Sascha Pöhlmann (Hg.): Playing the Field. Video Games and American Studies.

Oldenbourg: De Gruyter 2019. ISBN: 978-3110655254. 296 S., Preis € 86,95.

Autor/innen

  • Markus Spöhrer Universität Konstanz

DOI:

https://doi.org/10.25365/rezens-2020-1-17

Abstract

Mit dem Sammelband Playing the Field: Video Games and American Studies reagiert Sascha Pöhlmann auf ein seit längerem bestehendes Desiderat in den American Studies bzw. der Amerikanistik: Die Grundlegung und Evaluation eines Austauschs zwischen den Video Game Studies und der Amerikanistik. Mit der Leitfrage, was eine interdisziplinär forschende Amerikanistik zur Erforschung von Video Games beitragen kann (und muss, denn digitale Spiele seien längst zum "most prominent medium und cultural force of the twenty-first century" (S. 1) avanciert) verweist Pöhlmann nicht nur auf ein theoretisches oder methodisches Anliegen, sondern ebenfalls auf ein disziplinär-institutionelles Problem. Wie der Autor richtig darstellt, spielen Arbeiten aus der (amerikanischen) Kulturwissenschaft im Forschungsdiskurs der Game Studies seit deren frühen Phase Ende der 1990er Jahre eine wichtige Rolle. Dies sei auch nicht verwunderlich, denn der interdisziplinäre und transnationale Charakter der Amerikanistik eigne sich hervorragend dazu, das heterogene Feld der digitalen Spiele zu bearbeiten. Kulturwissenschaft sowie spezifischer, die amerikanische Kulturwissenschaft, so Pöhlmann, seien sogar "perhaps the two that provide the most fertile ground for a systematic integration of video games into the larger theoretical and methodological framework of the field" (S. 2). Während vereinzelte amerikanistische ForscherInnen lokal, aus persönlichem Interesse im amerikanistischen Kontext zur Computerspielforschung beitrügen, so gebe es dennoch keine substantiellen, weiteren Netzwerke oder institutionellen Strukturen in der Amerikanistik, die derartige Ambitionen unterstützen oder grundsätzlich ermöglichen würden. Ausgenommen seien dabei solche ForscherInnen, die an einen medienwissenschaftlichen Forschungskontext angebunden sind, welche aber oftmals nicht im Zeichen des "own field" (S. 2) – der American Studies – stünden. Nicht nur sei dieser frustrierende Zustand eine ungenutzte Chance für die Amerikanistik, sondern berge (mitunter existentielle) Gefahren für (Nachwuchs)WissenschaftlerInnen, die sich der Analyse, Historisierung und Theoretisierung digitaler Spiele verpflichteten. Ohne institutionelle Strukturen wie etwa Forschungsprojekte bzw. Graduate Programme, bestünde das Problem, dass diese WissenschaftlerInnen entweder aufgrund ihrer Fixierung auf digitale Spiele nicht in solche aufgenommen würden oder es keine kompetenten BetreuerInnen für etwaige Dissertationsprojekte gebe. AmerikanistInnen fänden sich zudem oftmals in der Situation, dass am eigenen Institut keine Primärtexte (Videospiele) und Ausgabegeräte (z. B. Konsolen) vorhanden seien und die nötige Fachliteratur oftmals nicht in den lokalen Bibliotheken verfügbar sei.

