Horst Fassel, Bühnen-Welten vom 18.-20. Jahrhundert. Deutsches Theater in den Provinzen des heutigen Rumänien / Mapamondul scenic din sec. al 18-lea până în sec. al 20-lea. Teatrul de limbă germană în provinciile României de azi.

Cluj-Napoca: Presa Universitară Clujeană 2007. (Karl-Kurt-Klein-Reihe 3). ISBN 978-973-610-617-0. 422 S. Preis: € 19,-.

Autor/innen

  • Hans Dama

Abstract

Die Aufarbeitung historischer Desiderata erfolgt für manche Regionen zögerlich, wenn überhaupt. Dazu gehören auch die Länder Südosteuropas, die bis 1918 im Großen und Ganzen innerhalb oder am Rande der k.u.k.-Monarchie Teile eines funktionierenden Theatersystems gewesen waren, dessen Entwicklungen und Wandlungen nach und nach ins Bewusstsein treten. Für Südosteuropa gilt meist, dass man dort noch immer Monographien der einzelnen Theaterstandorte anstrebt, die von den sogenannten Anfängen bis zur Gegenwart reichen.

Die Theaterreihe der Österreichischen Akademie der Wissenschaften hat solche Beispiele für Budapest (zuletzt für Lemberg) vorgelegt. Auf weniger Fakten beziehen sich Theatermonographien über einzelne Standorte des deutschsprachigen Theaters in ex-jugoslawischen, ungarischen und rumänischen Städten. Die vorliegenden Untersuchungen von Horst Fassel erheben nicht den Anspruch, eine Geschichte des deutschen Theaters in den heute bzw. von 1918-1945 zu Rumänien gehörenden Gebieten zu bieten. Es handelt sich um Aufsätze, die in den letzten zehn Jahren entstanden sind und in unterschiedlichen Sammelbänden und Periodika publiziert wurden. Da bislang eine Geschichte des deutschsprachigen Theaters in Rumänien aussteht, kann man den vier Abteilungen dieser neuen Publikation einiges entnehmen, was in späteren Überblicksdarstellungen bestätigt und vertieft werden wird.

 

Neu ist auf jeden Fall, dass die einzelnen Stadttheater und die Bedeutung der einzelnen Städte für die Theaterentwicklung der Gebiete mit deutschen Minderheitengruppen zwar beachtet werden, dass aber die Verbindungen zwischen diesen Theaterstädten ebenso Anerkennung finden wie der regional wichtige Umstand, dass in einzelnen Städten außer den deutschsprachigen auch anderssprachige Theater bestanden (ungarische, rumänische, serbische, jüdische). Dadurch können lokale Besonderheiten, ebenso aber auch überregionale und transnationale Gemeinsamkeiten herausgearbeitet werden. Der Verfasser versucht, auch in diesen – wie in anderen Arbeiten –, die Rolle der am Theaterleben Beteiligten zu berücksichtigen. In dieser Sammlung werden, nachdem die allgemeine, überregionale Theaterentwicklung festgehalten (Teil 1) und auf einzelne Stadttheater und deren Bedeutung eingegangen wurde (Teil 2), einzelne Theaterdirektoren, SchauspielerInnen (Teil 3) und Bühnenautoren (Teil 4) präsentiert.

 

