Barbara Riesche: Schöne Mohrinnen, edle Sklaven, schwarze Rächer. Schwarzendarstellung und Sklavereithematik im deutschen Unterhaltungstheater (1770–1814).
Hannover: Wehrhahn 2010. (Forum für deutschsprachiges Drama und Theater in Geschichte und Gegenwart: 2). ISBN 978-3-86525-077-3. 336 S. Preis: € 28,–.
Abstract
Die Gebrauchsdramatik um 1800 stellt in der Theatergeschichtsschreibung immer noch einen relativ marginalen Forschungsbereich dar, auch wenn das Interesse stetig wächst. Gründe für die Vernachlässigung liegen nicht zuletzt in der ästhetischen Anspruchslosigkeit dieser Texte. Die sogenannten 'Sklavenstücke' sind dieser Kategorie zuzuordnen. Die meisten Autoren dieser, zur Zeit ihrer Entstehung höchst erfolgreichen Stücke – August von Kotzebue, Franz Kratter, Friedrich Wilhelm Ziegler u. a. – gelten heute als Vertreter der Trivialdramatik mit geringem literarischen Wert. Barbara Riesche liefert mit ihrer faktenreichen Dissertation einen Beweis für die Relevanz wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit diesem Forschungsgebiet. Indem sie zunächst Positionen der Unterhaltungsdramatik des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts und ihre Einbettung in den zeitgenössischen, gesellschaftlich-politischen und ästhetisch-theoretischen Zusammenhang darstellt, nähert sie sich ihrem spezifischen Forschungsgegenstand: den Sklavenstücken im populären Theater.
Schöne Mohrinnen, edle Sklaven, schwarze Rächer erscheint als zweiter Band der von Johannes Birgfeld und Claude D. Conter herausgegebenen Reihe "Forum für deutschsprachiges Drama und Theater in Geschichte und Gegenwart". Riesches Studie knüpft insofern an den ersten Band [1] an, als sie sich an der von Birgfeld und Conter geforderten Neupositionierung der Unterhaltungsdramatik des ausgehenden 18. Jahrhunderts orientiert. Damit ordnet sie ihren Untersuchungsgegenstand im diskurshistorischen Zusammenhang jenseits nachträglicher Differenzierung zwischen 'hoher' und 'trivialer' Literatur ein. Insofern räumt Riesche dem Unterhaltungstheater durchaus Bildungsanspruch ein und sieht darin – in Weiterführung von Birgfeld/Conter – "das Reflexionsmedium" der breiten Mittelschicht: "Das didaktische und edukative Selbstverständnis, die sittlichen wie gesellschaftspolitischen Nützlichkeitsabsichten des ambitionierten Theaters wurden […] vom sogenannten 'Unterhaltungstheater' nur auf eine breitenwirksame Ebene transponiert" (S. 103). Das gelte auch für die Sklavenstücke: "Mit ihrer Kombination von aktueller politischer, jedoch 'ferner' Thematik und sentimentalisierten, privaten Stoffen und mit ihrer Mischung aus konventionellen und experimentellen literarischen Verfahren zeigen die Sklavenstücke, dass die Übergänge zwischen vermeintlich 'anspruchsvollem' und 'minderwertigem' Theater zumindest bis zur Jahrhundertwende fließend blieben" (S. 104).
Anhand von zwanzig Stücken zur Sklavereithematik analysiert die Autorin die dramaturgischen und thematischen Konventionen dieser Texte, deren diskursive Einbettung sowie die Aspekte der Aufführungspraxis und Rezeptionsgeschichte. Sie liefert zunächst eine ausführliche Darstellung des historischen Referenzrahmens und positioniert dabei die international geführte und mit großer Resonanz rezipierte Abolitionsdebatte im historischen Mediendiskurs. Die besonders in Großbritannien stark präsente Abolitionsbewegung, die sich für die Abschaffung des Sklavenhandels einsetzte, spielte sowohl bei der medialen Austragung der Sklavereidebatte als auch für deren dramaturgische Umsetzung eine wichtige Rolle.
Indem sie die komplexen gesellschaftlichen Entwicklungen darstellt, die schlussendlich zur Abschaffung des Sklavenhandels und der Sklaverei führten, unterstreicht Riesche die gesellschaftliche Relevanz und Aktualität der Sklavenstücke im öffentlichen Diskurs um 1800. Sie zeigt anhand von ausgewählten zeitgenössischen Medienbeiträgen und wissenschaftlichen Studien die vielfältigen Argumentationsebenen für und wider Sklaverei, die sich von christlich-ethischen, vorwiegend erweckungstheologischen, bis hin zu wirtschaftlich motivierten erstrecken, und illustriert damit die ambivalenten Positionen einer sich im Umbruch befindenden Gesellschaft. Darüber hinaus stellt Riesche die abolitionistischen Ideen in den allgemeineren Kontext eines "Egalitäts- und Menschenrechtsdiskurses" (S. 20), in dessen Mittelpunkt das Postulat des 'Naturrechts' und die sich daraus ableitende Gleichheit aller Menschen stehen. Dieser Diskurs steht jedoch keineswegs im Einklang mit zeitgenössischen Diskursen, die andere zentrale Topoi der Aufklärung zum Gegenstand haben: zivilisatorischen Fortschritt, Bildungs- und Erziehungsmaßnahmen (u. a. für 'unzivilisierte' Völker im Rahmen potenzieller 'Kolonialisierungsprojekte') sowie anthropologische Begründungen von kultureller Differenz und die damit einhergehenden hierarchisierenden Selbst- und Fremdheitskonstruktionen, Herrschaftsmodelle usw.
