Astrid Böger und Herwig Friedl (Hg.): FrauenKulturStudien. Weiblichkeitsdiskurse in Literatur, Philosophie und Sprache.
Tübingen, Basel: Francke 2000. (Kultur und Erkenntnis. 26). 335 S. m. Abb. ISBN 3-7720-2417-3. Preis: ATS 628,--/DM 86,--/sfr 77,--.
Abstract
Der Sammelband dokumentiert eine Vorlesungsreihe, die im Wintersemester 1997/98 an der Heinrich-Heine-Universität stattgefunden hat. Gemeinsame Koordinate dabei war der Forschungsschwerpunkt "Frau" im Kontext von FrauenKulturStudien. Dabei wird keine spezifische Strömung bzw. kein einzelner feministischer Ansatz vertreten, es wird vielmehr das weite Feld unterschiedlichster feministischer Diskurse aus den Bereichen Frauenstudien und feministische Kultur- und Literaturkritik präsentiert. So reichen die vertretenen Denkansätze von den Anfängen der Frauenforschung bis zu poststrukturalistischen Konstruktionsansätzen. Dies erklärt vielleicht auch, warum in manchen Beiträgen über "die Frau" wie über eine natürliche Gegebenheit geschrieben wird und Konstruktionsprozesse bezüglich des sozial-kulturellen Geschlechts weitgehend ausgespart bleiben. Wie der Titel ankündigt, werden Weiblichkeitsdiskurse insbesondere aus Literatur, Philosophie und Linguistik veranschaulicht. Dabei ist eine Sammlung unterschiedlichster, teilweise spannender Aufsätze entstanden.
Der Sammelband gliedert sich in vier thematische Abschnitte. Der erste Abschnitt gibt Aufschluss über "weibliche VorBilder" beziehungsweise kulturell unterschiedlich vermittelte Muster weiblicher Identitäten. Der zweite Abschnitt befasst sich mit weiblicher Subjektivität in Philosophie und Literatur. Anhand von Themen wie weibliche Erziehungsideale oder der Geniebegriff als Paradebeispiel männlicher Konstruktion werden weibliche Subjektivitätskonstruktionen diskutiert. Der dritte Themenblock beschäftigt sich mit FrauenSprache(n). Dabei unterscheiden sich die Aufsätze vor allem in ihren Ausgangspunkten. So setzen manche Autor/inn/en direkt an der manifesten bzw. bewussten Sprachebene an und nehmen dies zum Anknüpfungspunkt ihres Nach-denkens über linguistische Zugänge von Sprachsystemen. Andere Beiträge wiederum reflektieren latente Sinngehalte, die unsere bewusste Sprache bestimmen, mit. Der vierte Abschnitt thematisiert Frauen in Kultur- und Gesellschaftskritik. So wird etwa dem Zusammenfallen amerikanischer Modernekritik mit dem Entstehen des Feminismus nachgegangen und - frei nach Freud - ein "Unbehagen der Geschlechter" attestiert.
Diskussion Der Sammelband ist ein ambitioniertes Projekt, das einiges an Sprengstoff enthält. Die Beiträge sind wahrlich sehr unterschiedlich in ihrer Qualität und Zugangsweise. So finden wir an sich interessante Beschreibungen, die aber alles reproduzieren, was eigentlich Gegenstand kulturwissenschaftlicher Analyse sein sollte. Das lässt sich am Beispiel des Textes über schachspielende Frauen sehr gut zeigen: Die These des Aufsatzes ist, dass sich Frauen die spezielle Symbolik des Schachspiels nur schwer aneignen. Die Dialektik zwischen Begehren (ein Bedürfnis zum Schachspielen zu entwickeln) und Verbot (Frauen spielen kaum Schach) ist das eine, aber auffallend ist, wie die Ordnungsprinzipien, die dem Schachspiel eingeschrieben sind, vom Autor reproduziert werden: etwa Heterosexualität als Matrix der Beziehungsordnung (was der dem Buch generell zugrundeliegenden Ausrichtung nicht entspricht!), wenn er Schachspiel u. a. als Gleichnis für die Liebe heranzieht. Frauen wurde Schach als geistige Bühne nicht zugestanden - dieses Faktum ist weitgehend bekannt. Es scheint, als ob der Autor den wenig schachbegeisterten Frauen im englischen Roman des 19. Jahrhunderts gleich verständnislos gegenübersteht wie jene diesem Kriegsspiel. Seitenweise demonstriert der Autor seine eigenen Schachkenntnisse und unterrichtet uns über spektakuläre Schachzüge, die er sehr wohl durchschaut. Nur, wo bleiben die Frauen? Warum fällt der männliche Blick auf schachspielende Frauen so aus? Die Repräsentation von schachspielenden Frauen, die eine Bedrohung für die geistige Potenz darstell(t)en fällt karg aus.
