Andreas Kotte (Hg.), Theater im Kasten. Rimini Protokoll - Castorfs Video - Beuys & Schlingensief - Lars von Trier.
Zürich, Chronos Verlag 2007. (Materialien des ITW Bern: 9) ISBN 978-3-0340-0876-1. 340 Seiten. Preis: € 35,80.
Abstract
Wird Theater zum Film, wenn – wie bei Castorf, Hartmann, Pucher – auf der Bühne Videokameras und Projektionsflächen eingesetzt werden? Wird Film zum Theater, wenn – wie bei Lars von Triers Dogville – Konventionen und Ästhetiken von Theater übernommen werden? Wie lassen sich die Grenzgänge zwischen Theater und Stadtraumaktion bei Rimini Protokoll oder zwischen Theater und Politik bei Joseph Beuys und Christoph Schlingensief begrifflich fassen?
Diesen Fragen stellt sich das Buch Theater im Kasten, das Andreas Kotte, Direktor am Institut für Theaterwissenschaft der Uni Bern im Chronos Verlag herausgegeben hat. Der Band umfasst fünf eigenständige Arbeiten sowie einen Anhang mit Interviews und einem exemplarischen Sequenzprotokoll. Jede einzelne der Arbeiten, als Lizentiatsarbeiten an der Uni Bern entstanden, besticht durch ausführliche und präzise Aufführungs- und Ereignisbeschreibungen, durch fundierte historische Kontextualisierungen und umfangreiche Materialdarstellungen. Theoretische Referenzen und Reflexionen hingegen sind, bestätigt Andreas Kotte im Vorwort, stark gekürzt worden. Zum einen, um Wiederholungen zwischen den sich überschneidenden Themen der Arbeiten zu vermeiden, vor allem aber, weil "die dichten Beschreibungen von Inszenierungen [...] als Bezugsgrössen stärker präsent [bleiben] als die bei jedem Paradigmenwechsel re-formulierten und dadurch scheinbar stets aktuellen Bewertungen" (S. 10).
Die konservative – im Sinne von 'bewahrende' – Haltung von Kotte zeigt sich nicht nur im Verhältnis von 'Beschreibung' und 'Bewertung' (als ließen sich diese so einfach trennen), sondern auch in dem von 'Theater' und 'Medien'. "Den Mediengebrauch im Theater zu erforschen […] ist gerade dann unerlässlich, wenn man Theater nicht für ein Medium hält" (S. 7). Kotte möchte die Schnittstelle zwischen Theater und Medien als Reibungsfläche für verschiedene Theaterbegriffe nutzen, so fragt er: "Was passiert eigentlich, wenn szenische Vorgänge mediatisiert werden, wenn sich Theater in die Kästen verkriecht? Ins Telefon, in die Videokamera, […], in den Filmprojektor?" (S. 7)
Für eine inhaltliche Auseinandersetzung freilich muss der Kasten des Filmprojektors verlassen und der Blick auf die Leinwand gerichtet werden. "Sehe ich einen Film oder bin ich schon im Theater?" lautet der kenntnis- und beispielreiche Beitrag von Sonja Eisl, die sich vielseitig am Genre 'Theaterfilm' abarbeitet.
'Theaterfilm' sieht Eisl als "Oberbegriff für Filme, die sich durch Aspekte von Theater oder Theatralität auszeichnen sowie für Filme, die sich theatraler Strategien bedienen oder diese thematisieren" (S. 35). Offen bleibt, warum es eines Genres 'Theaterfilm' überhaupt bedarf, worin dessen Chancen und Risiken liegen. Neben Filmen, die Schauspieler- und Theaterwelten als Sujet behandeln (All about Eve, To Be or Not to Be etc.) wird das Etikett auf Filme geklebt, die auf einer ursprünglich fürs Theater produzierten Dramenvorlage beruhen (Romeo and Juliet etc.) sowie auf Filme wie La vita è bella oder Le Fabuleux Destin d'Amélie Poulain, denen Inszenierungs- und Stilmittel des Theaters zugeschrieben werden. Eisl verpasst die Gelegenheit, sich kritisch mit möglichen Grenzziehungen auseinander zu setzen, obgleich sich ihr erstes Beispiel, Lars von Triers Dogville, dafür durchaus geeignet hätte. Statt dessen arbeitet sie in ihrer Analyse sehr schön wesentliche Charakteristika des Filmes heraus und erläutert plausibel, wie und warum gerade der weitgehend realistisch-psychologische Schauspielstil innerhalb des theatral-stilisierten, anti-realistischen Raumes eine Umkehrung erfährt und als künstlich und befremdend erfahren wird.
