Felix Hofmann und Stephen D. Youngkin: Peter Lorre – Portrait des Schauspielers auf der Flucht.

(München: belleville, 1998). ISBN 3-923646-41-0.

Autor/innen

  • Elisabeth Streit

Abstract

Das elegant aufgemachte Buch macht neugierig auf die in zwei wissenschaftlichen Essays dargebotenen Ergebnisse der beiden Lorre-Forscher Felix Hofmann und Stephen Youngkin. Die Untersuchung, eine "deutsch-amerikanische Co-Produktion", versteht sich als Würdigung des Schauspielers Peter Lorre.

Felix Hofmanns Text gibt einen Einblick in das Berlin der 20er Jahre, wo die Karriere des jungen Schauspielers Peter Lorre beginnt. Seine ersten Meriten erwirbt er sich im Theater am Schiffbauerdamm als Fabian in Marieluise Fleissers Pioniere in Ingolstadt. Fritz Lang, von seinem schauspielerischen Können angetan, setzt Lorre in der Rolle des Kindermörders Hans Beckert in M-Eine Stadt sucht einen Mörder ein und entdeckt dessen Begabung für den Film. An dieser Stelle werden die ersten Mängel des Buches sichtbar. So erfährt man beispielsweise nicht, wann und wo Peter Lorre geboren wurde, für den Lorre-Kenner ein unwichtiges Detail am Rande, für Einsteiger allerdings sicherlich von Interesse. Es fehlt ein kurzer Abriß über Peter Lorres Jugend, sein Einstieg in die Welt des Theaters, seine Ausbildung bei Jacob Moreno, der als Vater des Psychodramas gilt und maßgeblich für die Namensgebung Lorres verantwortlich gewesen sein soll, werden nicht einmal erwähnt.

Peter Lorre wurde am 26. Juni 1904 als Ladislav Loewenstein, Sohn jüdischer Eltern, in Rózsahegy/Österreich-Ungarn geboren. 1914 übersiedelte die Familie nach Mödling bei Wien. Zunächst besuchte er eine Wiener Bürgerschule, dann die Handelsschule und begann anschließend eine Lehre in der Wechselstube einer englisch-österreichischen Bank. Dem bohemienhaften Leben eher als dem bürgerlichen zugetan, verbrachte Lorre seine Abende und Nächte in Theatern und Kaffeehäusern und lernte bei dieser Gelegenheit den Bruder Jacob Morenos kennen. Der genaue Verlauf der Namensänderung von Loewenstein in Lorre läßt sich nicht mehr nachvollziehen, es dürfte sich bei "Lorre" um eine spielerische Umwandlung des Wortes "Rolle" handeln.

Da im vorliegenden Band die Freundschaft zwischen Bertolt Brecht und Peter Lorre sehr ausführlich geschildert wird, wäre es spannend gewesen, Genaueres über Lorres Art der Rollenaneignung zu erfahren. Schließlich unterscheidet sich die Arbeit an Brecht-Stücken ja grundsätzlich von der Jacob Morenos (Stegreifspiel-Spontaneität-Intuition).

Da in Berlin gleich nach der Machtergreifung Hitlers im Jänner 1933 mit Hausdurchsuchungen bei Juden begonnen wird, reist Lorre überstürzt zu den Dreharbeiten für den Film Unsichtbare Gegner nach Wien und begibt sich danach von Österreich aus in die Emigration. Lorres weiterer Weg führt nach Paris, wo er vergeblich auf Rollenangebote wartet. Alfred Hitchcock holt den in Paris arbeitslosen Peter Lorre für The Man Who Knew Too Much nach London, von wo dieser geradewegs nach Hollywood gelangt. Anfangs wird Lorre dort noch sehr freundlich aufgenommen, sehr bald findet er sich durch die vorherrschende Studiopolitik jedoch auf die Rolle des "wahnsinnigen Mörders" festgelegt, da man in Hollywood von M-Eine Stadt sucht einen Mörder nur die Geschichte gehört, den Film aber nie gesehen hat.

Wer sich mit dem Thema und der Bedeutung der Emigration für Künstler schon einmal auseinandergesetzt hat, findet in den beiden Essays leider keine neuen Erkenntnisse. Positiv vermerkt sei das Bemühen der Autoren, die historischen Ereignisse und Umstände, denen der Schauspieler ausgesetzt war, anschaulich darzustellen. Zu oft driften die Texte der beiden Autoren, sie umspannen einen fast identischen Zeitraum (Berlin - Hollywood - Rückkehr nach Deutschland - Resignation und Tod), allerdings ins pathetisch Überhöhte ab. So ist nach der Lektüre nicht klar, wieso man zweimal einen zwar mit inhaltlich divergierenden Schwerpunkten, aber trotzdem ähnlichen Text zu lesen bekommen hat.

Vielleicht verleitet auch das in dunklem Blau gehaltene Cover des Buches, auf dem Peter Lorres Gesicht nur zur Hälfte schemenhaft-geheimnisvoll zu sehen ist, dazu zu glauben, bisher völlig Unbekanntes über Peter Lorre und sein Verhältnis zu seinen Rollen zu finden, statt einmal mehr das Klischee vom verbrauchten Schauspieler kredenzt zu bekommen.

Wirklich ärgerlich finde ich aber, daß man - abgesehen von der Film- und Fernsehgraphie - keinen ausführlichen und präzisen bibliographischen Anhang vorfindet. Denn jeder, der Lust auf Lorre bekommen hat, weiß nach der Lektüre des Buches nicht, wo er weitere Informationen erhalten könnte. Überdies werden Zeitungsausschnitte im Text zwar als solche ausgewiesen, scheinen aber im Quellenverzeichnis nicht mehr auf.

So bleibt der Gesamteindruck des Buches indifferent: Für Lorre-Liebhaber ist kaum Neues zu finden, und von Lorre-Neueinsteigern werden zu hohe Vorkenntnisse erwartet. Stimmig ist das Buch in der Vermittlung von Zeitbildern, die dazu beitragen, manchmal doch über die Schwachstellen im Text hinwegzusehen.

Autor/innen-Biografie

Elisabeth Streit

Elisabeth Streit ist Bibliothekarin und Filmvermittlerin im Österreichischen Filmmuseum. Mitarbeiterin bei kinoki/Verein für audiovisuelle Selbstbestimmung.

Publikationen:

(Auswahl)   Elisabeth Streit, "Nein, nein, ich will das bleiben, was ich bin. Ein Auftritt in Wien". In: Sprache der Liebe. Asta Nielsen, ihre Filme, ihr Kino 1910–1933. Hg. v. Heide Schlüpmann u. a. Wien: Filmarchiv Austria 2010.   –, "En miniature – Joe Berger im Film". In: "Denken Sie!" – Interdisziplinäre Studien zum Werk Joe Bergers. Hg. v. Julia Danielczyk/Thomas Antonic. Klagenfurt: Ritter 2011.   –, "Spektakel & Selbstermächtigung". In: an.schläge. Das feministische Magazin (Heft 07-08/11). Wien 2011, S. 20f.

Veröffentlicht

2000-01-20

Ausgabe

Rubrik

Film