Theatralität und die Krisen der Repräsentation. DFG-Symposion 1999.

Hg. v. Erika Fischer-Lichte. Stuttgart, Weimar: J. B. Metzler 2001 (Germanistische Symposien Berichtsbände. 22). 620 S. ISBN 3-476-01827-X. Preis: € 102,80/sfr 146,--.

Autor/innen

  • Gabriele C. Pfeiffer

Abstract

Im September 1999 wurde im Rahmen der DFG-Symposien in Berlin eine Konferenz mit dem Titel Theatralität und die Krisen der Repräsentation abgehalten, bei der die "Theatralität als heuristisches Instrument bei der Untersuchung der beiden großen Repräsentationskrisen in der europäischen Kultur eingesetzt werden [sollte], die wiederholt für das ausgehende 16./das 17. Jahrhundert und für das ausgehende 19./das 20. Jahrhundert diagnostiziert worden sind" (S. 4) - so die Herausgeberin des voluminösen - 620 Seiten umfassenden - Sammelbandes, der in überarbeiteter Form Beiträge, Vorträge und Diskussionen des Symposions vereint und wiedergibt.

Es war dies das 25. DFG-Symposion und als Jubiläumsveranstaltung gleichzeitig eine Hommage an Albrecht Schöne, der die Reihe mit einer Veranstaltung zum Barock gegründet hatte. Dies erklärt aber nur einen Grund für die Auswahl der genannten Epochen, denn der vorliegende Band soll auch als Beitrag zur Überprüfung der in den 60er Jahren aufgestellten These, die zeitgenössische Kultur sei eine Rückkehr des Barock, verstanden werden. Nicht zuletzt wird die Konzentration auf das 17. und 20. Jahrhundert damit begründet, daß sich in beiden Jahrhunderten "mit der Krise ein neuer Theaterbegriff" herausbildet und daß sich aufgrund dieses neuen Theaterbegriffs eine "Theatralisierung anderer Arten von cultural performances [mit Verweis auf Milton Singer] wie z. B. Festen, Hinrichtungen, politischen Zeremonien u. a. beobachten" läßt. Theater fungiert zu beiden Zeiten "als eine Art kulturelles Modell" (S. 5). Während aber im 17. Jahrhundert die Theatermetapher im Topos vom Teatrum mundi vorherrscht und eine grundlegende Unterscheidung zwischen Sein und Schein vorgenommen wird, ist diese im 20. Jahrhundert obsolet, die Theaterbegrifflichkeit dient nunmehr sowohl als metaphorisches als auch als heuristisches Instrumentarium. Auf diesen Überlegungen aufbauend, war es das Ziel des Symposions, "die Frage nach der Beziehung [...], die sich jeweils zwischen der Krise der Repräsentation und Theater / Theatralität herstellen läßt" (S. 15), zu diskutieren.

Die Kapiteleinteilung des Buches orientiert sich an den Sektionen der Veranstaltung. So sind jeweils zwei Kapitel dem 17. bzw. dem 20. Jahrhundert gewidmet: 1. Performance im 17. Jahrhundert; 2. Inszenierung im 20. Jahrhundert; 3. Wahrnehmung im 17. Jahrhundert; 4. Körperlichkeit im 20. Jahrhundert.

Die vier thematischen Bereiche ergeben sich aus den unterschiedlichen Theorien zur Theatralitätsbegrifflichkeit, die - neben der Auffassung von Theater als spezifischer Kunstform - Theater auch außerhalb dieses Rahmens in Betracht ziehen (Nikolaj Evreinov, Elizabeth Burns, Joachim Fiebach). Sowohl ästhetische als auch anthropologische Ansätze wurden auf diese Weise berücksichtigt.

Ausgehend von Michel Foucaults Darstellung von der Krise der Repräsentation (Les mots et les choses, 1966) über Ausführungen zum Begräbnisritual, zur Inszenierung von Unabsichtlichkeit oder der Beschäftigung mit der Frage, inwiefern zeitgenössische Kultur eine Wiedererscheinung oder Rückkehr des Barock ist, reicht die Bandbreite der Beiträge. Weiters finden sich Auseinandersetzungen mit telemathischer Repräsentation im 16. und 17. Jahrhundert, "welche als Element einer Archäologie der Medien betrachtet werden könne: Die Wahrnehmung orientiere sich nicht an sinnenunterstützenden Instrumenten, sondern an Daten" (S. 429f.), ebenso wie Arbeiten zum Sportkörper im 20. Jahrhundert oder zu den aktuellen Genderdiskussionen, dargestellt am Beispiel Cross-Dressing. Schon diese kleine Auswahl der Artikel zeigt die Vielseitigkeit und Unterschiedlichkeit der behandelten Themen, die detailliert ausgeführt werden.

Den Schwerpunkt der Beiträge im ersten Kapitel bildet die Darstellung der Relation von Performance und Repräsentation im 17. Jahrhundert. So finden sich hier etwa Überlegungen zu Begräbnisritualen des Herrschers, Performanzen im Reich der Liebe oder zum Verhältnis von Inkarnation und Performanz (im barocken Märtyrerdrama) ebenso wie Einzeldarstellungen zu Theatralität bei Racine oder zu Daniel Caspar von Lohensteins Trauerspielen. Die Beiträge dieses Kapitels "unterscheiden sich dadurch, daß sie sich den Zeichen in ihrem Verhältnis zu einem jeweils anderen 'Ding' widmen: Zeichen und Macht [...] bzw. Zeichen und Eros [...] sowie dem Verhältnis von Zeichen und Ästhetik" (S. 155).

