Sarah Binder/Sarah Kanawin/Simon Sailer/Florian Wagner (Hg.): How I Got Lost Six Feet Under Your Mother. Ein Serienbuch.

Wien: Zaglossus 2013. ISBN 978-3-902902-05-4. 208 S. Preis: € 17,95.

Autor/innen

  • Sara Vorwalder

Abstract

Ausgehend von der Idee, gemeinsam Serien zu sehen und darüber zu diskutieren, entstand das vorliegende Buch, dem gegenüber der üblichen Verfahrensweise bei der Produktion eines Sammelbandes – Autor_innen produzieren Texte und diese werden mehr oder weniger editiert publiziert – noch einiges an Vorarbeit voran ging. So wurden die Autor_innen zu einem Workshop eingeladen, bei dem intensive Diskussionen rund um das Buchprojekt stattfanden. Außerdem gründeten die Herausgeber_innen kritTFM, einen Verein zur Förderung kritischer Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Der kritische Anspruch ist in den Einzelbeiträgen merklich gegeben.

Die Herausgeber_innen fordern eine neue Art der Auseinandersetzung mit Serien; auch abseits vom etablierten, aber zum Teil in starren Strukturen verhafteten Wissenschaftsbetrieb. Die Ausrichtung orientiert sich an einem zeitgenössischen Zugang, der eher im Internet denn in gedruckten Texten anzutreffen ist. Gerade Blogger_innen schaffen sich durch kritische und tiefgehende Beschäftigung mit Fernsehformaten auf eigene Art und Weise einen zeitgenössischen Zugang, der sich auch in den einzelnen Beiträgen widerspiegelt. Der Sammelband geht der Frage nach, wie emanzipatorische Fernsehkritik aussehen kann. Dabei gilt es zu beachten, nicht in die diverse Fallen zu tappen, reine Inhaltsangaben oder nur die Begeisterung über Serien wiederzugeben, sondern tiefer zu graben und dabei eigene Sehgewohnheiten und Denkkonventionen zu hinterfragen. Die Artikel bedienen dabei ein breites Spektrum von Analysezugängen.

So beschäftigen sich Martin Fritz und Carmen Sulzenbacher direkt mit den TV-Studies und deren Gegenständen. Am Beispiel der 'Buffy Studies' betreiben sie eine "Metareflexion der akademischen Auseinandersetzung" (S. 127) und stellen Forderungen auf, wie Serien in der akademischen Rezeption reflektiert werden könnten. Dabei sollen das Potential der einzelnen Serien berücksichtigt und diese um ihrer selbst willen analysiert werden. Weiters soll die Agency sowie das eigene Fan/Forscher_innen-Verhältnis befragt werden. Dieser Aufsatz bietet eine gute Ausgangsbasis, um die Analysemethoden der Texte des Bandes zu diskutieren.

Zwei Autor_innen beschäftigen sich beispielsweise mit der Thematisierung von Geschichte in Fernsehserien. Veronika Zwing befragt in ihrem Text die Serie Cuéntame cómo pasó – deren Handlung in der Zeit des Francismus ansetzt – auf ihre Relevanz für den spanischen Erinnerungsdiskurs. Die Ausstrahlung der Serie fällt zeitlich zusammen mit der sehr schleppend einsetzenden Aufarbeitung der Franco-Diktatur. Das Potential, das die Serie in sich birgt, nämlich eine kritische Thematisierung der Landesgeschichte, werde jedoch nicht ausgeschöpft: "oft dient der politische Kontext als Kulisse, die dem Geschehen mehr Dramatik verleiht" (S. 174). Dabei verharre das Fernsehformat im Infotainement-Feld. Die nötige Verbindung zwischen dargestellter Vergangenheit und der Gegenwart, in der die Serie gezeigt wird, werde nicht hergestellt.

Ein ähnliches Problem sieht Frank Max Müller in der US-amerikanischen TV-Serie Angels in America. Diese befasst sich mit dem Aufkommen und der Verbreitung von AIDS in den USA und liefert in der letzten Folge ein vermeintliches Happy End. Die Regisseur_innen versuchen eine konsensfähige Repräsentation der Thematik anzubieten, erzeugen dabei aber gleichzeitig den Anknüpfungspunkt für Kritik. Müller analysiert, welchen Beitrag die Serie zum kulturellen Gedächtnis im Hinblick auf AIDS liefert und stellt dabei fest, dass ein breiterer gesellschaftlicher Kontext aus den Augen verloren wurde, da viele Schwierigkeiten von an AIDS erkrankten Personen in der Serie schlichtweg nicht angesprochen werden. Hervorzuheben bleibt die in dem Artikel en passant stattfindende, kurz und klug verfasste Analyse von zielgruppenfokussierendem TV sowie die Auseinandersetzung mit der Debatte rund um den Begriff 'Quality TV'.

