Thomas Patrick Pringle, Gertrud Koch, Bernard Stiegler: Machine. \\\\ Martin Burckhardt: Philosophie der Maschine.

Lüneburg: meson press 2019. ISBN 978-1-5179-0649-8. 104 S., Preis: € 21,90. \\\\ Berlin: Matthes & Seitz 2018. ISBN: 978-3-95757-476-3. 360 S., Preis: € 28,00.

Autor/innen

  • Julia Preisker
  • Irina Raskin

Abstract

Nachdem theoretische Betrachtungen das koexistenzielle Verhältnis von Mensch und Technik im weitesten Sinne seit einigen Jahren stetig in den Fokus rücken, sind nun zwei Bücher erschienen, die sich konkret mit dem Maschinellen auseinandersetzen. Diese beiden Werke zusammenzudenken ist aufgrund ihrer unterschiedlichen Denkweisen interessant und produktiv. Während Burckhardts Philosophie der Maschine eben jene titelgebende philosophische Betrachtungsweise heranzieht, um eine Historisierung der Maschine vorzunehmen, nehmen die von Gertrud Koch, Thomas Pringle und Bernard Stiegler im Buch Machine versammelten Aufsätze das Zusammenleben menschlicher und nicht-menschlicher Akteure in den Fokus, worin speziell das Verständnis über das Politische im Maschinellen untersucht wird.

Mit Animation (Koch), Automation (Stiegler) und Ökosystem (Pringle) adressiert der Sammelband das Konzept der Maschine über ebendiese drei Begriffe, während Burckhardt die Genese, wie Maschine gedacht wird, befragt. Beide Publikationen verbindet, dass sie nicht von einem "fixen Maschinenbegriff" (Burckhardt, S. 10) ausgehen und dass sie – trotz aller abweichender Perspektivierungen und Schlussfolgerungen – eine Reflektion der Maschine aus den Wechselwirkungen zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen heraus entwerfen.

Burckhardts Abhandlung basiert auf der etymologischen Herleitung von Maschine als "Betrug an der Natur" (Burckhardt S. 56), die er konsequent als Grundlage nutzt. Das überrascht, da die in 425 Aphorismen aneinandergereihten assoziativen Gedankenstränge ansonsten durchzogen sind von Abweichungen, Verweisen, teilweise fragmentarischen Abschweifungen. So findet man sich nicht selten in einer eigenwilligen Gedankenansammlung, die eine Beschäftigung mit Moderne und Postmoderne, Simulacren und Körpern mit dem Märchen von Hase und Igel zusammenbringt (vgl. S. 21). Die kürzer und länger gefassten Aphorismen setzen folglich ein recht breites kulturgeschichtliches Vorwissen voraus. Zugleich – und das fällt positiv auf – lässt es ein Denken in viele Richtungen zu, statt einem teleologischen Leitgedanken zu folgen. An Fußnoten oder Lexika-Einträge erinnernd geben die kurzen Aphorismen die Unmöglichkeit einer vollständigen und allumfassenden Darlegung wieder, was zum Ende hin gebrochen wird, wenn das Kapitel "Eine kurze Geschichte der Digitalisierung" eben genau das versucht abzudecken und damit mit dem vorherigen erfrischenden Buchkonzept bricht. Bis dahin lädt Burckhardt nicht nur zum Mit- und Nachdenken ein, sondern macht das Buch vielmehr zu einem Gemeinschaftsprojekt zwischen Autor und Lesenden. Wenn der Stil also auf den ersten Blick als unzusammenhängend erscheint, birgt sich vielleicht gerade hierin das größte Potenzial dieser Herangehensweise.

