Sarah Chaker/Jakob Schermann/Nikolaus Urbanek (Hg.): Analyzing Black Metal. Transdisziplinäre Annäherungen an ein düsteres Phänomen der Musikkultur.
Bielefeld: transcript 2018. (Reihe: Studien zur Popularmusik). ISBN 978-3-8376-3687-1. 180 S., zahlr. Abb., Preis: € 24,99.
Abstract
Der Sammelband Analyzing Black Metal – Transdisziplinäre Annäherungen an ein düsteres Phänomen der Musikkultur befasst sich mit den musikalischen, performativen, ikonischen und diskursiven Codes des Black Metal. Die darin veröffentlichten Beiträge gehen mehrheitlich auf Impulsvorträge zurück, die anlässlich des Studientags und Analyse-Workshops Black Metal. Norwegens düsterer Beitrag zur Musikgeschichte entstanden sind. Studientag und Workshop fanden beide am 22. April 2016 an der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien im Rahmen des mdw_festivals Kulturen des Nordens statt.
Mit Blick auf neuere musikalisch-klangliche und ästhetisch-inhaltliche Entwicklungen im Black Metal stellen die Herausgeber_innen des Bandes in ihrem einleitenden Kapitel fest, das Genre durchlaufe gegenwärtig eine in der Szene als "dritte Welle" (S. 7) bezeichnete Phase der Reformulierung, Rekontextualisierung und Erweiterung seines historisch gewachsenen Code-Repertoires. Black Metal lasse sich jedoch nicht nur als Musikform begreifen, sondern u. a. auch als soziales Sinnsystem, Lebensstil oder Ideologie, was eine transdisziplinäre Untersuchung dieses vielgestaltigen, komplexen Phänomens nötig mache. Grundlage einer zielführenden transdisziplinären Erforschung von Black Metal sei dabei zweierlei: die Anerkennung des Phänomens als überhaupt untersuchungswürdig und das gleichberechtigte Nebeneinander verschiedener Deutungsperspektiven.
Eine medienästhetische Perspektive auf das Phänomen eröffnen Florian Heesch und Reinhard Kopanski, die in Klang – Text – Bild: Intermediale Aspekte der Black Metal-Forschung das Zusammenspiel ebendieser Signifikationsebenen in der "medialen Migration" (S. 23) des Mythos der 'Wilden Jagd' im Black Metal nachgehen. Die Autoren umreißen zunächst einige konventionelle Elemente dieses Sagenkomplexes, benennen neuzeitliche künstlerische Referenzen auf dasselbe, und betrachten Bezugnahmen und Verarbeitungen der 'Wilden Jagd' im Black Metal als symptomatisch für eine genretypische "Häufung von Referenzen auf nordisch-mythologische Stoffe" (S. 27). Eine solche Mythenmigration identifizieren die Autoren auf der Bildebene in der wiederholten, transnationalen Verwendung von Peter Nicolai Arbos Gemälde Åsgårdsreien (1872) auf Albencovern verschiedener Black Metal-Bands. Anschließend beschreiben sie, ausgehend vom Lied Oskorei der norwegischen Band Khold, drei mögliche Migrationswege dieses Mythos auf der Klang- und Textebene. Der Aufsatz besticht durch sein ausgesprochen kluges Theoriedesign sowie durch seine schlüssige Argumentation.
