Elizabeth Ivory Tylawsky: Saturio's Inheritance. The Greek Ancestry of the Roman Comic Parasite.

New York u.a.: Peter Lang 2002. (Artists and Issues in the Theatre. 9). ISBN 0-8204-4128-7. 192 S. Preis: € 61,--/sfr 89,--.

Autor/innen

  • Matthias Johannes Pernerstorfer

Abstract

Elizabeth Ivory Tylawsky legt mit ihrer Monographie Saturio's Inheritance. The Greek Ancestry of the Roman Comic Parasite die bislang umfangreichste Studie zum griechischen Parasiten, einem Phänomen der antiken Alltagswelt, Literatur und vor allem der Komödie, vor.

Sie vermittelt einen plastischen Eindruck des Untersuchungsgegenstandes, indem sie viele Quellen (im Original und in Übersetzung) zitiert und diskutiert. Für Spezialisten auf dem Gebiet der Parasitenforschung ist eine Lektüre zu empfehlen, da Tylawsky bisher wenig berücksichtigtes papyrologisches Material verwertet und das Augenmerk der Autorin auf den Parasiten als gesellschaftlichem Phänomen Neues bringt. Dadurch sollte rein philologisch orientierten Annäherungsversuchen an ein solches Thema der Boden entzogen sein. Als Einstiegslektüre eignet sich diese Studie aus im folgenden zu diskutierenden Gründen nur bedingt.

Quellen: Tylawsky geht es dem Untertitel nach um The Greek Ancestry of the Roman Comic Parasite. Problematisch wird dieser Anspruch dadurch, daß sie das "Griechische" der Vorfahren allzu wörtlich nimmt. Dies führt dazu, daß den Parasiten des Plautus außerhalb der Anmerkungen nur ein einziges Kapitel gewidmet wird (Kap. 8, 107-123) - wobei es auch darin nicht um eine Charakterisierung der plautinischen Parasiten geht. Terenz wird im durchlaufenden Text nur aufgrund seines Eunuchus, und was diesen betrifft, nur wegen einer Vorlage desselben, Menanders Kolax, erwähnt. Die Autorin umgeht die kontroversiell diskutierte Frage nach der Originalität der römischen Komödien, indem sie nicht Stellung bezieht. Dies hat zur Folge, daß ihr in der Darstellung der Geschichte des Parasiten auf der griechischen Komödienbühne wesentliche Quellen fehlen und das Bild des Parasiten, auch des griechischen, verzerrt wird.

Begrifflichkeit: In der antiken Literatur finden sich mehrere Bezeichnungen, die mit dem Phänomen des Parasiten in Verbindung gebracht werden (parasitos, kolax = Schmeichler, gelotopoios = Spaßmacher u.v.a.). "Athenaeus found any distinction difficult to define or maintain and so have I" (4). Wie schon Ribbeck[1] umschifft Tylawsky dieses heikle Terrain. Nesselrath[2] diagnostiziert jedoch, daß die Begriffe "parasitos" und "kolax" von antiken Autoren unterschiedlich gebraucht werden. Auch wenn ich seiner Rekonstruktion der Geschichte des Parasiten auf der Komödienbühne teilweise nicht zustimme, halte ich es für notwendig, die richtige Diagnose zu berücksichtigen und nicht alle Quellen ohne Blick auf die Terminologie gleich zu behandeln.

Zur Illustration seien Tylawskys Ausführungen zu Xenophons Symposiongelotopoios, or entertainer, never kolax and never parasitos. Philippus' activities were not designated flattery. Yet Philippus was clearly recognizable as a sponging flatterer by his description of himself" (53). Für Xenophon ist er ein professioneller Spaßmacher, ein "gelotopoios", kein "flatterer". Ihn als "kolax" zu bezeichnen - was dem alltagssprachlichen Gebrauch nach möglich gewesen wäre - , hätte negative Implikationen gehabt, die Xenophon bewußt vermieden hat. Nur unter Berücksichtigung der Perspektive, aus welcher die Dichter ihre Figuren gestalten, ist es möglich, dem Phänomen "Parasit" gerecht zu werden. erwähnt. Tylawsky schreibt, "the word which Xenophon used to describe Philippus was

Dennoch sind Tylawskys Ausführungen zu Xenophon interessant. Sie diskutiert Stellen, in welchen Philippos Topoi zur Darstellung eines ungeladenen Gastes bzw. eines Gastes, der ißt, ohne einen Beitrag zu zahlen, zur Selbststilisierung aufgreift (zu erwähnen ist weiters 1/14f., wo er die Rolle des hungrigen Parasiten spielt), und sie zeigt, daß es für einen Menschen, der sich als Parasit seinen Lebensunterhalt verdienen will, notwendig ist, auch die Rolle eines Parasiten zu spielen.

