John Hartley/Jean Burgess/Axel Bruns (Hg.): A Companion to New Media Dynamics.
Malden, MA/Oxford: Wiley-Blackwell 2013. ISBN 978-1-4443-3224-7. 520 S. Preis: € 151,10.
Abstract
Der von den australischen Medienwissenschaftlern John Hartley, Jean Burgess und Axel Bruns herausgegebene Sammelband A Companion to New Media Dynamics präsentiert eine umfassende Standortbestimmung der rezenten New Media Analysis. Er erkundet dabei die heuristischen Herausforderungen, die angesichts der neuen Mediendynamik entstehen und versucht vor diesem Hintergrund die kulturellen Umbrüche der Medien des digitalen Zeitalters gesellschaftsdiagnostisch zu verorten.
In ihrer Einführung nehmen die Herausgeber Bezug auf die Transformationen der Gegenwartsgesellschaft mittels der Neuen Vernetzungstechnologien, die sie zur methodischen Orientierung für den Aufbau und die Gliederung ihres groß angelegten Readers heranziehen: "Capitalism, technology, social networks, and media all evolve and change, sometimes to our delight, sometimes our dismay. This incessant process of disruption, renewal, and eventual (if not partial) replacement is now one of humanity's central experiences" (S. 1).
An diesem Statement wird ersichtlich, dass es den Herausgebern in erster Linie darauf ankommt, die Fachgrenzen zu überschreiten, um der kritischen Reflexion der hegemonialen Rolle der Neuen Medien in den unterschiedlichen Bereichen des alltäglichen Lebens gerecht zu werden. In diesem Sinne versuchen die Herausgeber, die Netzwerkwerkgesellschaft als medieninduziert zu modellieren und problematisieren digital verfügbare Kollektivität als Manövriermasse technizistischer Praktiken. Insofern dominieren im Companion to New Media Dynamics datenkritische Aufsätze, die die Dynamik des Mediengebrauchs der Vernetzungstechnologien in erster Linie als technisches Produkt der Benutzerschnittstelle interpretieren. Insofern kann die Benutzerschnittstelle als Formationssystem von Wissen und als Produktionsbedingung für die Herstellung von Aussageordnungen und individuellen Äußerungen aufgefasst werden.
Wie die Autoren Charles Leadbeater und Patrik Wikström verdeutlichen, sind die sozialen Netzwerke heute selbst zum Medienereignis geworden und gelten im öffentlichen Räsonnement als ein Indikator für die Verschiebung von ökonomischen und politischen Macht- und Herrschaftsverhältnissen. Als elementare Bausteine zum Verständnis gesellschaftlicher Ordnung werden sie in unterschiedlichen Mediendiskursen als "Leitmedium" einer neuen Kommunikationskultur gesetzt (vgl. den Beitrag von Mark Pesce und Basile Zimmermann), das nicht nur das kulturelle Gedächtnis prägt und zu kollektivem Wissen mittels der kooperativen Formen der Wissenskonstitution beiträgt (vgl. den Beitrag von Andrew Lih), sondern auch die soziale Macht von Gesellschaftsformationen verhandelt.
An diesem Punkt zeigt sich auch ihr Kardinalproblem. Denn unter den Bedingungen der Ökonomie der Aufmerksamkeit und der endlosen Feedbackschleifen, welche die Kommunikationskultur des Social Net kennzeichnen, ist die Machtakkumulation potentiell unbegrenzt und unabgeschlossen. Die kybernetischen Technologien des Massenfeedbacks und die Performanz- und Effizienzorientierung der Sozialen Netzwerkseiten und Online-Portale haben mit der Schaffung eines Kontrolldispositivs der permanenten sozialen Beobachtung wesentlich zur digitalen Modellierung der neuen Kollektivitäten beigetragen (vgl. den Beitrag von Lelia Green und Danielle Brady zur Subjektformatierung in der Online-Jugendkultur).
