Daniel Möhle: Überlegungen zur Dramaturgie des Kurzspielfilms.

Marburg: Büchner 2019. ISBN: 978-3-96317-154-3. 332 S., Preis: € 29,00.

Autor/innen

  • Manuel Föhl

DOI:

https://doi.org/10.25365/rezens-2020-1-10

Abstract

Als vor Kurzem der öffentlich-rechtliche Sender 3sat bekannt gab, die Zusammenarbeit mit den Oberhausener Kurzfilmtagen zu beenden, war die Empörung groß. Bisher hatte 3sat Arbeiten aus dem Programm der jeweiligen Kurzfilmtage-Jahrgänge gezeigt. Auch gab es einen Förderpreis, der zuletzt mit 2500 Euro dotiert war und den Gewinner*innen außerdem die Möglichkeit bescherte, im 3sat-Programm präsentiert zu werden. Dass diese Perspektiven nun wegfallen, ist nur ein weiterer Rückschlag für den Kurzfilm, der auch im Kinoprogramm nur noch selten Platz findet.

Daniel Möhles Buch Überlegungen zur Dramaturgie des Kurzspielfilms interessiert sich für jene sich aktuell minimierenden Produktions-, Distributions- und Rezeptionskontexte von Kurzspielfilmen nicht. Sein Buch merkt vielmehr an, dass unabhängig von diesen ökonomischen Prozessen Kurzfilme auch innerhalb der Filmforschung nicht hinreichend definiert sind. Deshalb will Möhle dem Kurzfilm näher kommen, seine historische Entwicklung nachzeichnen und ihn klar vom Spielfilm trennen, indem er diesen eben nicht als kurzen Langspielfilm bezeichnet, sondern beide als voneinander differierende Gattungen beschreibt (vgl. S. 10ff). Anhand einer Analyse von Christopher Nolans Kurzspielfilm Doodlebug (1997) ist Möhle außerdem bemüht darum, den Kurzspielfilm von der Novelle und der Kurzgeschichte abzugrenzen, um für diesen weiter als eigene filmische Gattung zu plädieren, doch gleichzeitig die Türen offen zu lassen für Literaturtheorien, da sich dort "Anleihen der idealtypischen Merkmale von Kurzgeschichte und Novelle" finden lassen (S. 31).

Den Terminus "Kurzspielfilm" schreibt er hierbei als festen Begriff für den Korpus an Filmen fest, den er sich vorgenommen hat, und schließt damit den aus definitorischer Perspektive ungenügenden Begriff "Kurzfilm" aus. Er stellt verschiedene Definitionsansätze (wissenschaftliche, aus der Praxis entlehnte sowie Gattungsverwandtschaften) vor, um schließlich Kurzspielfilme als nicht mehr als 60 Minuten Laufzeit besitzende Filme zu beschreiben, in denen experimentelle Versatzstücke oder animierte Teile vorkommen können.

Im Hauptteil von Möhles Ausführungen wird schnell klar, dass er sich nicht primär einer bereits filmwissenschaftlich kundigen Leser*innenschaft zuwendet, da er sich zuweilen sehr der Beschreibung von weitläufig bekannten Begriffen wie "Semiotik" oder "Wahrnehmung" sowie der Darstellung von Zeit im Film widmet, die in der Filmwissenschaft normalerweise keine ausführliche Herleitung benötigen. Er selbst kommt aus der Informatik und Pädagogik, was diesen Ansatz womöglich erklären mag.

So aber bildet den größten Teil des Buches eine Zusammenführung der von ihm gesammelten Elemente von Kurzspielfilmen. Diese gliedert er in Zeiten, Räume, Genres, Themen, Titel, Figuren, Sprache, Wendepunkte, Anfänge, Enden, Sound-Design und Musik. Es ist zwar durchaus sinnvoll, möchte man wie Möhle ein vermeintlich kohärentes Dramaturgiekonzept für Kurzspielfilme konstruieren, sich diesen Aspekten zu widmen. Doch wirkt sein Aufspannen der Themenzweige zuweilen zu ausführlich und dabei auch repetitiv im Sinne der Störung des Leseflusses, zum Beispiel da Hintergrundinformationen zu bestimmten Filmen teilweise mehrmals gegeben werden: etwa auf den Seiten 141f und 160, wo der Autor beide Male Closet Cases of the Nerd Kind (1980) als eine Parodie von Steven Spielbergs Close Encounters of the Third Kind (1977) einordnet oder wenn auch sonst bereits etablierte Begrifflichkeiten nochmals in Erinnerung gerufen werden, indem auf eigene Kapitel verwiesen wird.

