Eugenio Barba/Nicola Savarese: Les Cinq Continents du théâtre. Faits et légendes de la culture matérielle de l’acteur.
Lacoste: Deuxième Époque 2020. Übersetzung aus dem Italienischen von Éliane Deschamps-Pria. ISBN 978-2-37769-034-3. 408 Seiten, mit zahlr. farb. Abb., Preis: € 48,50.
DOI:
https://doi.org/10.25365/rezens-2021-2-01Abstract
Wann, wo, wie, für wen und warum macht man Theater? Fünf leitende W-Fragen stecken in der aktuellen Buchpublikation von Eugenio Barba und Nicola Savarese die titelgebenden fünf Kontinente des Theaters ab. Das vorliegende Resultat – ein umfassender, großformatiger und an Bildmaterial reicher Band – der jahrzehntelangen Zusammenarbeit und intellektuellen Komplizenschaft zwischen dem Gründer des Odin Teatret und dem Theaterwissenschaftler erschien 2017 auf Italienisch und liegt inzwischen in englischer, französischer, rumänischer und spanischer Übersetzung vor.
Ein Zitat von Eugenio Barba auf dem Umschlag der 2020 erschienenen französischsprachigen Ausgabe, das mit einem impliziten Verweis auf Paul Gauguins gleichnamiges Gemälde beginnt, lässt Ziele und Struktur der Publikation erahnen: "Woher komme ich? Wer bin ich? Wohin gehe ich? Um diese Fragen zu beantworten, müssen wir die unzähligen Formen, Erfahrungen, Überreste und Rätsel, die uns die Geschichte unseres Berufs vermacht hat, aus einer anderen Perspektive betrachten. Nur auf diese Weise können wir einen persönlichen Kompass bauen, um die fünf Kontinente unseres Berufs zu durchqueren […]". (Übers. LB) Die Beitragenden des Buchs stammen allesamt aus der italienischen Theaterwissenschaft und dem Umfeld des Odin Teatret, der ISTA bzw. der Fachzeitschrift Teatro e Storia. Neben den Herausgebern exemplarisch zu erwähnen sind Fabrizio Cruciani († 1992), Ferruccio Marotti, Ariane Mnouchkine, Franco Ruffini, Mirella Schino (die 2008 das Odin Teatret Archive gegründet hat), Ferdinando Taviani († 2020) und Julia Varley (seit 1976 Truppenmitglied des Odin Teatret).
Savarese zeichnet in seinem Vorwort den über 20 Jahre umspannenden Entstehungsprozess des vorliegenden Buchs nach. 1996 wurde in Gesprächen mit italienischen Theaterforschenden der Wunsch ausgedrückt, das strukturelle und gestalterische Prinzip der seit 1983 mehrfach wiederaufgelegten, überarbeiteten und in zahlreiche Sprachen übersetzten Anatomia del teatro von 1983 (dessen erneuerte Version den Titel L’arte segreta dell’attore. Un dizionario di antropologia teatrale trägt) aufzugreifen, um wiederum die Techniken von Akteur*innen zu studieren, allerdings unter einem veränderten Blickwinkel: Standen im Theateranthropologie-Lexikon körperlich-mentale Techniken und prä-expressive Qualitäten im Zentrum, widmet sich Les cinq continents du théâtre der Geschichte und Gegenwart von Theater aus der Perspektive der "techniques auxiliaires" (S. 7) der materiellen Kultur von Akteur*innen. Welche sind aber diese Hilfs- bzw. Nebentechniken? Es handelt sich um die strukturellen, organisatorischen, sozialen, räumlichen, ökonomischen, politischen Faktoren von Theaterarbeit, die im Buch auf transhistorische und transkulturelle Weise präsentiert werden.
Les cinq continents du théâtre ist ein eigenwilliges Buch. Mit seinen ca. 1400 Abbildungen, seiner Gleichwertigkeit von aufeinander Bezug nehmenden Bild- und Textelementen, seiner Bibliografie, seinem Namens- und Stichwortverzeichnis ist das Ergebnis weder ein Lexikon noch ein Bildband oder ein theatergeschichtliches Handbuch. Raimondo Guarino wählt in seiner auf dem Buchdeckel zitierten Rezension den stimmigen Begriff Almanach, um die Zusammenstellung aus verschiedensten Textsorten, wissenschaftlichen Analysen, Dialogen, Chronologien, Anekdoten, Bildern und vielsagenden Bildlegenden zu kategorisieren.
