Sirkku Aaltonen/Areeg Ibrahim (Hg.): Rewriting Narratives in Egyptian Theatre. Translation, Performance, Politics.
New York/London: Routledge 2016. (Reihe: Routledge Advances in Theatre and Performance Studies, Bd. 45). ISBN: 978-1-138-94644-6. 288 S., 17 s/w Abb., Preis: £ 115,―.
Abstract
Mit Fokus auf Übersetzungsprozesse, Aufführungen und Politik vereint Rewriting Narratives in Egyptian Theatre Zugänge aus Cultural Studies, Translations- und Theaterwissenschaft sowie aus der Theaterpraxis, um Perspektiven auf Gegenwart und Geschichte von Theater in Ägypten eröffnen. Der Sammelband leistet damit eine Reihe von 'Grenzüberschreitungen' – disziplinär, geographisch, sprachlich, historisch – und stellt bekanntere und unbekanntere Narrative ägyptischen Theaters reflektiert zur Diskussion.
Der Band versammelt 13 Beiträge, die in vier thematische Teile gegliedert sind; ein Großteil der Autor*innen stammt aus Ägypten oder hat ägyptische Wurzeln. Das Ziel ist "[to] explore the relationship between translation, performance, and politics in the way it has outlined a portrait or story of Egyptian theatre and drama in the West and, reversed, Western performance tradition and scripted theatre drama on Egyptian stage" (S. 270).1
Bemerkenswert ist dabei die Bandbreite von Beiträgen, die unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen, aber auch Texte von Übersetzer*innen, Kritiker*innen oder Theatermacher*innen zusammenbringt: "Each section is made to end with a practitioner's testimony, only to show how politics and Egyptian realities have intersected with performances and translations" (S. 8).
Neben der Einleitung und einem Nachwort haben die Herausgeberinnen Sirkku Aaltonen und Areeg Ibrahim für jeden Teil einen Einstiegstext verfasst, der auf methodologische Aspekte des Abschnitts eingeht und Gemeinsamkeiten oder Unterschiede zwischen den einzelnen Artikeln erkennbar macht. Zunächst erscheint die Zusammenstellung des Bandes recht eklektizistisch, doch die Kurzeinführungen vermögen Kohärenz zu schaffen. Zudem schärfen sie den Blick für Korrespondenzen zwischen den Texten, die immer wieder in unterschiedlichen Kontexten auftauchen.
Wiederkehrende Bezugspunkte sind etwa nicht nur der Arabische Frühling (2011), sondern ebenso die Revolution in Ägypten (1952) sowie Politik und Gesellschaft der 1950er- und 60er-Jahre unter Gamal Abdel Nasser (1918–1970), Zensur, Edward Saids Orientalism (1978), das Spannungsfeld zwischen arabischer Hochsprache und Dialekt (Diglossie) in Hinblick auf Übersetzungsfragen oder das Narrativ, dass Theater in den arabischen Ländern erst seit dem Import aus Europa im ausgehenden 19. Jahrhundert existiere.
Der erste Teil, "Intercultural Rewriting", nimmt "rewriting processes involved in the cultural imports in the theatre" (S. 8) in den Blick: Sirkku Aaltonen versucht sich an einer höchst spannenden Fragestellung, indem sie im Rückgriff auf Thomas Postlewait exemplarisch historiographische Publikationen über ägyptische Theatergeschichte von den 1930ern bis Ende 1990er analysiert, um Agenden und Narrative freizulegen.
In der Kombination von deskriptiver Translationswissenschaft, Theaterwissenschaft und Postkolonialer Theorie (Edward Said) legt Areeg Ibrahim die "interesting politics of choice" (S. 53) bei Übersetzungen arabischer Theatertexte ins Englische frei. Sie beleuchtet kulturelle Normen und gesellschaftliche Bedingungen für die Auswahl von Autor*innen oder Stoffen und liefert damit eine knapp skizzierte, sehr dichte akteurzentrierte Theatergeschichte und gleichzeitig einen Abriss von Übersetzungsgeschichte Ägyptens zwischen 1952 und 2011.