Wie wenig zielführend und wissenschaftlich kontextualisiert dabei sein Vorgehen ist, zeigt auch die Betrachtung der Teilkapitel seines Hauptteils. Auf der Ebene der Zeitstruktur von Kurzspielfilmen stellt Möhle fest, dass jene zu großen Teilen linear innerhalb einer Zeitstufe situiert seien (vgl. S. 107). Die von dieser linearen Erzählstruktur abweichenden Ausnahmen – die in der Filmwissenschaft längst mit Begriffen wie Metadiegese, Rückblende oder Rahmenhandlung beschrieben wurden – teilt er in vier Gruppen ein ("Variationen einer Gegenwart", "gerahmte Handlung auf zwei Zeitebenen", "mehrere Zeitstufen und ein Gegenwartsstrom durch szenische Einblendungen"), ohne sich dabei auf die gängigen Begriffe zu beziehen. In Bezug auf die in Kurzspielfilmen abgebildeten Räume versucht Möhle auf der Grundlage seines eigenen Korpus darzulegen, dass die meisten dieser Werke am Tag spielen und zu "alltäglichen" Settings neigen (vgl. S. 135f). Solch eine verallgemeinernde Feststellung wird umso fragwürdiger, wenn er im Folgekapitel zu den Genres von Kurzspielfilmen selbst betont, dass "eine dezidierte Aufstellung sämtlicher denkbarer Genres und Genre-Mixe […] unmöglich ist und zur raschen Verfallzeit verurteilt" (S. 137).

Mit seinem eigenen Zitat streift Möhle hier auch das große methodische Problem, das man seinem Buch vorwerfen kann: Es versucht, anhand einer völlig beliebig gewählten "Mehrheit" an Filmen einen groben Regelfall für vermeintlich allgemeingültige Dramaturgien von Kurzspielfilmen zu konstruieren. Er versucht, ein regelbasiertes Korsett zu formen, und das, obwohl er zuweilen kritisch von "Verallgemeinerung und auch Vereinfachung der Qualitäten der Gattung" (S. 264) spricht und das "[G]lätten vorhandene[r] Aspekte der Vielfalt und der Veränderungen, denen sich der Kurzspielfilm in den letzten 100 Jahren unterzogen hat" (ebd.) als problematisch ausweist. Fruchtbarer wäre es womöglich gewesen, gerade die Verschiedenheit der Werke hervorzuheben, als zu versuchen, allgemeingültige Strömungen festzustellen. So scheint sein Buch didaktisch eher in die oft positivistisch argumentierende Sparte von Film- bzw. Drehbuchratgebern zu gehören.

Das vage Analysieren bringt Möhle schließlich im Kapitel zum "prototypischen" Kurzfilm doch noch auf einen fruchtbaren Punkt: Er fasst unter sieben Begriffen die sogenannten – referenziell wesentlich weiter gedachten – "Kern-Qualitäten" von Kurzspielfilmen zusammen: Gegenwärtigkeit, Vagheit, Interessiertheit am Menschen, Inselhaftigkeit, Distanziertheit, Allgemeingültigkeit und Allegorizität. Damit gibt er eine erste Grundlage, sich der Gattung des Kurzspielfilms unter bestimmten Voraussetzungen doch anzunähern. Das abschließende Kapitel zu adaptierten Kurzfilmen bringt somit einleuchtendere Erkenntnisse hervor, da Möhle nun mehr an einzelnen Gegenständen expliziter argumentiert und so auf strukturelle und damit auch spezifische dramaturgische Besonderheiten des Kurzspielfilms im Vergleich zum Langspielfilm eingeht. Die knappe, aber gewinnbringende Analyse des Kurzspielfilms Lights out (2013) im Vergleich zum gleichnamigen Spielfilm von 2016 bildet auf drei Seiten hierfür die Essenz.

Die im Buchtitel genannten 'Überlegungen' machen letztlich deutlich, dass der Autor seine Ideen nur als einen ersten Entwurf sieht, den es künftig weiterzubearbeiten gilt. Dafür bietet die Veröffentlichung eine grobe Grundlage. Der ausführliche Mittelteil mit einem großen Korpus an Filmen ist beachtlich, doch gleichzeitig auch redundant, da sich Möhle in jedem Segment immerzu gezwungen sieht, von der Pike an Begriffe herleiten und definieren zu müssen. Zusätzlich lässt er sich hinreißen, Tendenzen als Normen zu beschreiben und verpasst beim Sammeln von Ergebnissen sein eigentliches Ziel: die besonderen Merkmale einer Dramaturgie des Kurzspielfilms zu erarbeiten.

Autor/innen-Biografie

Manuel Föhl

Manuel Föhl M.A., schloss 2018 seinen Master in Filmwissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität mit einer Arbeit über das fehlende Bildergedächtnis bei der (Re)-Präsentation des NSU im Film und zu ludonarrativen Dissonanzen in Videospielen ab. Für seinen Bachelorabschluss in Filmwissenschaft und Kunstgeschichte untersuchte er das Raum- und Machtgefüge in den James Bond-Filmen der 1990er- und 2000er Jahre. Derzeit arbeitet er als freier Medienpädagoge u. a. für das DFF (Deutsches Filminstitut und Filmmuseum), organisiert die SchulKinoWochen in Rheinland-Pfalz und Hessen mit, ist Lehrbeauftragter an der JGU Mainz und erhielt ein Stipendium der Film- und Mediennachwuchsförderung Rheinland-Pfalz und der Kulturförderung Rheinland-Pfalz für die Umsetzung einer Web-Serie.

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Veröffentlicht

2020-05-25

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Rubrik

Film