Eveline Kilian und Susanne Komfort-Hein (Hg.): GeNarrationen. Variationen zum Verhältnis von Generation und Geschlecht.
Tübingen: Attempo 1999. 250 S. ISBN 3-89308-307-3. Preis: ATS 423,--/DM 58,--/sfr 56,--.
Abstract
Wie der Titel bereits ankündigt, bilden Generation und Narration die wesentlichen Anliegen dieses Sammelbandes. Er beinhaltet ein Erzählen über Generationskonzepte aus unterschiedlichen Perspektiven. Der Sammelband ist aus einer Ringvorlesung zum Thema Generation und Geschlecht (Tübingen 1998) hervorgegangen. Die in ihm enthaltenen Artikel beleuchten Generationsverhältnisse aus transdisziplinären Blickwinkeln, diese sind in drei große Themenbereiche mit je unterschiedlichen Schwerpunkten gegliedert: Der erste Bereich beschäftigt sich mit medialen Repräsentationen von Generationen aus der Geschlechterperspektive sowie deren Auswirkung auf Identitätsbildung und Erinnerungsstiftung. Der thematische Bogen umfasst beispielsweise Altersrepräsentationen in Medien, Generationserfahrungen britischer MigrantInnen oder Erinnerungen an Tübinger Erzählcafés in den dreißiger Jahren.
Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der Struktur von Generationenbeziehungen im Kontext unterschiedlicher Institutionen. So werden die ersten britischen Frauencolleges unter diesem Aspekt beleuchtet, biographische Interviews werfen ein Licht auf die Bildung von Vorbildern. Am Beispiel des Mentoring-Modells werden Generationsbeziehungen von Frauen in Organisationen nachgezeichnet.
Der dritte Komplex umfasst Aufsätze zum Thema Interpretationen markanter Wendepunkte der deutschen Nachkriegsgeschichte unter dem Generations- und Geschlechteraspekt. Anhand ausgewählter Texte werden Themen wie die soziale Konstruktion von NS-Vergangenheit oder der Mythos der 68er-Generation beschrieben. Die Ereignisse um 1989 bilden den Hintergrund eines literarischen Dialogs zwischen Christa Wolf und Anna Seghers. Der Sammelband verfolgt insbesondere zwei Richtungen: "Erstens gilt das Augenmerk speziell den generationenspezifischen Erfahrungen von Frauen, so dass das Generationskonzept zu einer 'Erforschung und Traditionsbildung unter Frauen' herangezogen wird." Zum zweiten geht es um einen Vergleich männlicher und weiblicher Perspektiven und die Geschlechterdifferenz.
Der Hintergrund Es wird davon ausgegangen, dass das Verhältnis zwischen jungen und alten Menschen ein äußerst angespanntes ist. Diese Anspannung werde durch Politik, Medien und andere Einflüsse vorangetrieben. Im Zuge der Pensionsdebatten etwa wird wiederholt festgehalten, dass Menschen immer älter werden und der Prozentsatz an älteren Menschen größer wird - besonders Frauen sind davon betroffen. Dies wirft u.a. ökonomisch-sozialpolitische Fragen auf. Am Arbeitsmarkt erleben wir eine gehipte Polarisierung von jung-dynamisch versus alt-teuer. Alt wird gegen jung ausgespielt. Kommt es zunehmend zu einer konflikthaften Polarisierung, die den Blick verengt?
Das Buch ist ein Versuch, zwischen den Generationen verbindende Kommunikation herzustellen: Welche Wertschätzungen und gegenseitigen Austauschmöglichkeiten sind neben den Abgrenzungsmechanismen zwischen den Generationen zu orten?
Die Publikation unternimmt vorneweg eine Diskussion des inflationären Begriffes "Generation". Ist dieses überladene Konzept (dennoch) zu gebrauchen? Was macht seinen Erfolg aus? Welche Mythen werden damit geschrieben? Welche kollektiv wie individuell identitätsstiftende Funktion beinhaltet diese Konstruktion?
Längst nicht mehr gilt die Definition der Ablösung sogenannter Alter durch Junge. Generationen umfassen mittlerweile immer kürzer werdende Zeitabstände und erfahren Begriffserweiterungen wie beispielsweise "Zweite Generation und kulturelle Identität" oder "Generation und Prozesse der Berufswahl". Wer kennt sie nicht die 68er-Generation, die Generation X, die Golf Generation - und wer kennt sie wirklich? Wofür stehen diese Konstrukte, basierend auf der Kategorie "Generation"? Sie schaffen Ordnung in unseren Köpfen und geben vor, was von welcher Generation zu halten ist. Sie schaffen jedoch auch identitätsstiftende Orientierungen - bisweilen erst nachträglich. "Angesichts der wachsenden Dynamik geschichtlicher Erfahrungen werden in immer kürzeren Abständen neue Generationszusammenhänge evoziert, die eine, wenn auch nur flüchtige, Gruppenzugehörigkeit etablieren, ein Wir-Gefühl erzeugen, ein eigenes Territorium abstecken können."
Die Versprechen des Eingangskapitels machen neugierig, werden jedoch von den einzelnen Artikeln ungleich eingelöst. Die Aufsätze in diesem Band sind - wie könnte es anders sein - sehr verschieden in bezug auf Zugangsweisen und ihre Ausrichtungen. Großteils verfahren sie deskriptiv-phänomenologisch. Wer sich eine analytische Zugangsweise oder Erklärungen erwartet, wird nicht ganz auf seine Rechnung kommen. Wenn da etwa die Rede davon ist, der Generationskonflikt sei in erster Linie ein Kommunikationskonflikt. Die Sprache spricht sich selbst, ihr ist das Unbewusste eingeschrieben. Die Konfliktgenese wird an anderen Orten zu suchen sein. So bleiben manche Arbeiten eher in der Tradition der Frauenforschung. Sie beschreiben Lebensverhältnisse von Frauen unter Einbeziehung der Kategorie "Geschlecht", ohne jedoch eine Genderperspektive miteinzubeziehen. Diese würde bedeuten, die Alltagspraxen von Generation bei Frauen und Männern nachzuzeichnen und zu einer diskursiven Zusammenführung zu bringen.
Die Stärke der Aufsatzsammlung besteht meines Erachtens darin, dass sie die Kategorie "Generation" - zumindest weitgehend - als Konstrukt denkt und dass z. B. "Alter" ebenfalls auf die Kategorie "Geschlecht" hin beschrieben wird. Auch wenn die Zentrierung um die Kategorie "Geschlecht" als solche vielleicht erklärungsbedürftig ist, bietet sie dennoch die Grundlage hegemonialer Machtverteilungen in unserer Kultur. Keineswegs entbindet die Einbeziehung der Kategorie "Geschlecht" jedoch von der Fragestellung nach den Funktionsmechanismen der Geschichtsschreibung. Geht es "nur" darum, der "männlichen Linken" um Rudi Dutschke und Co. die Etablierung der zweiten Frauenbewegung gegenüberzustellen?
Die Aufsatzsammlung gewährt außerdem Einblicke in individuelle Verarbeitungsmechanismen von Generationszusammenhängen etwa mittels biographischer Interviews wie auch kollektiver Zusammenführungen.
Insgesamt lebt der Sammelband von seiner transdisziplinären Mischung und wirft interessante, teilweise kritische Aspekte auf die den Generationskonzepten eingeschriebenen Geschlechterverhältnisse.
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