Als zweites Beispiel dient ihr Von Triers Idioterne. Eisl plädiert dafür, dass sich die Theaterwissenschaft des Theaterfilmes annehmen solle, weil "keine andere Wissenschaft über derart profunde Analyseinstrumentarien […] bezogen auf Theater und Theatralität verfügt" (S. 82). Die Definitionskriterien indes, die Eisl anführt (Fischer-Lichtes "Kopräsenz" und Kottes "szenische Vorgänge" und "Konsequenzverminderung") sind nicht unbedingt hilfreich für eine Analyse von Idioterne. Handelt es sich tatsächlich, nur weil junge Menschen so tun, als seien sie behindert, um einen Theaterfilm? Gilt gleiches für Filme über Heiratsschwindler und Geheimagenten? Wenn die Schwierigkeit, Theater zu definieren, auf ein unscharf bleibendes Genre 'Theaterfilm' ausgeweitet wird, ist wenig gewonnen. Viel jedoch, wenn – wie Eisl das immer wieder hervorragend gelingt – mit theaterwissenschaftlichem Instrumentarium Filmelemente analysiert werden, die sich theatraler Konventionen bedienen.
Das Spiel mit audiovisuellen Medien auf der Bühne analysiert Silvie von Kaenel in ihrem Beitrag "Was vermag Video auf dem Theater? Stefan Pucher – Matthias Hartmann – Frank Castorf". Als Material dienen ihr die Inszenierungen Homo Faber (Zürich 2004), 1979 (Bochum 2003) und Der Meister und Margarita (Wien/Berlin 2002). Alle drei Inszenierungen werden präzise dokumentiert und anschaulich beschrieben. Von Homo Faber findet sich im Anhang beispielhaft ein Sequenzprotokoll, das die zweistündige Inszenierung in drei Beschreibungsebenen und 37 Sequenzen gliedert. Das Bemühen um 'objektiv-wissenschaftliche' Berichterstattung führt u. a. auch zu einer Tabelle zum Inszenierungsvergleich, in der die Anzahl der Videosequenzen ebenso vermerkt ist wie die prozentuale Videoeinsatzdauer oder die Dauer der jeweils längsten Videosequenzen.
Dieser auf Zahlen vertrauenden Objektivierung steht die Subjektivität der "Rezeption durch die Tagespresse" gegenüber, die Von Kaenel in Bezug auf 1979 wie folgt kontrastiert: "Das Videospiel verdrängt das Schauspiel, stützt es wesentlich oder wächst mit ihm zu einem Gesamtkunstwerk zusammen. Video verdoppelt, vergrössert, verfremdet, konkurrenziert, kommentiert […]. Video geht den Figuren tiefer auf den Grund oder verstärkt die Distanz zwischen [zu?] ihnen." (S. 126 bzw. 154) Wie ist bei derart verschiedenen Wahr-Nehmungen ein Nachdenken über die Wirkungen von Video auf dem Theater möglich?
Von Kaenel stellt systematisch dieselben Fragen an alle drei Inszenierungen. Dabei geht es ihr um die 'Einsatzformen von Video' und darum, 'Was Video erzählt'. "Wie gehen die Schauspieler mit Kamera und Leinwand um? Wie beeinflusst das Video die Wahrnehmung des Zuschauers? […] Wie wirken sich die Videosequenzen auf den Inhalt aus? Wie auf die Dramaturgie?" (S. 94).