Tylawsky vermischt verschiedene Rollen, mit welchen ein Mensch einen Platz an einer Tafel ergattern kann. Anhand des ersten Kapitels Ragged Opportunism in Early Greek Poetry and Society (7-16) läßt sich dies gut zeigen. Sie beschreibt den Herold Medon, den Sänger Phemios und den Dorfbettler Iros (sowie den als Bettler verkleideten Odysseus, der auch am Hof des Eumaios als "gelotopoios" erscheint) als Parasiten am Hof des Odysseus (7-13). Sie stehen in der Hierarchie der Gäste auf der untersten Stufe, sind "nicht-gleiche" Gäste. Doch Medon ist in seiner Funktion als Herold engagiert, Phemios als Sänger. Iros kommt ungeladen, liefert den Freiern, um sich etwas zu Essen zu ergattern, ohne künstlerischen Anspruch eine Show und bringt diese auf seine eigenen Kosten zum Lachen. Ihn beschreibt der Dichter mit Eigenschaften, die in späteren Quellen immer wieder zur Charakterisierung von Parasiten auftauchen (Odyssee 18, 1ff.). Deshalb halte ich es für sinnvoll, ihn als Parasiten, Medon und Phemios aufgrund ihrer Kunst als Herold und Sänger zu bezeichnen. Dennoch ist Tylawskys Weg richtig, das Phänomen "Parasit" vor dem Hintergrund angrenzender gesellschaftlicher Phänomene zu interpretieren.

Sophisten und Parasiten: Tylawsky erkennt die Ähnlichkeit von Parasiten und (gewissen) Sophisten, die darin besteht, daß beide in eine bestimmte Rolle schlüpfen, mit welcher sie versuchen, bei potentiellen Gastgebern Erfolg zu haben. Und indem sie die Bedeutung der Eloquenz sowie eines markanten Äußeren für Sophisten und Parasiten hervorhebt - im Bezug auf Odysseus und den "knisokolax" spricht Tylawsky von "salesmanship" (19) -, macht sie deutlich, worin sich diese beiden Rollen ähneln. Doch die Rollen sind nicht identisch. Es ist nicht egal, ob sich jemand durch sein Äußeres und seine ersten Worten als Sophist oder als Parasit im Sinne eines Spaßmachers präsentiert. Kallias, der größte Förderer der Sophisten, wird jemanden eher aufnehmen, der geschickt als Sophist auftritt. Bei potentiellen Gastgebern, die der Sophistik reserviert gegenüber stehen, haben es Spaßmacher wiederum leichter.

Auch wenn sich die zerlumpten Sophisten bzw. Philosophen, worunter Sokrates und seine Anhänger sowie in der Nachfolgezeit vor allem die Kyniker (107ff.) zu zählen sind, durch ihr Zerlumptsein den Anschein geben, daß sie in der gesellschaftlichen Hierarchie ganz unten stehen - worin sie den Parasiten ähneln würden - , ist festzustellen, daß sie es gerade durch ihre Rolle zu einer Position bringen können, die ein Parasit in dieser Weise kaum erreicht. Sie werden etwa in Xenophons Symposion "gleiche" Gäste des Kallias. Der Spaßmacher Philippos verbleibt im Rahmen seiner Rolle. Im übrigen sind die großen Sophisten wie Protagoras, Gorgias oder Prodikos nicht mit dem Schlagwort "ragged opportunism" zu erfassen.

The Forging of a Stereotype: Der Parasit "was created in and limited to comedy and comedy's predecessors" (2). Tylawsky beginnt ihre Darstellung des Parasiten mit Homer und kommt über Asius von Samos und Epicharm zur Alten Komödie. Ihre Ausführungen machen klar, daß die Eigenschaften, die etwa der Chor der Schmeichler in den KolakesKolakes auf die Herausbildung der Parasitenfigur der Mittleren und Neuen Komödie nicht allzu hoch gewesen ist. Diese entsteht erst um die Mitte des 4. Jahrhunderts v. Chr. [3] des Eupolis (fr. 172 K-A) sich selbst zuschreibt, schon zuvor vielfach belegt sind. Die Komödie erfindet den Parasiten nicht, sie führt jedoch eine qualitative Veränderung desselben herbei - was eine Frage der Gattung ist: Nun stehen Parasiten-Figuren auf der Bühne. Mit Karystios von Pergamon (Athen. 235e) ist jedoch gegen Tylawskys Ausführungen anzunehmen, daß der Einfluß der

Athenaios: Tylawsky läßt Athenaios in Kapitel 5 ausführlich zu Wort kommen, wobei es ihr nicht um eine quellenkritische Untersuchung (die zu Athenaios noch aussteht) geht. Sie bespricht "the section devoted principally to parasites and flatterers (6, 234c-262)" (59) nur auszugsweise und bricht die Diskussion vor dem Kolax-Referat (248c-262a) ab. Jene Stellen, die Athenaios in diesem zitiert und die seiner Rekonstruktion der Geschichte des Parasiten Probleme machen, weil sie nicht in die im Parasiten-Referat vorgelegte These passen, behandelt auch Tylawsky in diesem Kapitel nicht.

