Alexander Kluge: Aus dem Bauhaus der Natur.
Göttingen: Wallstein 2025. ISBN: 978-3-8353-5864-5. 276 Seiten. 24,70 €.
DOI:
https://doi.org/10.25365/rezens-2025-2-06Abstract
Alexander Kluge hat sich in seiner langjährigen Arbeit als Filmemacher, Autor und Theoretiker immer wieder als Sammler von Geschichten, Stimmen und Bildern erwiesen. Mit Aus dem Bauhaus der Natur. Die Republik der Tiere in uns legt er nun eine Publikation vor, die das Tier und das Tierische zum Leitmotiv erhebt. Es handelt sich um eine "Materialsammlung zu Zuständen zwischen Evolution und Moderne", die in der Form von Texten, Gesprächen, Bildern sowie über QR-Codes zugänglichen Kurzfilmen eine dichte Reflexion über das Verhältnis von Mensch, Tier, Natur und Technik entfaltet.
Am Beginn steht Kluges radikale Absage an die Vorstellung, der Mensch sei ein von der Natur abgesetztes Wesen. Gegen diese "hochmütige" Annahme hält er fest: "Mehr als bis zur Brust stecken wir in der Evolution, das heißt im Reich der Tiere, aus dem wir kommen" (S. 13). Mit dieser Setzung greift Kluge auf die Tradition der Kritischen Theorie zurück, insbesondere auf Theodor W. Adornos Umdeutung des kategorischen Imperativs, nach dem es ausreiche, "so zu leben, dass man glauben darf, ein gutes Tier gewesen zu sein." (S. 15; Adorno 1970, S. 294) Diese gedankliche Rückbindung an das Tierische schärft den Blick auf die biologischen und emotionalen Grundlagen des Menschseins und eröffnet eine ästhetisch wie politisch folgenreiche Perspektive.
Zentraler Bezugspunkt ist das titelgebende "Bauhaus der Natur". In bewusster Abgrenzung zum historischen Bauhaus, das mit Planung und Gestaltung identifiziert wird, versteht Kluge dieses imaginäre Bauhaus als ein evolutionäres Gegenmodell: ein Projekt, das auf Versuch und Irrtum beruht, auf Kooperation statt auf Herrschaft, auf Generosität statt auf Beutemachen. Während das Bauhaus in Weimar und Dessau in wenigen Jahrzehnten wirkte, operiert das "Bauhaus der Natur" in Zeiträumen von Milliarden Jahren. Es ist ein Projekt, das die Lebendigkeiten der Erde hervorgebracht hat – inklusive des Menschen, der Tiere und jener "zweiten Natur", die in uns fortlebt.
Das Buch ist in neun Abschnitte gegliedert, deren Schwerpunkte von "Lebendigkeit" über "Unbeliebtheit mordender Tiere im Zirkus" bis zu "Intelligenz und Kooperation im Bauhaus der Natur" reichen. Auch bei diesem Buch setzt Kluge auf die "kleine Form". Kurze Texte, Aphorismen, Collagen, Gesprächstranskripte, KI-generierte Bilder und Minutenfilme stehen gleichberechtigt nebeneinander. Die Montage folgt keiner linearen Logik, sondern erzeugt Konstellationen: Eine Hyäne steht neben einem Algorithmus, eine Anekdote neben einer kulturhistorischen Analyse.
Wer das Buch liest, wird weniger durch eine Argumentationskette geführt als vielmehr durch eine Vielzahl von Konstellationen, Querverweisen und Assoziationen. Kluge liefert keine Systematik, sondern eine Sammlung, die zu eigenständigen Verknüpfungen anregt. Die Bandbreite der behandelten Tiere reicht von Dinosauriern über Hyänen und Löwen bis zu den von Kluge immer wieder mit Faszination besprochenen Fledermäusen. Auffällig ist eine gewisse Schieflage: Obwohl Kluge bereits in einem Gespräch 2006 den Verhaltensbiologen Eric Kandel für dessen Kritik am gängigen "Säugetierchauvinismus" lobt (Kluge 2006, 06:40-06:50), richtet sich der Fokus seiner eigenen neuen Arbeit in erster Linie auf Säuger. Die Insekten, Reptilien, Vögel, Fische und Weichtiere bleiben eher randständig. Auch wenn die im Buch immer wieder auftauchenden Dinosaurier eine Ausnahme bilden, wirkt die zoologische Auswahl etwas unausgewogen. Gleichwohl wird die Funktion der Tiere deutlich: Sie sind für Kluge epistemische Figuren, durch die wir sowohl etwas über uns selbst als auch unsere Umwelt erfahren können. Das Tier im Menschen, das evolutionäre Erbe, die emotionalen Restbestände – all dies wird für Kluge sichtbar, wenn wir den Blick auf die Hyänen, Vögel, Grönlandhaie, Katzen oder Hunde richten. Dabei geht es einerseits um das Herausarbeiten und Erzählen solcher geteilten Geschichten zwischen Mensch und Tier, andererseits aber auch um ein Lernen von den Tieren selbst: von der Kooperation der Affen, Elefanten, Wölfe und Nacktmulle, von der sensiblen, multisensuellen Wahrnehmung der Oktopusse und Fledermäuse oder von den komplexen Formen der Kommunikation, wie sie etwa die Wale hervorbringen. So öffnet Kluge mit seinen tierischen Dialogen einen Resonanzraum, in dem sich die Grenzen zwischen menschlichem und nicht-menschlichem Erkennen durchlässig zeigen.