Während diese Fragen in klare und interessante Antworten münden, erscheinen weitere Fragestellungen eher problematisch: ob Videoeinsatz die "Performativität" der Aufführung begünstige und ob er ihre "Bildhaftigkeit" verstärke, kann nicht plausibel beantwortet werden, solange beide Begriffe schwammig bleiben. Auch die Hypothese, der beschriebene Videoeinsatz sei überwiegend "intermedial" (im Gegensatz zu "bloss multimedial") bleibt aufgrund fehlender Begriffsklärungen undifferenziert. Anhand des (leider ebenfalls unklaren) Begriffes der "Authentizität" formuliert Von Kaenel indes interessante Ambivalenzen: Einerseits werde Theater gerade aufgrund der Unvermitteltheit, der körperlichen Anwesenheit und der 'theatralen Feedback-Schleife' als authentisch erfahren (S. 138), andererseits erlaube erst die Videokamera den Blick auf intime Details und das Mikrophon ein privates Sprechen. Die Leinwand ermögliche "'Echtzeit, Gelassenheit, maximale gestische Privatheit' [und damit] 'Realmomente', wie sie allenfalls im Film bisweilen glückten" (S. 140).1
Meister von "Realmomenten" im Theater sind Helgard Haug, Stefan Kaegi und Daniel Wetzel, bekannt unter dem Label Rimini Protokoll. Miriam Ruesch untersucht in "Call Cutta – bei Anruf Kunst" deren 2005 entstandenes "The world's first Mobile Phone Theatre". Die Inszenierung Call Cutta lässt sich beschreiben als "Theatergang durch Kreuzberg, mit Rimini Protokoll und indischen Dienstleistern" sowie als "Mischung aus Stadtführung, Geschichtslektion, Telefonflirt und Selbsterfahrungstrip" (S. 164).2
Im Zehnminutentakt starten Zuschauer am Berliner Theater Hebbel am Ufer 2 zu einem einstündigen 'Audiowalk', geführt und angewiesen via Handy von einer Person in einem indischen Call Center. Dieses Erlebnis wird von Ruesch plastisch und präzise beschrieben und eingebettet in eine Auseinandersetzung mit der Arbeitsweise von Rimini Protokoll. Neben den begrifflichen Überlegungen, die Ruesch vor allem unter Bezugnahme auf Fischer-Lichte (Ko-Präsenz und Ereignishaftigkeit), Lehmann (postdramatisches Theater und metonymischer Raum) und Kotte (Hervorhebung und Konsequenzverminderung) anstellt, bilden besonders die Selbsteinschätzungen der Beteiligten in den von Ruesch geführten Interviews einen aufschlussreichen Zitaten-Schatz.
Helgard Haug ist wichtig, dass "Call Cutta im Rahmen von Theater" und nicht nur als "Stadtraumaktion" wahrgenommen werde (S. 199). Der Stadtraum werde, so Ruesch, bei einer traditionellen Stadtführung tendenziell als Wissensraum empfunden, bei Call Cutta hingegen als Erlebnisraum. Diese Raumunterscheidung wird um weitere Raumkonzepte von De Certeau, Lehmann, Löw und Roselt ergänzt. Ruesch differenziert außerdem physischen Raum und Wahrnehmungsraum, öffentlichen Raum und Stadtraum, visuellen und akustischen Raum, realen und imaginären, Gesprächs- und Kommunikations- sowie Handlungs- und Sinnesraum. Unter so viel "Raum" auf 13 Seiten leidet leider die Orientierung.
Interessant ist, wie Ruesch versucht, in den 'Gesprächsraum' einzudringen. Was geschieht im Persönlichen, Zwischenmenschlichen, und welche Rollenzuteilungen finden statt? Die Call-Center-Mitarbeiter haben zwischen vorgegebenen Textpassagen Frei-Raum zur Improvisation und zum spontanen, privaten Gespräch; angeblich sind daraus langfristige Kontakte und "Telefonfreundschaften" entstanden. Was ereignet sich im intimen Zweiergespräch zwischen den vorgegebenen Regieanweisungen? Wie ist diese spezielle Gesprächssituation überhaupt begreifbar? "Die Agenten in Call Cutta [...] telefonieren zwar für Geld [...], der Grund ihres Anrufes ist jedoch Kunst." (S. 196) Worin besteht der Unterschied zwischen der Dienstleistung Kunst/Theater und anderen Dienstleistungen wie der Telefonseelsorge oder dem Telefonsex? Interessant ist die Frage, wie sich das gleichermaßen Anonymität und Intimität versprechende Medium Telefon auf das Theater auswirkt – und welche Grenzen die Inszenierung über Globalisierung und grenzenlose Kommunikation dabei öffnet oder (er)schließt.
