Marisa Buovolo: Jane Campion & ihre Filme.
Marburg: Schüren 2024. ISBN: 978-3-7410-0451-3. 192 Seiten, 24,00 €.
DOI:
https://doi.org/10.25365/rezens-2025-2-04Abstract
Weibliche Filmschaffende sichtbar zu machen, lässt sich sicher als eines der zentralen Projekte des Gegenwartsdiskurses begreifen. Dabei geht es nicht nur darum, junge Talente zu fördern, sondern auch vergessene Stimmen wieder oder erstmals richtig hörbar zu machen. Jane Campion befindet sich in einer eigentümlichen Situation. Einerseits gehört die Neuseeländerin zu den profiliertesten Frauen ihres Faches. Sie konnte die Goldene Palme von Cannes sowie gleich zwei Oscars gewinnen – als eine von drei Frauen in der gesamten Preisgeschichte auch in der Kategorie Regie, wo sie als bislang einzige mehrfach nominiert war. Andererseits liegt ihr größter Erfolg mit The Piano (1993) über dreißig Jahre zurück, Schaffenspausen und Flops haben Campion eher zum Liebling bei Cineasten als an den Kinokassen gemacht. Mit The Power of the Dog (2021) kehrte sie jedoch vor wenigen Jahren, mittlerweile als Altmeisterin, zurück. Marisa Buovolo möchte in ihrer Monografie nun nicht nur die historische Relevanz einer altehrwürdigen Grande Dame ausgraben, sondern nachfühlen, mit welcher Aktualität und Intensität Campions Kino auch heute pulsiert.
Blickt man ins Inhaltsverzeichnis dieses Buches, so mag der Titel Jane Campion und ihre Filme auf zweierlei Weisen irritieren. Zum einen führt die Autorin die Leserschaft keineswegs Film für Film durch das Œuvre, ihre Struktur ist deutlich unkonventioneller. Mal widmet sich ein Kapitel ausführlich einem einzelnen Film wie prominent The Piano, mal werden Filme unter breiteren Themenschwerpunkten wie "Kino der Intimität" zusammengefasst, dann jedoch sind auch wieder Personen der Orientierungspunkt, so etwa Campion selbst sowie aber auch in einem der ausführlichsten Kapitel Campions langjährige Kostümdesignerin Janet Patterson. Die Chronologie wird dabei grob eingehalten, dennoch lässt sich Buovolo dadurch mitnichten von allerlei Sprüngen abhalten. Zum anderen werden dabei nicht nur Filme besprochen: Campions Serie Top of the Lake (2013-2017) erhält sogar die von allen Werken ausführlichste Diskussion, wobei jede Staffel ihr gesondertes Kapitel bekommt und Elisabeth Moss als Serienheldin Detective Robin Griffin sogar das Cover ziert. Dieser Teil gehört zu den beachtlichsten der Monografie, da er das Schaffen für das Fernsehen, das sonst in traditionelleren Auteur-Portraits zu oft vernachlässigt wird, gegenüber dem Kino aufwertet. Gerade auch die eingehende Beschäftigung mit der allgemein deutlich weniger gefeierten zweiten Staffel mit dem Untertitel China Girl ist eine Bereicherung, nicht zuletzt durch das Aufzeigen der mannigfaltigen Analysemöglichkeiten.
Diese Vielfalt ist jedoch mitunter auch gewöhnungsbedürftig. Die sprunghafte Heterogenität betrifft nicht nur die übergeordnete Struktur des Buches, sondern den Analysezugang überhaupt. Buovolo spricht selbst von einem primär "subjektiven Ansatz", aus dem sie diese ihre "eigene intertextuelle Montage erstellt, die auf einer interdisziplinären und zugleich ‚undisziplinierten‘ Arbeitsweise beruht" (S. 9). Dennoch gibt es dominierende Ansätze. Die analytische Basis bildet vorrangig eine phänomenologische Theorietradition, was sinnfällig ist, haben doch Kapazitäten dieser Strömung wie Vivian Sobchak sich auch schon einschlägig Campion und ihren Filmen gewidmet. Buovolo schließt explizit an diese Linie an, wenn sie Sobchak und Laura Marks ein Unterkapitel in ihren Ausführungen zu The Piano widmet. Denn was Buovolo zentral interessiert, ist das taktile Element des Kinos und wie das Publikum dadurch affiziert wird, dass es Campions Welten weniger anschaut als vielmehr abtastet. Das Stoffliche ist für die vor allem auf Kostüm und Mode spezialisierte Autorin auch oft tatsächlicher Stoff. Dies wird nicht zuletzt an der besonderen Hervorhebung Janet Pattersons und ihrer Kostüme sichtbar, deren eigenes Kapitel einen weiteren der besonders originellen Teile des Buches ausmacht. Nicht nur geht Buovolo hierbei eingehend auf integrale wiederkehrende Kostümelemente wie Schleier und Korsett ein, sie gibt auch modehistorische Rahmung, egal ob japanischer Dekonstruktivismus oder belgischer Avantgardismus bis hin zur viktorianischen Mode und Gothic. Dabei stellt die Autorin immer wieder heraus, welche interdisziplinären Fäden in den Kostümen verflochten sind. Die Kostüme betont sie als ästhetische Körperpraktiken, sowohl als fühlbare Dinge mit allerlei Texturen, mit denen sich Seh- wie Tastsinn intensiv beschäftigen können, als auch als Ausdruck von Geschlechterkultur, von Sex und Machtverhältnissen, findet darin reichen Symbolismus, aber auch präzise nachverfolgbare Kulturhistorie.