Entwicklungsgeschichtlich ist Teil 1 am ergiebigsten. In zwei Überblicksdarstellungen ("Deutsche Theaterlandschaften in Siebenbürgen und im Banat" und "Deutsches Theater auf dem Gebiet des heutigen Rumänien") werden die besonders engen Beziehungen der deutschen Theater in Siebenbürgen und im Banat behandelt, während Bukarest, Jassy und später Czernowitz zwar stellenweise in das System einbezogen wurden, sonst aber getrennte Wege gingen, die mit der Lage der jeweiligen deutschen Minderheitengruppe in Zusammenhang stand. In Bukarest konnte sich nie ein bemerkenswertes deutsches Theater entwickeln, weil es – ähnlich wie die jüdischen Theater – keine öffentliche Unterstützung erhielt, sieht man von 1917-1918 ab, als die deutsche und österreichische Besatzung beide Theater, das deutsche wie das jüdische, auffallend förderten (Fassel ist der erste, der sich mit dem deutschen Fronttheater in Bukarest, ebenso mit den kleinen jüdischen Theatern von vor 1920 beschäftigt hat). Die Theaterunionen zwischen siebenbürgischen und Banater Städten müssten gründlicher untersucht werden. Die allgemeinen Entwicklungslinien sind aber in den Beiträgen dieses Bandes schon entschlüsselt worden (u. a. in: "Die Theaterunion zwischen Temeswar und Hermannstadt"). Dass sich – meist auf den traditionellen Verkehrswegen (zum Beispiel: Pressburg-Pest/Ofen-Arad-Temeswar/Hermannstadt) – seit dem 18. Jahrhundert Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Städten ergaben, dass dabei die jeweilige Stadtkultur einen Kulturtransfer und eine Homogenisierung erfuhren, wird an den Beispielen der siebenbürgischen und Banater Wechselbeziehungen erläutert. Wie sich Kriege auf die Theatersituation auswirkten, zeigen zwei Beispiele: das schon erwähnte Fronttheater Bukarest im Ersten Weltkrieg und das Theater der Banater Deportierten im ukrainischen Makeevka nach 1945 (es ist die erste ausführliche Untersuchung über ein solches Lagertheater im Donbas-Gebiet). Wie sich ein deutsches Staatstheater in einer Stadt, die Theaterangebote in vier Sprachen aufweist, in Szene setzte, wird anhand des Beispiels Temeswar (1953-2003) präsentiert. Schließlich wird auch auf die Chancen deutscher Minderheitentheater in Rumänien eingegangen. Damit ergibt sich ein Prozess, der die unterschiedlichen Theaterformen im Laufe von drei Jahrhunderten analysiert und an Einzelbeispielen die Kooperation zwischen Städten und Ensembles festhält. Dass auch auf die Ideologiegeschichte eingegangen wird, auf den Status von deutschen (und anderen) Minderheitentheatern, fächert die Betrachterperspektive erfreulich auf.

 

Teil 2 ist den Stadttheatern gewidmet und beginnt mit dem ersten Versuch der Etablierung eines Stadttheaters durch Christoph Ludwig Seipp in Hermannstadt (1788-90). Dass damit gleichzeitig auch die Beziehungen Seipps zu Pressburg und Temeswar, ebenso zum gesamten deutschen Sprachraum und seine Lageberichte über die Theaterentwicklung im Königreich Ungarn (zwei Reisebeschreibungen) eingehend untersucht werden, lässt seine Bedeutung und Tragik erkennen: Hermannstadt wurde, als die siebenbürgische Hauptstadt (1790) nach Klausenburg verlegt wurde, kulturell entmachtet. Von besonderer Bedeutung sind die monographischen Darstellungen deutscher Stadttheater in einer mittelgroßen Stadt (Czernowitz) und zweier Kleinstädte (Orawitza und Lugosch). Im Falle von Czernowitz und Orawitza geht die Untersuchung weit über das hinaus, was Vorarbeiten versucht hatten (Georg von Drozdowski, Simeon Samuel Moldovan), für Lugosch ist es der erste Versuch überhaupt, die städtische Theatertätigkeit zu erfassen. Es handelt sich hier um tatsächliche Darstellungen der Theaterentwicklungen in den jeweiligen Städten. Im Falle von Czernowitz wird die lange Vorgeschichte von 1797 bis 1907 aufgrund neuer Quellen erschlossen, danach der Höhepunkt des angesehenen Provinztheaters in der k.u.k.-Universitätsstadt dargestellt. Auch die Parallelentwicklungen des rumänischen und jiddischen Theaters werden beachtet. Nach 1920 werden die Schwierigkeiten von Minderheitentheatern in den neuen Staaten verdeutlicht, die sich trotz ihrer Vielvölkerstruktur als Nationalstaaten begriffen. Die Theaterskandale von 1921 und 1922 in Czernowitz, die Ausweisung des Direktors Wilhelm Popp, der nach Mährisch-Ostrau zurückkehrte, die Tätigkeit des halbprofessionellen Ensembles der Kammerbühne anstelle des Stadttheaters und nach 1933 die seltenen Gastspiele des Deutschen Landestheaters Hermannstadt im nicht gleichgeschalteten Czernowitz, das und die Entwicklung des jiddischen Theaters, das bis in die späten dreißiger Jahre aktiv blieb (seine Tätigkeit ist bislang im Einzelnen nicht untersucht worden): das alles wird bei Fassel analysiert. Ähnlich ist es mit dem kleinen Banater Bergbaustädtchen Orawitza, dessen Theatergebäude 1817 vorgeblich nach dem Modell des alten Burgtheaters errichtet wurde. In Orawitza gab es neben dem deutschen ein bis 1918 aktives ungarisches, ebenso ein rumänisches Theater, und die Besonderheit dreisprachiger Theaterabende wird dokumentiert, ihre kulturpolitische Bedeutung kritisch begutachtet. Für Lugosch, das ebenso wie Orawitza meist mit anderen Stadttheatern kooperierte (in Lugosch gab es im 20. Jahrhundert zusätzlich jüdisches und französischsprachiges Schultheater), wird eine Kontinuität des deutschen Theaters von 1797 bis 1944 festgestellt, wobei der Schwerpunkt, wie bei anderen Theatern des Banats, Siebenbürgens und der Bukowina in der Zeit nach 1848 lag.

