Rupert Weinzierl: Fight the Power! Eine Geheimgeschichte der Popkultur und die Formierung neuer Substreams.

Wien: Passagen Verlag 2000. (Passagen Gesellschaft). 286 S. ISBN 3-85165-446-3. Preis: ATS 448,-/DM 64,-/sFr 64,-.

Autor/innen

  • Helmut Neundlinger

Abstract

Poptheorie ist der Zweig der Cultural Studies, auf dem ihr Herzblatt wächst. Das hat zwei einleuchtende Gründe: Erstens kann sich der/die Pop-Theoretiker/in wissenschaftlich mit Dingen auseinander setzen, denen sie sich unter nicht-wissenschaftlichen Voraussetzungen affektiv hingibt (Stichwort: Lieblingsmusik!), und zweitens bemüht er/sie sich um Phänomene, die für andere Wissenschaften aufgrund ihrer Neigung zur Kurzfristig- und Einmaligkeit kaum zu fassen sind. Ergo: Hier kann er/sie beinahe konkurrenzlos zeigen, was er/sie drauf hat!

Die beschriebene Ausgangslage verlangt einem in herkömmlichen geisteswissenschaftlichen Disziplinen Aufgezogenen Respekt und Neid ab. Der/die Poptheoretiker/in operiert mit der fundamentalen Vorläufigkeit, d. h. er/sie muss Diskursformen kultivieren, die im akademischen Betrieb Underdogs sind, weil ihnen der Ruf des Literarischen anhaftet. D. h. aber auch, dass anspruchsvolle Pop-Theorie nicht weniger gratwandert als jede andere wissenschaftliche Produktivität. Sie muss Günde für jede noch so flüchtige Begriffsbildung vorbringen und in der Bewertung dessen, was dem Herzen am nächsten ist, literarische Distanz bewahren (d. h. über die Beastie Boys so schreiben wie Arno Schmidt über Karl May).

Fight the power! Eine Geheimgeschichte der Popkultur und die Formierung neuer Substreams von Rupert Weinzierl scheitert sowohl im letzteren als auch im ersten. Ein Hauptgrund für dieses Scheitern liegt darin, dass der Autor die beiden Sphären Begriffsbildung und Beschreibung, im weitesten Sinn also Theorie und Anschaulichkeit, fast vollständig auseinander dividiert. Das macht die Theorie vage und die Anschaulichkeit privat.

Weinzierls theoretischer Ansatz ist, kurz umrissen, eine Kritik an klassischen Ansätzen der Subkulturtheorie. Sein Hauptargument diesbezüglich ist, dass es die homogenen Subkulturen, wie sie sich in den 60ern und 70ern etabliert haben, nicht mehr gibt. Er schlägt vor, den Begriff der Subkultur durch den der "temporary substreams" zu ersetzen. Die theoretische Erzählung konstruiert sich hier selbst, indem sie Kontinuitäten konstruiert: Substreams sind das, was früher Subkulturen waren, nur eben etwas ganz anderes. Dadurch, dass der Begriff der "temporary substreams" zunächst aus der Diskussion theoriebildender Cultural-Studies-Zirkel abgeleitet wird, fehlt ihm das konkrete Profil. Wohl kommt gleich am Anfang die "volkstanz.net"-Bewegung der sich gegen die rechtsextreme österreichische Bundesregierung formierenden Widerstandsfront ins Spiel, aber gerade hier verabsäumt es Weinzierl, Rezentes mit Allgemeinem zu verbinden. Obwohl er aktives Mitglied dieser Bewegung ist, erfahren wir wenig bis gar nichts über die konkreten Formierungszusammenhänge. Seine Darstellung speist sich weniger aus Beobachtungen, sondern aus vagen Einschätzungen, Vermutungen und Postulaten. Sätze wie: "Ideologisch stützen sich die VolkstänzerInnen, die gegen die rechte Regierung in Österreich und jegliche Form von Rassismus auftreten, auf die Hegemonietheorien von Gramsci und deren Weiterentwicklung durch Stuart Hall sowie Chantal Mouffe und Ernesto Laclau" sind stilbildend. Offen bleiben dagegen Fragen wie: Welche Leute sind involviert? Wie kommt es zu dieser von Weinzierl behaupteten theoretischen Grundierung? Wie laufen die Diskussionen innerhalb der Gruppe ab? Oder "geschieht" die Positionierung von "Volkstanz" nicht eher auf einer performativen Ebene (was ich für wahrscheinlicher und sympathischer halte)? Mein Misstrauen solchen Sätzen gegenüber bezieht sich auf das kausale Verhältnis, das sie konstruieren. Ich glaube, dass Konzepte wie "Volkstanz" schneller, intelligenter und angemessener auf politische Zu- und Umstände reagieren als die Theorien, die Weinzierl ins Treffen führt. Ich würde sogar noch weitergehen und behaupten, dass diese Theorien dazu neigen, manifeste Bewegungen für sich zu vereinnahmen und sich im Nachhinein als Sprachrohr dieser Bewegungen aufzudrängen. Das sieht man allein an ihren normativen und affirmativen Begrifflichkeiten ("Hegemonie" etwa).

