Brigitte Biehl: Leadership in Game of Thrones.

Berlin: Springer 2020. ISBN: 978-3-658-29301-7. 142 S., Preis € 37,99.

Autor/innen

  • Martina Kalser-Gruber

DOI:

https://doi.org/10.25365/rezens-2020-2-12

Abstract

Die US-amerikanische Fantasy-Fernsehserie Game of Thrones des Autorenduos David Benioff und D. B. Weiss (HBO), in deren Zentrum Aufstieg und Fall unterschiedlichster Führungspersönlichkeiten in Westeros stehen, wurde zwischen 2011 und 2019 weltweit von vielen Anhänger*innen gefeiert. Wenig verwunderlich daher, dass auch theoretische Abhandlungen zu den unterschiedlichsten Bereichen nicht lange auf sich warten ließen. Auch zum Thema Leadership in Game of Thrones gibt es bereits einige Analysen und Diskussionen. Eine davon liegt dieser Rezension zugrunde.

Der Springer-Verlag, in dessen Reihe "Serienkulturen: Analyse – Kritik – Bedeutung" diese Publikation der Berliner Professorin für Media and Communication Management Brigitte Biehl erschienen ist, verspricht in der Werbung "unterhaltsame Analyse von Leadership-Archetypen und Situationen" anhand der berühmten Fernsehserie Game of Thrones und die Präsentation kultureller Denkmuster und popkultureller Phänomene. Dementsprechend führt die Autorin zu Beginn in aller Kürze in das Thema Populärkultur ein und zeigt in Anlehnung an Kleiner/Wilke (2013) auf, inwiefern gerade Fernsehserien wie Game of Thrones als performative Praxis imstande seien, für Zuseher*innen Sinn zu vermitteln und Verständnis für zwischenmenschliche Interaktionen zu ermöglichen (S. 2), wodurch sie sich auf subtile Weise auch wirtschaftswissenschaftlichen Themen wie der Managementforschung nähern. Die Auseinandersetzung mit Leadership in Game of Thrones läge gerade deshalb nahe, weil die Themen Macht und Führung zentraler Inhalt der TV-Serie sind und gleichzeitig das alltägliche Leben unserer Zeit prägen, so die Autorin. Weiters spiele vor allem Serienkultur, die sich per se thematisch und insbesondere in der Form von wissenschaftlichen Diskursen differenziert, in der gegenwärtigen Kultur eine immense Rolle und ist daher umso geeigneter, der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten. Biehl setzt sich wissenschaftlich mit populärer Kultur als "Reflexion unserer heutigen Gesellschaft" (S. 2ff; S. 130) auseinander und sieht gerade diese Vorgehensweise als Möglichkeit weiteres Wissen zu produzieren und zusätzlich bisher nicht erreichten Zielgruppen außerhalb der Wissenschaftsszene zugänglich zu machen.

So ist die fiktive Welt von Game of Thrones geprägt von Gewalt, Grausamkeit und ethischen Skandalen, die jenseits der Unternehmenskultur unserer Breitengrade liegen. Dennoch: Laut Biehl könnten die Machtkämpfe in Westeros mit den Fallen, Demütigungen und Intrigen unseres gegenwärtigen Berufslebens verglichen werden.

Vorweg sei gesagt: Diese Analyse richtet sich vornehmlich an Game of Thrones-Kenner*innen und -Anhänger*innen, wird bei Rezipient*innen doch einiges an Hintergrundwissen zur Fantasy-Serie vorausgesetzt. So erläutert die Autorin die Entwicklungsstufen einzelner Figuren, verzichtet dabei aber großteils auf die Erläuterung größerer Zusammenhänge und deren Anspielungen auf reale historische Begebenheiten. Darum geht es der Autorin, wie sie einleitend schreibt, auch nicht, sondern vielmehr darum, in der Analyse "kulturelle Archetypen in Bezug zu Modellen der Führung" (S. 12) zu setzen. Biehl beschreibt Führung dabei als ein Phänomen, zu dem der Mensch per se ein ambivalentes Verhältnis pflege, verlange er sie einerseits doch regelrecht und stehe ihr dennoch zumeist kritisch gegenüber. Stimmig konstruiert die Autorin dabei das Führen von Menschen als vielschichtigen und mitunter schwer nachvollziehbaren Prozess, der geprägt ist von der Interaktion zwischen Führungsperson und Geführten. Führung beschreibt sie daher an mehreren Stellen als sozialen Prozess zwischen diesen beiden Gruppen, denn Führung, entstehe nicht über das Objekt (die Führungsperson) allein, sondern zwischen den geführten Menschen, ihrer Akzeptanz der Führungsperson gegenüber, den geteilten Werten und dergleichen (S. 10). 

