Volker Klotz: Gegenstand als Gegenspieler. Widersacher auf der Bühne: Dinge, Briefe, aber auch Barbiere.

Wien: Sonderzahl 2000. 281 S. ISBN 3-85449-170-0. Preis: ATS 248,--/DM 34,--/sfr 32,--.

Autor/innen

  • Christian Rapp

Abstract

Volker Klotz ist einer jener seltenen Literaturwissenschaftler, die nicht nur eine akademische Professur mit praktischer Theaterarbeit mühelos zu vereinigen verstehen, sondern denen auch die Lust am Fabulieren und Entdecken ebenso wichtig ist wie der Gegenstand, dem sie sich widmen. Auch in seinem neuen Buch liegt, wie schon der geradezu barocke Titel ankündigt, ebensoviel Poesie wie Programm.

Diesmal geht es Klotz um das Requisit, um Dinge, die mit den menschlichen Lebewesen das Geschehen auf der Theaterbühne bestreiten, die ebenso bedeutsam wie wirksam treffen, verfolgen, helfen, fallen und verlorengehen können. Und auch in diesem Buch verbindet er Deutungslust mit Theaterkenntnis, läßt den akademischen Diskursballast einmal beiseite, um sich unbekümmert auf die Quellen, auf Texte und Partituren einzulassen.

Das Buch besteht aus drei umfangreichen Essays, in denen Klotz jeweils grundsätzliche dramaturgische Kontexte erläutert, um dann fließend in Fallbeispiele überzugehen, an denen er Detailanalysen vornimmt und Sonderfälle erörtert. Spätestens seit es die Guckkastenbühne gibt und man aus dem Dunkel in den beleuchteten Rahmen des Bühnenkastens schauen kann, fallen dem Publikum Gegenstände deutlich auf, die ins Geschehen eingreifen können. Daß sie auf der Bühne bedeutsamer werden können als in den anderen literarischen Formen, liegt, wie Klotz ausführt, am szenischen Antagonismus des Theaters, am Umstand, daß dort mindestens zwei Personen miteinander im Widerstreit liegen, von denen fallweise eine durch einen Gegenstand vertreten werden kann. Auch unscheinbare Objekte können sich da mit brisanter szenischer Energie aufladen. In den Tragödien ist es zumeist eine vergangene Handlung, die sich im Gegenstand eingelagert hat und ihre Sprengkraft entladen kann, sobald etwa das Objekt vom falschen Akteur zum falschen Augenblick in die Hand genommen wird. Die bekanntesten Fälle: Penthesileas Bogen, das Taschentuch der Desdemona, Woyzecks Messer, aber auch - in der Komödie - Blumentöpfe, Hutnadeln, Amulette, Uhren.

Vor allem Stücke aus der Mottenkiste der Theaterliteratur, über die sich wohl kaum noch eine Bühne wagen würde, lassen Dingmoden und die mit ihnen beabsichtigten dramaturgischen Kunstkniffe oft besonders drastisch erkennen. Da wäre etwa das Schauerdrama Vierundzwanzigster Februar des Dichters und Wanderpredigers Zacharias Werner. An jenem Tag, im Abstand von jeweils einer Generation wird eine Familie immer wieder aufs neue heimgeholt, verlieren Vater und Sohn ihr Leben und auch die Sühneabsicht des heimgekehrten Enkels wird diesem noch zum Todesurteil. Das Werkzeug des grausam waltenden Schicksals ist ein Messer, das vergangene Untaten in sich birgt und nur darauf wartet, für künftige Untaten heruntergenommen zu werden. Es hängt während der ganzen Zeit an der Wand der armseligen Bude. "Schicksalsdramatisch […] erkennt man im Messer, in Sense, in Wanduhr und Sessel den vollzogenen oder versuchten Mordakt von ehemals. Die Tat hat sich inzwischen vom Täter gelöst. Nicht etwa, um den Täter zu erleichtern, sondern um ihn nur noch schwerer zu belasten. […] Verdinglicht im Ding, droht ihm die Tat beharrlich mit Wiederkehr und Wiederholung." (34)

In einem zweiten Essay nimmt sich Klotz des Bühnenbriefs an, seiner Produktion, seinem Transport und seiner Lektüre. Mit Analysen, die stets die eigene Begeisterung am Gegenstand (im doppelten Sinn) durchschimmern lassen, kreist er die Wirkungsmechanismen dieses Schriftstücks ein und untersucht die verborgenen Eigenschaften, die seine szenische Energie ausmachen: "ein vielfältiges Spannungsmoment zwischen intim und publik, zwischen hier und dort, zwischen jetzt und dann, zwischen Äußern und Aufnehmen, zwischen Ding und Person, zwischen Wort und Tat." (91) Der Brief als Zeitbombe, als tödliche Botschaft, die noch den Überbringer selbst hinrichten kann, als fatale Falle, als kompromittierendes Dokument, als unwiderrufliche Nachricht, die - einmal abgeschickt - auch einen Sinneswandel des Absenders nicht mehr berücksichtigt. Vor allem Friedrich Schiller schleuste in seinen frühen Stücken gerne Briefe als "trügerische Zeichen" (Oskar Seidlin) in den Handlungsverlauf ein. "Die leistungsstarke Intrige mit dem wichtigen Werkzeug Brief" (118) war eine wesentliche Essenz seines Dramenkonzepts. In der Posse, in der dramatischen Satire und noch in der Salonkomödie machte diese Intrigentechnik Schule. Mitunter wurde diese jedoch so hemmungslos ausgebeutet, daß man sich über sie selbst schon lustig machen mußte - wie Klotz an Nestroys Mädel aus der Vorstadt deutlich macht. Der alle Widrigkeiten auflösende und erlösende Brief, nach dem der patscherte Bösewicht vergeblich gejagt, entlarvt mit jenem zugleich auch den dramaturgischen Kniff, den "Mechanismus brieflicher Bloßstellung" (120).

