Claudia Preschl, Lachende Körper. Komikerinnen im Kino der 1910er Jahre.

Wien: SYNEMA Gesellschaft für Film und Medien 2008. ISBN 978-3-901644-27-6. 208 S. Preis: € 20,-.

Autor/innen

  • Günter Krenn

Abstract

Das Phänomen des Frühen Kinos wurde schrittweise um eine eigene Phänomenologie bereichert. Seit den 1980er Jahren etablierte sich eine neue Sehweise auf die Frühgeschichte des Kinos. Untersuchungen von Filmwissenschaftlern wie Tom Gunning oder André Gaudreault eliminierten die Vorstellung der kinematographischen Anfänge als vernachlässigbare triviale Vorform kommender Kinokultur, indem sie deren originäre Faszination thematisierten und begründeten. Publikationen zum Frühen Kino sind jedoch nach wie vor rar, die Periode selbst demgemäß wenig publik, das Bild davon zumeist geformt von Fehlinformationen und Missverständnissen. Ein guter Ausgangspunkt also für jedes Buch, das den Versuch wagt, diese Lücken zu verringern.

Die Probleme, denen sich die Forschenden gegenübersehen, sind vielschichtig: Das Filmmaterial ist größtenteils verlorenen gegangen, Drehbücher, Programme, Kritiken meist nicht vorhanden, die Geschichtsforschung demnach nur fragmentarisch möglich. Dennoch kann man auch aus dem Rudimentären Schlüsse ziehen: "Bei der Lektüre der ersten Publikationen über den damals sogenannten Kinematographen oder Kintopp fällt vor allem die Faszination auf bis hin zur Abscheu, die das Kinoerlebnis ausgelöst hat. Darüber hinaus lässt sich in einigen Texten die Gestaltung einzelner Filmprogramme erahnen,  die Ausstattung der Vorführräume und die Zusammensetzung des Publikums", (S. 8f.) schreibt die Filmwissenschaftlerin Claudia Preschl im Vorwort zu ihrem Buch Lachende Körper. Preschl forscht und lehrt seit Jahren zu diesem Themenbereich und hat sich auf die Komikerinnen im Frühen Film spezialisiert. Komik war, das wird bei Preschl deutlich ausgeführt, immer schon eines der wichtigsten Stilelemente des Kinos und "Lachkultur" um 1910 ein durchaus auf allen Silben zu betonender Begriff. Ausgehend von ihren Untersuchungen zum Thema "Schaulust und die Frage der Emanzipation im Kino" führt Preschl ihre Leserschaft zurück in die Filmgeschichte zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Erfreulicherweise kann sie als passionierte Cineastin dabei ihre Theorien stets mit praktischen Beispielen belegen, was ihr Werk von manch anderer Publikation positiv abhebt.

 

Die frühe Filmgeschichte hatte sehr starke europäische Ausprägungen. In Frankreich und Italien etwa gab es um 1910 über hundert Komikerinnen und Komiker, die mehr als 1000 Kurzfilme drehten. Ein Großteil dieser Produktion ging verloren, der kleine erhaltene Teil ist heute zumeist dem Fachpublikum von Festivals und Filmkongressen vorbehalten. Von Beginn der Filmgeschichte an waren dabei Frauen vor und hinter der Kamera tätig, saßen im Publikum, bestimmten auf beiden Seiten die kinematographische Rezeption entscheidend mit. Dennoch zählt die Geschichte der frühen Filmkomik bisher fast nur männliche Darsteller auf, darunter Max Linder, Charles Chaplin oder Harold Lloyd. "Max" oder "Charlie", selbst der Italiener "Polydoro", sind dem Publikum demnach in frühen Filmtiteln geläufig, weniger dagegen "Lea", "Leontine", "Rosalie" oder "Gigetta". Neben prominenten Namen wie Asta Nielsen oder Ossi Oswalda stößt man daher in Lachende Körper auch auf zu entdeckende Persönlichkeiten wie Gigetta Morano und Sarah Duhamel. Claudia Preschls Verdienst ist es, den teilweise vergessenen Künstlerinnen wieder einen Namen und ein Gesicht zu geben, auf ihre Arbeit hinzuweisen, Filme zu beschreiben, die sich erhalten haben und damit wieder ein Publikum zu schaffen, das die Komikerinnen für sich erschließen kann.

 

Die Kurzfilmsujets der 1910er Jahre thematisieren zumeist einfache Alltagsgeschichten, die Stummfilmkomik darin setzte primär auf Körperlichkeit. Preschl weist in ihren Analysen auf die subversiven Möglichkeiten weiblicher Darstellung hin. Einen der Unterschiede zu den amerikanischen Produkten sieht Preschl darin, "dass die Komiker und Komikerinnen des europäischen grotesken Films häufig als körpersprachliche ErzählerInnen mit direktem Kontakt zum Publikum agieren. Ihre filmsprachlichen Techniken sind somit weniger an einer Aneinanderreihung von Höhepunkten interessiert als vielmehr einer Lust an purer Zerstörung sowie einem permanenten kommunikativen Austausch ihrer Absichten, Gefühle und Befindlichkeiten." (S. 61) Auf diese Art schufen sie ihre eigene Form indirekter Botschaftsübermittlung. In komischen Filmen vor und während des Ersten Weltkriegs konnten Männer wie Frauen buchstäblich "aus der Rolle fallen", diese aufheben, sie (und die dahinter stehenden Konventionen) lächerlich machen. Im Zerrspiegel der Groteske wurden Autoritätsverhältnisse aufgezeigt und hinterfragt, durften Frauen ästhetische und sexuelle (Vor)Gegebenheiten parodieren.

 

Lachende Körper ist ein an strukturellen Betrachtungen und Einzelbeispielen reiches und bereicherndes Buch zu einem fast vergessenen Phänomen des Frühen Kinos. Der in der Reihe von SYNEMA in Kooperation mit dem Filmmuseum herausgegebene Band folgt wie seine sieben Vorgänger der Konzeption von Brigitte Mayr und Michael Omasta, besticht demnach auch durch seine bibliophile Aufmachung und das liebevoll ausgewählte Bildmaterial. Lesen ist bekanntlich eine sinnliche Tätigkeit.

Autor/innen-Biografie

Günter Krenn

Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft und Philosophie in Wien. Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Filmarchiv Austria.

Publikationen:

Auswahl:
Günter Krenn, Romy Schneider. Die Biographie, Berlin: Aufbau Verlag 2008.
– (Hg.), Der Rosenkavalier, Wien: Verlag Filmarchiv Austria 2007.
–/Thomas Ballhausen/Lydia Marinelli (Hg.), Psyche im Kino. Sigmund Freud und der Film, Wien: Verlag Filmarchiv Austria 2006.
–/Rolf Aurich/Andreas Hutter/Wolfgang Jacobsen (Hg.), »Billie«. Billy Wilders Wiener journalistische Arbeiten, Wien: Verlag Filmarchiv Austria 2006. –/Karin Moser (Hg.),  Louise Brooks. Rebellin, Ikone, Legende, Wien: Verlag Filmarchiv Austria 2006.

Veröffentlicht

2008-09-15

Ausgabe

Rubrik

Kulturwissenschaft