Sechs Kapitel ("Quand", "Ou", "Comment", "Pour qui", "Pourquoi", "Théâtre et histoire") und ihre insgesamt über 130 durchnummerierten Unterkapitel präsentieren auf mäandernde Weise Aspekte des Theaterschaffens weltweit. Das konsequent heterogene Bildmaterial im Buch umfasst u. a. Satellitenaufnahmen von Sonneneruptionen, Buster-Keaton-Filmstandbilder, Hoffest-Kupferstiche, Saalpläne, japanische Holzschnitte, historische und zeitgenössische Fotografien von (Toten-)Masken, prähistorischen Skulpturen, Lipizzaner-Dressur, balinesischen Neujahrsfesten, Eintrittskarten, Butoh-Tänzer*innen, Theaterbränden, Fronttheater, sowie Gemälde und Grafiken zu Publikums-Krawall, Schausteller*innen, Hinrichtungen, römischen Zirkuselefanten, sowie acht Seiten mit Sonderbriefmarken zu Ehren von Schauspieler*innen und Dramatiker*innen.
Die Lektüre eines konventionellen theatergeschichtlichen Buchs suggeriere, so die Herausgeber, dass alles klar, quantifizierbar und in Form von Ursachen und Wirkungen beschreibbar sei, "[m]ais sous cette évidence rassurante coule une histoire souterraine que ne se laisse pas enfermer dans les interprétations linéaires élaborées a posteriori." (S. 10) Das erste Kapitel des Buchs widmet sich textuell und bildlich dieser unterirdischen Geschichte aus der Perspektive der Zeitlichkeit: Wann wurde und wird Theater gemacht? Markante Momente von zeitlicher Gebundenheit in der europäischen und internationalen Theatergeschichte werden skizziert, religiös-politisch motivierte Festkalender mit ihren kleinen oder größeren Zeitfenstern für Theaterpraxis beschrieben. Gemeinschaftliche Feste als Unterbrechung des gewöhnlichen Zeitverlaufs – Dionysien, Karneval, Narrenfeste – mit ihrem Simulakrum sozialer Unordnung finden im ersten Kapitel ihren Platz, sowie ein Panorama diverser Ursprungsmythen (Europa, Indien, China etc.) von Theater. Wann haben Menschen begonnen zu tanzen, zu repräsentieren, sich zu kostümieren und zu maskieren? Inwiefern sind Theater und Schamanismus, Halluzinationen, Trancezustände historisch miteinander verbunden? Der vermutliche "Bocksgesang" der antiken griechischen Tragödie wird im Sinne einer theateranthropologisch interessierten, alternativen Etymologie nach Vittore Pisani auf die illyrischen Wurzeln trg (Markt) und oide (Gesang) zurückgeführt. Diese Herleitung verknüpft die Ursprünge des westlichen Theaters mit einem konkreten Beruf – der Straßendichter, Rhapsoden, fahrenden Sänger – und bietet eine Verbindung zu den buddhistischen Erzählkünstlern zur Entstehungszeit dramatischer Kunst im asiatischen Raum. Es folgen historische Abrisse zur Entwicklung des Mäzenatentums, hin zum Bezahltheater (mit Verweis auf Raufereien um Gratis-Theaterkarten) und der Funktion von Impresarios (u. a. Domenico Barbaja, Lewis Morrison, Sergei P. Djagilew, Loïe Fuller, Max Reinhardt). Vier farbig unterlegte Seiten bieten eine "petite anthologie de la censure" (S. 44) mit Schlaglichtern auf ausgewählte Fälle, darunter Auftrittsverbote für Frauen, der Theatrical Licensing Act (1737), die Theaterzensur in Frankreich von der Revolution bis zu Napoleon, die kirchliche Zensur in Lateinamerika ab der frühen Neuzeit, das Kabuki-Verbot in Japan unter US-amerikanischer Besatzung nach Ende des Zweiten Weltkriegs im Sinne der antimilitaristischen Umerziehungsideologie und die Anekdote der Rettung des Kabuki durch den US-Amerikaner Faubion Bowers.
