Johannes Bennke/Johanna Seifert/Martin Siegler/Christina Terberl (Hg.): Das Mitsein der Medien. Prekäre Koexistenzen von Menschen, Maschinen und Algorithmen.
Paderborn: Fink 2018. ISBN 978-3-7705-6195-7. 320 S., Preis: € 49,90.
Abstract
"Mit-Sein" ist dem Medienphilosoph Erich Hörl (2012) zufolge in der Gegenwart zu einer entscheidenden Beziehung avanciert, ein Ausdruck "der neuen Situation, in der der Mensch mit Maschinen und nach deren Maßgabe existiert": Mit-Tun, Mit-Laufen, Mit-Machen, Mit-Arbeiten, Mit-Sprechen, Mit-Spielen, Mit-Funktionieren und im Zeitalter digitaler Kommunikations-Medien besonders auch Mit-Teilen, um einige wenige zu nennen, sind entscheidende Modi und Existenzweisen, die die gegenwärtigen Mensch-Technik-Relationen prägen. Diese Modi, die auf Jean-Luc Nancys (2004) prominenter relationalen Ontologie basieren, geraten gegenwärtig zusehends auch in der kultur- und medienwissenschaftlichen Forschung in den Blick. Dabei werden Menschen, Technologien, Diskurse und Praktiken sowie weitere 'nicht-menschliche' Elemente als zu Netzwerken und Geflechten verwobene betrachtet, als in Medien- und Technik-Umwelten verschaltete, in denen sich die entsprechenden Elemente und Akteure prozessual und reziprok bedingen.
Diese Prämisse eines relationalen Mit-Seins setzt der Sammelband Das Mitsein der Medien von Johannes Bennke, Johanna Seifert, Martin Siegert und Christina Terberl zum Ausgangspunkt einer Reihe von medienwissenschaftlichen Beiträgen, die die Ko-Existenzen und Kollektive von nicht-/menschlichen Entitäten in den Fokus rücken. Dabei handelt es sich jedoch nicht um 'klassische' Untersuchungen zum menschlichen Umgang mit technischen Objekten. Mit Bezug auf z. B. Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie oder eben auch Erich Hörls Werke, wird hier der Mensch aus seiner anthropozentrischen Position gerückt. In Zeiten von z. B. smarten Technologien können 'Handlungsmacht', 'Eigeninitiative', 'Intelligenz' und 'Responsivität' nicht mehr ausschließlich dem Menschen zugeschrieben werden. Im privaten, familiären und im öffentlichen Raum – "der klassischen Sphäre des Gemeinsamen" (z. B. Smartphones, Überwachungskameras) –, im Luftraum (z. B. Drohnen) sowie schließlich selbst im menschlichen Körper, "jene[r] existentialen Bedingung des In-der-Welt-Seins" (z. B. Implantate und Prothesen) sind technische Objekte allgegenwärtig und in koexistenzieller Weise mit uns verknüpft: "Menschen sind nicht länger unter sich, sondern existieren im Beisein und Mitsein technischer Entitäten", proklamieren die Autor_innen (S. 3). Somit kommt auch technischen Objekten ein Akteurs-Status zu, der die Handlungsweisen des Menschen auf entscheidende Weise mitprägt.
Der vorliegende Sammelband macht sich nun zur Aufgabe, jene neuen Existenzweisen, Situationen und Transformationsprozesse einer theoretischen Beschreibung und Bewertung zu unterziehen. So fragt der Sammelband übergreifend nach der Möglichkeit eines neuen schöpferischen Beziehungsgefüges angesichts der ubiquitären Anwesenheit des Technischen sowie befragt und kritisiert die technophobische Annahme einer "Herrschaft der logisch-mathematischen Vernunft" (S. 3). Ebenfalls berücksichtigt wird dem gegenüberstehend die Prämisse der "nicht-operationalisierbaren Dimensionen des Medialen" (S. 3), d. h., einer Medialität, die je nach soziotechnischer Konstellation und Situation als versammelndes, verschaltendes und über- bzw. vermittelndes Beziehungsgefüge zu verstehen ist. Dabei solle es einerseits nicht um generalisierbare Annahmen, theoretische Zugänge oder Methoden gehen, vielmehr gelte es, heterogene mediale Konstellationen an konkreten Fallbeispielen zu untersuchen und Modi eines koexistenziellen Mitseins situativ und historisch zu differenzieren. Andererseits geht es den Herausgeber_innen auch darum, Ko-Existenzen bzw. das Mitsein unterschiedlicher Entitäten nicht einfach zu symmetrisieren bzw. gleichzuschalten, wie es einige theoretische Arbeiten zu dieser Thematik sowie "Unternehmensphilosophien, das Produktmarketing und den Militärjargon prägt" (S. 7). Vielmehr gelte es produktive Ambivalenzen, Brüche und Unstimmigkeiten herauszuarbeiten und mithin auch den "problematischen, porösen und prekären Charakter von Mensch-Technik Beziehungen" zu thematisieren (S. 7), wodurch sich unterschiedliche mediale Dispositive auch einer medienkritischen bzw. sozialpolitisch orientierten sowie kulturwissenschaftlich basierten Beschreibung unterziehen lassen.
