Johann Joseph Felix von Kurz: Eine ganz andere Komödie … Ausgewählte Bernardoniaden und Lustspiele.

Hrsg. v. Andrea Brandner Kapfer. Wien: Lehner 2010. (Texte und Schriften zur österreichischen Literatur- und Theatergeschichte: 3). ISBN 978-3-901749-79-7. 568 S. Preis: € 25,30.

Autor/innen

  • Matthias Mansky

Abstract

Am Grazer Institut für Germanistik ist in den letzten Jahren unter dem Forschungsschwerpunkt 'Literatur- und Theatersoziologie' eine Reihe von Projekten ins Leben gerufen worden, die sich mit dem Wiener Theater um 1800 und seinem komischen Figurenrepertoire auseinandersetzen. Unter der Leitung von Beatrix Müller-Kampel hatten die beiden Forschungsprojekte "Mäzene des Kasperls Johann Josef La Roche" und "Kasperls komische Erben" vor allem auch einen editorischen Schwerpunkt mit dem Ziel, heute von der Fachöffentlichkeit vergessene und vernachlässigte Theatertexte erneut einer Leserschaft von Interessierten, Studierenden und Forschern zugänglich zu machen. In diesem Kontext hat Andrea Brandner-Kapfer 2007 eine rund 800 Seiten schwere historisch-kritische Ausgabe der Werke des Bernardon-Darstellers Johann Joseph Felix von Kurz als Dissertation vorgelegt. Dieses ambitionierte Projekt ist 2010 in gekürzter Form als dritter Band der Reihe 'Texte zur österreichischen Literatur- und Theatergeschichte' im Wiener Lehner-Verlag publiziert worden.

Mit Brandner-Kapfers Auswahlausgabe ist nun erstmals ein Teil der Stücke des wohl innovativsten Theaterpraktikers des 18. Jahrhunderts zu einem erschwinglichen Preis im Buchhandel erhältlich. Die satirischen und parodistischen Invektiven seiner Dramen, die auf den Verbürgerlichungsprozess des Theaters respondieren, rücken Kurz in den Fokus der aufklärerischen Kritik und lassen ihn als zentralen Protagonisten der Wiener Theaterereignisse im 18. Jahrhundert erscheinen. Spektakulär wirkt aus heutiger Sicht sein bewegtes Theaterleben, das zur Orientierung kurz skizziert sei:

Kurz wird 1717 in Wien geboren, Taufpate ist nahezu richtungsweisend der Hanswurst-Darsteller Joseph Anton Stranitzky. Nachdem er anfangs Kinderrollen in der Wandertruppe seines Vaters übernimmt, betritt er 1737 erstmals die Bretter des Wiener Kärntnerthortheaters. Es folgen Gastspiele in Frankfurt und Dresden. Sein zweites Wien-Engagement beendet 1752 das Norma-Edikt Maria Theresias, das sich explizit gegen "alle Compositionen von den sogenannten Bernardon" (S. 456) wendet. Kurz begibt sich nach Prag und Regensburg; zwei Jahre später kehrt er ans Kärntnerthortheater zurück, wo er den Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn erlebt. Seine von der Commedia dell'arte und vom Théâtre italien inspirierten Stücke evozieren eine regelrechte "Reitalianisierung der Wiener Komödie".[1]

Die von Kurz selbst als 'buntes Misch-Masch' bezeichneten dramatischen Produkte setzen alle Konventionen eines an den aristotelischen Regeln geschulten Illusionstheaters außer Kraft, indem sie Maschinenzauber, Kinderballette, Gesangseinlagen, Extempore usf. revueartig aneinandergereiht auf die Bühne zitieren. Kurz-Bernardons 'totales' Theater avanciert so im Rahmen der 'Wiener Theaterdebatte'[2], in der die Schaubühne in der Form einer moralischen Tugendschule an einer Modernisierung der Monarchie mitwirken sollte, zum Hauptärgernis der aufklärerischen Theaterreformatoren rund um Joseph von Sonnenfels. Diese verhindern 1770 nach erneuter theatralischer Wanderschaft (Prag, Venedig, Preßburg, Nürnberg, Frankfurt, Mannheim, Köln, Mainz) eine erfolgreiche Rückkehr nach Wien, die an den allmählich verschärften Zensurbestimmungen und dem endgültigen Verbot des Stegreifspiels scheitert. Seine letzte Lebensphase verbringt Kurz in Breslau, Danzig und Warschau, wo er vor allem 'regelmäßige' Komödien und italienische Opern inszeniert, bevor er 1766 verarmt stirbt.

