Christina Bartz/Timo Kaerlein/Monique Miggelbrink/Christoph Neubert (Hg.): Gehäuse. Mediale Einkapselungen.

Paderborn: Fink 2017. ISBN: 978-3-7705-6019-6. 374 S., 70 s/w Abb., 32 farb. Abb., Preis: € 29,90.

Autor/innen

  • Stefan Schweigler

Abstract

Ob Fernsehschränke, Telefonzellen oder Computergehäuse – Umhüllungen und Verkleidungen medialer Technologien waren lange Zeit keine Gegenstände einer kulturwissenschaftlich ausgerichteten, medientheoretischen Auseinandersetzung, obwohl gerade das insistente Fragen nach Möglichkeitsbedingungen, nach Rahmung, nach Materialität oder nach medialer Verfasstheit ein Erkennungsmerkmal medienkulturwissenschaftlichen Problembewusstseins darstellen will. Der Sammelband Gehäuse: Mediale Einkapselungen bietet eine ambitionierte und komplexe Theoriebildung zur vernachlässigten Handlungsmacht von Gehäusen an, indem das Gehäuse erstmalig großangelegt als medienwissenschaftliches Epistem befragt wird. Darüber hinaus eröffnen die Texte viele Einblicke in die Mediengeschichte der Hüllen, Behausungen und Bauformen von Apparaten und Technologien, aber auch von historischen Vorläufermedien, von Materialitäten wie Holz und Müll oder von Kulturtechniken der Speicherung und Übertragung.

Als die Jahrestagung der Gesellschaft für Medienwissenschaft 2018 stattfand, fielen vielen Tagungsteilnehmer_innen die zahlreichen, kunstvoll bemalten Verteilerstromkästen des Gastgeberorts Siegen auf. Durch die Gestaltung der Kästen beabsichtigte die Stadt sich als kreativer Industrie- 'und' Kulturstandort zu positionieren – und sorgte auf Fußwegen zwischen den Veranstaltungsräumen der Tagung für Gespräche über Stadt-Ästhetik, Energiewirtschaft, Geschmack etc. Wenn eine ansonsten unsichtbare Materialität erst durch Verfremdungspraktiken überhaupt sichtbar und dann mit Energiewirtschaft oder Ingenieurswesen assoziiert wird, handelt es sich höchstwahrscheinlich um ein Medium, weil Medien Wirklichkeiten organisieren und kanalisieren und dabei einen Hang zur Unsichtbarmachung ihrer Körper und ihrer Agency haben. Es war das Medium 'Gehäuse', also der Kasten (und nicht der Kabelsalat oder der Strom), der im Stadtraum sichtbar wurde und sich selbst thematisierte: als neues Trägermedium für Kunst. Jene zuvor anästhetische, eigene Medialität von Gehäusen ist es, die Hans Blumenberg "Umkleidung des künstlichen Produkts mit Selbstverständlichkeit" (S. 9) nannte, und die für die Herausgeber_innen des Sammelbands die Grundthese darstellt, dass Gehäuse "Orte der Vermittlung sind, die vordergründig der Stabilisierung eines Funktionsarrangements dienen, an denen sich aber auch Zeichenprozesse abspielen." (S. 10)

Dass eine Medientheorie der Gehäuse eine lohnende, komplexe epistemische Herausforderung darstellen könnte, wurde dabei bisher durch hartnäckige Abwertungen vernebelt: Einerseits imaginieren kulturelle Gemeinplätze Gehäusefiguren als äußerliche Nur-Hüllen/Nur-Fassaden/nicht-essenzielle Oberflächen bzw. als Blendwerke/Täuschungen und andererseits formulieren auch wissenschaftliche Kommentare zu medialen Hüllen solche meist lediglich als Verstärkerinnen des 'Eigentlichen', also als sekundäre, repräsentationslogische Thematisierungen des Gehäuseinneren, der Software (oder des guten alten Inhalts) 'in' der äußerlichen Aufbereitung (Form). Dem halten die Herausgeber_innen eine Theoretisierung des Gehäuses entgegen, die es nicht nur als eine 'Schicht' des Mediums denkt, sondern die das Gehäuse selbst als 'medial' begreift – also als performativ, als wirkmächtig und in intermaterieller Wechselwirkung mit Umwelt, Nutzer_in, Innenleben etc.

