugeschrieben, einflußreiche Bekanntschaften zu schließen, oder auch einfach als schicksalshafte Fügung gedeutet. Das Schicksal rufen die Autoren immer dann zu Hilfe, wenn sich persönliche Biographie und historische Ereignisse schwer trennen lassen. So gedenken die Autoren lapidar den von den Nazis ermordeten und vertriebenen Künstlern aus Meisels Verlag - "Von zu vielen Autoren mußte er sich trennen. Willy Rosen ging nach Holland, gründete dort ein deutschsprachiges Kabarett. Das rettete ihn aber nicht vor dem Schicksal so vieler seiner Glaubensgenossen: Er kam in Auschwitz um." Und in der Auswahl der Erfolgstitel findet sich beim Schlager "Sag zum Abschied leise Servus" als "arischer" Textautor Harry Hilm und nicht der wirkliche Autor Siegfried Tisch. Dafür stellen Schröder und Eidam Meisels Schwierigkeiten dar, seine Existenz im "zwölfjährigen Reich" zu sichern. Diese Schwierigkeiten dürfte er aber schnell gemeistert haben. So zeichnet er für die Musik zahlreicher Unterhaltungsfilme verantwortlich, weitere Operetten aus seiner Produktion werden uraufgeführt. Meisel wird nicht zur Wehrmacht eingezogen und geht 1944 mit seiner Familie nach Bad Gastein ins "Exil", wie es die Autoren formulieren. An diesem idyllischen Plätzchen hat sich "ohnehin eine Art deutsche Kolonie gebildet", und die Meisels haben auch hier "immer Freude am gesellschaftlichen Leben". Im Gästebuch findet sich die Unterhaltungsprominenz des "Dritten Reiches": Carl Fröhlich, Georg Jacoby, Marika Rökk, Magda Schneider u.v.a.

Die Erfolgsgeschichte des Wilhelm Meisel geht ungebrochen weiter, er betätigt sich in den 50er Jahren nun auch als Filmproduzent, dirigiert und komponiert, u. a. einen Schlager über Berlin, der so populär ist, daß er als offizielle Begrüßungsmusik für den US-Präsidenten Kennedy bei dessen Berlin-Besuch 1962 gespielt wird.

Seit Meisels Tod im Jahr 1967 führt Rudolf Schröder gemeinsam mit Meisels Söhnen das Unternehmen als Verlagsdirektor. Der Verlag widmet sich weiterhin der Operette und dem Schlager und hat gegenwärtig mit einem Rückgriff auf die 20er und 30er Jahre großen Erfolg (Max Raabe und das Palast-Orchester).

Das Verdienst dieses Buches besteht sicherlich darin, daß - vor allem durch die zahlreichen Abbildungen - die Geschichte Will Meisels und damit auch ein Mosaikstein von Berliner Unterhaltungskultur festgehalten wird. Doch gleicht dieser Band ebenso den meisten anderen Produktionen über Unterhaltungskultur, die in launiger Sprache ein Leben als Anekdotensammlung darstellen und somit über alle Brüche, Widersprüche und alle Schrecken einen Schleier von Leichtigkeit legen.

Autor/innen-Biografie

Birgit Peter

Studium Theaterwissenschaft und Philosophie an der Universität Wien, Dissertation zu Zirkus, Varieté und Revue in Wien der 1. Republik (2001). Seit 1999 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Leitung des Archivs/Sammlungen des TFM. Vizepräsidentin der Gesellschaft für Theaterwissenschaft. Lehraufträge an den Universitäten Wien, Leipzig und Bern sowie im Universitätslehrgang "Kultur und Organisation".

Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftsgeschichte, Zirkus, Varieté, Zauberkunst, Wiener Unterhaltungskultur, Theaterhistoriographie und Archiv.

Publikationen:

(Auswahl)

Birgit Peter/Gerald M. Bauer (Hg.): Das Theater in der Josefstadt. Kultur, Politik, Ideologie für Eliten. Wien: Lit 2010.

–: "Between Viennese Tradition and a Longing for the Modern: Theater in Interwar Vienna". In: The Forgotten City. Interwar Vienna between Tradition and Modernity. Hg. v. Deborah Holmes/Lisa Silverman. Columbia, SC: Camden House 2009.

–/Julia Danielczyk: "Zufluchtsort Theater. Theaterstadt Wien 1918 bis 1920". In: Das Werden der Ersten Republik... der Rest ist Österreich. Bd. II. Hg. v. Helmut Konrad/Wolfgang Maderthaner. Wien: Gerold 2008, S. 197–216.

–: "Konzepte eines Theater für die Jugend von 1932 bis 1938. Politische Interventionen in den Gründungsjahren des Theaters der Jugend". In: "Neue Wege". 75 Jahre Theater der Jugend in Wien. Wien – Musik und Theater Bd. 2. Hg. v. Gerald M. Bauer/Birgit Peter. Wien: Lit 2008, S. 25–41.

–: "'Wissenschaft nach der Mode'. Heinz Kindermanns Karriere 1914–1945. Positionen und Stationen". In: 'Wissenschaft nach der Mode'? Die Gründung des Zentralinstituts für Theaterwissenschaft an der Universität Wien 1943. Austria: Universitätsgeschichte Bd. 3. Hg. v. Birgit Peter/Martina Payr. Wien: Lit 2008, S. 15–52.

Veröffentlicht

2000-01-20

Ausgabe

Rubrik

Kulturwissenschaft