Marvin Carlsons brillianter Beitrag ist dem wohl bekanntesten ägyptischen Dramatiker, Tawfīq al-Hākīm (1898–1987), gewidmet: Er zeichnet "the discovery and promotion of al-Hākīm in the West" mit dem Ziel nach, "to explore by what means he came to occupy this still virtually unchallenged position of the single, one might say, token Arab dramatist" (S. 97). Dieses Unterfangen ist gleichermaßen erhellend wie geboten, denn: Trotz des zunehmenden Interesses des globalen Nordens an der sogenannten arabischen Welt sei es symptomatisch, dass nach wie vor kaum Kenntnis über arabisches Theater bzw. dessen Geschichte vorhanden sei, konstatiert Carlson.
Eine sehr persönliche Reflexion der Schauspielerin, Regisseurin und Autorin Dalia Basiouny beschließt die Sektion: "Performing and Rewriting Solitaire between Languages and Cultures" verbindet ihre Arbeit an diesem Monolog für eine weibliche Figur und die einschneidenden Ereignisse des Arabischen Frühlings aus Basiounys Perspektive.
Der zweite Abschnitt "Interlingual Rewriting" befasst sich mit der 'Übersetzung' von Shakespeares Theatertexten ins Arabische. Methodologisch stützen sich die Beiträge nicht nur auf Roman Jakobson, Susan Bassnet und wiederum Thomas Postlewait, sondern auch auf postkoloniale Ansätze. Es geht nicht um Übersetzungsentscheidungen zwischen gewählter arabischer Hochsprache und ägyptischem Dialekt als zugänglicherer Alltagssprache, sondern um die Zirkulation eines 'westlichen' Kanons, der früh schon ein Bezugspunkt ägyptischen Theaters war.
Omaya Ibrahim Khalifa nimmt anhand dreier Hamlet-Übersetzungen (1949, 1972 und 2004) unterschiedliche Strategien im Umgang mit Anspielungen in den Blick; dabei ist es ihm weniger um die Bewertung der linguistischen oder künstlerischen Leistung der jeweiligen Übersetzung zu tun, sondern vielmehr um die Auseinandersetzung mit den historischen und kulturellen Kontexten, in welchen die Übersetzungen entstanden, die wiederum Übersetzungstheorien und Poetiken der jeweiligen Zeit widerspiegeln.
Mohamed Samir al-Khatibs Beitrag betrachtet die Rolle von Übersetzer*innen als 'cognitive mediators' anhand von King Lear-Übersetzungen. Neben translationswissenschaftlichen Ansätzen im Rückgriff auf Edward Said befragt er Übersetzung und Aneignung von Theatertexten des 'westlichen Kanons' im Spannungsfeld zwischen 'Eigenem' und 'Fremdem'.
Mohamed Enani, der zu den führenden arabischen Übersetzer*innen englischer Texte zählt, beschreibt in einem kurzen, aber sehr spannenden und aufschlussreichen Beitrag die Übersetzungs- und Inszenierungsgeschichte von Shakespeare-Stoffen in Ägypten und die Besonderheiten von Theatertext-Übersetzungen ins Arabische aus eigener Erfahrung.
Der dritte Teil des Bandes befasst sich unter dem Schlagwort "Intercontextual Rewriting" mit den historischen und gesellschaftlichen Kontexten, den Normen und Werten, die Theatertexte und Inszenierungen beeinflussen und prägen. Sameh F. Hannās exzellenter Artikel über "Theatre-Making and Theatre Translation in Turn-of-the-Century Egypt" eröffnet spannende Einblicke in die wenig erforschte Theaterpraxis der 1920er, indem er von der Forschung marginalisierte theaterhistorische Zeugnisse genauer betrachtet: Im Zentrum stehen die Schriften des Literaten Muhammad Taymūr (1892–1921), die viel über die "'social history' of theatre practice" (S. 177) der Zeit verraten, doch bislang ignoriert oder als Vorläufer 'professioneller' Theaterkritik belächelt wurden.
