Pia Janke (Hg.), Werkverzeichnis Elfriede Jelinek.

Wien: Edition Praesens, 2004. ISBN 3-7069-0212-5. 660 S. Preis: € 29,50.--

Autor/innen

  • Beate Hochholdinger-Reiterer

Abstract

Eines kann der Herausgeberin und Leiterin des Elfriede Jelinek-Forschungszentrums Pia Janke nicht vorgeworfen werden, dass nämlich das Werkverzeichnis Elfriede Jelinek erst durch die Nobelpreisvergabe initiiert bzw. im allgemeinen "Hype" rund um dieses Ereignis auf den Markt geworfen worden wäre. Denn nahezu zeitgleich mit der Bekanntgabe der Literaturnobelpreisverleihung an Elfriede Jelinek erschien im Verlag Edition Praesens bereits diese erste umfassende Bibliografie zum nahezu unüberschaubaren Werk Jelineks. Im Vorwort konnte gerade noch der für November 2005 geplante Sonderband zum Literaturnobelpreis angekündigt werden, der die Verleihung sowie die dazu veröffentlichten Berichte und Reaktionen dokumentieren soll.

Als Ausgangspunkt des Werkverzeichnisses wird die von Janke und StudentInnen 2002 herausgegebene Publikation Die Nestbeschmutzerin – Jelinek & Österreich genannt, in der Primärmaterialien, die den öffentlichen Diskurs um Jelinek und Österreich geprägt haben, präsentiert wurden. Die nun vorliegende erste umfassende Jelinek-Bibliografie hat sich zum Ziel eine Sichtung und Sicherung des bisherigen Gesamtwerkes sowie seiner Rezeption gesetzt. Das Werkverzeichnis wird von der Herausgeberin als "Grundlagenarbeit" (S. 12) und als Beitrag für die weitere fundierte Auseinandersetzung mit Jelineks Texten verstanden.

Durch die Erschließung und Dokumentation des kaum mehr zu überblickenden Spektrums von Jelineks Arbeiten werden sowohl die einzelnen Werke auffindbar als auch in ihren vielfältigen Zusammenhängen neu lesbar. Konzipiert als Arbeitsbuch, will das Werkverzeichnis Hilfestellungen für die Beschäftigung mit den häufig schwer zugänglichen Texten Jelineks bieten und eine Grundlage für tiefer gehende Auseinandersetzungen auf der Basis gesicherter Quellen schaffen. Für die Zukunft sind erweiterte und überarbeitete Versionen des Werkverzeichnisses geplant, um laufend die jeweils aktuellen Primär- und Sekundärarbeiten dokumentieren zu können.

Wie lässt sich in vernetzter, digitalisierter Zeit Verlinkung und Hypertextualität im gedruckten Buch simulieren? Als Grundkonzept wurde für das Werkverzeichnis eine Quasiverlinkung durch Symbole, Verweise und Marginalien gewählt, die die einzelnen Abschnitte untergliedern und vernetzen. Auf diese Weise werden Interferenzen zwischen den Jelinek-Texten selbst sowie den verschiedenen Bereichen des Verzeichnisses (z. B. zwischen Primärwerken und dazugehöriger Sekundärliteratur, Rezensionen, Preisen etc.) transparent und alle Informationen, die in anderen Abschnitten geboten werden, leichter auffindbar. "Indem die einzelnen Abschnitte des Werkverzeichnisses , die jeweils nach analogen gattungsspezifischen oder thematischen Aspekten geordnet sind, miteinander in Beziehung gesetzt werden, werden auch die Interaktionen von Werk, Fortschreibungen des Werkes und Rezeption deutlich." (S. 14)

Die Titelgebung der vorliegenden Publikation, die sich eben nicht (nur) als "Bibliografie" versteht, verweist bereits auf die – gerade für eine Autorin wie Elfriede Jelinek – unabdingbare Problematisierung des Werkbegriffs. Denn Jelineks Arbeiten umfassen neben Lyrik, Prosa und Dramatik auch Hörspiele, Drehbücher, Libretti, Texte für Kompositionen, Projektionen und Installationen. Es sind dies Werke, die von der Autorin "als komplexe Texturen einander überlagernder und miteinander kommunizierender Medien konzipiert wurden, bei denen auch die neuen Medien eine wesentliche Rolle spielen." (S. 9) Als Auswahlkriterium galt somit nicht nur, was "publiziert", sondern was "veröffentlicht" im Sinne von "in der Öffentlichkeit gewesen" (S. 10) ist, z. B. in Form von öffentlichen Vorführungen, Präsentationen oder Vorträgen.