 

Bei den SchauspielerInnen und Theaterdirektoren (Teil 3) ist die Auswahl nur ein bescheidener Hinweis auf die Fülle von unterschiedlichen Persönlichkeiten und – damit im Zusammenhang – Programmen. Von den vier Direktoren und den sechs SchauspielernInnen kann man sicher nicht auf die gesamte Vielfalt des regionalen Theaterlebens schließen. Wichtig erscheint auch hier die Konstatierung von Entwicklungstendenzen: Bis 1848 war die Bewegung der Prinzipale/Direktoren meist von West nach Ost. Nach Erfolgen an namhaften Bühnen des deutschen Sprachraums erfolgten die Verpflichtungen in Südosteuropa, die nicht selten an Spielorten endeten, von wo aus deutsches Theater nicht mehr beliebig weiter verlegbar war: Czernowitz, Odessa, Bukarest. Nach 1848 findet – bevorzugt bei den Theatern in mittelgroßen Städten – ein Ost-West-Trend statt. Vor allem von Temeswar aus gelangten Theaterleiter nach Wien oder nach Deutschland (die bekanntesten Beispiele sind Friedrich Strampfer und Max Steiner, die beide aus dem Banat kommend die Leitung des Theaters an der Wien übernahmen). Die gleiche Richtung galt auch bei den SchauspielernInnen, doch hatte es in deren Fall auch frühe Beispiele einer solchen Trendentwicklung westwärts gegeben.

 

Eine Neuentdeckung ist in Teil 4 der siebenbürgische Autor Franz Rheter, dessen dramatisches Werk hier ausführlich und vor dem Hintergrund des bislang nicht erforschten deutschen Barocktheaters in Siebenbürgen präsentiert wird. Außerdem wird auf die Werke Adam Müller-Guttenbrunns aus dem Banat und Franz K. Franchys aus Siebenbürgen eingegangen, sowie auf die Exildramatik von Franz Theodor Csokor in Polen und Rumänien. Diese Einzelautoren ergänzen den Gesamteindruck um weitere Facetten.

 

Für die regionale Theatergeschichte der deutschen Siedlungsgebiete im heutigen Rumänien wird manche Neuentdeckung gemacht, es werden neue Quellen erschlossen und es wird der Rahmen abgesteckt, in dem sich eine spätere Theatergeschichte bewegen kann. Der gesellschaftliche Stellenwert des deutschen Theaters, dessen kulturpolitische und ideologische Funktion, immer wieder erkennbare Entwicklungszusammenhänge werden aufgezeigt. Allerdings wird auf Einzelereignisse, auf deren Wirkungsgeschichte, nicht eingegangen, auch der theatralische Diskurs wird auf Repertoire- und Kulturpolitik beschränkt, weil die Vorarbeiten zusätzliche Akzentuierungen nicht zuließen. Dass man nun diesen Materienbereich auf der erschlossenen Grundlage weiter verfolgen kann, gehört zu den Verdiensten dieser Untersuchungen. Sie könnten durch einen weiteren Sammelband ergänzt werden, der andere in Periodika publizierte Arbeiten Fassels zur Theaterkritik, zu einzelnen SchauspielerInnen, zu unterschiedlichen Entwicklungsperioden in Südosteuropa zusammenfasst.

Autor/innen-Biografie

Hans Dama

Geb. in Großsanktnikolaus/Banat, Rumänien. Studium der Germanistik, Rumänistik, Pädagogik, Geographie und Wirtschaftskunde in Temeswar, Bukarest und Wien. Rumänist am Institut für Romanistik der Universität Wien.

Publikationen:

In zahlreichen deutschen, österreichischen, ungarischen, rumänischen, spanischen und mexikanischen Zeitschriften sowie in Anthologien veröffentlichte Dama Lyrik, Kurzprosa und Essays sowie Übersetzungen aus der rumänischen Lyrik (Lucian Blaga, George Bacovia, Nichita Stãnescu, Anghel Dumbrãveanu u. a.). In den USA wurden zwei seiner Gedichte vertont.

Veröffentlicht

2008-09-15

Ausgabe

Rubrik

Theater