Die Textsammlung besteht aus 34 Originalbeiträgen und zeichnet sich durch eine stringente Argumentation und eine vielschichtige Gliederung der Themenfelder aus. Die einzelnen Kapitel sind sehr gut strukturiert und aufeinander abgestimmt. Die Aufsätze weisen durchgehend ein hohes Reflexionsniveau auf, sind fundiert und problemorientiert und muten sich eine erkenntniskritische Auseinandersetzung mit dem Gegenstand zu. Innovative Theoriebildung und empirisch fundierte Studien sind in der Anthologie zu Fragen der New Media Dynamics gut miteinander verzahnt. Gerade in der Konzentration auf ausgewählte Fragestellungen liegt die Stärke des Sammelbandes. Die Herausgeber vermeiden mit ihrer Konzeption, alle Bereiche oberflächlich zu behandeln; vielmehr bieten sie sowohl für die medienwissenschaftliche Theoriebildung als auch für die kultursoziologische Gegenwartsanalyse innovative und eigenständige Erklärungsmodelle an.
In der programmatischen Einleitung zu ihrem Forschungsfeld reflektieren Hartley, Burgess und Bruns die methodologische und epistemologische Ausrichtung ihrer Anthologie und verfolgen den innovativen Anspruch, die Neuen Medien als Konvergenzphänomene technologischer, kultureller, sozialer und politischer Praktiken theoretisch zu verorten. Der Sammelband geht jedoch über diese gegenwartsdiagnostisch motivierten Einschätzungen weit hinaus und bietet in den unterschiedlichen Aufsätzen neuartige Theorieperspektiven und Optionen transdisziplinärer Analysemodelle.
Die im ersten Kapitel versammelten Beiträge international renommierter Autor/innen (Sean Cubitt, Thomas Pettitt u.a.) sind als Annäherungen an das Feld der New Media Studies zu verstehen. Sie versuchen heuristische Fragestellungen zu definieren und künftige Trends der Forschungsliteratur zu prognostizieren. Die zentrale Frage des ersten Kapitels widmet sich weniger der Problematisierung der Reaktion der Medienwissenschaft auf den neuen Forschungsgegenstand, sondern fragt vielmehr nach der medialen Konstruktion des medienwissenschaftlichen Wissens durch die Neuen Medien.
Das zweite und das dritte Kapitel des Companion to New Media Dynamics eröffnet ein breites Forschungsfeld der metatheoretischen Datenkritik und demonstriert eindrucksvoll, dass eine engagierte Wissenschaft der Neuen Medien aufzuzeigen hat, inwiefern mobile Kommunikationsmedien zur Normalisierung von Lebensstilen und zur Ausweitung von sozialer Kontrolle führen können. "Changing Media with Mobiles" von Gerard Goggin, "Make Room for the Wii" von Ben Aslinger, "Online Identity" von Alice E. Marwick und "Practices of Networked Identity" von Jan-Hinrik Schmidt zeigen auf, dass mobil abrufbare Social Networking Sites und ihre Kommentarfunktionen, Hypertextsysteme, Ranking- und Votingverfahren dafür sorgen, dass das Alltagsleben und -verhalten der mobilisierten User immer mehr zum Schauplatz von wechselseitiger Beobachtung geworden ist. Diese Beobachtungssituation wird oft als 360°-Feedback beschrieben: Jeder kann jeden überall und jederzeit überwachen. Die ortsunabhängige Verwendung in Echtzeitübertragung macht kommerziell bewirtschaftete Apps also zum geeigneten Tool für mediale Selbstführungstechniken im Standby-Modus. Da Apps durch ihre Nutzung immer auch die Einstellungen von Subjekten beeinflussen, können sie als persuasive Medien verstanden werden.