Seiner Ausgangsfrage "Wie kommt es, dass die Maschine zur zentralen Vernunftmetapher hat werden können, selbst aber ein blinder Fleck der Philosophie geblieben ist?" (S. 11) begegnet Burckhardt mit der Forderung nach der Notwendigkeit eine "Archäologie des Maschinenkonzepts" (S. 18) zu betreiben. Die Tatsache, dass sich diese Methode im Verlauf seiner Schrift zu einer "Gedankenarchäologie" (S. 290) wandelt, scheint sowohl symptomatisch für das Problem seines Vorhabens als auch für eine Verwirrung zu sein, die sich teils bei der Lektüre einstellt. Denn während Burckhardt die Kernthese entwickelt, dass die Maschine das "Unbewusste" der Philosophie sei, in dem Sinne als dass sie die Bedingungen ihrer eigenen Entstehung verleugne, mutet es zuweilen an, dass Burckhardt Maschine und Philosophie in ein äquivalentes Verhältnis zueinander setzt. Und doch ist es gerade diese Äquivalenz gegen die Burckhardt angeht, wenn er die Maschine primordial zur Philosophie verortet, indem er "nach dem Ding, das dem Denken vorausgeht" (S. 16), fragt. Entsprechend spricht Burckhardt dem Vergessen und Verdrängen eine vordergründige Funktion im Maschinen-Denken zu: Nur so sei es möglich die Gegebenheiten überwindend eine (neue) Ordnung zu einem allgemeingültigen Prinzip zu erklären. Dieses Vermögen zur Verwandlung sei dabei höchst ambivalent, da es in seinen gewaltsamsten und totalitärsten Ausformungen zu Genoziden (vgl. S. 248ff) und Versklavung (vgl. S. 83ff & 198) führe, aber ebenso auch Emanzipation und Demokratisierung fördern könne (Alphabetisierung, Metallurgie und teils auch der Computer dienen hier als Beispiele). Es wundert jedoch, dass Burckhardt seiner eigenen Kritik gegen die Gewaltsamkeit der maschinellen Begehrensordnung anheimfällt, wenn er zum einen ein eurozentristischen Verständnis von "Philosophie, Wissenschaft und Logik" (S. 282) postuliert und es als Maßstab zur Beurteilung anderer Existenzweisen des Denkens gebraucht. Zum andern sowohl inneuropäische Machtkämpfe und Konflikte als auch inter- und transkulturelle Verschränkungen außer Acht lässt und damit Europäer*innen und Nicht-Europäer*innen dichotomisch gegenüberstellt.

Nichtsdestotrotz bietet die Adressierung dessen, wie grundlegend die Praxis des Vergessens und Verdrängens, des Unbewusst-Machens oder Unbewusst-Werden-Lassens für die Produktion von Wissen und Denken ist, einen Anschluss zu Pringle’s Ausführungen. Denn ihm zufolge liege die Mächtigkeit der Maschine darin zwischen verschiedenen Mechanismen, wie animierenden und automatisierenden Verfahren und unterschiedlichen Disziplinen wie Ökologie und Ökonomie zu übersetzen – eine Kapazität, die durch Theorieproduktionen, welche sich deskriptiver Engführungen zwischen organischen und technischen Prozessen bedienen, befördert werde (vgl. S. 50ff). Die Problematisierung der Praxis des Analogisierens sowie deren Instrumentalisierung stellt ein zentrales Anliegen in seinem Text "The Ecosystem Is An Apparatus: From Machinic Ecology to the Politics of Resilience" dar. Darin verknüpft Pringle auf strukturierte und eingängige Weise die genealogische Betrachtung des Konzepts Ökosystem mit einer Analyse von Resilienz-Politiken in den USA. Die maschinelle Logik des ökosystemischen Denkens fasst er dort so zusammen: "[…] ecosystem as a cognitive machine raising and destroying worlds with the privileged machination of shuffling and sorting the reticulation of the psyche, environment, and technology between the poles of economic growth and the promise of renewable life" (S. 98f). Dabei ist Pringles Augenmerk für die Spuren kybernetischer Konzepte in den Theoremen von Félix Guattari und Michel Foucault gleichermaßen lehrreich wie weitergehend diskussionswürdig.