Der vorliegende, umfangreiche Sammelband möchte diesem Phänomen nun Rechnung tragen, indem Pöhlmann 17 Beiträge vereint, die mittels spezifischer amerikanistischer Perspektivierung an Aspekte digitaler Spiele und Spielkulturen herantreten. Wichtig ist hier hervorzuheben, dass die Computerspielforschung mit ihren Problem- und Untersuchungsfeldern keiner grundlegenden Einführung in die Amerikanistik bedarf – denn "[i]n fact, a number of significant early contributions to the emergent field of Video Game Studies were made in the context of American Studies" (S. 5). Der Sammelband erhebt also nicht den widersprüchlichen Anspruch eine monolithische Methode oder Theorie zu etablieren, durch die die inter- und multidisziplinäre Amerikanistik vertreten werden könnte (vgl. S. 3). Vielmehr geht es Pöhlmann darum, eine gemeinsame disziplinäre, wenngleich heterogene Basis für die amerikanistische Computerspielforschung zu veranschlagen, die Herausforderungen zu diskutieren, die dieses Unterfangen mit sich bringt, sowie eine (Re)Evaluation neuer Methoden, der gängigen sowie möglicherweise 'veralteten' Theorien und Werkzeuge zu leisten. Pöhlmann hebt hier kritisch (und zurecht) hervor, dass eine amerikanistische Perspektivierung nicht lediglich auf Ansätze der Narratologie zurückgreifen könne, wie einst in den Literaturwissenschaften proklamiert wurde. Die Entwicklung der Game Studies, deren früher Kern die Auseinandersetzung zwischen ludologischen (spielzentrierten) und narratologischen (erzählzentrierten), zumeist literaturwissenschaftlichen Ansätzen bildete, wird hier vorangestellt. Mit diesem theoriegeschichtlichen Verweis, artikuliert Pöhlmann die Perspektive, dass digitale Spiele nicht lediglich erzählende Texte sind – in vielen Fällen sind sie das primär überhaupt nicht, weshalb auch ein rein erzähltheoretischer Ansatz für die Analyse von digitalen interaktiven Medien zu kurz greift. Vielmehr gehe es darum die vielfältigen Perspektiven der amerikanischen Kulturwissenschaft in Dialog mit dem heterogen vernetzten Feld der Computerspielforschung treten zu lassen und zu eruieren, "what American Studies could uniquely contribute to and draw from this network" (S. 5) – wohlwissend, dass die Amerikanistik produktiverweise keine scharf abgegrenzte Definition vom eigenen Forschungsbereich entwerfen will oder kann. Vielmehr sieht Pöhlmann sogar "the biggest conceptual contribution by American Studies to Video Game Studies in its pronounced skepticism toward its own object of research" (S. 14).

Die Aufsätze in diesem Sammelband stammen durchweg von AutorInnen, die einem amerikanistischen Forschungskontext zugewiesen sind oder in einem US-kulturellen Kontext forschen. Letzteres gilt für Mark J. P. Wolfs Beitrag, der den Band einleitet. Wolf, der eine Reihe von Klassikern der Game Studies verfasst hat, leistet einen breiten Überblick über die Entwicklungen und Verstrickungen der amerikanischen Videospielindustrie und deren Rolle in der globalen Produktion und Rezeption digitaler Spiele. Damit folgt dieser und weitere Beiträge des Buchs dem Anspruch, die Rolle zu beschreiben, die digitale Spiele für die amerikanische Kultur spielen sowie die Beziehung, die die amerikanische Kultur zu digitalen Spielen hegt. Der anschließende Beitrag, von Michael Fuchs, Michael Philipps und Stefan Rabitsch, befragt diesbezüglich das Spiel Mass Effect nach seiner konkreten Konstruktion von "Americanness" in Relation zum postapokalyptischen Szenario, das das Spiel entwirft. Mit Blick auf die Repräsentation von amerikanischen Landschaften bzw. Orten und Räumen im Spiel The Last of Us analysiert David Callahan daraufhin das Motiv der Westwärtsbewegung und Exploration, welche sich als (populärer) amerikanischer Mythos verstehen lässt. Ähnlich thematisch orientiert ist Patricia Maier im Folgebeitrag, die sich ebenfalls mit Mobilität in Skyrim beschäftigt, hierbei aber stärker auf die Handlungsfreiheit der SpielerInnen fokussiert. Dietmar Meinel schließt diesen thematischen Block, indem er sowohl Raumgestaltung als auch Bewegung im Raum in Mirror's Edge anhand von klassischen soziologischen Texten (Henri Lefebvre und Michel de Certeau) analysiert. Martin Lüthe beschäftigt sich im Anschluss daran mit digitalen Sportspielen und bezieht diese auf die medialen Aufführungspraktiken der analogen Vorbilder sowie entsprechenden Konzeptionen und Diskursivierungen von Körpern. Ebenfalls mit Bezug zum Medium Fernsehen leistet Stefan Schubert daraufhin eine vergleichende Analyse des Videospiels Alan Wake und der Science-Fiction-TV-Serie Westworld, wobei er (klassischerweise) das Verhältnis von Narration und Spielen in den Mittelpunkt rückt. Mit intermedialen Aspekten befassen sich auch Andrei Nae und Alexandra Ilena Bacalu, die den klassischen amerikanischen Roman Robinson Crusoe und das Survival-Horror-Game Silent Hill als je medial spezifisch selbstreflexive Medien konturieren. Auch Doug Stark befasst sich mit der Beziehung zwischen digitalem Spielen und Literatur, allerdings aus Perspektive der neomarxistischen Literaturkritik auf die Verarbeitung von Videospieldiskursen – genauer gesagt: der neoliberalen Praxis der Gamification und deren Subversionen – in Ernest Clines Roman Ready Player One. Sebastian Domsch beschreibt anschließend narrative Archetypen in digitalen Spielen, die diese weniger durch die (wie man typischerweise annehmen würde) Semantisierung hervorbringen, sondern vielmehr durch typische Videospielmechaniken. Jon Adams reagiert in seinem Beitrag auf die Frage "Why we Play Role-Playing Games" und argumentiert, dass RPGs die Möglichkeit böten, den SpielerInnen eine "algorithmic literacy" zu vermitteln – eine Kompetenz die höchst zukunftsrelevant sei. Über algorithmische Fehler oder genauer ausgedrückt: über Glitches, schreibt Damien B. Schlarb und befasst sich mit den metaleptischen Aspekten von Glitches, sofern diese in Video Games als narratives Element genutzt werden. Sabrina Mittermeier geht der Leitfrage des Sammelbands – "Why Immersive Media Need American Studies" – konkret nach, indem sie kritisch die materiellen, historischen und kulturellen Elemente großer US-amerikanischer, historisch basierter Theme Parks in Vergleich zu digitalen Spielen analysiert. Ebenfalls historisch orientiert sind Manuel Franz und Henning Jansen in ihrer Analyse zur Konstruktion von Americanness in Bioshock Infinite, wobei hier ein Schwerpunkt auf die Adressierung und Verarbeitung von individueller Schuld im kulturellen Gedächtnis fokussiert wird. Selbiges Spiel wird auch von Jacqueline Blank thematisiert, hier allerdings mit Fokus auf visuelle Elemente des Spiels bzw. der visuellen Ästhetik von in-game Gemälden, die spezifische amerikanische Ideologien transportieren. Ein dritter Beitrag zu Bioshock Infinite stammt von Veronika Keller, die ihren Ausgang in der Diskussion klassischer Musik nimmt, welche in dem Ego-Shooter nicht nur narrativ genutzt, sondern auch für interaktiv-ludische Zwecke funktionalisiert wird. Geschlossen wird der Band mit einem Beitrag von Nathalie Aghoro, die die auditive Dimension – den Sound von digitalen Spielen – als "nonverbal gameplay" konzeptualisiert, wofür sie die Spiele Journey und Inside analysiert, die durch einen interaktiv-dynamischen Soundtrack beispielhaft sind.