Hierbei kommt auch der zweite große Theoriehintergrund, nämlich die feministische Theorie, zur Geltung. Denn Buovolo stellt Mode vor allem auch als eine weibliche Praktik in den Filmen Campions heraus, etwa wenn sie sie dem lyrisch-intellektualistischen, betont stofflosen Handwerk von John Keats in Bright Star (2009) gegenüberstellt. Buovolo interessiert nicht nur wie die kulturelle und geschichtliche Rolle der Frau in Kostüm und Mode eingewoben ist, sondern auch eine spezifisch weibliche Sinnlichkeit und Empfindsamkeit. Es entstünden weibliche Bilder, die männliche Blicke unterlaufen. Stofflichkeit und Stoffe machen für Buovolo einen essentiellen Teil der femininen und feministischen Phänomenologie in Campions Werk aus, weswegen dieses Kino in seiner Sinnlichkeit auch eine so intensive Wirkung auf gerade sein weibliches Publikum habe. "Ich sage nicht, dass Männer sich auf ihre Filme nicht einlassen oder dass die Erfahrung für sie entfremdend sein muss. Aber sie finden vielleicht nicht denselben Ort, an den sie sich im Kino gewöhnt haben, sie müssen stattdessen andere Zugänge entdecken" (S. 11), vermerkt die Autorin einleitend. Es wird dabei unscharf, wo dieser feministisch aneignende Blickwinkel noch etwas Subversives gewinnt oder bisweilen droht, in seinem subjektivistischen Partikularismus schon wieder essentialistische Tendenzen zu bekommen.
Männlichkeit wird nichtsdestominder dezidiert Aufmerksamkeit geschenkt beziehungsweise sind es "Männlichkeiten", die die Überschrift des letzten großen Kapitels stellen. Buovolo rekurriert hierbei auf die kritische Männerforschung Raewyn Connells, was die Dominanz soziologischer Hintergründe bei der Autorin erneut unterstreicht. Die Patriarchatskritik in Campions Kino wird im Zuge dessen besonders darauf zurückgeführt, dass die Filmemacherin traditionelle Männlichkeitsbilder mit Verletzlichkeit und Intimität konfrontiere, sowohl der anderer als auch der eigenen. Das Empfinden von Zärtlichkeit und Lust sprenge die stählern kalte Rigidität des Maskulinen auf, um die Widersprüche und Selbstverleugnung, mit der die Männerfiguren sich oft selbst zugrunde richten, aufzuzeigen und die eigenen, gerade auch sexuellen Ambivalenzen zu akzeptieren. Dies sind treffende Analysen, die Buovolo auch gewinnbringend an Beispielen aus Campions gesamten Katalog, bis hin zu den jüngsten und damit in der Literatur noch weniger präsenten Titeln ausführt. Doch hat man auch bei diesen rund 30 Seiten mit ihren rund 16 Unterüberschriften mitunter erneut das Gefühl, dass hier sehr viel in einem sehr engen Rahmen angesprochen wird. Buovolo entdeckt den Reichtum des Œuvres in jeder Faser, verknotet die Fäden aber teilweise zu rasch oder zu eng. Phänomenologie, Gender Studies, Kapitalismuskritik, postkoloniale Theorie, feministische Diskurse, intertextuelle Bezüge, all das und mehr findet Buovolo zusammengebunden in Campions Kino. Doch ist bei der extrem engmaschigen Analyse fraglich, ob alles schlüssig verwoben ist oder mitunter nicht zu viele lose, ausfransende Enden bleiben.
Jane Campion und ihre Filme ist trotzdem ein wichtiges Buch, legt die Autorin doch damit eine erste deutschsprachige Monografie zu dieser für das moderne Kino integralen Regisseurin vor. In dieser Hinsicht ist die mithin überbordende Themenfülle verzeihlich, deutet sie doch primär darauf hin, wie nötig und lohnend weitere Beschäftigung mit diesem bedeutenden künstlerischen Schaffen ist. Die phänomenologischen Filmanalysen greifen die zentralen Erträge der bisherigen Forschung auf und setzen diese fort, die feministischen Betrachtungen differenzieren Campions kontroverse Stellung im Diskurs. Die zentralsten neuen Aspekte sind die ausführlichen Betrachtungen zur Fernseharbeit sowie der spezielle Fokus auf Kostüm, an denen Buovolos Kompetenz am augenfälligsten wird. Ihr idiosynkratischer Zugang trägt dort die reifsten Früchte, schon allein, weil diesem Aspekt der Filmkunst selten ein derartiges Augenmerk geschenkt wird. Die Miniatur-Monografie zu Patterson innerhalb der Monografie ist auch deswegen anregend, weil sie zeigt, wie das Schaffen von Frauen in der Filmindustrie vernetzt ist, wo überall Künstlerinnen hinter ihrer staunend geschauten Kunst übersehen werden. Buovolo macht uns das Werk einer großen Frau, die fest und firm im Regiestuhl sitzt, mit allen Sinnen erfahrbar, doch beleuchtet auch die Rolle jener Frauen, die hinter dem Erfolg stehen.
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