Das zweite Kapitel streift erneut die bereits erwähnten Genese-Mythen, die Entwicklungen von Berufsschauspiel und von Theater in Innenräumen, allerdings aus der Perspektive der Orte und Räume für Theaterpraxis. Wo finden Akteur*innen ihren Platz? In Baracken, Kellern, sogenannten Laboratorien und Ateliers, unter freiem Himmel, in Theaterarchitekturen, auf Straßen etc. Die erste Doppelseite des Kapitels zeigt eine suggestive Bilder-Montage, bestehend aus einer Saalansicht des Teatro San Carlo in Neapel, dem (bescheiden-funktionalen) Saal des Teatro Experimental de Alta Floresta sowie dem (repräsentativen) Teatro Amazonas in Brasilien, das laut Bildlegende 1896 eröffnet wurde, mit importierten Dachschindeln aus dem Elsass, französischen Textilien, Stahl aus England, Marmorsäulen und -statuen aus Italien. Die Autor*innen der folgenden Unterkapitel nehmen die Kreisform zum Anlass für Überlegungen und Bebilderungen zu Genese-Mythen, Stadtentwicklung, frühen Publikums-Konstellationen, Rundtänzen, antiken Theaterbauten. Mittels Freilufttheater, Bänkelsängern und Scharlatanerie wird die Entwicklung vom Verkauf von Produkten zum Verkauf von Aufführungen illustriert, gefolgt von Rückgriffen auf die Spielorte der frühen Neuzeit durch Vertreter*innen der historischen Avantgarden (u. a. Wsewolod Meyerhold, Jacques Copeau). In einer theaterhistorisch internationalen Rundumschau werden in Kürze die Spielorte mittelalterlicher Aufführungspraktiken sowie erste Theaterbauten in England, Frankreich, Spanien, Indien, Japan, China, den USA, Lateinamerika, Italien thematisiert, bis hin zur Entwicklung der Konvention der Guckkastenbühne bzw. des Rang-Logen-Theaters, basierend auf Renaissance-Interpretationen antiker Theaterbauten, und nicht auf den Spielpraktiken von Akteur*innen. Mirella Schino argumentiert, dass "das Theater im italienischen Stil [das Rang-Logen-Theater mit Guckkastenbühne, Anm. LB] als autonomes Denkmal seine Entstehung dem abstrakten Wunsch verdankt, bedeutungsvolle Orte für die ideale Stadt zu schaffen. Es entstand als eine Reflexion in Verbindung mit der Architektur – mit der Nostalgie eines Ursprungs im griechischen und römischen Theater – und nicht in Verbindung mit der Aufführung und der materiellen Kultur der Schauspieler" (S. 132, Übers. LB). "[l]e théâtre à l’italienne, en tant que monument autonome, doit sa naissance à un désir abstrait de créer des lieux signifiants pour la ville idéale. Il naît comme une réflexion liée à l’architecture et non au spectacle et à la culture matérielle des acteurs, avec la nostalgie d’une origine dans le théâtre grec et romain." (S. 132)
Das dritte Kapitel fragt nach dem Wie. Wie wird man Akteur*in? Wie wird theatral agiert? Bücher für Akteur*innen, über Trainings- und Arbeitsmethoden seien "compagnons de voyage" (S. 158) und böten manchmal, wie z. B. Antonin Artauds Das Theater und sein Double, "des mots-talismans" (S. 158) die auf intuitive Weise bei der Orientierung helfen. Acht farbig unterlegte Seiten bieten eine Gegenüberstellung von "acculturation" und "inculturation" (S. 160) als mögliche Wege zum Theaterberuf, sowie einen Überblick zu Ausbildungsarten (Meister, Gurus, gegenwärtige Schauspielschulen und Theaterlaboratorien), Techniken und theateranthropologischen Ansätzen. Der Wandel der Techniken der Akteur*innen seit dem 19. Jahrhundert wird unter dem – in der deutschsprachigen Theaterwissenschaft wenig geläufigen – Begriff der "Grande Réforme" (erste Phase 1876–1939, zweite Phase 1945–1975) bearbeitet und illustriert. Eine umfassende Chronologie historischer Ereignisse und theatergeschichtlicher Wegmarken zeichnet Entwicklungen ab Richard Wagners Gesamtkunstwerk-Konzept nach, über die "fondateurs de traditions" (S. 169) zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis hin zu experimentellen Truppengründungen und Praktiken der 1970er-Jahre, im Zeichen eines Neuauslotens von retheatralisiertem, von der Literatur emanzipiertem, gattungsübergreifendem Theater. Das Kapitel befasst sich aber ebenso mit dem Naheverhältnis von technischem und ästhetischem Wandel, etwa im Fall des Bühnenlichts, sowie mit diversen Spielmodi (Clowns, Puppentheater, Maskentheater) und dem Spiel mit Requisiten (wobei das Taschentuch und der Stuhl jeweils eine eigene Bilder-Doppelseite in Anspruch nehmen), denn "[l]es objets possèdent l’acteur", sie sind "seine Prothesen, seine Auswüchse, seine Fesseln, die den Akteur dazu zwingen zu reagieren, das Gleichgewicht zu verlieren, zu übertreiben, zu vereinfachen" (S. 216, Übers. LB).