Dazu werden in der Einleitung vier Kontextualisierungen des Begriffs entwickelt. Konzipiert als "materielle Artefakte" (S. 11), können Gehäuse erstens mit theoretischen Anleihen aus den Material Culture Studies und der ANT perspektiviert werden, womit auch die Beziehung der Funktionalität von Gehäusen zu Fragen der (Inter‑)Materialität oder zu Praktiken des Alltags adressiert ist, sodass das Gehäuse "als ein Ort (mit eigener Medialität) beschrieben werden kann, an dem ein gestaltetes Artefakt mit Praktiken konfrontiert ist und an dem sich damit auch soziokulturelle Konflikte abspielen" (S. 13). In einem zweiten Schritt werden dann Perspektiven aus Theorie und Praxis von 'Design' bemüht, da Produktdesign intrinsisch mit der Geschichte der Industrialisierung (etwa mit der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks) verschränkt ist und so die Ambivalenz von 'Funktionalität und Ästhetik' in den Fokus rückt. Unter den Blickpunkten des Designs betrachtet – geplanter Gebrauch vs. "übergreifende ästhetische Leitvorstellungen"– offenbaren sich Gehäuse als verhandlungsintensive Medien, mittels derer zeitgenössische "Kommunikation über gesellschaftlich geteilte Werte, Normen und Einstellungen" (S. 18) stattfindet. Ein Gehäuse weist drittens sowohl die Charakteristika der 'Infrastruktur' als auch des 'Interface' auf. Als Interface erscheint es, weil es ein instrumentelles Bedienelement ist, das sich Nutzer_innen als Schnittstelle zuwendet. Es tritt aber zugleich als Infrastruktur in Erscheinung – bzw. macht sich als solche unsichtbar –, indem es eine Stabilisierung von Komponenten darstellt, welche das Funktionieren eines Systems garantieren und dessen Verhältnis zur Umwelt determinieren soll. Mit dieser Einsicht lassen sich Gehäuse gerade in ihrer "wechselnde[n] Positionierung […] als bedienbares Werkzeug oder als Teil der Architektur" (S. 21) eines ökologischen Dispositivs untersuchen.

Die vierte Kontextualisierung bündelt die vorangehenden am Beispiel der Theoriegeschichte der Blackbox und überträgt diese auf die Frage nach einer medienkulturwissenschaftlichen Theorie der Gehäuse. Die "Logik des Blackboxing" besteht in der Einkapselung technischer Komponenten und deren Abschirmung von Anwender_innen, womit sie "materieller Ausdruck von Formalisierungs- und Technisierungsprozessen" (S. 11) sind und eine je spezifische Ordnung von 'Intransparenz zugunsten von Transparenz' festlegen, indem ihr Weniger an Einsicht den Pragmatismus ihrer Handhabe optimiert. Auf Basis dieser Annahme lässt sich die Erschließung einer Theorie des Gehäuses an die epistemologischen Erkenntnisse der Kybernetik anknüpfen: Davon kann abgeleitet werden, dass Gehäuse ein allgemeines "Modell von Kognition"markieren, das darin besteht, dass sie praktisches Wissen hervorbringen und organisieren (Beobachten, Erkennen, Sehen, Erfassen, Lernen). So soll argumentiert werden, dass sich Gehäuse nicht in ihrem instrumentellen Charakter erschöpfen. Sie sind dann nicht Repräsentationen von ihnen ausgelagertem Wissen, von Werten oder Normen, sondern Interaktionsparter_innen im prozessualen Auf-Einander-Abstimmen und damit "Verfahren der Wissensproduktion" (S. 22).

Wie schon die Einleitung, richtet sich das Gros der Beiträge an medienphilosophische Leser_innen-Interessen. Die meisten Texte verhandeln, bezogen auf einen material- oder ideengeschichtlichen Diskurs oder auf historische/aktuelle Phänomene, immer auch die Fragen: Wie definiert sich eigentlich ein/das Gehäuse und welches grundlegende medientheoretische Wissen lässt sich darauf anwenden oder davon ableiten? Und was bedeutet das für unseren Medienbegriff? So offeriert der Sammelband etwa eine Theorie der Gehäuse von Notfalldingen als emergente "suspense-Techniken"(Martin Stiegler, S. 302), eine Diskussion von Körperkapseln, die binäre Subjekt-Objekt-Ontologien auflösen (Andreas Broeckmann) oder auch eine medienphilosophische Untersuchung der Beeinflussung des etablierten Umweltbegriffs durch Uexkülls mediale Umweltkonzeption "als gläsernes Gehäuse", "stabil und fest dem Lebewesen zugehörig" sowie "unauffällig und transparent" (Julian Jochmaring, S. 262). Auch die Frage danach, wie sich kultureller Wandel in Gehäusen zeitigt, begegnet widerkehrend: in der Analyse sowohl von solchen Imitationen einer kühlen Smart-Phone-Elektrogerätästhetik in zeitgenössischer Architektur (Tom Steinert), als auch (umgekehrt) von jenen Nachahmungen wärmend hölzerner Musikmöbel-Optik durch aktuelle Retro-Smart-Phone-Gehäuse (Leonie Häsler).