Drei Beiträge hinterfragen Serien unter Gender-Aspekten. So beschreibt Jana Jedličková den Umgang mit LGB-Charakteren[1] im tschechischen TV. Dabei entwirft sie ein Modell, in dem sie ebendiesen Umgang in drei zeitliche Abschnitte unterteilt. Die erste Phase ist dabei von Heteronormativität und der Absenz von lesbischen, schwulen oder bisexuellen Figuren geprägt. Gefolgt wird diese von der zweiten Phase, in der es zu sogenannten "bipolaren Repräsentationen" (S. 33) kommt, in der LGB-Figuren anfangen vorzukommen. Etwa um das Jahr 2000 setzt schließlich die Periode der Stabilisierung ein, in der nun Lesben, Schwule oder Bisexuelle auch in Hauptrollen zu sehen sind. Daran anschließend folgt eine deskriptive Aufzählung von Stereotypen verhafteten Darstellungen von LGB-Charakteren in tschechischen TV-Serien.

Sebastian Klausner fragt nach der Zuschreibung von Männlichkeitsbildern US-amerikanischer Juden in den Serien Curb Your Enthusiasm und Band of Brothers mitsamt den kulturellen und religiösen Stereotypen, die dabei reproduziert werden. Zwei sehr unterschiedliche Fernsehformate behandelnd – einerseits Comedy, andererseits eine aus dem Dramen-Genre stammende Serie – wird in diesem Artikel mithilfe eines kulturhistorischen Zugangs den Zuschreibungen 'Sissy Jew' und 'Tough Jew' nachgegangen.

Florian Wagner fokussiert in seinem Text die Frage der Repräsentation von Weiblichkeit im Star Trek-Franchise und gibt einen profunden Überblick zur Thematik, der sich über das gesamte Star Trek-Universum ausbreitet. Er beschreibt, wie in den einzelnen Serien seit den 1960ern kontinuierlich Frauen bewusster abgebildet werden: So entwickeln sich die weiblichen Charaktere von der klischeebehafteten Krankenschwester bis hin zum Captain eines Raumschiffes. Allerdings erfährt in Filmen wie Serien, deren Entstehungszeit ins 21. Jahrhundert fällt, die Darstellung von Frauenfiguren einen Backlash.

Welche Probleme sich bei der Thematisierung von 'Race' und 'Class' in den Serien L-Word und The Real L-Word ergeben, stellt Helga Habler dar. Beide Formate geben anhand ihrer Inhalte, die das Leben lesbischer Frauen zeigen, vor, per se eine aufgeklärte Haltung zu vermitteln. Mag der Umgang mit der Kategorie Gender dabei auch offen sein, so macht Habler jedoch andere Schwachstellen aus: Die Kategorien 'Race' und 'Class' werden kaum angesprochen, und wenn, findet ihre Verhandlung im privaten Raum statt; auch können die Formate ihre Prägung durch kapitalistische Strukturen nicht hinter sich lassen. Der Text schließt mit Hypothesen und Wünschen, was diese Serien hätten leisten können – nicht untypisch für die Beiträge des Sammelbandes im Speziellen und der kritischen Auseinandersetzungen mit Serien im Allgemeinen.

Astrid Hanisch arbeitet in ihrem Beitrag über das deutsche Serienformat Lindenstraße und hebt dabei den vorherrschenden oberflächlichen 'Multikulturalismus' hervor, durch den Menschen nicht-deutscher Herkunft in der fiktiven Wohnstraße nur in klischeehaften Zuschreibungen existieren zu können scheinen. Die Serie versucht sich aufgeklärt zu geben, schafft es jedoch nur, in einem von der Kulturindustrie vorgegebenen Rahmen zu agieren.

Anhand zweier erfolgreicher Unterhaltungsserien, in Ansatz und Aufbau ähnlich, beschreibt Sarah Kanawin stereotype Zuschreibungen zum Thema Antiintellektualismus. Die Serien Friends und How I Met Your Mother liefern in ihrer Oberflächlichkeit und kapitalistisch orientierten Produktionsweise Schablonen für den Umgang mit Intellektuellen in diesen Formaten – deren Erfolg als solcher nicht anerkannt wird, da er kapitalistisch nicht verwertbar ist. Auch werden die Lebenswelten von als intellektuell konnotierten Figuren wenig bis gar nicht in den Serien beleuchtet. Die Autorin bettet die behandelten Serienfiguren in den Intellektuellen-Diskurs ein und arbeitet dabei präzise Verbindungen zu ihren theoretischen Bezugspunkten (etwa Theodor W. Adorno, Christina von Braun und Jean-Paul Sartre) aus.