Der Beitrag über Nabokovs Lolita stellt die überaus heikle und sensible Frage nach Gewalt und Abhängigkeit. Selbstverständlich findet diese im Aufsatz beschriebene Gewalt im Alltag jede Sekunde statt. Selbstverständlich macht die Betroffenheit wütend, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren. Schade finde ich, dass die dem Thema innewohnende Ambivalenz nicht aufgegriffen werden darf. Der imaginäre, unbewusste triebliche Bereich wird nicht in die Analyse miteinbezogen. So bleibt eine Differenzierung von Gewalt tabuisiert, eine Genderperspektive wird nicht entwickelt. Meines Erachtens wäre es für eine feministische Auseinandersetzung sehr spannend, einen Schritt weiterzugehen (was andernorts eigentlich schon geschehen ist) und die Gegenübertragung der eigenen Empörung und Moralisierung differenzierter zu lesen. Nicht als Freisprechung gewaltpraktizierender Männer, sondern - im Sinne der Überwindung einer Opfer-Täterpolarisierung - als Grundlage für die Erkenntnis weiterer Facetten des höchst komplexen Bereiches der Gewalt- und Machtausübung. Wo der Ruf nach Zensur laut wird, werden häufig eigene Triebregungen projiziert bzw. bekämpft. So erinnert der Beitrag an die PorNokampagne der achtziger Jahre. Dies zu reflektieren, wäre ein Gewinn für uns Frauen.
Der Sammelband nimmt nur schüchtern Texte der Popkultur auf, das Schwergewicht liegt eindeutig auf Auseinandersetzungen im Sinne traditioneller intellektueller Diskurse. Ganz anders liest sich der Text über Filmenden in Hollywood - ein wohltuender Text. Der Beitrag geht von der These aus, dass die "happy endings" ein entscheidendes Moment sexueller Differenz bilden. Die Autorin bezieht (klassische) feministische Filmtheorie in ihre Analyse mit ein. Wie weit Filmenden als ödipale Lösungen verstanden werden können, wäre ein weiterer Aspekt, unter dem Filmenden gelesen werden können. Der Text Diskurse des Körpers im Schnittfeld zwischen Sprache und Subjektivität ist ebenfalls als besonders gelungen hervorzuheben. Anhand dieser Ausführung wird die Verschiebung theoretischer Diskurse von einer Zeichenlogik hin zu einer dekonstruktivistischen Strömung beschrieben. Entlang der (Körper)diskurse Julia Kristevas, Mike Bals und Judith Butlers wird diese Richtungsänderung in der feministischen Theoriebildung hergeleitet. Dieser Beitrag setzt nicht auf der manifesten bewussten Sprachebene an, sondern schließt Vorsprachliches, Primärhaftes - also Unbewusstes im Sinne der Freudschen Psychoanalyse bzw. Imaginäres im Sinne der Lacanschen Psychoanalyse gedacht - in die Reflexion von Sprache mit ein.
Ein weiteres Buch also in den boomenden Kulturwissenschaften, das "die Frau" zum Thema hat. Vielleicht ist das Interessanteste an diesem Buch die Mannigfaltigkeit an Repräsentationen und Identifikationen, die die Konstruktionen von Weiblichkeitsentwürfen hervorrufen.
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