Unter dem Schlagwort "Surveillance" thematisiert der einschlägig bekannte Autor Anders Albrechtslund in seinem Beitrag "New Media and Changing Perceptions of Surveillance" den Zusammenhang von Online-Medien und veränderten Wahrnehmungs- und Kommunikationsräumen sozialer Kontrolle und technologischer Überwachung im Backend-Bereich (d. h. dem Bereich, der den Nutzer/innen nicht zugänglich gemacht wird). Albrechtslund spricht in diesem Zusammenhang von der Durchsetzung einer neuen "Participatory Surveillance" (S. 309), die an der Schnittstelle zwischen den mobilen Endverbrauchergeräten und den Social Networking Sites entsteht, die durch kollektive Rahmungsprozesse dafür sorgen, dass unser Alltagsleben und -verhalten immer mehr zum Schauplatz offener Bedeutungsproduktion und permanenter Ausverhandlung in sozialen Evalutions- und Abstimmungsprozessen wird.
Im Anschluss an die machtkritische Medientheorie von Albrechtslund diskutiert Feona Attwood genderpolitische Fragestellungen ("Cybersexuality and Online Culture") und selbsttechnologische Ökonomisierungsprozesse in den Sozialen Netzwerkseiten ("Microcelebrity and the Branded Self"). Die beiden genannten Autor/innen beschäftigen sich vor allem mit den Möglichkeiten und Rahmenbedingungen, welche den von Nutzer/innen generierten Inhalten im Bereich des kulturellen Hackings inhärent sein können.
An diese Fragestellung anknüpfend versuchen die im Unterkapitel "Politics, Participation, and Citizenship" versammelten Texte von der politischen PR-Kampagne bis zum politischen Ungehorsam (Stephen Coleman, Cherian George, Tarleton Gillespie) Probleme der Tragfähigkeit der politischen Partizipation qua Neue Medien zu erörtern. Die Analysen von Jeffrey P. Jones, Tarleton Gillespie und Mark Pesce zeigen auf, dass YouTube als Ausdruck eines mediendemokratischen Öffentlichkeitswandels und des vorherrschenden Entertainisierungstrends aufgefasst werden kann, der auch die mediale Darstellung des Politischen erfasst hat.
Mit dem Aufstieg der Medienunterhaltung zum Sinn- und Identitätszentrum der modernen Gesellschaft und der damit verknüpften kulturellen Aufwertung des Entertainments wird die Unterhaltungsöffentlichkeit zunehmend ein Element der Politikdarstellung. Die Unterhaltungsangebote der populären Medienkultur sind öffentliche Kommunikationsräume, die der Fragmentierung politischer Diskurse entgegenwirken und eine gemeinsame Zeichenwelt zur Verfügung stellen, welche die einzelnen Spezialdiskurse überschreitet und so eine Infrastruktur für das gemeinsame Gespräch zur Verfügung stellt. Heute durchdringt die politische Kommunikation und Meinungsbildung sämtliche Bereiche der Unterhaltungskultur. Diese Tendenz macht auch vor YouTube nicht Halt.
Der Beitrag von Basile Zimmermann mit dem Titel "Materiality, Description, and Comparison as Tools for Cultural Difference Analysis" zeigt, dass die dem Videoportal eigene Medienpraxis des zivilgesellschaftlichen Dokumentarismus, der auf das unverfälschte Zeigen abzielt, sich vor 'gegnerischen' Aneignungen nicht schützen kann. Dieser grundsätzlich objektivierende Zeigegestus kommuniziert ein bestimmtes Rollenverständnis, da er mit dem Anspruch auftritt, ein Fenster zur Welt und ein – gegebenenfalls medial ausgegrenztes, sozial unterdrücktes – Abbild der politischen Realität zu sein. Der dokumentarisierende Wahrheitsanspruch kann aber nicht gegenkulturell verwahrt und beschützt werden, sondern wird in einem Aneignungsspiel von der 'Gegenseite' nachgeahmt, die in ihren politischen Kampagnen die dokumentarisierende Videoästhetik zur Authentifizierung der Inhalte instrumentalisiert.