Als besonderes Verdienst muss die durch das Werkverzeichnis geleistete Gesamtdokumentation der bisherigen essayistischen Texte hervorgehoben werden, die samt Nachdrucken, Teilabdrucken und Übersetzungen zusammengetragen werden konnten. Die Aufarbeitung der in Zeitungen und Zeitschriften publizierten über 400 essayistischen Texte begreift die Herausgeberin gleichsam als "Rettungsaktion" (S. 13), als Bewahrung vor dem allzu schnellen und leichten Verschwinden. Die besondere Bedeutung der essayistischen Texte gelte es nach Janke erst zu entdecken, denn "jede einzelne dieser nur scheinbaren Gelegenheitsarbeiten stellt über den aktuellen Anlaß hinaus ein hochkomplexes Sprachkunstwerk dar" (S. 13). Einerseits wird an ihnen "die Fülle der Themen und Bereiche ablesbar […], mit denen sich Jelinek beschäftigt hat," (S. 13) andererseits verweisen all diese Texte "in ihrer Thematik, Motivik und in ihren sprachlichen Strategien auf Jelineks umfangreichere Werke – die wiederum durch diese 'kleinen' Texte neu lesbar werden." (S. 13) Bei den essayistischen Texten wird eine knappe thematische Aufschlüsselung gegeben, um eine erste Orientierung zu erleichtern.

Neben den Grunddaten zu den einzelnen Werken werden jeweils auch weitere Informationen, wie beispielsweise gattungsspezifische Basisangaben, Informationen zu Aufführungen, Sendungen, Produktionen, Würdigungen, Preisen etc., geboten. Vielfach werden die Arbeiten durch Angaben zu den Entstehungskontexten, Rezeptionsweisen od. dgl. kurz kommentiert, womit das Werkverzeichnis über eine rein bibliografische Erfassung und Auflistung der Texte hinausgeht. Alle Zusatzinformationen und "Verlinkungen" ermöglichen den Benutzer/innen weiter gehende Beschäftigungen mit Jelineks Werken. Darüber hinaus sind auch kurze Ausschnitte aus den Texten selbst, aus Eigenkommentaren, Essays oder Interviews abgedruckt.

Neben der Auflistung von Jelineks Veröffentlichungen enthält das Werkverzeichnis alle Formen der künstlerischen, journalistischen und wissenschaftlichen Rezeption, weiters die Übersetzungen von Jelineks Texten in andere Sprachen, wobei auch ungedruckte Übertragungen aufgenommen wurden, und die Interviews, die Jelinek in verschiedenen Medien gegeben hat.

Diese umfassende Dokumentation der verschiedenen Rezeptionsweisen scheint mir gerade für die wissenschaftliche Auseinandersetzung von immensem Wert. So vermitteln die angeführten Übersetzungen einen Eindruck von Jelineks internationaler Bedeutung, welche die vom deutschen Feuilleton vorgenommene Etikettierung als "große Regionalschriftstellerin" ( Die Zeit ) gleichsam Lügen straft.

Michael Hanekes preisgekrönte Verfilmung der Klavierspielerin ist wohl das bekannteste Ergebnis einer produktiven künstlerischen Aneignung. Der Roman wurde jedoch bereits 1988 von Patricia Jünger vertont und in einer Hörspielfassung als "Funkoper" ausgestrahlt, ein Jahr später erfolgte die Uraufführung der Oper in Basel. Derartige Zusammenhänge, Verweise auf Fort- und Neuschreibungen sowie die damit einhergehenden Gattungs- und Medienwechsel in neuen künstlerischen Aktionen erweitern selbstverständlich auch wieder den Blick auf Jelineks Werk.

Interviews mit Elfriede Jelinek sind sowohl Dokumente für ihre gesellschaftspolitischen Stellungnahmen als auch wesentliche Quellen für ihre Deutungen der eigenen Arbeiten. Darüber hinaus vermitteln sie einen Eindruck von Jelineks Selbstpräsentation ebenso wie von der medialen Aufbereitung ihrer Person. Auch in diesem Abschnitt des Werkverzeichnisses finden sich wieder hilfreiche Kurzkommentierungen, die vor allem den jeweiligen Schwerpunkt des Interviews fokussieren.