Der Band ist aufgeteilt in drei große thematische bzw. theoretische Überkapitel: Erstens Kooperative Koexistenz, zweitens Prothetische Koexistenz und drittens Singuläre Koexistenz. Das erste Kapitel beschäftigt sich aus der Perspektive dreier verschiedener Beiträge mit medialen Konstellationen der Arbeit, wobei ein "Mit-Arbeiten" als ein kollegiales, partnerschaftliches, produktives und kooperatives Gefüge aus menschlichen und nicht-menschlichen 'Mit-Arbeiter_innen' verstanden wird – und das durchaus auch im oben aufgeführten Sinne einer prekären und problematischen Konstellation. Dies zeigt bereits der erste Beitrag des Bandes von Nina Franz und Moritz Queisner, die sich dem bildgeführten Drohnenkrieg der U.S. Air Force widmen und anhand von kollaborativen Bild- und Sichtbarkeitspraktiken 'kaschierte' Machtgefälle zwischen Menschen und künstlichen Intelligenzen im Handlungsnetzwerk der militärischen Tötungspraxis beschreiben.
Thorben Mämcke, Samuel Müller und Annelie Pentenrieder zeigen am Beispiel von drei zeitgenössischen mobilen Dienstleistungs-Apps die Asymmetrien, Machtgefälle sowie Effekte auf, die durch uneinsehbare Algorithmen generiert werden, was aber gleichermaßen widerständige Strategien von Seiten der Nutzer_innen ermöglicht. Anschließend daran kritisiert Tim Othold mit Verweis auf das 'Internet der Dinge' sowie kreative (oftmals fehlerbasierte) Verhaltensweisen von KI und Algorithmen jene Annahme, dass die koexistenzielle Beziehung zwischen Menschen und Technik stabil, berechenbar und überzeitlich konstant sei und entgegnet, sie müsse vielmehr als Potential unvorhersehbarer Effekte verstanden werden.
Das zweite Kapitel verhandelt das Diskursfeld 'Prothetik' bzw. die technischen oder medialen Kompensierungen vermeintlicher menschlicher organischer Mängel sowie die ethischen, philosophischen und sozialen Konsequenzen, die eine derartige Konstruktion der Mensch-Technik-Relation mit sich führt. Das Kapitel beginnt mit Beate Ochsners Beitrag zur mobilen App 'Ava', einer assistiven Kommunikationstechnologie für gehörlose bzw. schwerhörige Menschen. Ochsner beschreibt die audiovisuellen Arrangements im Sinne einer 'medialen Teilhabe' als Mitsein in dessen Vollzug Teilhabe und nicht-Teilhabe sowie (dis)ability in medialen Austausch- und Aushandlungsprozessen prozessual hervorgebracht werden. Stefan Rieger behandelt im folgenden Beitrag neue Kollaborations- und Koexistenzformen im Bereich des 'wearable computing', wobei er derartige Technologien und Techniken eben nicht als prothetische Enhancements des menschlichen Körpers versteht, sondern als neuen Modus anthropophiler Intimität. Dieses Kapitel schließt mit einem Interview zwischen den Herausgeber_innen und Karin Harrasser zur (sozial)politischen Dimension prekärer Existenzen sowie ihrem an Zoë Sofoulis angelehnten Konzept von Parahumanität und Teilsouveränität sowie damit verbundene Spannungen, Konflikte und Machtbeziehungen.
Das dritte und letzte Kapitel fasst unter dem Begriff der "singulären Koexistenz" das "Ephemere von Alltagssituationen". Hierbei geht es um "präzise Beobachtungen, minimale Intensitätsmomente und die Mannigfaltigkeit von Erfahrungselementen" (S. 19), die auch im vermeintlichen Außerhalb des Technologischen existieren. In ihrem Beitrag zu Dinner for One etwa zeigt Franziska Reichenbecher die Ko-Existenz und die wechselseitigen Regulierungen von Mensch und Alltagsobjekten wie Möbeln, Besteck, Teller etc. in Zusammenhang mit dem Konzept der "Gastlichkeit". In diesem humoristischen Kurzfilm zeigen sich die Objekte als Akteur_innen, die in einem instabilen Arrangement vernetzt sind, das von Wiederholungen, Routinen und Abweichungen geprägt ist, und welche die bereits genannten Unvorhersehbarkeiten emergieren lassen. Im folgenden Beitrag verhandelt Christoph Karsten mit Bezug zur literarischen Figur Sherlock Holmes koexistenzielle Beziehungen in Relation zur menschlichen Erfahrung und zur routinierten Wiederholungsstruktur des Alltäglichen. Mit dem Zusammenspiel von Körpern, Objekten und Gebärden in filmischen Operationssälen befasst sich der abschließende Beitrag von Christina Lammer. Sie fokussiert dabei vor allem auf die Rolle der (heilenden/verletzenden) Hände im Operationsvorgang und setzt ihre eigene künstlerisch-dokumentarische Praxis in Bezug zu filmästhetischen bzw. kunsttheoretischen Konzepten.
Wie die kurze Zusammenfassung der Kapitel zeigt, bietet der Sammelband nicht nur eine interessante und heterogene Zusammenstellung von Beiträgen und Beispielen, sondern leistet auch wichtige medientheoretische Arbeit. Neben den Einzelbeiträgen, die bisweilen interdisziplinäre Ansätze auf innovative Weise fruchtbar machen und/oder einzelne Theoriestränge am Beispiel vertiefen, bietet vor allem die Einleitung einen hervorragenden Überblick über die Diskurse um Ko-Existenzen, Medienökologien und relationale Ontologien und kann zudem auch als Einführung in die philosophischen und theoretisch-methodischen Diskurse um ein Mitsein der Medien(wissenschaften) genutzt werden.
Literatur
Jean-Luc Nancy: singulär plural sein. Berlin 2004.
Erich Hörl: "Die technische Verwandlung. Zur Kritik der kybernetischen Einstellung bei Günther Anders". In: Spielregeln. 25 Aufstellungen. Hg. v. Peter Berz/Marianne Kubaczek/Eva Laquiéze-Waniek/David Unterholzner. Zürich/Berlin 2012.
Bruno Latour: Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaft. Frankfurt a. M. 2002.
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