Christian Horn: Der aufgeführte Staat. Zur Theatralität höfischer Repräsentation unter Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen.
(Theatralität 8). Tübingen und Basel: A. Francke Verlag, 2004. ISBN 3-7720-8053-7. 226 S. Preis: 39,90 €/sfr 67,50.
Abstract
Um es vorwegzunehmen: Wer sich unter der von Christian Horn nun im Druck erschienenen Dissertation über die Theatralität höfischer Repräsentation unter Kurfürst Johann Georg II. von Sachsen einen monographischen, positivistisch-deskriptiven Ablaufplan oder Beschreibungen von Theatralia und Festen am Dresdner Hof erwartet, könnte von dieser Publikation enttäuscht sein. Entstanden ist vielmehr eine theoretisch ebenso beflissene wie solide Studie, die anhand nur weniger Beispiele besonderes Augenmerk auf spezifische Erscheinungsformen des höfischen (Früh-)Absolutismus am sächsischen Hof legt.
Bereits der Titel legt nahe, dass der Autor einen anderen, totaleren Zugang zum Begriff "Theatralität höfischer Repräsentation" sucht. Erstaunlicherweise - und dies mag als einziger Mangel der Arbeit beurteilt werden - wirken die Thesen des Autors am unmutigsten in seiner theoretischen Einleitung, die sich eben jenen Definitionsversuch von "Theaterbegriffen der Neuzeit" zur Aufgabe stellt. Viele Begriffe werden angerissen und bemüht; sie alle besitzen gewiss ihre Berechtigung. Es trägt allerdings nicht zur Stringenz der Argumentationslinie bei, Bezeichnungen wie "Allegorie", "Inszenierung" und den inflationär verwendeten und mittlerweile unbrauchbaren Begriff des "Theatrum mundi" auf einigen, wenigen Seiten abzuhandeln.
Ob Vergleiche mit Performancekünstlerinnen unserer Zeit tatsächlich die Klarheit schaffenden Analogien zur absolutistischen Repräsentation herstellen, sei dahingestellt. Als bedeutend logischer erwiese sich, das klar oppositionell zum Absolutismus positionierte Selbstverständnis bürgerlicher Ästhetik in Frage zu stellen. Niemals fand dies klarer und plausibler statt als in der historischen Avantgarde.
Umso überzeugender wird die Studie dann, wenn es um die Analyse der konkreten Erscheinungsformen höfisch-absolutistischer Festkultur geht. Dabei darf ein mit "Exerzieren" betiteltes Kapitel als Höhepunkt hervorgehoben werden. Darin widmet sich der Autor den nicht nur am Dresdner Hof besonders beliebten "Verkehrungsfesten", etwa "Königreichen", "Wirtschaften" und "Bauernhochzeiten", in welchen die höfische Gesellschaft in eine andere Rolle schlüpfte als in jene, die der höfische Alltag ihr Tag für Tag aufzwang. Das Los entschied, welche (nicht standesgemäßen) Rollen der Souverän und die anderen Hofmitglieder zu spielen hatten. Allerdings wurden auch hier nur scheinbar die Regulative höfischen Alltags aufgehoben: Denn bereits im Vorfeld definierte niemand anderer als der Herrscher selbst die Verhaltensregeln. Es ging also in diesen vermeintlich zur Zerstreuung der Hofgesellschaft organisierten Festlichkeiten nicht darum, Freiräume des strengen Alltags zu finden, sondern vielmehr wurden die Höflinge vor die Herausforderung gestellt, sich in einer neuen Rollengestaltung zu beweisen und somit Rückschlüsse auf die Fähigkeit zuzulassen, wie sehr die eigentliche Lebensrolle bei Hofe bewältigt werde. "Wirtschaften", "Bauernhochzeiten" und "Königreiche" waren somit für die strenge höfische Hierarchie konstituierend.
Im abschließenden Kapitel widmet sich der Autor der Problematik, den absolutistischen Repräsentationsbegriff gegen dessen inflationären Gebrauch seit der antiken Jurisdiktion abzugrenzen. Seine These lautet, dass absolutistische Repräsentation nicht nur Ausdruck, sondern Abbild der Wirklichkeit sein sollte. "Der Fürst inszenierte sich durch Aufführungen, um seine Macht nicht nur darzustellen, sondern als physische Erfahrung zu vermitteln", (S. 157) so ein Gedankengang, den der Autor eingehend am Beispiel des Staunens bei der Beobachtung von Feuerwerken verdeutlicht.
Entgegen der neuzeitlichen Errungenschaft, den Verweischarakter der Repräsentation zu betonen und weniger auf die vergegenwärtigende Kraft Wert zu legen, nahmen die absolutistischen Herrscher Anleihen in der seit Jahrhunderten bewährten christlichen Liturgie. Das "corpus mysticum" (auch "corpus repraesentatum" genannt), etwa die Hostie in der Messe, musste als reale Wiederkehr des "corpus Christi verum" versinnbildlicht werden. Nicht nur Stellvertretung, sondern Vergegenwärtigung sollte das Ziel repräsentativer Darstellung sein. Damit erwies sich eine Unterscheidung zwischen Sein und Schein innerhalb der höfischen Eliteschicht als undurchführbar. Dies lässt Rückschlüsse auf den frühneuzeitlichen Theatralitätsbegriff zu , der jegliche Form der öffentlichen Zurschaustellung miteinbezog und somit weit über den sich kanonisierenden Theaterbegriff des 18. Jahrhunderts hinausging.
Wenn allerdings die Stellvertreterfunktion nicht zutrifft, so stellt sich die grundsätzliche Frage nach der Notwendigkeit des "corpus naturale", der physischen Präsenz eines Fürsten innerhalb eines Systems, das an jeder Stelle, an jedem Ort und mit jeder Geste die dignitas des Fürsten zu repräsentieren hat. Der Zeremonialwissenschaftler Stieve erkannte diese Lücke, die einen Machtapparat der Repräsentation sich selbst genügen hätte lassen können. Die Strahlkraft der Monde sei doch eine ganz andere als die der Sonne selbst, von der alles Licht ausgeht, so seine Rechtfertigung. Mit dieser kategorischen Behauptung begnügt sich pragmatischerweise auch der Autor, wenn er feststellt, dass die leibliche Präsenz des Souveräns sich jeglicher Konvertierung entziehen musste.
Höfische Repräsentation diente zur Schaffung und Affirmation einer sozialen Realität - so hat die Absolutismusforschung das höfische Zeitalter seit Jahrzehnten beleuchtet. Dass der theoretische Diskurs noch längst nicht abgeschlossen ist, beweist Christian Horns bereichernde und anregende Studie, die nicht nur das Sachsen des Kurfürsten Johann Georg II. als "aufgeführten Staat" entlarvt.
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