Gerade anhand des Beispiels von "volkstanz.net" hätte es Weinzierl in der Hand gehabt, ein Bild von dem zu entwickeln, was er unter "temporary substreams" im Gegensatz zu den klassischen Subkulturen versteht. Was mir an dieser Stelle fehlt, habe ich in meiner Einleitung schon angedeutet: Wo bleibt die literarische Intervention zwischen Reflexion und Involvierung? Wo bleiben die flüchtig aufgeschnappten Statements von VolkstänzerInnen, die Schnappschüsse, der "Abfall der Geschichte", um es mit Benjamin zu sagen? Ich kann mich an ein vom Falter inszeniertes Gespräch zwischen der "alten" und der "neuen" Widerstandsgeneration vom Februar letzten Jahres erinnern. Da saßen einander Georg Hofmann-Ostenhof und Peter Pilz als Haudegen und Tanya Bednar (Mitbegründerin von "volkstanz.net"), Nora Sternfeld ("Gettoattack") und Sonja Grusch (SLP) als "newcomer" gegenüber. Auch wenn die Diskussion sehr plakativ verlief, entstand daraus ein durchaus repräsentatives Standbild der Bewegung. Zwei schon etwas sentimentale Herren erzählen von ihren Schlägereien mit Burschenschaftlern in den 70ern, während es v. a. Bednar und Sternfeld um eine Reflexion der gegenwärtigen politischen Praxis geht. Fragen wie: "Darf auf Demos getanzt werden?" (Bednar und Sternfeld hatten an dieser Stelle mehr mit Grusch als mit Pilz und Ostenhof zu kämpfen, was zeigt, dass die Trennlinien zwischen homogenen Subkulturen und heterogenen Substreams nicht nur zwischen Generationen verlaufen) würde ich im Zusammenhang mit Weinzierls Argumentation als signifikant bzw. substanziell bezeichnen. Gerade die ersten Monate des österreichischen Widerstands waren in Hinblick auf taktische, strategische und inhaltliche Diskussionen ein gefundenes Fressen für eine Reflexion historischer und gegenwärtiger Dilemmata linker politischer Ausdrucksformen.

Als empirischer "Beweis" der Existenz temporärer Allianzen auf dem Gebiet des politischen Pop fungiert ein von Weinzierl erstellter und an popkulturelle und -politische ProponentInnen verschickter Fragebogen. Die Bandbreite der Fragen reicht von: "Glauben Sie, dass Popkultur das Leben lebenswerter macht?" bis "Hilft die Einbindung in neuartige subkulturähnliche Formationen bei der Überwindung von Klassenunterschieden?" Die Fragen sind, wenn ich das mal verkürzend und überspitzend sagen darf, so gestellt, dass sie das normative Profiling suggestiv unterstützen, das Weinzierl im theoretischen Teil für die "substreams" entwickelt. Wenig überraschend resümiert er die statistische Auswertung so: "Ich bin über die Ergebnisse sehr erfreut, weil sie meine Hypothesen über neue subkulturähnliche Formationen zum Großteil stützen." Über die Antwortenden erfahre ich außer Geschlechts- und Altersstreuung nichts. Warum hat sich Weinzierl an dieser Stelle nicht dazu aufgerafft, seine "Hypothesen" wirklich diskursiv mit anderen Realitäten zu konfrontieren, sprich, Interviews mit Leuten zu führen und diese anstelle des abstrusen Fragebogens abzudrucken? So drückt er sich um eine Reflexion der Voraussetzungen seines eigenen Blicks herum und erfüllt idiosynkratisch den Status Quo halbseidener sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschungspraxis. Wenn Weinzierl sich kritisch mit der Theoriebildung auseinander setzt und für eine Wahrnehmung neuer Strömungen argumentiert, wieso überprüft er nicht anhand seiner Thesen das überlieferte wissenschaftliche Instrumentarium?

Im dritten Teil erzählt Weinzierl das, was er im Untertitel schon versprochen hat, nämlich eine Geheimgeschichte der Popkultur. Hier könnte ein Netz an vergleichenden und historischen Links zur Formation der "substreams" entstehen. Einiges wird auch angedeutet, zum Beispiel die signifikante Stellung der Asian Dub Foundation als repolitisierendes Kollektiv. Wie bei "volkstanz.net" wird normativ formuliert, worum es sich bei der ADF handelt, die Clues werden nicht oder nur halb preisgegeben. Wer zum Beispiel ist Satpal Ram? Aus den Andeutungen im Buch entnehme ich, dass es sich um einen politischen Gefangenen handelt, der für die ADF eine zentrale Rolle in ihrer Politisierung gespielt hat. Es hätte einer Fußnote bedurft, um für Nichteingeweihte darzustellen, warum er "bedauernswert" ist, wie Weinzierl schreibt (ein in politischen Zusammenhängen übrigens fahrlässiges Adjektiv).