Herausstechend sind jene Passagen, in denen die Gehäuse-Theoriebildung mit politischen, gesellschaftskritischen oder explizit gender-relevanten Fragen verschränkt wurde, und in welchen die Medialität von Gehäusen so hinsichtlich ihrer Verstrickung in Machtverhältnisse dargestellt wird. Auf Gender-Diskurse von medialen Gehäusen macht etwa Tobias Landers Inklusion einer Besprechung von Valie Exports Tapp- und Tastkino in der Genealogie künstlerisch reflexiver Gehäuse-Mysterien aufmerksam. Heike Weber wiederum kommt in ihrer Analyse "[z]ur Vermittlung von Konsumtechniken" mitunter auf Ellen van Oosts einschlägige Gender-Skript-Studie zum elektrischen Rasierapparat der 1950er-Jahre zu sprechen und erweitert Oosts Schlüsse zur Vergeschlechtlichung von Medien durch das Beispiel von Radioportables der Zeit. Außerdem beobachtet Weber, dass die Interfaces von Waschvollautomaten um 1990 ein effeminierendes Script vorgaben, das ihren Anwenderinnen mitunter durch 'Bio-Programme' die soziale Rolle einer Koordinationsverantwortlichen für Hygiene-, Material- und Umwelt-Bewusstsein nahelegte. Zusammenhänge von sozialer Differenz mit ihren korrespondierenden Gehäusen betreffen nicht zuletzt klassifizierte Praxen. Anhand von "Behausungen des Mülls"zeigt etwa Laura Moisi auf, wie Müll "Dingen und Personen einen Platz in der symbolischen Ordnung des Sozialen zuweist und die Welt in Zonen der Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit aufteilt" (S. 214). Die Administration von Normativität durch Gehäuse ist auch Thema von Markus Krajewskis Kritik an der deutschen Architektur der Nachkriegszeit. Mosaik-, Raster- und Kachel-Strukturen im Stil karierter Collegeblocks dienen dazu – so die These – die Gegenwart zu dehistorisieren, "Gewissen reinzuwaschen" (S. 170) und "Bewohner in unbeschriebene Blätter zu wandeln", gleichsam "formatiert" (S. 171) und geschichtsvergessen.

Derartige machtkritische Ausrichtungen der Forschungsbeiträge werden teilweise vermisst, wenn der ein oder andere Text sich etwa als genuin medienphilosophisch oder medienhistorisch versteht, und wenn dann das spezifische Selbstverständnis der Analyse- oder Theoretisierungspraxis impliziert, dass die untersuchte Medialität von Design, Infrastruktur oder Architektur ein Forschungsgegenstand ist, der unabhängig von dessen Gender-, Race-, Class- oder Ability-Dimensionen besprochen werden könnte. Eine Theorie von Gehäusen kann es nach meinem Dafürhalten nur unter den Prämissen geben, dass Gehäuse essentielle Agent_innen in Gefügen der Organisation von Accessibilities (Queer/Crip Theory) sind und dass sie eine Vergeschlechtlichung von Innerlichkeit/Äußerlichkeit durchwirkt – eine Perspektive, zu der Lektüren von Bourdieus Theorie des Hauses als gegendert-normalisierende 'verkehrte Welt' oder Sara Ahmeds feministischer Bezugnahme auf das Survival-Kit inspirieren könnten.[1] In viele Gehäuse von elektronischen Medien ist außerdem ein wichtiger Reminder für die Medientheorie buchstäblich 'eingeschrieben':