"Grenzgänge zwischen Kunst und Politik. Joseph Beuys und Christoph Schlingensief" lautet der Titel der gut recherchierten und eindrucksvollen Arbeit, in der Rahel Leupin offen legt, wie stark sich Schlingensief an Beuys orientiert. "Wir sind zwar nicht gut, aber da" (S. 280), sagt Schlingensief, und die Art, wie er und wie Beuys 'da' waren, wird von Leupin umfang- und zitatenreich dargestellt. Unter Einbeziehung der politischen Hintergründe, der inhaltlichen Aspekte und Ziele sowie der Reaktionen von Teilen der Öffentlichkeit (Zuschauer, Presse, Politiker) untersucht sie Aktionen von Beuys (vor allem sein Büro der Organisation für direkte Demokratie auf der documenta 5, 1972) und Schlingensief (vor allem seine Hamlet-Inszenierung, Zürich 2001).
Die Arbeit fragt nach den Anliegen beider Künstler sowie deren Realisationen, vergleicht das Auftreten der beiden unter dem Aspekt von Präsentation, Repräsentation und Selbstpräsentation. Dabei sieht Leupin Beuys vor allem (wie in Kassel 1972) in einem Raum "zwischen Atelier und Klassenzimmer" (S. 236), er trete auf wie ein Lehrer, "mit missionarischem Eifer von seiner Gesellschaftsalternative überzeugt" (S. 278). Schlingensief hingegen inszeniere sich als postmoderner Theaterclown, der Dekonstruktion anstrebe, ohne Alternativen und Visionen anzubieten, er "spielt ein Was-Wäre-Wenn-Spiel ohne über einen konkreten gesellschaftspolitischen Entwurf zu verfügen" (S. 284).
Deutlich wird dieser Unterschied unter anderem im Hinblick auf beider politisches Engagement, denn während Joseph Beuys Anfang der 1980er tatsächlich versucht habe, für die Grünen in den Bundestag zu gelangen, könne man nicht davon ausgehen, dass Schlingensief mit seiner Partei Chance 2000 im Bundestagswahlkampf 1998 tatsächlich ein politisches Mandat angestrebt habe.
Schlingensiefs Ausrufe à la "Tötet Helmut Kohl!" seien nicht nur PR-wirksame, bewusste Provokationen, die ihm kurzzeitige Verhaftungen eingebracht haben. In ihnen offenbare sich auch Schlingensiefs ambivalente Haltung: Einerseits behauptet er eine Verachtung für den arrivierten Kunst- und Theaterbetrieb und möchte "in die Gesellschaft rein", andererseits ziehe er sich, sobald es ernst werde, auf die (Narren-)"Freiheit der Kunst" zurück, nutze Theater als Ort der Konsequenzverminderung.
Als Gemeinsamkeit von Beuys und Schlingensief streicht Leupin heraus, dass beide zwar einerseits den traditionellen Kunstkontext sprengen wollten, ihn aber andererseits benutzen als rechtlichen Schutz sowie als Rahmen der Organisation und Finanzierung. Außerdem sei "beiden Künstlern […] gemeinsam, dass ihre Aktionen zwar einen einmalig unmittelbaren und spontanen Eindruck erwecken, trotzdem jedoch akribisch genau dokumentiert werden. Während Beuys dazu vor allem das Medium der Fotografie und des Films bevorzugte, braucht Schlingensief zusätzlich das Internet als Kommunikationsplattform und Instrument zur Öffentlichkeitsarbeit." (S. 277)
Im Rahmen dieses Buches wäre eine reflektiertere Analyse gerade der medialen Gesichtspunkte (als Beuys 1986 starb, war das Internet erst im Entstehen) wünschenswert gewesen: Welche Medien und Mittel wählen die beiden Künstler? Wie und warum werden Handzettel, Buttons und Plakate, Kreide und Tafel, Megaphon, Foto, Video oder Internet eingesetzt und wie beeinflussen die Kommunikationsformen – sowie der Rahmen des Museums, Theaters, Bildschirmes – die Aktionen, Ästhetiken, Wirkungen? Gerade die Aktionen auf der documenta 5 (Beuys) und documenta X (Schlingensief) sowie die Wahlkämpfe hätten sich unter medialen Aspekten gut vergleichen lassen.