Brandner-Kapfers Auswahlausgabe enthält neben fünfzehn Theatertexten – die sich repräsentativ sowohl aus der frühen als auch späten Schaffensperiode Kurz' zusammensetzen – einen umfangreichen Kommentarteil, der Angaben zu den erhaltenen Manuskripten und Drucken des jeweiligen Stücks, den belegbaren Aufführungsdaten und der Rezeption bietet. Der Stellenkommentar umfasst neben dialektalen und historisch bedingten Worterläuterungen auch Hinweise auf die Motivik der Stücke sowie ihren theater-, literatur- und kulturgeschichtlichen Kontext. Der Kommentierung ist ein "Lebenslauf des Johann Joseph Felix von Kurz-Bernardon" beigefügt, der seine biographischen Eckdaten und die Chronologie der Werke zusammen mit (theater-)historisch relevanten Ereignissen in einer tabellarischen Übersicht subsumiert. Ergänzt wird dieser Überblick durch thematische Einschübe zu Kurz' Aufenthalt in Frankfurt 1741–42, "Die Familie des Joseph von Kurz", "Kurz und Kaiserin Maria Theresia", "Joseph von Kurz und Joseph Haydn", seine Frau "Theresina Morelli", "Joseph von Kurz und 'seine' Theaterbauten", "Joseph von Kurz in Nürnberg", "Joseph von Kurz – ein armer Vermögender" und "Joseph von Kurz in bildlichen Darstellungen".

Andrea Brandner-Kapfer ist nach ihrer im Rahmen der Dissertation akribisch erarbeiteten historisch-kritischen Edition[3] der Werke Kurz-Bernardons eine übersichtliche und gut zusammengestellte Auswahlausgabe der Stücke dieses wichtigen Theatermachers gelungen. Dennoch steht sie – paradigmatisch für die heutige literatur- und theaterwissenschaftliche Forschung – abseits des gängigen Literaturkanons. Die Reduktion von Brandner-Kapfers Dissertation auf einen noch immerhin 568 Seiten umfassenden Band scheint nicht nur aus vertriebs- und kostentechnischen Gründen plausibel, bereitet dem interessierten Leser allerdings ebenso wie dem Forscher Probleme: Brandner-Kapfers Auswahlausgabe ist nicht allein eine Selektion der Werke Kurz', sondern eher eine Auswahl aus ihrer umfangreichen Dissertation, an die wohl aus Platzgründen der Rotstift angesetzt werden musste. So ist es beispielsweise nicht ersichtlich, warum die Einleitung ihrer Doktorarbeit, die einen kurzen Überblick zur Forschungslage und den editorischen Grundsätzen bietet, nicht mehr in der gedruckten Fassung aufscheint. Ähnliches gilt für den thematischen Abschnitt, in dem sich zwar interessante Informationen zu Kurz' Familie sowie zu seinen erhaltenen Porträts und bildlichen Darstellungen befinden, dem Leser allerdings die für das Verständnis der vorliegenden Texte wohl evidenteren Anmerkungen zur Gattungsvielfalt seines Oeuvres und zur Aufführungspraxis vorenthalten werden.

Dieses Abhandenkommen nicht unwesentlicher Erläuterungen bereitet vor allem dem mit Kurz und den Wiener Theaterverhältnissen des 18. Jahrhunderts nicht vertrauten Leser das Problem, für ein erstes Verständnis der Texte auf andere wissenschaftliche Literatur zurückgreifen zu müssen. Für den Forscher, der die von Brandner-Kapfer umfassend erarbeitete Textgrundlage für weitere Untersuchungen und Analysen zum Werk Kurz' nutzen möchte, stellt sich die Frage, ob er nun auf die publizierte Auswahlausgabe, oder (soweit verfügbar) nicht doch wieder auf die umfangreichere Dissertation zurückgreifen soll.