Das Publikum steht im Zentrum des vierten Kapitels. Zuschauer*innen in allen Aggregatszuständen werden bildlich dekliniert: wartend vor der Aufführung, Schlange stehend, raufend, gähnend, weinend, enthusiastisch, als Attentäter. Verschiedene soziale Schichten als Zuschauer*innen und ihre jeweilige Sitzordnung (z. B. im Kolosseum, in einem Teehaus in Peking) werden beschrieben, sowie Verhaltensweisen von teilnehmendem Publikum im Karneval und als "spect-acteurs" (S. 288) bei Augusto Boal, aber auch die Sonderform des unfreiwilligen Publikums, etwa von Performances im öffentlichen Raum. Ein Exkurs zu Epidemien und Theaterpublikum – mit Verweis auf Pestepidemien zur Zeit der Entstehung von Berufsschauspiel in Europa – präsentiert das Foto eines Mundschutz-tragenden Publikums einer Aufführung in Taipei im Kontext der SARS-Epidemie 2003. Auch die Frage nach dem Theaterpublikum in politischen und sozialen Ausnahmezuständen wird beleuchtet, vom Fronttheater, Aufführungen in Gefangenenlagern, Gefängnissen, NS-Konzentrationslagern, bis zu aktuellen Fällen, u. a. 2015 im türkischen Flüchtlingslager Midyat und anlässlich einer Hamlet-Aufführung im Flüchtlingslager "La Jungle" in Calais 2016.
Warum überhaupt Theater machen? Was ist der Motor dieses anstrengenden Tuns? Das fünfte Kapitel, eines der lesenswertesten des vorliegenden Buchs, beginnt mit dem Gemälde Die Gärtner von Gustave Caillebotte nebst Fotografien der mutwilligen Zerstörung von Theaterbauten und der Rekonstruktion von historischen Theatergebäuden, begleitet von einer Überlegung zur Gärtner-Metapher in Shakespeares Othello (der Körper als Garten, der Wille als Gärtner) und bei Rudyard Kipling (Gärtnerarbeit müsse oft kniend gemacht werden). Die ökonomische Begründung wird nahegelegt – denn europäisches Theater sei nicht aus dem griechischen Ritual entstanden, sondern auf italienischen Märkten des 16. Jahrhunderts. Hinweise auf ästhetische und vor allem ethische Beweggründe für Theaterschaffen im Zuge der "Grande Réforme" und die Utopie des "éternel premier pas" (S. 299) bilden die Basis für das umfangreichere Unterkapitel "Petite encyclopédie sur l’honneur de l’acteur" (S. 300), in welchem Individuen präsentiert werden, die inmitten von und trotz Diskriminierung, Sklaverei, politischer Unterdrückung und Verfolgung, sozialer Missstände als Theaterakteur*innen aktiv waren bzw. sind, u. a. Ira Aldridge, Patricia Ariza, Josephine Baker, Wsewolod Meyerhold, Norodom Bopha Devi, Hedy Crilla, die Moustache Brothers. Die Autor*innen gehen ebenfalls in Kürze auf Verbindungen von Sexarbeit und Tanz bzw. Schauspiel in verschiedenen Ländern ein, sowie auf Theater "in der Hölle" (Gulag, NS-Konzentrationslager), auf kolonialistische "Menschenzoos". Zwölf farbig unterlegte Seiten, betitelt als "Florilège sur la valeur du théâtre" (S. 324), überlassen schließlich Theaterleuten das Wort und geben Textauszüge von Adolphe Appia, Antonin Artaud, Julian Beck, Walter Benjamin, Augusto Boal, Bertolt Brecht, Peter Brook, Enrique Buenaventura, Jacques Copeau, Isadora Duncan, Hideo Kanze, Sarah Kane, Jewgeni B. Wachtangow, Ariane Mnouchkine und anderen wieder. Das Reise-Motiv bestimmt die anschließenden Unterkapitel, von den Fahrzeugen und Gepäckstücken reisender Truppen über die geografischen und kulturellen Reisen von Theatermasken, bis hin zu Reisen von Körpertechniken mittels Tourneen, Exkursionen, internationaler Streuung durch ehemalige Schüler*innen bzw. Flucht und Exil (illustriert durch eine Karte der zahlreichen Exil-Stationen Brechts 1933–1947). Beerdigungsprozessionen als letzte Reise sowie die Weitergabe und Übersetzung von Theatertechniken in Form von Büchern, Zeitschriften, Spiel- und Dokumentarfilmen beenden das Warum-Kapitel.