In "Animation of the Technical and the Quest for Beauty" gibt Getrud Koch das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine über das technische Objekt einerseits und das ästhetische Objekt andererseits sowie dessen Interferenzen zu denken. Grundlegend genährt wird diese techno-ästhetische Perspektivierung durch ein neues Verständnis des menschlichen Wahrnehmungsvermögens ("perceptive faculty", S. 3). Indem Koch nicht länger den Körper allein als Voraussetzung des Wahrnehmungsvermögens betrachtet, sondern dieses vielmehr als Wechselspiel zwischen Mensch und Maschine begreift, wird Wahrnehmung performativ hergestellt. Dadurch argumentiert sie einen neuen ontologischen Status, in dem das Wahrnehmungsvermögen keine generische Funktion innehat, sondern als ein Dazwischentreten zwischen Subjekt und Objekt (oder besser zwischen verschiedenen menschlichen und nicht-menschlichen Akteur*innen) verstanden wird. Maschinen werden entsprechend – und ganz ähnlich zu Burckhardt – nicht als Werkzeuge oder in ihrer Mittlerfunktion betrachtet. Vielmehr intervenieren Maschinen performativ in die Handlungsspielräume der Menschen (vgl. S. 7). Die ästhetische Ebene des Technologischen adressiert Koch dabei über den Begriff des Schönen, der hier die sinnliche Wahrnehmung eines Affekts und nicht ein normiertes Werturteil meint (vgl. S. 16), und der die Empfindung von Nähe und Distanz hinsichtlich eines technischen Objekts in ein dialektisches Verhältnis zueinander rückt (vgl. S. 22). Koch endet ihren Aufsatz, indem sie diese beiden Modelle des Schönen rückbezieht auf Animation und das Kino als Schnittstelle der ineinandergreifenden techno-ästhetischen Beziehung zwischen Mensch und Maschine. Auch wenn der Animationsbegriff eher vage bleibt, erarbeitet Koch damit eine spannende Perspektive auf das animierende Potential techno-ästhetischer Beziehungen, die zum Weiterdenken anregt.

In seinem Aufsatz "For a Neganthropolgy of Automatic Society" diagnostiziert Bernard Stiegler eine durch die digitale Netzkultur "hyperindustrieller" Gesellschaften (S. 25) vorangetriebene epochale Umwälzung aller existentieller Ebenen; einen radikalen Einschnitt, den er in die Entwicklungsgeschichte der Proletarisierung einreiht und deren Kern der Kenntnisverlust von Wissens- und Theorieproduktion ausmache. Proletarisierung – ein Prozess der eng verzahnt ist mit Automatisierung (vgl. S. 27-31) – gibt Stiegler als einen Prozess zu verstehen, der im Zuge einer Externalisierung von Kenntnissen deren abermalige Internalisierung unterbindet (vgl. S. 30); d.h. als eine Form der Wiederholung, die verschließend wirke und Entfremdung kultiviere. Im Zeitalter der "generalized automatization" (S. 30), in dem Entscheidungsprozesse an algorithmisch gesteuerte Datensysteme abgetreten würden, drohe die kritische Arbeit der Wissens- und Theorieproduktion strukturell verhindert zu werden. Eine derartige Verunmöglichung des Theoretisierens sei wiederum durch die Verbreitung eines Ohnmachtsgefühls begleitet: "[Through digital networks] stupefaction and stupidity are being installed in a new and functional way: in such a way that disruption can structurally and systematically short-circuit and bypass the knowledge of psychic and collective individuals" (S. 25f). Entgegen dieser strukturellen Einbettung der Störung psychosozialer Bezüge macht Stiegler eine pharmakologische Perspektive stark. Gerade da digitale Netzwerke in Prozesse transindividueller Wissensgenerierung aktiv involviert seien (vgl. S. 35, 39f), könnten sie nicht nur als Gift, sondern auch als Heilmittel wirken, andere Formen von Wissen und Handlungsfähigkeit freilegen (vgl. 35, 43) und dazu verhelfen eine "automatic society founded on deproletarianization" (S. 36) mit zu konstituieren. Stieglers Essay ist ein hochkonzentriertes – und dementsprechend recht voraussetzungsvolles – Kondensat seiner langjährigen Denkarbeit, das letztlich in seine jüngste Forderung Neganthropie zu denken und mittels politischer Maßnahmen strukturell zu fördern (vgl. S. 40-44) mündet.