Ein mangelnder Fokus aufs Mediale freilich ist den Autorinnen nicht vorzuwerfen, sind ihre Arbeiten doch als eigenständige Lizentiatsarbeiten entstanden und erst nachträglich zum "Theater-Kasten" zusammengewürfelt worden. Um eine Engführung der vier vorangehenden Arbeiten bemüht sich Nicolette Kretz in "Am I really here, or is it only art? Agierende und Schauende in der Aufführungsanalyse". Darin führt sie die in den anderen Arbeiten besprochenen Beispiele in aufführungsanalytischer Perspektive zusammen und entwirft eine (schau)bildliche Darstellung des Verhältnisses von Akteurshaltungen und rezeptiver Rahmung. Ist der Akteur "darstellend" oder eher nicht, und empfindet der Zuschauer die Aktion als "Theater" oder nicht?
Kretz erstellt ein zweidimensionales Koordinatensystem mit der "Haltung des Akteurs" auf der X- und der "rezeptiven Rahmung" auf der Y-Achse. Eine Handlung, die vom Akteur als Theater gemeint und vom Rezipienten ebenso wahrgenommen wird, situiert sich nahe dem Nullpunkt am Achsenkreuz. Sie entfernt sich von diesem nach rechts oder oben (oder beides), wenn entweder Akteur oder Rezipient (oder beide) nicht mehr der Meinung sind, dass es sich beim Getanenen oder Gesehenen um Theater handelt. Folglich kann ein eingetragener Punkt im Laufe eines Ereignisses wild im Koordinatensystem umherwandern, etwa einen Sprung vollführen in dem Moment der Erkenntnis bei Call Cutta, in dem Kretz bemerkte, dass sie "etwas für Theater [gehalten hatte], was in Wirklichkeit vollkommen ungespielt war" (S. 302). Anschaulich illustriert wird der Wechsel von Akteurshaltungen bzw. rezeptiver Rahmung anhand der vielschichtigen Arbeiten des libanesischen Künstlers Walid Raad und der Atlas Group.
Das Verfahren von Kretz schafft eine praktikable Möglichkeit, aufführungsanalytische Elemente zu systematisieren und zu visualisieren. In seiner Zweidimensionalität freilich bleibt das Modell unterkomplex. Zwar schlägt Kretz als dritte Achse und Dimension die der Medialität vor: "vom unmittelbaren Gegenüber über die audio-visuellen Medien hin zur grafisch unterstützten virtuellen Präsenz" (S. 315), dies bleibt jedoch eine unausgeführte Skizze. Außerdem fehlen im Modell Frame-konstituierende Aspekte des Raumes sowie eine Zeitebene, die eine Entwicklung berücksichtigen würde.
Interessant bis amüsant ist die Anwendung des Koordinatensystems auf prominente Definitionsversuche von Theater. Von den neun Feldern, in die Kretz ihr Diagramm unterteilt, werden demnach mit der Theaterdefinition von Bentley drei, von Lazarowicz ein, von Fischer-Lichte sechs und von Kotte achteinhalb abgedeckt.
Theater im Kasten besticht, wie aus den einzelnen Besprechungen deutlich wurde, durch ausführliche Beschreibungen theatraler Ereignisse, Anschaulichkeit und Materialintensität. Diese beschränkt sich auf Worte, es gibt keine Begleit-DVD und nur wenige Bilder in dem ansprechend gestalteten Hardcover-Band.
Theater derart "einzukasteln" bietet freilich Risiken, zumal es um ein Theater der Erweiterungen geht, ein Theater, das Platz braucht, das Grenzen zum Film, zur Stadtraumaktion, zur Politik hin sprengt, das Offenheit erfordert und keinen zu engen Rahmen. Dennoch: Das selbstformulierte Ziel des Buches, "Partikel des Flüchtigen" zu dokumentieren, wurde eingelöst, die Partikel sind feinsäuberlich gesichtet, sortiert und liebevoll ausgestellt. Theater im Kasten bietet keine Theorie des Theaters, aber vielleicht einen kleinen Baukasten dafür. Dass in der Zusammenstellung der fünf Lizentiatsarbeiten die theoretische Flanke offen bleibt, verweist auf das Praktische an einem Kasten: Im Gegensatz zur Kiste ist er nur an fünf Seiten geschlossen und an einer offen und ermöglicht so stets neue Zugriffe.
1 Von Kaenel zitiert hier Cornelia Niedermeier, "Der Satan hat den Blues", in: Die Tageszeitung, 20.06.2002.
2 Ruesch zitiert hier Jan Oberländer, "Wer ist der Feind deines Feindes? 'Call Cutta'", in: Der Tagesspiegel, 05.04.2005.
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