Das sechste Kapitel, "Théâtre et histoire. Pages tombées du carnet de Bouvard et Pécuchet" (S. 370), dient primär der Wiedergabe von Bildmaterial, das durch seine Anordnung und Kontrastierung zum Sprechen gebracht wird: Internationale Briefmarken und (Presse-)Fotografien bilden die Basis für Doppelseiten zu Theater und Aufständen, Protestbewegungen, Kriegen, Theatermasken und Schutzmasken (Gasmasken, Sturmmasken, Maskierung als Anonymisierung bei Demonstrationen), Theatergebäuden und massiver Zerstörung durch Tsunamis oder Bomben. Theaterbrände, ikonografische und mediale Inszenierungen von Hinrichtungen, die Thematisierung des Holocaust auf der Bühne folgen. Anstelle von Theatergeschichte werden im Abschlusskapitel Theater und Geschichte (im Sinne von Teatro e storia) als Montage präsentiert. Die letzte Doppelseite ist schwarz unterlegt: Links ist ein Foto von Frauen mit Schminkmasken in El Salvador zu sehen, die gegen das herrschende Abtreibungsverbot protestieren, rechts ein Porträtfoto von Pjotr A. Pawlenski mit zugenähtem Mund, begleitet von einem Abschlusszitat von Barba. Es werde immer einige Personen geben, die Theater als Mittel praktizieren, um ihre eigene Revolte auf nicht zerstörerische Weise zu kanalisieren; Personen "die den scheinbaren Widerspruch einer Rebellion erleben werden, die sich in ein Gefühl der Brüderlichkeit verwandelt, und eines einsamen Berufes, der Verbindungen schafft" (S. 395, Übers. LB).
Jedes Kapitel des Buchs wird eingeleitet von einem Dialog zwischen zwei Stellvertreter-Figuren von Barba und Savarese: Bouvard und Pécuchet. Es handelt sich um die Protagonisten eines posthum veröffentlichten satirischen Romanfragments von Gustave Flaubert – zwei Pariser Kopisten, die sich zufällig auf einer Parkbank kennenlernen und voller Enthusiasmus und Naivität ein gemeinsames Projekt in Angriff nehmen: aufs Land ziehen und Landwirtschaft betreiben. Als frenetische Leser wollen sie immer mehr erkunden und kultivieren ihr zerebrales und oberflächliches Wissen in den Bereichen Gärtnerei, Schnapsbrennerei, Chemie, Zoologie, Medizin, Archäologie, Politik, Gymnastik, Religion, Theater etc. Die Wahl dieser Stellvertreter durch die Herausgeber bringt eine durchaus sympathische Ironisierung ihrer Positionen und künstlerisch-wissenschaftlichen Biografien mit sich, aber auch eine verbesserte Zugänglichkeit für Leser*innen mittels der lockeren und teils amüsanten Dialoge. Die niederschwellige und im Konkreten fußende Methode der fünf W-Fragen als roter Faden für die Arbeitsweise am Inhalt und an der Struktur des Buchs, sowie die Wertschätzung von heterogenem Bildmaterial für die Erkundung von Theaterpraktiken machen Les cinq continents du théâtre für Forschende (insbesondere für jene, die mit Ansätzen von Barba/Savarese noch nicht eng vertraut sind), für Theaterpraktiker*innen und für Studierende zu einem ausgezeichneten Entdeckungs- und Orientierungsband.
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