Im politisch heterogenen deutschsprachigen Raum weist der Sklavereidiskurs ähnliche ambivalente Züge auf und wurde – wie Riesche veranschaulicht – um 'eigene' Probleme und Fragestellungen ergänzt, die zu diesem Zeitpunkt zur Debatte standen. Auch ohne direkten politischen Bezug wurde die Sklavereithematik in den deutschsprachigen Ländern intensiv rezipiert und die sozio-politischen Problemstellungen einer in Veränderung begriffenen Gesellschaft mit Projektionen auf die Ferne und das Fremde verknüpft. Dies fand seinen Niederschlag in den populären Sklavenstücken.
Was konnten Sklavenstücke einem durchaus nicht anspruchslosen Publikum, "das sich unterhalten und bilden lassen wollte" (S. 103) bieten? Abgesehen von ihrer szenischen Wirksamkeit, ihrer kosmopolitischen Dimension, ihrem Komik- oder "Rührpotential" (S. 120) (je nach Figurentypus bzw. Funktion) und ihrer gesellschaftspolitischen Aktualität vermittelten sie in einigen Fällen auch die Ansichten der Autoren zur Abolitionsdebatte. Darüber hinaus betont die Autorin den "selbstreflexiven Charakter" (S. 257) der Stücke: "Die Rückbindung an 'eigene' – 'westliche', europäische oder deutsche – Selbstbilder, Themen und Fragestellungen ist wesentlicher Bestandteil aller Formen der Auseinandersetzung mit Fremdheit und in den Sklavenstücken äußerst vielfältig gestaltet" (ebd.).
So führt Riesche aus, wie in den "Mohrinnenstücken" (S. 126f) u. a. zeitgenössische (bürgerliche) "Konzepte von Weiblichkeit, Liebe und Heirat" (S. 122) verhandelt werden. Sie zeigt ebenfalls, wie heldenhafte oder leidende Sklavenfiguren der Plantagenwelt als vorbildhafte Familienmenschen – entsprechend den bürgerlichen Wertvorstellungen – handeln. Auf der anderen Seite werden anhand der aufständischen Sklaven der "Revolutionsstücke" (S. 177f.) Stereotype des negativ konnotierten voraufklärerischen 'Wilden' prolongiert. Solche Darstellungen werden zudem "mit aktuellen politischen Ängsten aufgeladen, die sich auf die Ereignisse der Französischen Revolution und deren Auswirkungen auf mögliche revolutionäre Bestrebungen im eigenen Land beziehen" (S. 262). Die Übertragung bürgerlicher Wertvorstellungen auf die Schwarzenfiguren und die Verhandlung "politischer Herrschafts-, Freiheits- und Nationenkonzepte" (S. 257) verknüpfen sich, laut Riesches Studie, in erster Linie mit der Forderung des aufkommenden Bürgertums nach politischer Partizipation. Darüber hinaus signalisiert dieser Wertetransfer das Bedürfnis der bürgerlichen Schicht nach gesellschaftlich-kultureller Emanzipation und den – dem 'Zeitalter der Vernunft' adäquaten – Regierungsformen.
Mit Präzision und Konsequenz führt die Autorin die Verflechtungen verschiedener zeitgenössischer Diskurse in den Sklavenstücken und die Ambivalenzen der Schwarzendarstellungen vor, die nicht zuletzt in der Widersprüchlichkeit und Brüchigkeit der westlichen bzw. deutschen Selbstbilder wurzeln. Weiters ermittelt Riesche, inwieweit sich die verschiedenen Schwarzendarstellungen in bereits bewährte Figuren- und Handlungsmuster integrieren lassen bzw. diese erweitern. Anhand von Ensemblelisten und Theaterzetteln veranschaulicht sie den Bezug zum – für Dramaturgie und Aufführungspraxis des 18. Jahrhunderts wesentlichen – Rollenfachsystem und ordnet derart manche Schwarzenrollen bereits existierenden Rollenfächern zu.
Auf der Basis von umfangreichen Quellenrecherchen und Forschungsliteratur stellt Riesche die Bedingungen der zeitgenössischen Aufführungspraxis und Bühnenrezeption dar und liefert somit ein vollständigeres Bild des vielschichtigen Forschungsgegenstands. Dies macht eine wesentliche Qualität dieser Arbeit aus.
Mit ihrer umfassenden und methodisch überzeugenden Studie betritt Riesche ein etwas vernachlässigtes, aber dafür höchst spannendes Untersuchungsfeld und liefert einen wichtigen Beitrag zu diesem speziellen, wenig erforschten Thema der Theater-, Literatur- und Kulturgeschichte. Der Umstand, dass sie dabei der kulturwissenschaftlichen Fundierung weniger Gewicht beizumessen scheint, kann als Anregung zur theoretischen Weiterführung des Themas im Rahmen der Cultural und Postcolonial Studies dienen.
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[1] Johannes Birgfeld/Claude D. Conter (Hg.): Das Unterhaltungsstück um 1800. Hannover: Wehrhahn 2007.
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