Mit dieser Vielfalt an Ansätzen und Themen, die der Sammelband bietet, leistet Sascha Pöhlmann einen interessanten Überblick über die Forschungsmöglichkeiten, die eine amerikanistische Perspektivierung der Game Studies leisten kann. Gleichermaßen unterstützt dies auch die von Pöhlmann eingangs gemachte Bemerkung, dass es hier nicht um disziplinäre Abgrenzungsgesten gehen könne. Vielmehr bereichern sich die ohnehin stark interdisziplinär gelagerten und mitunter historisch wechselseitig beeinflussten American Studies und Game Studies gegenseitig und eröffnen Forschungsfelder für beide Disziplinen, die bislang nur punktuell repräsentiert waren. Während der Sammelband stark auf formalästhetische und diskursive Elemente fokussiert, was durchaus legitim und typisch für amerikanistische Forschung ist, könnte eine derartige disziplinäre Perspektivierung von einer zusätzlichen, stärker technisch fokussierten Herangehensweise profitieren. Eine so mögliche Frage wäre zum Beispiel, inwiefern eine Analyse des soziotechnischen Arrangements einer Spielsituation oder spezifischer körpertechnischer Spielweisen, wie teilweise in der Medienwissenschaft gemacht, von einer amerikanistischen Perspektivierung profitieren könnte und vice versa.

Autor/innen-Biografie

Markus Spöhrer, Universität Konstanz

Markus Spöhrer, Dr. phil, ist Post-Doktorand in der DfG-Forscher*innen-Gruppe "Mediale Teilhabe" (Universität Konstanz). Seine Lehr- und Forschungsgebiete umfassen: Stereoskopische Medien, Computerspielforschung, mediale Aspekte des (Nicht-)Hörens sowie Science and Technology Studies.

Publikationen:

  • Die ästhetisch-narrativen Dimensionen des 3D-Films, Wiesbaden, 2016.
  • Applying the Actor-Network-Theory in Media Studies (mit Beate Ochsner), Hershey, PA, 2017.
  • Analytical Frameworks, Applications, and Impacts of ICT and Actor-Network-Theory, Hershey, PA, 2018.

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Veröffentlicht

2020-05-25

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Medien