Während Kanawin Zusammenhänge in Serien anspricht, die in den einzelnen Handlungssträngen eher unausgesprochen bleiben, widmet sich Georg Lotz der Serie Malcom in the Middle, die soziale Unterschiede relativ offen diskutiert. Lotz führt an Fallbeispielen aus, wie es einerseits um die soziale Lage der Familie der Hauptfigur beschaffen ist, sowie andererseits, welche Zuschreibungen von 'Class' durch die Drehbuchautor_innen vorgenommen werden. Dabei offenbart sich, dass diese Verhandlungsweise ungewohnt kritisch für eine reine Unterhaltungsserie ist.

Dem Konzept 'Familie' als direkte Analysekategorie wenden sich schließlich zwei Abhandlungen zu. Anna Ganzert zeigt anhand der Darstellung von Frauen italienischer Herkunft, welche Stereotype von "being italian" (S. 112) in US-amerikanischen TV-Formaten vorherrschend sind. Die von ihr gewählten Beispiele aus zwei Reality-TV Formaten schreiben Frauen klassische Geschlechterrollen zu. Diese Sujets werden zusätzlich durch eine klischeehafte Rahmensetzung verstärkt, die die Frauen in Verbindung zur Mafia stellt. Saša Miletić fundiert seine Thematisierung von American Horror Stories durch die Feststellung, dass das Konzept des Horrorfilms grundsätzlich erst einmal konträr zum Konzept der Familie stehe. Während die Familie, so Miletić, für die Erschaffung von Leben stehe, so sei das Ziel der Hauptfiguren im Horrorfilm die Zerstörung von Leben. Die weitläufigen Kontexte, die der Text anfangs anspricht, werden im Folgenden jedoch nur lose auf die inhaltliche Ebene der Serie bezogen.

Der Band zeigt das prinzipielle Problem auf, das der Auseinandersetzung mit Serien zu eigen ist: nämlich wie mit der Stofffülle einer mehrere Staffeln umfassenden Serie mit komplexen und verwobenen Handlungssträngen umzugehen ist und wie diese für Analysen fruchtbar zu machen sind. Die Beiträge haben durch je eigene Zugänge Wege gefunden, sich dieser Problematik bewusst zu werden und sich reflektiert damit auseinanderzusetzen.

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[1] Die Autorin stellt fest, dass es bis heute keine Thematisierung von Transgender- oder Intersex-Personen in tschechischen Fernsehformaten gibt.

Autor/innen-Biografie

Sara Vorwalder

Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien. Abschluss 2012 mit einer Diplomarbeit zum Thema: Geschichte(n) erzählen. Montage als Form der Geschichtsschreibung bei Walter Benjamin und Jean-Luc Godard. Von 2008 bis 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, seit 2010 Lehrtätigkeit am tfm-Institut. Seit 2012 Mitarbeiterin am Wiener Institut für Zeitgeschichte. Aktuelles Dissertationsprojekt zu Geschichtsverhältnissen bei Alexander Kluge. Forschungsschwerpunkte: Das Verhältnis von Film und Zeitgeschichte, AutorInnenfilm sowie Repräsentationsformen der Shoah.

Publikationen:

-: mit Brigitte Marschall, Christan Schulte und Florian Wagner (Hg_innen): (K)Ein Ende der Kunst? Kritische Theorie, Ästhetik und Gesellschaft. Wien 2013.

-: mit Stefanie Elias/Sarah Kanawin/Tom Ogrisegg/Florian Wagner (Red.): Theaterwissenschaft und Postnazismus. Reader,  hg. v. d. HochschülerInnenschaft an der Universität Wien. Wien 2009.

-: mit Florian Wagner: "Nachwort", in: Theaterwissenschaft und Postnazismus. Reader, Redaktion: Stefanie Elias/Sarah Kanawin/Tom Ogrisegg/Sara Vorwalder/Florian Wagner, hg. v. d. HochschülerInnenschaft an der Universität Wien. Wien 2009, S. 46.

Veröffentlicht

2014-06-25

Ausgabe

Rubrik

Medien