Enno Patalas: Metropolis in/aus Trümmern. Eine Filmgeschichte.

Berlin: Bertz 2001. 174 S. m. 200 Fotos. ISBN 3-929470-19-5. Preis: ATS 218,--/DM 29,80/sfr 27,80.

Autor/innen

  • Guntram Geser

Abstract

Metropolis hat in der Filmgeschichte den Stellenwert einer Ikone bzw. gehört zum Kanon jener Filme, die als Meisterwerke gelten.

Mehr noch, Metropolis hat es zum Status eines populären Kulturguts gebracht, auf das in unterschiedlichen Medien und Kontexten häufig Bezug genommen wird und daher relativ bekannt ist.1

Metropolis in/ausTrümmern ist allerdings kein Buch nach dem Motto "Was Sie schon immer über ... wissen wollten". Es will nicht heranführen, erklären und mit Abbildungen faszinieren, sondern richtet sich an Leser/innen, die sich mit dem Film eingehender beschäftigen wollen. Filmanalytisch Interessierte, die nach bestimmten - z. B. de-konstruktivistischen oder psychoanalytischen - Lesarten von Metropolis suchen, werden in dem Buch allerdings nicht fündig werden.2

Metropolis in/ausTrümmern ist in erster Linie eine genaue Beschreibung des Films (auf dem heutigen Stand der Rekonstruktion) und der Musik dazu (ausgehend von einem erhalten gebliebenen, annotierten Klavierauszug aus der Originalkomposition zum Film).

Vorweg seien auch die materiellen Momente des Buchs erwähnt: Es liegt im nicht gerade häufigen Format 22 x 17 cm vor, hat 174 Seiten, gutes Papier, solide Bindung und Umschlag (Hardcover). Abbildungen gibt es reichlich, nämlich 160: Bilder und Zwischentitel aus dem Film, Noten zu bestimmten musikalischen Themen, Skizzen der Filmarchitekten und Kostümbildnerin, Abbildungen zur Realisierung bestimmter Filmtricks u. a.

Das Format des Buchs ermöglicht eine Darstellungsform, die sich in der filmhistorischen Literatur immer größerer Beliebtheit erfreut: Neben einem Haupttext gibt es eine Randspalte, in der z. B. längere Zitate aus Filmkritiken, einzelne kleinere Abbildungen zur Illustration oder Anmerkungen zu wesentlichen Details untergebracht werden können.

Das Inhaltsverzeichnis vermerkt nur drei Abschnitte: Eine "Vorbemerkung", das Hauptstück "Metropolis in/ausTrümmern", und zum Schluß einige "Filmografische Angaben". Das Hauptstück ist weiter beschrieben als: "Die Premierenfassung, den erhaltenen Varianten und Fragmenten, Drehbuch, Partitur, Zensurkarten, Kritiken, Fotos in kritischer Abwägung nacherzählt von Enno Patalas (Film) und Rainer Fabich (Musik)" - So die gedrängte Eigenbeschreibung des deskriptiven Unternehmens durch die Autoren selbst.

Der Anspruch von Patalas (und seines Mitautors Fabich) findet sich in der Vorbemerkung formuliert, als "Versuch einer Beschreibung - des Überlieferten nicht nur, sondern auch des Verlorenen, wie es aus Spuren sich herauslesen läßt (...), auch aus den Spuren der Eingriffe der Channing Pollock und Paul Reno. Geht man ihnen nach, so wird deutlich, was sie änderten, woran sie Anstoß nahmen, und wie beim Rücklauf eines Filmstreifens richten zusammengebrochene Mauern sich wieder auf, schießen die Trümmer zusammen, saugen den Staub auf."

Die Mauern, die sich wieder aufrichten sollen, sind jene der Premierenfassung von Metropolis, die zwischen Januar und Mai 1927 nur etwa 15.000 Berliner und Berlinbesucher gesehen und gehört haben (also auch mit der von Gottfried Huppertz für den Film komponierten Musik). Die "Vorbemerkung" des Buchs beschreibt hierzu kurz, wie diese Fassung im Zuge der Zurichtung des Films für den amerikanischen Markt und die deutsche Provinz zerstört worden und vieles verloren gegangen ist, und wie das, was heute vom Film existiert, erhalten geblieben ist.

Der Kern des Buchs ist im Grunde ein Filmprotokoll, allerdings ein reich illustriertes und mit Zitaten aus Originalquellen angereichertes. Die Attraktivität für am Film Metropolis Interessierte besteht genau in dieser Anreicherung und Illustration (nur spärlich finden sich dagegen Bezugnahmen auf andere Forschungsarbeiten).

Besonders ergiebig unter den Anreicherungen erscheinen: die vielfach den Filmbildern oder Protokollteilen beigefügten Zitate aus dem Drehbuch - in der blumigen, aber dennoch detailgenauen Sprache der Drehbuch-Autorin Thea von Harbou; weiters natürlich die Zitate des Kameramanns, der Filmarchitekten, Trickspezialisten, Filmkritiker u. a. Aufschlußreich sind auch einzelne Vergleiche zwischen der deutschen Rekonstruktion und anglo-amerikanischen Fassungen des Films, besonders wenn diese Sinnverschiebungen deutlich machen. Nicht nur Kenner/innen werden zudem von Rainer Fabichs Charakterisierung der Musik zu bestimmten Einstellungen bzw. der unterschiedlichen musikalischen Themen profitieren.