 

Daß die Vertonung von Briefen und ihrer Herstellung im Musiktheater diesen noch eine zusätzliche Dimension verleihen würde, ist hingegen nicht ausgemacht. Im Gegenteil. Die musikalische Energie beim Briefeschreiben geht fast immer auf Kosten ihrer dramatischen Wirkung. "Entweder dramatische oder musikalische Energie. Beides auf einmal ist nicht zu haben." (190)

 

Gerade im fokussierten Ausschnitt lassen sich - wie Klotz eindrucksvoll vorführt - dramaturgische Konzeptionen weit aufschlußreicher erkennen als in üblichen Darstellungen zur Dramaturgie. Tendenziell ist es die Komödie, die den Umgang mit der Sachkultur vielfältiger, nuancierter, pointierter widerspiegelt, vor allem seitdem im 19. Jahrhundert mit der allmächtigen Ware, dem vertrackten Ding, wie Marx sagt, ganze gesellschaftliche Identitäten und Produktionsweisen auf der Bühne einziehen. Da können winzige Unvollkommenheiten unvorhersehbare Folgen haben. Allerdings wird erst im Kino, das Klotz leider unerwähnt läßt, der moderne, industrielle Gegenstand als Gegenspieler seinen Durchbruch haben. Freilich haben auch die Dinge auf der Bühne eine Realgeschichte und können als dramaturgische Instrumente nur solange funktionieren, als ihnen eine sozial vereinbarte Bedeutung zukommt oder diese wenigstens imaginierbar ist. Manche ausstattungsreiche Komödie büßte da manches von ihrem Witz ein, weil die Sachkultur, aus der sie bestritten wurde, ihren Verkehrswert verloren hat und gewissermaßen gegenstandslos geworden ist.

 

Ein bißchen vermißt man unter den Fallbeispielen jüngere Texte und Dingwelten, zeitgenössische Hilfsmittel der Interaktion wie etwa das Telefon, das Radio, den Schallplattenspieler, die ja durchaus auch neue Handlungen, Haltungen und Subtexte auf die Bühne gebracht haben. So bleiben die Gegenspieler im wesentlichen historisch: Waffen, Kostüme, Accessoires, Nippes, Briefe, Rasiermesser. Letzteres wird vor allem in der Hand des Barbiers, dem Klotz ein weiteres Kapitel widmet, zum hintersinnigen Machtmittel mit politischer Valenz. "Nicht nur daß, auch wie sich von oben herab der Subalterne über den Mächtigeren hermacht - mit fesselndem Kittel und Seifenschaum und scharfer Klinge - ruft Gelächter hervor. Heftig, nicht lässig, dürfen wir lachen über die zwiespältige Ikonographik dieses Bildes. Gesellschaftsgeschichtlich spricht daraus eine beunruhigende Labilität. Zeigt sich doch beides auf einmal, eins im andern: einerseits der durchaus übliche und erlaubte, ja erforderliche und geforderte Berufsakt; andererseits der ungebührliche und anmaßende körperliche Übergriff, der augenblicks umschlagen könnte in eine politische Exekution. Doch dazu kommt es nicht. So will es die zugleich beschwichtigende als auch beunruhigende Komik." (197f.)

 

Publikum und Held im labilen Gleichgewicht zu halten, das gelingt der antiheroischen Figur des Barbiers, die allein auf der Bühne berechtigt ist, Mordwerkzeuge zur Körperpflege einzusetzen, und vorführt, daß der Gegenstand an sich noch nichts mitteilt. Was zählt, das sind die komplizierten Vereinbarungen, die zwischen Publikum und Darstellern um das Ding ausgehandelt werden, um seinen Illusionismus, um die Konventionen seines Gebrauchs, um die Variationen des Mißbrauchs. Es sind letztlich semantische Operationen, die das Requisit auf der Bühne erst zum spannungsreichen Ding machen. Mit diesen hat sich Klotz, gewissermaßen als Zugabe, noch in drei kurzen Betrachtungen auseinandergesetzt, wo er das Verfahren umkehrt und von den gattungsspezifischen Eigenarten, von den epochegeschichtlichen Merkmalen auf das dramaturgische Detail zielt. Und auch dabei bewährt sich, was Klotz im Nachwort als seine Methodik ausweist: die vernachlässigten Sachverhalte der Literatur in Augenschein zu nehmen, kanonisierte Blickwinkel zu ignorieren und vor allem sich überraschen zu lassen. "Es geht auch anders, doch so geht es auch", wird da François Villon zitiert. So, muß man nach der animierenden Lektüre dieses Buches sagen, geht es vor allem.

Autor/innen-Biografie

Christian Rapp

Kulturhistoriker, Ausstellungsmacher, Publizist. Studium der Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie an der Universität Wien.

Publikationen:

Publikationen (Auswahl):

  • Höhenrausch - Der deutsche Bergfilm. Sonderzahl 1997.
  • Smart exports - Österreich auf Weltausstellungen 1851 - 2000. Christian Brandstätter 2000. (gemeinsam mit E. Krasny, U. Felber)

Veröffentlicht

2001-05-29

Ausgabe

Rubrik

Theater