Dennoch soll dies die Leistung der Herausgeberin nicht schmälern. Brandner-Kapfer ist mit der Edition der Werke Kurz-Bernardons ein längst fälliges Projekt geglückt, das eine Basis für zukünftige literatur- und theaterwissenschaftliche Forschung im Bereich der Wiener Komödie des 18. Jahrhunderts garantiert. Nicht zuletzt sieht man anhand der über Jahrzehnte nur in einschlägigen Bibliotheken lesbaren Stücke die Qualitäten eines über lange Zeit vergessenen Textcorpus, der noch heute eine amüsante Lektüre darstellt. Es bleibt zu hoffen, dass weitere Editionen dieser Art nachfolgen und die im Buchhandel unterrepräsentierte 'österreichische' (Dramen-)Literatur des 18. Jahrhunderts weiter anwächst. Dem kleinen Wiener Lehner-Verlag ist nach der zweibändigen Edition der Komödien Philipp Hafners durch Johann Sonnleitner (2001 und 2007) mit der von Brandner-Kapfer vorgelegten Kurz-Edition hierbei ein weiterer großer Schritt gelungen. Der Herausgeberin bleibt zu wünschen, dass sich für sie noch die Möglichkeit ergibt, ihre gesamte historisch-kritische Edition zu publizieren.

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[1] Sonnleitner, Johann: "Hanswurst, Bernardon, Kasperl und Staberl". In: Hanswurstiaden. Ein Jahrhundert Wiener Komödie, hrsg. v. J. S. Salzburg: Wien 1996, S. 331–389, hier S. 351.

[2] Vgl. Haider-Pregler, Hilde: Des sittlichen Bürgers Abendschule. Bildungsanspruch und Bildungsauftrag des Berufstheaters im 18. Jahrhundert. Wien/München: Jugend und Volk 1980.

[3] Andrea Brandner-Kapfer (Hg.): Johann Joseph Felix von Kurz. Das Komödienwerk. Historisch-Kritische Edition. Graz: Lehner 2007.

Autor/innen-Biografie

Matthias Mansky

Studium der Deutschen Philologie an der Universität Wien. Dissertation zum österreichischen Offizier und Dramatiker Cornelius von Ayrenhoff, ausgezeichnet mit dem Wendelin-Schmidt-Dengler-Preis der Österreichischen Gesellschaft für Germanistik 2010. Sylvia Naish Research-Fellow am Institute of Germanic and Romance Studies der University of London  2010. Seit April 2011 wissenschaftlicher Mitarbeiter im FWF-Forschungsprojekt "Staatsaktionen zwischen Repräsentation und Parodie" (Leitung: Prof. Stefan Hulfeld). Lehrbeauftragter am Institut für Theater- Film- und Medienwissenschaft sowie Germanistik an der Universität Wien. Zahlreiche Vorträge und Aufsätze zur österreichischen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts.

Publikationen:

Aktuelle Publikationen:

Gottlieb Stephanie der Jüngere: Der Deserteur aus Kindesliebe. Ein Lustspiel in drey Aufzügen. Mit einem Nachwort hrsg. v. Matthias Mansky. Hannover: 2011. (=Theatertexte 30).

Tobias Philipp von Gebler: Der Minister. Ein Theatralischer Versuch in fünf Aufzügen. Mit einem Nachwort hrsg. v. Matthias Mansky. Hannover 2011. (=Theatertexte 27).

Matthias Mansky: "Die frühe Shakespeare-Rezeption im josephinischen Wien. Überlegungen zur kritischen Haltung der Aufklärer Joseph von Sonnenfels und Cornelius von Ayrenhoff." In: Modern Austrian Literature, 44/1 (2011), S. 1–19.

Veröffentlicht

2012-06-21

Ausgabe

Rubrik

Theater