In Kluges Arbeiten wimmelt es generell nur so von Tieren – man denke etwa an den unzähmbaren Gorilla Kong aus Kongs großer Stunde (2015), die Zirkuselefanten aus Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos (1968) oder die zahlreichen Tiere in den Minutenfilmen und Kulturmagazinen –, sodass Aus dem Bauhaus der Natur keineswegs als erschöpfende Sammlung tierischer Motive zu verstehen ist, sondern vielmehr als kleine, pointierte Auswahl.
Eine auffällige Leerstelle des Bandes ist die weitgehende Abwesenheit feministischer Perspektiven. Zwar eröffnet das Gespräch über Hyänen (dabei handelt es sich um das Transkript der News & Stories-Episode "Höflichkeit unter Hyänen" vom 19.06.2005) mit ihrer matriarchalen Rangordnung die Möglichkeit, Geschlechterrollen im Tierreich als Kontrastfolie für menschliche Gesellschaften zu betrachten. Doch diese Chance bleibt ungenutzt: Weder Donna Haraways Companion Species Manifesto noch andere feministische Tierstudien werden aufgegriffen. Angesichts des breiten Feldes feministischer Theorie wirkt diese Auslassung überraschend und hinterlässt eine konzeptionelle Lücke. Kluges Sammlung ist männlich dominiert – die Gesprächspartner sind fast ausschließlich Männer, die theoretischen Bezugspunkte Benjamin, Horkheimer und Adorno.
Neben aller philosophischen Schwere und theoretischen Dichte zeigt das Buch jedoch einmal mehr Kluges grotesken Humor. Besonders der Abschnitt über Sigmund Freuds frühe Forschungen zu den Hoden der Aale entfaltet eine eigentümliche Komik, die zwischen absurdem Fakt und satirischer Pointe oszilliert. Hier blitzt zugleich eine feministisch inspirierte Komik auf: In der Überzeichnung männlicher Wissenschaftsambitionen und ihrer tastenden Irrtümer liegt eine subtile Kritik an patriarchalen Wissensordnungen, die Kluge mit spielerischer Ironie in Szene setzt.
Kluge ist für seine Collagen und Montagen berühmt, die Bild- und Textmaterial in produktive Reibung versetzen. In Aus dem Bauhaus der Natur setzt er erneut auf KI-generierte Bilder. Zwar zeugt dies von Kluges Offenheit gegenüber neuen Technologien, was eine konsequente Fortsetzung seines langjährigen Interesses an medialen Experimenten und Formen der Bildgenerierung darstellt, doch die Resultate sind meines Erachtens nicht immer überzeugend. Manche Bilder wirken improvisiert, andere entfalten eine beinahe beiläufige, mitunter hastige Machart. Sie vermitteln weniger den Eindruck einer bewusst kultivierten DIY-Ästhetik, wie sie viele seiner früheren Arbeiten prägte, sondern erscheinen stellenweise formal indifferent und ästhetisch wenig durchkomponiert. Frühere Arbeiten zeichneten sich hingegen durch klar strukturierte, wiederkehrende Muster aus – etwa in Hinblick auf Komposition, Farbkontrast und rhythmische Anordnung der Bildelemente.
In einem Radiogespräch im WDR hebt die Philosophin Cathrin Newmark die konstellative Anlage des Bandes hervor und interpretiert die Figur des "Tieres in uns" als Leitmotiv. Besonders interessant ist ihr Hinweis, dass Kluge ein "Bauhaus der Gefühle" (S. 229) entwirft: ein Projekt, das den kompetenten Umgang mit Emotionen erprobt. Gerade in einer Zeit, in der affektive Dynamiken politische Räume bestimmen, wirkt dieser Gedanke hochaktuell.
Aus dem Bauhaus der Natur ist ein typisches Kluge-Buch – offen, fragmentarisch, reich an Material und voller gedanklicher Sprünge. Es zeigt einmal mehr, wie sehr Kluge daran interessiert ist, die Grenzen zwischen Natur und Kultur, Technik und Gefühl, Mensch und Tier zu verwischen. Sein Buch lädt dazu ein, das Tierische im Menschen nicht als Defizit, sondern als Erkenntnisquelle zu begreifen. Gleichwohl bleiben Leerstellen: die unausgewogene Tierauswahl, die schwache Qualität mancher KI-Bilder, vor allem aber die Abwesenheit feministischer Theorie. Gerade die Hyänen-Passagen hätten dazu Anlass gegeben, Fragen nach Geschlecht, Macht und Hierarchie auch in tierischen Sozialordnungen zu reflektieren. Dennoch: Kluge gelingt es, eine poetische und philosophische Reflexion vorzulegen, die das Verhältnis von Mensch, Tier und Natur in neuer Schärfe sichtbar macht. Wer sich auf die fragmentarische Form einlässt, entdeckt ein Werk, das weniger Antworten als Impulse gibt – und gerade darin seine Stärke hat.
Literatur/Medien
Adorno, Theodor W.: Negative Dialektik. Jargon der Eigentlichkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1970.
Kluge, Alexander: "Das flexible Gedächtnis". In: News & Stories, 24.09.2006. https://www.dctp.tv/filme/das-flexible-gedaechtnis, abgerufen am 07.10.2025.
Kluge, Alexander: "Höflichkeit unter Hyänen". In: News & Stories, 19.06.2005. https://www.dctp.tv/filme/hoeflichkeit-der-hyaenen, abgerufen am 07.10.2025.
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