Lukas Foerster/Nikolaus Perneczky (Hg.): The Real Eighties. Amerikanisches Kino der Achtzigerjahre: ein Lexikon.
Wien: FilmmuseumSynemaPublikationen 2018. ISBN 978-3-901644-71-9. 224 S., Preis: € 22,-.
Abstract
Das US-amerikanische Kino der 80er Jahre – aus filmhistorischer und cineastischer Sicht gibt es wohl kaum ein Jahrzehnt, das einen schlechteren Ruf genießt als dieses: Die Zeit des New Hollywood mit seinen politisch relevanten und ästhetisch innovativen Filmen ist vorbei, große Filmstudios haben die Lust am Experimentieren verloren und investieren lieber in Blockbuster und tentpole Produktionen, in einem fast unheimlichen Gleichklang mit der gesellschaftspolitischen Stimmung, die das Jahrzehnt bestimmte.
Die neoliberale Kälte der Reagan-Ära scheint sich in der coolen, glatten Ästhetik der Filme widerzuspiegeln. Die Auslagerung der Kinos an den Stadtrand, als Multiplexe in den Shoppingmalls, hat auch den Film warenförmiger gemacht, technische Neuerungen wie VHS konnten zu Multiplikatoren der (Kino-)Kassenerfolge werden, während Merchandising den Filmen ein höchst lukratives Nachleben jenseits der Kinoauswertung bescherte.
Nicht oft macht es Sinn, eine Ära mit einem Jahrzehnt zusammenzulegen, die Achtziger beginnen – filmhistorisch gesehen – tatsächlich 1980, nachdem ein politisch wie ästhetisch ambitionierter, in seiner epischen Länge überbordender Western (Heaven's Gate von Michael Cimino) seine Produktionsfirma fast in den Abgrund gerissen hat und in der Branche ein Umdenken im Sinne von mehr Rentabilität anstieß. Das Ende der Ära ist ein jähes: Nach 1989 ist die Welt nicht mehr die, die sie vorher war.
Dazwischen liegen Yuppies und Hardbodies, Föhnwellen und verspiegelten Sonnenbrillen, zwischen Kassenschlagern, Traumfabrik und Superstars finden sich die "Real Eighties", denen sich die gleichnamige Publikation – ausgehend von einer Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum (damals noch unter Direktor Alexander Horwath) – widmet.
Seine Intention macht das, von Lukas Foerster und Nikolaus Perneczky herausgegebene, Buch schon in seinem Titel klar: The Real Eighties. Amerikanisches Kino der Achtzigerjahre: ein Lexikon. Es geht um eine Neuentdeckung, in manchen Fällen um eine Richtigstellung oder zumindest Ergänzung des filmhistorischen Kanons, und es ist in seiner Form lexikalisch angelegt – ein Nachschlagewerk, das keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt, sondern Schlaglichter auf das filmische Schaffen eines "zerrissenen Jahrzehnts" wirft.
Viele der Beiträge lesen sich überraschend persönlich, so weisen sich die beiden Herausgeber schon im Vorwort als "Kinder der Achtziger" aus (im Sinne des tatsächlichen Geburtsjahres), auch ein "Ich" wird nicht gescheut, was der Tatsache Rechnung trägt, dass Kino bzw. Film Teil einer Biographie ist (und das Kino der 80er bei vielen der BeiträgerInnen Begleiter durch die Pubertät war).
Die fast 50 Beiträge bzw. Einträge behandeln unterschiedliche Themenbereiche: Filmbesprechungen von Filmen wie No Way Out, Colors oder Working Girl, Portraits von SchauspielerInnen und Regisseuren, die das Jahrzehnt geprägt haben, wie Mickey Rourke, Harrison Ford, Debra Winger, Sylvester Stone und Tom Cruise, Michael Mann, Jonathan Demme oder Albert Brooks.
Dazwischen finden sich auch – wie Stichwortgeber – Einträge zu spezifischen Neuerungen und Tendenzen: Das Video Home System (VHS), mit dem der Film erstmals den Kinosaal verlassen konnte, die Teen-Movies, die eine neue Zuschauer-, aber vor allem auch Konsumentenschicht ansprachen, oder Country als – für mache vielleicht überraschend – favorisierter Soundtrack des amerikanischen Kinos der (frühen) Achtzigerjahre.
Unter den Lexikoneinträgen finden sich neben Originalbeiträgen auch zahlreiche zeitgenössische Texte (etwa von Michael Althen, Frieda Grafe oder Hartmut Bitomsky), die in Zeitschriften erschienen sind, die es (in dieser Form) gar nicht mehr gibt: Filmkritik, Tempo, steadycam oder Spex.
Dass es zur Filmschau auch einen gleichnamigen Workshop gab, liest man aus einigen der (längeren) Beiträge heraus: sie erweitern die Publikation um (film-) theoretische Perspektiven. So geht Nikolaus Pernetczky in seinem Beitrag "Klassenverhältnisse" genauer darauf ein, wie sich sozialpolitische Strömungen in Populärkultur einschreiben. Sulgie Lie argumentiert in seiner feinsinnigen Analyse von William Friedkins To live and die in L.A. mit Marx, Derrida und (ein bisschen) Deleuze. Drehli Robnik spannt mit seinem Text "Whiteness" einen erhellenden (und höchst unterhaltsamen) Bogen von Zucker-Zucker-Abrahams- Komödien zum Rassismus-Drama White Dog von Samuel Fuller, über Blackness, Jewishness, Sci-Fi und (wieder) Gilles Deleuze.
The Real Eighties wird seinem Anspruch gerecht als ist ein Nachschlagewerk, das ein verfemtes Jahrzehnt um viele neue Blickwinkeln und lesenswerte Texte bereichert, und aktuelle nostalgische Produktionen wie die Netflix-Serie Stranger Things scheinen die Einschätzung zu teilen, in den 1980er Jahren nicht nur den Grund alles Übels zu sehen, sondern einen Fundus für Bilder, Geschichten und (Wieder-) Entdeckungen.
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