Was das Buch nicht bietet, ist eine gesellschaftliche - politische, sozioökonomische oder kulturelle - Kontextualisierung des Films.3 Hierzu finden sich in den Anreicherungen des Filmprotokolls nur zwei technik-historische Hinweise, nämlich daß Autotrümmer bei einer Szene zu Fahrzeugen vom Typ "Tropfenwagen" gehören, dem ersten stromlinienförmigen Auto des Ing. Edmund Rumpler, sowie die Ähnlichkeit der "Herzmaschine" der Stadt Metropolis mit dem Tesla-Transformator.

Eines ist klar: Die Mauern, die sich aufgrund der filmhistorischen/protokollarischen Feinarbeit wieder aufrichten, müssen vom Leser/der Leserin selbst abgeschritten und überklettert werden. Dies ist kein Bilderbuch und auch kein Lesebuch, sondern ein Arbeitsbuch für wirklich Interessierte.4

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1 Als ein neuerer Beleg zu diesem Stellenwert sei angeführt: Im Rahmen der 51. Internationalen Filmfestspiele Berlin gab es im Februar 2001 eine vom Filmmuseum Berlin konzipierte und organisierte Fritz Lang-Retrospektive. Diese zeigte alle erhaltenen Filme von Fritz Lang, die meisten von ihnen in neu gezogenen Kopien, darunter zahlreiche Restaurierungen. Als spektakuläres Hauptereignis der Retrospektive wurde die Uraufführung einer neuen Metropolis-Rekonstruktion im Berlinale-Palast gefeiert. Diese Rekonstruktion wurde von der Murnau-Stiftung in Auftrag gegeben. ARTE/ZDF beteiligten sich als Auftraggeber einer neuen Musik zum Film, komponiert von Bernd Schultheis, der schon mit anderen Stummfilmkompositionen international hervorgetreten ist. (Weiters bot das Filmmuseum Berlin bis Anfang April eine Sonderausstellung zu Fritz Lang, in der Metropolis prominent präsent war.) Siehe: http://www.berlinale.de bzw. http://www.filmmuseum-berlin.de Die Fritz-Lang-Retrospektive wurde anschließend vom Filmarchiv Austria auch in Wien gezeigt: http://www.filmarchiv.at/index_lang.htm (bzw. das ausführliche Programmheft zur Retro).

2 Siehe hierzu z. B. den Reader: Fritz Lang's Metropolis. Cinematic Visions of Technology and Fear. Edited by M. Minden and H. Bachmann. Rochester, NY/Woolbridge, Suffolk 2000 (Studies in German Literature, Linguistics, and Culture.)

3 Gestattet sei hierzu der Hinweis auf mein Buch: Fritz Lang. "Metropolis" und "Die Frau im Mond". Zukunftsfilm und Zukunftstechnik in der Stabilisierungszeit der Weimarer Republik. Meitingen: Corian 2. Aufl. 1999.

4 Für Online-Arbeiter/innen: Gut gemacht, reichhaltig und regelmäßig ergänzt: Metropolis Film Archive. A Bibliography and Checklist of Resources on Fritz Lang's Metropolis: http://www.uow.edu.au/~morgan/Metroa.html

Autor/innen-Biografie

Guntram Geser

Studium der Kommunikations- und Politikwissenschaften an der Universität Salzburg (Dr. phil.), Telematik-Management an der Donau-Universität Krems (Master of Telematics Management).

Publikationen:

(Auswahl)

Hg. mit Armin Loacker: Die Stadt ohne Juden. Filmarchiv Austria 2000 (Edition film+text. 3.)

Fritz Lang. "Metropolis" und "Die Frau im Mond". Zukunftsfilm und Zukunftstechnik in der Stabilisierungszeit der Weimarer Republik. Meitingen: Corian 2. Aufl. 1999.

Spiegel des Lebens. Geza von Bolvary (1938): Melodramatische Spitze eines biopolitischen Eisberges. 2. Lieferung in der Reihe: Der österreichische Film von seinen Anfängen bis heute. Hg. v. Synema - Gesellschaft für Film + Medien. Wien 2000.

Die Phantome eines Tiroler Bergbauern. Christian Bergers "Raffl". In: G. Schlemmer (Hg.): Der neue österreichische Film. Wespennest-Verlag 1996.

Hundert Jahre Kino und kein Aufbruch in der österreichischen Filmgeschichte. In: Filmkunst, Nr. 149/1996.

Hg. mit P. A. Bruck: Schulen auf dem Weg in die Informationsgesellschaft. Studienverlag 2000.

Hg. mit P. A. Bruck: X-ROM. Multimediaproduktion mit Kindern und Jugendlichen. Studienverlag 1999.

"Weil Burschen es so und so können": Geschlechter-Unterschiede bei der Computernutzung von SchülerInnen. In: SWS-Rundschau, Heft 4, 1998.

Veröffentlicht

2001-04-19

Ausgabe

Rubrik

Film