"Made in China", "Made in Bangladesh" etc. verweisen auf materiale Implikationen von race/gender/class, die mit dem Outsourcing unserer Medienproduktion in Länder des Globalen Südens und mit der Ausbeutung von Women of Colour in der Medienindustrie einhergehen – ein entscheidendes und permanent anwesend/abwesendes Charakteristikum von Medialität im 21. Jh., das, wie Lisa Nakamura anregt, das kritische Verständnis von Medientheorie herausfordern sollte.[2] Ansätze einer solchen machtverhältniskritischen Haltung von Medienwissenschaftler_innen finden sich in Heike Webers Fazit zu Fragen des Blackboxings: "Was in einer Gesellschaft von einer jeweiligen Technik als wichtig zu wissen erachtet und was von dieser Technik erwartet wird, wird auch über Gehäuse- und Interfacedesign vermittelt, derweil andere Aspekte des Technischen ausgeschwärzt sind – und damit […] auch weiter im Machtraum der Technikproduzenten verbleiben" (S. 134).

Denn bei aller vermeintlich öffnenden Ökologisierung von Medien als deren Emergenz in Smart Homes, Ubiquitous Computing oder Ambient Intelligence, darf nicht die Konjunktur zunehmender Schließung und Abgrenzung von Gehäusen übersehen werden. Auf diesen Prozess wird auch im Sammelband verwiesen: auf Vorgänge der "Isolierung", die beabsichtigen, "nur noch die notwendigen Ströme durchzulassen und unbefugte Zugriffe zu verhindern" (Florian Sprenger, S. 194). Till A. Heilmanns Text bietet dazu ebenso eine problembewusste Beobachtung an: Eine zunehmende Immunisierung des 'Machtraums der Technikpoduzent_innen' gegenüber Subversionen mittels gezielter Verunmöglichung von individuellen Eingriffen in Systeme "zwingt Nutzerinnen und Nutzern das Muster eines rein konsumierenden Umgangs mit und Gebrauchs von Computertechnik auf" (S. 50). Vor diesem Hintergrund erscheint auch die Telefonzelle auf dem Cover des Sammelbands als Überhang aus einer anderen Epoche, wenn wir daran denken, dass in den letzten Jahren immer mehr europäische Stadtadministrationen ihre öffentlichen Telefonzellen so umgebaut haben, dass sie nicht mehr von Obdachlosen als Schlafplatz oder Kälteschutz angeeignet werden können.

  

[1] Siehe Pierre Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis. Auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft. Frankfurt a. M. 2009. Sowie Sara Ahmed: Feministisch Leben! Manifest für Spaßverderberinnen. Münster 2017.

[2] Siehe Lisa Nakamura: "Indigenous Circuits. Navajo Women and the Racialization of Early Electronic Manufacture". In: American Quarterly, 66/4, Dezember 2014, S. 919–941.   

Autor/innen-Biografie

Stefan Schweigler

studierte Theater-, Film- und Medientheorie an der Universität Wien. Abschluss 2016 mit einer dispositivanalytischen Arbeit über Anrufungen von relationaler Ethik in Geschichte und Theorie des Episodenfilms. Lehrbeauftragter an den Universitäten Wien und Klagenfurt; seit Oktober 2017 wissenschaftlicher Mitarbeiter (prädoc) am tfm. Arbeits- und Publikationsfelder: Gender und Queer Studies, Medienökologien, Theorien der Verletzbarkeit, Passivität und Bad Feelings.

Publikationen:

–, "Nachrichten vom New Materialism an den Körperbegriff". In: Körperdinge (= Tortuga #3: Körper, Heft 2), Graz: Tortuga Kulturverein Transdisziplinären Austauschs 3/2017, S. 8–12.

–, mit Stefan Sulzenbacher, "Television Expanded und die Popularisierung politischer Narrative", in: Mobilität (= politix. Zeitschrift des Instituts für Politikwissenschaft der Uni Wien, Ausgabe 39), Wien: Inst. f. Politikwissenschaft 2016, S. 29–34.

–, "Dispositive des untätigen und unnützen Herumliegens. Eine Reibungsfläche von Passivität und Nutzenverständnis", in: stumm. Beleuchtungen der Leere (= SYN. Magazin für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Bd. 10), hrsg. v. Harald Krebl u. a., Wien: Lit 2015, S. 55–66.

–, "Passivität und Arbeit in Masters of Sex", in: Body of Work (= FAK. Feministisches ArbeitsKollektiv, Ausgabe 1), Karlsruhe: FAK 2015, S. 78–79.

Downloads

Veröffentlicht

2019-05-15

Ausgabe

Rubrik

Kulturwissenschaft