The Flatterer and Contemporary Themes: In diesem Kapitel treten die Stärken dieses Buches deutlich zutage. Tylawsky schreibt, zur Zeit der Mittleren Komödie "(served) the parasite of the comic stage [...] as a caricature of fashionable party-life" (79), und sie zeigt, inwieweit es durch die Parasiten möglich gewesen ist, von der Komödienbühne aus reale Personen bzw. Personenkreise zu kritisieren. Zusätzlich geht sie produktiv auf die Bedeutung der Gruppen junger Männer - potentielle Gastgeber für Parasiten - in der Athener Alltagswelt ein. Beides sind Punkte, die in rein philologisch orientierten Arbeiten wenig Beachtung finden.

Neue Komödie: Die Ausführungen zu Menanders Kolax (96-100) vermag ich aufgrund der problematischen Quellenlage, die eine den Rahmen sprengende Argumentation verlangen würde, nicht angemessen zu kritisieren. In meiner Dissertation zur Figur des Parasiten auf der griechisch-römischen Komödienbühne (voaussichtlich publiziert 2005) werde ich zeigen, daß es im Kolax nur einen schmeichelnden Parasiten gibt. Den diesbezüglichen Überlegungen Tylawskys (100) ist zuzustimmen.

Römische Rezeption: Tylawsky zeigt am Ende von Kapitel 7, wie unterschiedlich die einzelnen Dichter der Neuen Komödie die Parasitenfigur behandeln, und schreibt "new Comedy presented then a far from homogeneous and uniformly bland stage of characters" (105). Zwei Seiten später ist zu lesen, "in the flatterer the fabula palliata inherited a unique and distinctive whole character from its Greek predecessor" (107). Die Einheit dieses "Charakters" erklärt sich durch Tylawskys Methode: Über die oftmals treffenden Beobachtungen zu einzelnen Parasiten wird die Theorie vom "ragged opportunism" gelegt, und danach wird verrechnet. Durch diese Methode wird das Ergebnis der Studie teilweise problematisch.

Ausgehend von Plautus' Persa bespricht Tylawsky in diesem Kapitel Interessantes zu den optischen Zeichen, die einen Parasiten als solchen definieren, sowie die Nähe der Parasiten zu den Kynikern. Was mir fehlt, ist, wie bereits einleitend gesagt, eine Interpretation der Komödien von Plautus und Terenz als Quellen für die griechischen Originale, aber auch als eigenständige Zeugnisse für Parasiten.

Saturio's Inheritance: Abschließend noch eine Anmerkung: Tylawsky schreibt über Saturios Erbe. Saturio ist seines Zeichens Parasit im Persa des Plautus. Die Autorin geht von dessen Eingangsmonolog aus, in dem der Parasit seinen Stammbaum präsentiert. Fraglich ist, woher ihre Idee kommt, "Saturio was the last of his line" (5). Offensichtlich ist nicht gemeint, daß überhaupt keine Parasitenfiguren nach Saturio auf die Bühne gekommen sind, denn wo blieben dann Terenzens Gnatho (Eunuchus) und Phormio (Phormio)? Sofern der Spätdatierung des Persa-Originals durch Woytek[4] zuzustimmen ist, könnte sich Tylawskys Aussage auf diese Komödie als letzte, in welcher ein griechischer Komödiendichter einen Parasiten gestaltet hat, beziehen. Doch einer solchen Überlegung ist Nikolaus fr. 1 K-A, ein 45 Verse langer Parasitenmonolog aus dem 2. oder 1. Jh. v. Chr., entgegenzuhalten, den die Autorin scheinbar nicht kennt (Diodorus von Sinope fr. 2 K-A, 42 Verse lang, sei "the longest (...) flatterer's professional speech", 104). Saturio ist keinesfalls der Letzte seines Geschlechts. Meint Tylawsky ihre Interpretation der Worte Saturios etwa nur symbolisch?

[1] O. Ribbeck: Kolax. Eine ethologische Studie. Leipzig 1883.

[2] H.-G. Nesselrath: Lukians Parasitendialog. Untersuchungen und Kommentar. Berlin, New York 1985, S. 88-121.

[3] Vgl. N. Fisher: "Symposiasts, Fish-eaters and Flatterers: Social Mobility and Moral Concerns." In: D. Harvey u. J. Wilkins (Hg.): The Rivals of Aristophanes. Studies in Athenian Old Comedy. London 2000, S. 355-396.

[4] E. Woytek: T. Maccius Plautus: Persa. Einleitung, Text und Kommentar. Wien 1982, S. 65-92.

Autor/innen-Biografie

Matthias Johannes Pernerstorfer

1996 bis 2001 Studium der Theaterwissenschaft in Wien und München. 2003 bis 2005 DOC-Stipendium der ÖAW, Abschluss mit einer Dissertation zu Menanders Kolax. Anschließend Arbeit an einem Editionsprojekt zu den "Teutschen Arien" (ÖNB Cod. 12706-12709) und Publikationstätigkeit zur griechischen Komödie. Seit 2007 Mitarbeiter des Don Juan Archivs Wien.

Veröffentlicht

2004-02-02

Ausgabe

Rubrik

Theater