Aus gendertheoretischer Perspektive erläutert Jan G. Grünwald in Männlichkeiten, Räume und Wiederholungen im Black Metal die Mechanismen der bildlichen Inszenierung archaischer Männlichkeit als "Idealvorstellung einer vermeintlich rückgewandten und überlegenen Männlichkeit, die sich bewusst unzeitgemäß gibt" (S. 51). Ausgehend von einem als reziprok verstandenen Konstitutionsverhältnis von Männlichkeit und Raum als prozessuale, sich in ihrer jeweiligen Inszenierung gegenseitig bedingende Kategorien, analysiert Grünwald zunächst Standbilder zweier als ikonisch geltenden Musikvideos, in denen archaische Männlichkeit jeweils in und gegen einen als Urgewalt dargestellten Naturraum konstruiert wird. Die in einem dritten Musikvideo jüngeren Datums identifizierte Assimilation und zugleich Transformation dieses Darstellungsparadigmas theoretisiert der Autor als Möglichkeitsbedingung der Fortdauer und des Erhalts 'authentischer' Männlichkeitsdarstellungen im Genre. Die induktive Behauptung eines solchen Paradigmas und seiner Weiterentwicklung anhand der Analyse so weniger Standbilder scheint problematisch, ist jedoch möglicherweise auf eine Verkürzung des vom Autor in seiner Monographie Male Spaces. Bildinszenierungen archaischer Männlichkeit im Black Metal (2012) entwickelten Arguments zurückzuführen.
Eine religionswissenschaftliche Perspektive nimmt Anna-Katharina Höpflinger in Ästhetisch, identifikatorisch, normativ: Die Funktion der Rezeption religiöser Codes im Norwegischen Black Metal ein. Darin geht sie der Frage nach, weshalb im Black Metal ausgerechnet religiöse Codes in ihrer populärkulturellen Rezeption so häufig aufgegriffen werden, und wie solche Aneignungen wiederum Vorstellungen über Religion formen. Die Autorin identifiziert zunächst vier funktionale Aspekte der Rezeption religiöser Codes im Black Metal: als Ausdruck normativer Weltanschauungen, als Abgrenzungsstrategie, die wiederum an Zugehörigkeitsbekundungen geknüpfte Identifikationsprozesse ermöglicht, sowie als Ästhetisierungspraxis. In der Selektion und Verbreitung bestimmter religiöser Codes werden hingegen spezifische Repräsentationen von Religion verbreitet und popularisiert, die sich zu dominanten Lesarten derselben verdichten. Der Beitrag zeichnet sich durch seine begriffliche Präzision und methodische Integrität aus.
Eine um Konzepte aus der Literaturwissenschaft und der kulturwissenschaftlichen Gedächtnisforschung ergänzte musikwissenschaftliche Perspektive steuert Jakob Schermann mit Zwischen Gedächtnisform und Klanggestaltung: Musikalische Intertextualität im Black Metal bei. Der Beitrag fokussiert zunächst Coverversionen als "wohl meistgenutztes hypertextuelles Verfahren" (S. 91) und theoretisiert diese als musikalische Gedächtnisform, die zur Traditionsbildung eines Genres beiträgt. Anschließend werden die atmosphärischen, musikalischen und genrekonstitutiven Funktionen von Samples erläutert. Abgeschlossen wird der Beitrag von einer Analyse des Songs Carnal Malefactor von Deathspell Omega zur Veranschaulichung ebendieser Verfahren und Funktionen. Die vom Autor identifizierten intertextuellen Genealogien sind sachkundig und anschaulich beschrieben. Der Beitrag stellt eine sehr gelungene Balance aus deskriptiven, analytischen und semantisierenden Passagen dar.
Eine diskursanalytische Perspektive vertritt Florian Walch in "Was niemals war" – Das Selbstbewusstsein des Norwegischen Black Metal als Konstruktion einer Vergangenheit und Konstitution einer Klanglichkeit. Walch untersucht zunächst anhand der Faksimile-Gesamtausgabe des Fanzines Slayer Mag, wie sich die Black Metal-Szene diskursiv gegenüber dem Death Metal positionierte. Die Äußerungen von Szene-Protagonisten – etwa Gylve 'Fenriz' Nagells Hervorhebung der "finger moving technique" (S. 116) als idealtypisch für den Norwegischen Black Metal – nimmt Walch dabei zum Anlass, ihr Potenzial als Anleitung musikalischer Analysen anhand ausgewählter Songbeispiele auszuloten. Ein stellenweise sehr dichter Beitrag, dessen zentraler Verdienst jedoch darin besteht, die schriftlich festgehaltenen Selbstverständnisse der Black Metal-Szene ernst zu nehmen und praxeologisch fruchtbar zu machen.