Eine grundsätzliche Gemeinsamkeit beider Bücher liegt in der Annahme, dass die soziale Umgebung ebenso natürlich wie maschinell geprägt ist, wenn sich auch die Ebenen der Betrachtung signifikant unterscheiden. Betont wird von allen Autor*innen die Wechselbeziehung zwischen Mensch und Technik, wodurch ein autonomes Subjekt, das erst Technik schafft und sie bestimmt, negiert wird. Das Maschinelle wird vorgelagert betrachtet, als das, was menschliches Handeln, Denken und Fühlen stets mitprägt. Es geht also um nichts Geringeres, als um ein neues Welt-Denken, das Maschinen und Menschen nicht in ein binäres, sich gegenüberstehendes Gefüge denkt und nicht von fixierten Subjekten, Entitäten oder Identitäten ausgeht, sondern ontologische Bestimmungen oder Zuweisungen neu denkt: als Eingreifens, als Interdependenz. Aus sehr unterschiedlichen Perspektiven und Fragestellungen heraus, machen alle Texte deutlich, dass Ontologie hier nicht ohne Epistemologie zu haben ist und verhandeln diese Verschränkung zudem unter ästhetischen, politischen und sozialen Aspekten. Nicht zuletzt geben sie damit die Mechanismen von Theorie- und Wissensproduktionen kritisch zu denken.

Autor/innen-Biografien

Julia Preisker

Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien (2009–2015, BA und M.A.). 2016–2018 Mitarbeiterin bei der Forschungsplattform "Mobile Cultures". Seit Dezember 2017 DOC-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften mit einem Dissertationsprojekt zu kleine Formen von Intervention im medienkulturhistorischen Vergleich. Seit Januar 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft.

Aktuelle Publikationen:

Julia Preisker: "Von der An- und Abwesenheit (medialer) Subjekte und der Wirkung von verletzender Sprache – Performativitäts- und medientheoretische Überlegungen zu 13 Reasons Why". In: Hate Speech. Betrifft Mädchen 32/3 2018, S. 106–112.

Gemeinsam mit Ifkovits, Kurt: "Verzeichnis der Aufführungen". In: Beat Steffan (Hg.): Emil Pirchan. Ein Universalkünstler des 20. Jahrhunderts, Wädenswil: Nimbus 2018, S. 324-349.

–, "'Ein neuer, waschechter Friedmann. Und so einer tut jetzt dringend not' – Zwischen Unterhaltung, Emanzipation und Antisemitismus – Armin Friedmann, Hans Moser und das jüdische Theater in Wien". In: 25 Jahre Theatermuseum im Palais Lobkowitz. Hrsg. v. Mühlegger-Henapel. Wien: Holzhausen 2016, S. 59–73.

Irina Raskin

Seit April 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin am DFG-Graduiertenkolleg "Das Wissen der Künste" an der Universität der Künste Berlin mit dem derzeitigen Arbeitstitel "Medienökologien des Sinnens oder was passiert, wenn Maschinen lernen sich zu erinnern". Studium der Medien- und Kulturwissenschaft (BA) und Medienkulturanalyse (MA) an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Im Anschluss an ihre Tätigkeit als Autorin und Redakteurin für Hörfunk- und Onlinejournalismus absolvierte Irina Raskin ein wissenschaftliches Volontariat an der Kunsthalle Düsseldorf. Zwischen 2015 und 2017 wirkte sie als Kuratorin, kuratorische Assistentin, Kunstvermittlerin und Autorin freischaffend an diversen Ausstellungs- und Publikationsprojekten mit und arbeitete dabei unter anderem zusammen mit den Kunstmuseen Krefeld und dem Museum Abteilberg Mönchengladbach.

Aktuelle Publikationen:

-: "Machine Learning and Technoecological Conditions of Sensing". In: A Peer-Reviewed Journal About Machine Feeling 8/1. Hg. von Christian Andersen/Geoff Cox. 2019 [https://aprja.net/issue/view/8133].

Gemeinsam mit Magdalena Holzhey: "Longing and Belonging. Die Zugezogenen im Haus Lange". In: Elmgreen & Dragset. Die Zugezogenen. Hg. v. Magdalena Holzhey. Köln: 2017.

-: Diverse Kurztexte und Mitarbeit an Werkverzeichnis in: Ludger Gerdes. Von Angst bis Wollen. Hg. v. Sylvia Martin/Anette Hüsch. Wien: 2016.

-: "Breakthrough". In: Show & Tell. Bild und Erzählung in Moderne und Gegenwart. Grafik aus den Kunstmuseen Krefeld. Hg. v. Magdalena Holzhey. Köln: 2015.       

-: "Virtual Vitality". In: Ian Cheng. Live Simulations. Hg. V. Elodie Evers/Irina Raskin/Gregor Jansen. Leipzig: 2015.

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Veröffentlicht

2019-11-19

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Medien