Vor dem Hintergrund dieser Fragestellung geht es der Analyse von Leila Green und Danielle Brady ("Young People Online"), die sich mit der Herausbildung eines zivilgesellschaftlichen Mediengebrauchs im Social Net beschäftigten, darum, den Raum der digitalen Öffentlichkeit für widerstreitende Handlungsspielräume und ambivalente Selbstpraktiken offen zu halten. Um die Handlungsspielräume im Vermittlungsverhältnis zwischen Sozialität und Subjektivität genauer zu fassen, versuchen die beiden Autor/innen die befreienden wie auch einschränkenden Möglichkeiten aufzuzeigen, welche die Subjekte in den sozialen Medien des Web 2.0 zum Ausgangspunkt ihrer widerspenstigen Praktiken nehmen.
Fazit: Vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung der digitalen Telekommunikation und ihrer sozialen Anwendungen wirft der von John Hartley, Jean Burgess und Axel Bruns herausgegebene Sammelband A Companion to New Media Dynamics einen vielschichtigen Blick auf die digitale Neuorganisation der mobilen Benutzeroberflächen, der Online-Plattformen und der sozialen Netzwerke und entwickelt dabei neue Forschungsansätze und -perspektiven für die Untersuchung digitaler Medienkulturen.
Dennoch hat dieser umfangreiche Band in seinem deklarierten Anspruch der transdisziplinären Überwindung der medienwissenschaftlichen Fachgrenzen auch blinde Flecken. Wer sich Case Studies und ästhetische Analysen der von Nutzer/innen generierten Webinhalte im Bereich der Visual Culture oder des Visual Storytelling erhofft, wird enttäuscht. Denn die Aufarbeitung von konkreten Rezeptionskontexten ist hier kein Thema. Es dominiert in den meisten Beiträgen die akademische Referenzbildung, die die dynamische Bedeutungsproduktion der Nutzer/innen, der Fans und der Blogger/innen außer Acht lässt und damit den performativen Nutzungsaspekt der Sozialen Medien des Web 2.0 vernachlässigt. In diesem Sinne können die destabilisierenden Medienpraktiken der gewöhnlichen Nutzer/innen nicht in den Blick genommen werden und bilden gleichermaßen den blinden Fleck der in diesem Band versammelten Social Media Studies.
Der Mehrwert der Technologie von sozialen Netzwerken und bloggestützter Kommunikation im Web 2.0 besteht aber vor allem in der Einrichtung eines medienimmanenten Rückkanals. Diese Feedback-Technologien haben nicht nur im engeren Sinne eine neuartige Kommentarkultur ermöglicht, sondern darüber hinaus zur sozialen Normalisierung von Beobachtungs- und Kontrolltechnologien beigetragen. Das Social Web kann also als eine Versuchsanordnung zur Multiplizierung kollektiver Blicke verstanden werden. Die Social Networking Sites können in dieser Hinsicht als eine Versuchsanordnung einer künftigen Surveillance Society interpretiert werden. Die Kollektivierung des Rückkanals erhöht die soziale Kontrolle, wenn sich Subjekte im Zustand der permanenten Beobachtung befinden. Mit der Verdichtung der Kommunikationsakte im medientechnologisch induzierten und medienästhetisch inszenierten Flow-Erlebnis gerät die Kommunikationskultur unter Beschleunigungsdruck und es kommt zur Herausbildung vereinfachter und repetitiver Mikrodramaturgien mittels Abbreviaturen, Ellipsen und Redundanzen.
Dieses neue Machtverhältnis bleibt in dem Sammelband allerdings unterbelichtet. Das theoretische Defizit zeigt sich deutlich, wenn nicht diskutiert wird, dass Soziale Medien mit ihren Peer-to-Peer-Netzwerken heute auch horizontale Möglichkeiten der Systembeobachtung anbieten und im Frontend-Bereich eine dezentral organisierte Netzwerkdynamik etablieren, welche die von den User/innen generierten Inhalte einer reziproken Bewertungspraxis der wechselseitigen Beobachtung unterwirft.
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