Anhand der Führungspersonen aus Game of Thrones werden demnach je nach Art der Interaktion unterschiedliche Archetypen der Leadership-Forschung präsentiert und analysiert. Dabei sind die Protagonist*innen nicht wie im Lehrbuch idealistisch und ohne Fehler angelegt, sondern verfolgen ehrgeizig ihre Ziele und scheitern mitunter an der eigenen Persönlichkeit. Dafür müssen sie allerdings mit dem eigenen Leben bezahlen. "Das entspricht unserer heutigen komplexen Welt, in der gescheiterte Führungspersonen zwar nicht hingerichtet werden, aber Entscheidungen unter großer Unsicherheit, mit Bauchschmerzen und ungewissem Ausgang treffen müssen" (S. 9). 

Bezeichnend sei, dass die Prozesse unabhängig vom Leader-Typus permanenten und nahezu unvorhersehbaren Änderungen unterworfen sind. Biehl beschreibt dies als Parallele zu den volatilen Entwicklungen unserer Geschäftswelt. 

So handelt die Autorin die Game of Thrones-Anführer*innen unterschiedlichen Kategorien von Führungstypen zu: Lord Eddard Stark von Winterfell gilt beispielsweise aufgrund seiner hohen moralischen Wertvorstellungen und des pflichtbewussten Einsatzes für das Volk als sogenannter "authentischer Führer" wie Leadership-Forscher Gardner et al. (2005) diesen Typ beschreiben. Doch am Ende scheitert er an seinen eigenen Idealen und daran, dass er eigene Schwächen und die zu bestreitende Position im sozialen Umfeld nicht erkennen kann (S. 19). Biehl analysiert diese sowie auch die folgenden Figuren anschaulich nach visuellen Komponenten wie Physis, Kleidung oder Schmuck und zeigt anhand unterschiedlicher Beispiele auf, wie die Persönlichkeiten durch soziolinguistische Merkmale (zum Beispiel Dialekte) charakterisiert und somit eindeutig differenziert werden. Diese Beobachtung entspricht weiters auch der Kategorie "Kapital", in deren Auslegung sich Biehl an der Definition Bourdieus (1983) orientiert. So unterscheidet sie sozialeskulturelles sowie symbolisches Kapital (S. 35) und ordnet diesen jeweils anführende Protagonist*innen wie Robb und Catelyn Stark oder Petyr Baelish zu. Diese Kapital-Typen ergänzt die Autorin durch eine weitere Kategorie, nämlich "Phallus" und reduziert die Legitimation von Herrschaft somit in dieser auf rein körperliche (männliche) Attribute. Die dieser Kategorie zugeordneten Protagonist*innen Asha Graufreud und Varys heben sich im Vergleich mit den anderen noch einmal durch gesteigerte Gewalt und Grausamkeit ab. Weibliche Figuren und Eunuchen werden in diesem phallozentrischen Machtkampf entsprechend geringgeschätzt (S. 58). Genau aus diesem Grund versuchen wenige Frauen – dies gilt als weitere Kategorie nach Biehl – wie Daenerys ihre Weiblichkeit durch maskuline Wesenszüge wie Aggressivität oder Grausamkeit zu kompensieren (S. 66f). Anhand der nächsten Kategorie "Isolation" wird ersichtlich, dass Führungspersönlichkeiten wie Cersei Lennister in Game of Thrones trotz ihrer unbestrittenen Macht häufig dennoch isoliert und aufgrund der narzisstischen Egozentrik alleine sind (S. 75ff). Biehl nimmt dabei auch besonders eindrucksvoll Bezug auf ein Gemälde von Francis Bacon, in denen Papst Innonzenz X wie ein Geist in einem "goldenen Käfig" (S. 83) erscheint. Ein weiterer Leader-Typus wird durch besonderes "Charisma" – als besondere Begabung im Sinne von Weber (2005) ausgezeichnet. Jon Snow beispielsweise schafft es durch seine einnehmende Art trotz ursprünglich fehlender Herrschaftsansprüche an die Spitze (S. 89f). Dass charismatische Figuren aber nicht nur in der fiktionalen Welt, sondern eben auch in der Geschäftswelt zu Selbstüberschätzung neigen und schlussendlich vor Misserfolgen nicht gefeit sind und gerade weibliche Führungspersönlichkeiten trotz vorhandenen Charismas Nachteile haben, demonstriert die Autorin anhand filmischer sowie realer Fallbeispiele ausführlich (S. 94ff). Dass Personen aufgrund ihres Charismas außerdem idealisiert und sogar gegen ihren Willen zu Anführer*innen werden können, zeigt die Beschreibung der Kategorie "Romantisierung" und die Figur des Jon Snow, der niemals nach Macht strebte. Biehl bringt an dieser Stelle – durchaus etwas unvermittelt – den Vergleich mit Mose, der sich nur widerwillig dem Willen Gottes unterwirft, das Volk Israels zu befreien (S. 110). Macht hängt nicht (nur) von physischen Kriterien ab, wie die letzte von Biehl festgestellte Kategorie "Behinderung" offenbart, denn anders als TV-Stereotype zumeist vermitteln, seien Kleinwüchsige wie Tyrion Lennister, Eunuchen oder gehbehinderte Personen wie Brandon Stark durchaus in der Lage an Machtpositionen zu kommen. Anschaulich führt Biehl vor Augen, wie die Produzenten es schaffen, anhand dieser Figuren überholte Vorurteile aufzubrechen und das Stigma von Behinderung kritisch zu hinterfragen (S. 116).