Heba el-Abbadi und Sally Hammoudas Beitrag "From Spectators to 'Spect-Actors'" wendet Augusto Boals Konzepte eines 'Theater der Unterdrückten' an, im Versuch, die Durchschlagskraft der ersten 18 Tage der Ägyptischen Revolution im Januar 2011 nachzuvollziehen. In "Egyptian Realities on Stage and in Society" versammelt die Theaterkritikerin Nehad Selaiha ihre eigenen Beiträge über Inszenierungen, die 2011–2012 in unmittelbarer Folge und im Zusammenhang mit der Revolution in Ägypten entstanden.
Der vierte und letzte Abschnitt des Bandes "Intermedial Rewriting" lenkt den Fokus auf Fragen der Intermedialität. "Dramatizing Short Stories" von Salwa Rashad Amin analysiert die Adaption von Texten Salwa Bakrs, "one of Egypt's most celebrated novelists and short story writers" (S. 225) und lenkt das Augenmerk auf Fragen der interkulturellen Übersetzung für ein US-amerikanisches Publikum. Wessam Elmeligi untersucht die Adaption von Bernard Shaws Pygmalion im Ägypten der 1960er-Jahre und arbeitet die 'Ägyptisierung' des Stoffes als höchst erfolgreiche soziopolitische Satire vor dem Hintergrund des Nasserismus heraus. Den Abschluss bildet Mona Mikhails Erfahrungsbericht über die Entwicklung und Umsetzung eines Dokumentarfilms über Theater(-geschichte) in Ägypten seit Napoleons Ägyptenfeldzug (1798).
Rewriting Narratives in Egyptian Theatre bietet interessante Impulse – sowohl für Leser*innen, die bereits mit arabischem Theater vertraut sind, als auch für Menschen, die Einblicke in ein marginalisiertes Forschungsfeld erhalten möchten. Der Mehrwert liegt gerade in der Vielzahl der angebotenen Blickwinkel und dem dichten Gewebe an expliziten und impliziten Referenzen auf andere Artikel im Band. Nicht zuletzt die sorgfältigen Kurzeinführungen der Herausgeberinnen tragen dazu bei, diesen Sammelband in seiner Fülle als großes Ganzes schätzen zu können.
Das Überschreiten von Grenzen "from one culture, nation, country, and language to another" und nicht zuletzt das (wissenschaftliche) Schreiben darüber, "is, unfortunately, too often one-way and, instead of providing new insights, only strengthens what is already familiar" (S.270). Die Zielsetzung, durch diesen Band zum Austausch zwischen 'West' und 'Ost' beizutragen und neue Blicke auf die Narrative ägyptischen Theaters zu werfen, ist definitiv geglückt, und man kann nur hoffen, dass weitere Publikationen dieser Art folgen werden.
Letztlich erscheint der astronomisch hoch angesetzte Verkaufspreis jedoch leider kontraproduktiv, um Perspektiven auf ägyptisches Theater der Gegenwart und arabische Theatergeschichte einem breiteren Publikum näher zu bringen. So wichtig und begrüßenswert dieser Band als solcher ist, in Hinblick auf die Preisgestaltung ist Rewriting Narratives in Egyptian Theatre leider nur bedingt zu empfehlen.
1 Aus Gründen der Vereinfachung verzichtet diese Rezension auf die korrekte wissenschaftliche Transkription arabischer Namen und Begriffe, zumal Schreibweisen und der Umgang mit Transkription auch im Band uneinheitlich gehalten sind.
Veröffentlicht
Ausgabe
Rubrik
Lizenz
Dieser Rezensiontext ist verfügbar unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0. Diese Lizenz gilt nicht für eingebundene Mediendaten.