Die Geheimgeschichte der Popkultur berichtet zwar über viele spannende AußenseiterInnen v. a. des amerikanischen Undergrounds, sie stellt aber kaum Beziehungen im Sinne einer reflektierten Geschichtsschreibung her. Wenn Weinzierl gleich zu Beginn den Anspruch auf Vollständigkeit in den Wind schlägt (was ja durchaus zu argumentieren wäre), so tut er es auf eine Weise, die nahtlos an seine theoretischen Willkürlichkeiten anschließt: "Reklamationen wegen Auslassungen und blinde Flecken gerade bei Ihrem Favoriten weise ich bereits im vorneherein kategorisch zurück - jede Heldensage kann sich nur auf wenige Ikonen beschränken, so viel Apodiktik muß auch 2000 sein ..." Ich sage: So viel Schlampigkeit in der Sprache ("im vorneherein") und im Denken darf auch 2000 nicht sein. Weder geht es um Vollständigkeit noch um Heldensagen. Es geht, wenn ich das Unternehmen dieses Buches ernst nehme, um eine Genealogie der "temporary substreams" und im Besonderen um die Frage, ob und wie sich in der Geschichte des Pop historisches und politisches Bewusstsein manifestiert. Hubert Fichte hat über den Voodoo geschrieben, er sei täglich praktizierte Pop-Art, weil der Kult permanent aus Versatzstücken anderer Religionen und rituellen Praktiken neu zusammengebosselt werde. Insofern könnte man beim Voodoo von einer kritischen Praxis sprechen. Für mich lässt sich diese Beschreibung auch auf Phänomene des Pop ausdehnen. Weinzierl selbst spricht mehrmals davon, dass die hegemoniale Stellung der Musik innerhalb der Popkultur Geschichte sei. Das ist eine wichtige und folgenreiche Beobachtung, leider beinahe folgenlos für seine Geschichtsschreibung. Er hantelt sich von Album zu Album und löst damit zumindest ein Versprechen ein, nämlich jenes, das mir in dem Zusammenhang am entbehrlichsten scheint: Apodiktik gibt es bis zur Überdosis, auch dort, wo er vermeintlich kritisch wird (kritisch in dem Sinn, dass die letzten Alben von Sonic Youth nicht mehr so toll seien wie ihre frühen radikalen Meisterwerke). Was auf der Strecke bleibt, sind die zwischen den zu Knotenpunkten vergoldeten Alben statthabenden Transformationen, die Verflüssigung von Zeichen und Codes, der innerhalb des Pop täglich praktizierte Pop.

Autor/innen-Biografie

Helmut Neundlinger

Geb. 1973 in Grieskirchen (OÖ.). Studium der Philosophie in Wien 1992-1998. Abschließende Diplomarbeit über den Renaissancephilosophen Giordano Bruno (Das Dazwischentreten der Bilder). Seit 1994 Mitglied der Musikgruppe Abado & Co. Auftritte im In- und Ausland, CDs Kreise und Rainspotting (erschienen 1996 und 2000 bei Extraplatte Wien). Mitbeteiligt an der Produktion der CD bei uns dahoam des Dichters Christian Loidl (erschienen 1998 bei der edition selene). Mitbeteiligt an der Produktion der Theatermusiken für Fräulein Julie und Während wir drei leerbluten im März bzw. Mai 1999 im Theater "Gruppe 80". Komposition und Produktion der Theatermusik für Disco Pigs von Enda Walsh für die österreichische Erstaufführung im Linzer Landestheater im September 1999. Veröffentlichung von Kurzprosa in den Facetten 96, 97 und 99 (Literarisches Jahrbuch der Stadt Linz) und in kursiv - kunstzeitschrift aus oberösterreich.

Publikationen:

"Innen und außen: Geschlecht und Geschäft. Literarisierte Orte der Leopoldstadt." In: Wien II., Leopoldstadt. Die andere Heimatkunde. Hg. v. Werner Hanak. Wien u.a.: Brandtstätter 1999. "Musik als Umgebung. Funktion und Bedeutung der Musik Franz Eugen Kleins." In: Kringel, Schlingel, Borgia. Materialien zu Peter Hammerschlag. Hg. v. Monika Kiegler-Griendsteidl u. Volker Kaukoreit. Wien: Turia und Kant 1997 (Österreichisches Literaturarchiv - Forschung. 1).

Veröffentlicht

2001-02-20

Ausgabe

Rubrik

Kulturwissenschaft