Allen Kategorien gemein ist, dass die Beziehung zum Volk und den einzelnen "Geführten" am Ende schwerer wiegt als das Wesen der Führungspersönlichkeit. Selbst persönliche Begabungen wie "Charisma" entstünden nach Biehl als sozialer Interaktion heraus (S. 90), könnten inszeniert ebenso aber auch idealisiert werden (S. 91). Dieser beziehungsorientierte Ansatz stellt das zentrale Argument dieser Abhandlung dar und wird von der Autorin immer wieder betont.

Eine etwas ausführlichere Einführung in das Thema Leadership wäre für das theoretische Verständnis, dem diese Analyse zugrunde liegt, hilfreich gewesen. Biehl steigt eher unvermittelt in die Analyse ein –ohne ihre methodologische Herangehensweise voranzustellen. Weiters wäre an manchen Stellen eine ausführlichere Diskussion theoretischer Grundlagen zum besseren Verständnis durchaus wünschenswert. Der süffisante Sprachduktus mit mancherorts stark umgangssprachlicher Färbung und vielen Anglizismen wirkt, wie der Verlag es bereits in der Bewerbung der Publikation verspricht, unterhaltsam und zunächst weniger an einen wissenschaftlichen Kreis adressiert. Dieser Umstand ändert sich allerdings ab dem Kapitel "Charisma", das mit seinen zahlreichen Verweisen zu theoretischen Ansätzen und Standardliteratur, ergänzt durch Beispiele aus dem Game of Thrones-Universum, besonders gelungen ist.

Kurze Zusammenfassungen sowie die Angabe von Schlüsselwörtern vor jedem einzelnen Kapitel führen thematisch in die Materie ein, geben inhaltlichen Überblick und erleichtern punktuelles Lesen beziehungsweise die Nachschau einzelner Unterpunkte zu einem späteren Zeitpunkt.

Für Rezipient*innen, die an einer theoretisch fundierten Analyse mit der Angabe weiterer Quellen interessiert sind, könnte dieses Werk mitunter gewöhnungsbedürftig oder gar unzufriedenstellend sein. Für Game of Thrones-Anhänger*innen, die zuweilen nicht vertraut mit wissenschaftlichen Analysen sind, eignet sich die Lektüre dieses Buches aber ideal für einen ersten Einstieg in das Thema Leadership.

Literatur:

Bourdieu, Pierre: "Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital". In: R. Kreckel (Hrsg.). Soziale Ungelichheiten (Soziale Welt Sonderband 2). Göttingen: Otto Schwartz 1983, S. 183-198.

Gardner, William L., Avolio, Bruce J., Luthans, Fred, May, Douglas.R., & Walumbwa, Fred: "Can you see the real me? A self-based model of authentic leader and follower development". In: The Leadership Quarterly. 16(3), 2005, S. 343-372. http://www.ipcrc.net/LDI/pdfs/sdarticle-can-you-see-the-real-me.pdf, abgerufen am 30.10.2020.

Kleiner, Marcus S., & Wilke, Thomas (Hrsg.): Performativität und Medialität Populärer Kulturen. Wiesbaden: Springer VS 2013.

Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft. Frankfurt: Zweitausendeins 2005.

Autor/innen-Biografie

Martina Kalser-Gruber

Martina Kalser-Gruber studierte Musikwissenschaft an der Universität Wien und schloss ihr Studium mit einer Dissertation über die Entwicklung des Genres Musical in Wien ab. Erste berufliche Erfahrungen sammelte sie im Archiv des ORF-Landesstudio NÖ sowie im Kulturmanagement, ehe sie an das Department für Kunst- und Kulturwissenschaften der Donau-Universität Krems wechselte. Dort betreute Kalser-Gruber einige Jahre lang die Sammlung Mailer / Strauss Archiv und ist nun unter anderem für Kommunikation und PR verantwortlich. Im postgradualen Studium "Kommunikation und Management" konnte sie ihr Wissen zu Kommunikation im Kulturbereich weiter vertiefen. Dieses schloss sie mit einer Master Thesis zum Reputationsmanagement in Kulturbetrieben ab.

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Veröffentlicht

2020-11-18

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Medien