Im zweiten Kapitel, das sich dem 20. Jahrhundert zuwendet, liegt die Konzentration auf der Beantwortung der Fragen nach dem Unterschied zwischen Inszenierung und Konstruktion, wobei besonders auf die Problematik von Wirklichkeit und Fiktion inner- und außerhalb von Theater geachtet wird. So werden zum Beispiel Bildinszenierungen als "institutionelle Performanz" (anhand der Präsentation von Kunstwerken aus der DDR) oder ein Medienwechsel von Theatralität (anhand von Brechts Dreigroschenoper) diskutiert. In diesem Abschnitt findet sich auch die in der Einleitung angekündigte Auseinandersetzung mit der Rückkehr des Barock in der Gesellschaft des Spektakels (S. 281-298).

Das dritte Kapitel, das wiederum auf das 17. Jahrhundert zurückgreift, stellt sich vor allem der Diskussion um die Veränderungen von Rolle und Funktion des Zuschauenden und deren Auswirkungen auf die Krise der Repräsentation: In welchen Fällen wird eine solche ausgelöst, wo überwunden? In den Artikeln wird die Aufmerksamkeit auf die theatralen Aspekte der Wissenschaftsgeschichte gerichtet. Als Ausgangspunkte für die Auseinandersetzung mit dem Zusammenspiel von Wissenschaft und Kunst dienen die Beobachtungskunst und die Darstellungskunst, "in denen sich das neue Selbstbewußtsein von Wissenschaften und Künsten gleichsam bündelt" (S. 312): z. B. bei rituellen Leichenzergliederungen, bei der telemathischen Repräsentation oder bei den zwischen Staunen und wissenschaftlicher Neugier angesiedelten Wahrnehmungsmöglichkeiten der Betrachter in den Versailler-Gärten - erläutert anhand des wissenschaftsgeschichtlichen Begriffskomplexes von curiositas und admiratio.

Dem höchst aktuellen Themenkomplex "Körperlichkeit" ist schließlich das letzte Kapitel gewidmet. Die Beiträge zentrieren sich um die "Theatralität als Körperlichkeit, [welche] den Körper als Darstellungsmittel und Ausstellungsobjekt" fokussiert (S. 17). Dabei werden die unterschiedlichsten kulturellen Bereiche ebenso berücksichtigt wie der Wandel der Körperbilder bis hin zum Verschwinden des Körpers. Die AutorInnen beziehen sich in ihren Artikeln auf den Sportkörper, Literaturkörper und Stimmkörper sowie auf den Körper als Medium der Zeit und die Repräsentation des Körpers im Zusammenhang mit Geschlechterdifferenz und Sexualität.

Die einzelnen Großkapitel werden durch hilfreiche Einführungen in die unterschiedlichen thematischen Aspekte sowie abschließende Diskussionsberichte akzentuiert. Diese Berichte verbinden die Zusammenfassung des Kapitels mit den dazugehörigen Gesprächsprotokollen des Symposions. Den Lesenden wird somit ein brauchbares Instrumentarium bereitgestellt, um einzelne Beiträge gezielt auszuwählen.

Mit diesem Sammelband ist es gelungen, eine große Bandbreite an aktuellen und spannenden Auseinandersetzungen zum Thema der Repräsentation, deren Krisen und ihrem Verhältnis zu Theater und Theatralität im Kontext des abendländischen Theaters anzubieten und einen Bogen vom Barock bis zur Gegenwart zu spannen. Aufgrund der doch sehr unterschiedlichen und teilweise sehr spezifischen, wenn auch plausibel zusammengestellten und gruppierten Beiträge empfiehlt es sich, das Buch selektiv zu lesen - es vielleicht mehr als Nachschlagewerk, denn als einheitliche Abhandlung zum Thema zu verwenden. Unterstützend erweist sich hierbei das Personenregister - auch wenn es nicht konsequent erarbeitet scheint. Leider fehlt ein AutorInnenverzeichnis, welches nicht nur informativ wäre, sondern den Charakter eines Sammelbandes abrunden würde.

Autor/innen-Biografie

Gabriele C. Pfeiffer

Studium der Theaterwissenschaft und Philosophie an den Universitäten Wien und Pisa. Diplomarbeit über das Thema Interkulturalität und Theater. Abschluß des Diplomstudiums an der Universität Wien. Dissertationsvorhaben: Eine Phänomenologie zum Theater Carmelo Benes (Italien)

Diverse Tätigkeiten in der freien Theater- und zeitgenössischen Tanzszene. Wissenschaftliche Mitarbeit bei der Jura Soyfer Gesellschaft, INST. Zur Zeit: Assistenz der Projektleitung der Redaktion Tagbau

Publikationen (Auswahl)
Keine Worte für interkulturelles Theater. In: Maske und Kothurn, Jg. 40, H. 2-4, 1999, 41ff.

Der Mohr im Mor. Interkulturelles Theater in Theorie und Praxis. Mit einem Vorwort von Ulf Birbaumer. (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXX, Bd. 76). Frankfurt/Main 1999.

Von interkulturellen Erscheinungsformen auf dem Theater bis hin zu einer transkulturellen Theaterform. In: Internationale Kulturwissenschaften.

Theatrical Performance in the World Wide Web. In: TRANS. Nr.9/2000.

Veröffentlicht

2002-07-22

Ausgabe

Rubrik

Theater