Einen musikanalytischen Zugang zu Black Metal bietet Dietmar Elfleins Ordnung und Chaos – Songstrukturen im Norwegischen Black Metal, in dem nach dem Verhältnis zwischen Heavy Metal und Black Metal hinsichtlich ihrer formalen Strukturen, stilistischen Normen und den hierauf basierenden Zuschreibungen als 'ordentlich' respektive 'chaotisch' gefragt wird. Elflein vergleicht hierfür mehrere Songs unterschiedlicher Bands in Bezug auf Parameter wie konventionelle Popsong-Strukturen, Riffreihung, Rifflänge, und Riffwiederholung. Abgerundet wird dieser genreanalytische Querschnitt durch Hinweise auf aktuelle Entwicklungen sowie durch einen Abgleich des für den Studientag ausgewählten Fallbeispiels Mother North von Satyricon mit den Ergebnissen der zuvor analysierten Songs. Elflein, der methodisch auf seine diskursprägende Studie Schwermetallanalysen (2010) zurückgreift, demonstriert auch in diesem Beitrag seine profunde musikalische Kenntnis des Black Metal. Die tabellarischen Aufschlüsselungen und formalen Analysen der gewählten Beispiele verdienen ob ihrer Genauigkeit Anerkennung, wirken jedoch etwas unzugänglich.
Den Abschluss des Bandes bildet der Beitrag Reflexionen zur Analyse von Satyricons "Mother North", in welchem Ralf van Appen den eingangs erwähnten Studientag und Analyse-Workshop einer kritischen Methodenreflexion unterzieht. Der Autor führt die während des Workshops offenkundige Marginalisierung der musikalischen Ebene zugunsten einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der Text- und Bildebene des Fallbeispiels Mother North von Satyricon auf verschiedene wissenssoziologische, rahmenbedingte und methodische Faktoren zurück. Er nimmt sie aber auch zum Anlass, die Relevanz, Methoden und Ziele musikwissenschaftlicher Untersuchungen anhand einer Analyse desselben Gegenstands zu erhellen. So angenehm systematisch van Appen vorgeht, so subtil durchkreuzt er jedoch den Anspruch des Bandes, keiner diskursiven Position Anspruch auf Deutungshoheit über das Phänomen Black Metal zuzugestehen, indem er (in einer Fußnote) den Künstler_innen unterstellt, den von ihnen selbst behaupteten Einfluss mittelalterlicher Musik auf ihre eigene zu überschätzen. Damit stellt er – in diametraler Opposition zur Vorgehensweise Florian Walchs und entgegen der von Höpflinger nachgewiesenen identitätsstiftenden Funktion szeneinterner Codes – die (Musik-)Wissenschaft als privilegierten Ort der Wissensgenese dar. Dass er im übrigen der einzige Autor des gesamten Bandes ist, der seine persönliche Meinung zum Black Metal artikuliert ("abstoßend"; S. 155, 170, 171), ist in dem Zusammenhang bezeichnend.
Der Sammelband löst auf eindrucksvolle Weise den von den Herausgeber_innen formulierten Anspruch auf Methodenpluralismus und Perspektivenvielfalt ein. Gesammelt geben die Beiträge einen Überblick über dieses noch relativ junge Forschungsfeld und zeugen zugleich von einer bereits einsetzenden Kanonbildung diskursprägender Forschungsarbeiten, Konzepte und Geschichtsnarrative. Eine für Wissenschaftler_innen und Szeneanhänger_innen gleichermaßen empfehlenswerte Lektüre, obgleich vornehmlich an erstere gerichtet.
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