Im Großkapitel "Literatur über Elfriede Jelinek" sind die bisherige Sekundärliteratur (Forschungsliteratur und Rezensionen) und unterschiedliche Formen der Würdigungen, wie Porträts, Preise, Symposien und Schwerpunktveranstaltungen, verzeichnet. Sammelbände werden dankenswerterweise mit Auflistung der einzelnen Aufsätze geführt, diese in weiterer Folge werkspezifisch nochmals genannt. Man kann vermutlich von Vollständigkeit ausgehen. Besonders interessant und hilfreich für die theaterwissenschaftliche Forschung sind selbstverständlich die angeführten Rezensionen zu den szenisch-theatralen Arbeiten, von denen laut Herausgeberin eine "sinnvolle Auswahl" und Konzentration auf zentrale Produktionen vorgenommen wurde.

Die Dokumentation der Schwerpunktsendungen zu Elfriede Jelinek in Radio und Fernsehen sowie der Filme, die über Jelinek gedreht wurden, beenden das beeindruckende Werkverzeichnis . "Das gesamte Spektrum der medialen Aufbereitung wurde also berücksichtigt." (S. 12)

Wie sieht es nun aber mit der Benutzer/innenfreundlichkeit dieses übervollen Werkverzeichnisses aus? Zusätzlich zu Pia Jankes fundiertem Vorwort wurde jedem einzelnen Bereich eine Einführung vorangestellt, die Auskunft über Ordnung, Gliederung, Aufnahme- bzw. Ausschlusskriterien und Sonderfälle gibt. Man muss sich dieses Arbeitsbuch im wahrsten Sinne erarbeiten, eben weil die Fülle des gebotenen Materials immer auch Neukommentierung verlangt.

So durchdacht und anwendungsfreundlich die Struktur des Werkverzeichnisses im Kleinen bzw. im Detail auch ist (vgl. die bereits erwähnte, überaus hilfreiche "Verlinkung"), so beschwerlich erweist sich die Entscheidung, die Werke in chronologischer Ordnung zu präsentieren. Wer also nicht über Grundkenntnisse der Entstehungsgeschichte verfügt, verbringt sehr viel Zeit damit, das gewünschte Werk überhaupt zu finden. Zumal es zwar ein Personenregister, aber kein Titelregister gibt, was die Handhabung des Werkverzeichnis ungemein erleichtern würde.

Durch die stets analoge gattungsspezifische Ordnung ("Lyrik, Romane, Kurzprosa, Theatertexte, Hörspiele, Libretti etc.") innerhalb der Großkapitel "Werke", "Übersetzte Werke", "Interviews" und eben "Literatur über Elfriede Jelinek" ist eine Orientierung innerhalb der Publikation ohne jeweils vorherige Konsultierung des Inhaltsverzeichnisses so gut wie unmöglich. Man muss mit der inhaltlichen Großstruktur aber sehr gut vertraut sein, um sich in der Fülle des gebotenen Materials zurechtzufinden und die Kopfzeilen beispielsweise als Wegweiser tatsächlich nützen zu können.

Ohne Zweifel handelt es sich beim Werkverzeichnis Elfriede Jelinek um ein äußerst geglücktes und verdienstvolles Projekt, das sich weder Willkür noch Ungenauigkeit vorwerfen lassen muss. Auswahl- und Ausschlusskriterien sind jeweils transparent gemacht und durchaus nachvollziehbar, wobei ohnedies die Tendenz zur Aufnahme, nicht zur Unterschlagung vorherrschend ist. Beeindruckend ist auf jeden Fall die Arbeitsleistung und Geschwindigkeit des Teams, das ja erst mit Erscheinen des Werkverzeichnisses eine Form der Institutionalisierung im Elfriede Jelinek-Forschungszentrum gefunden hat.

Autor/innen-Biografie

Beate Hochholdinger-Reiterer

Studium der Theaterwissenschaft und Deutschen Philologie an der Universität Wien. 1997-1998: Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kommission für literarische Gebrauchsformen (Österreichische Akademie der Wissenschaften). Mai 1998 bis Juni 1999: Vertragsassistentin, seit Juli 1999 Universitätsassistentin, seit Mai 2006 Assistenzprofessorin am Wiener Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft. Seit Oktober 2008: Elise Richter-Stelle (FWF) für das Habilitationsprojekt "Die Kostümierung der Geschlechter in deutschsprachigen Schauspieltheorien des 18. und frühen 19. Jahrhunderts."

Derzeitige Forschungsschwerpunkte: Schauspieltheorien (18. Jh.), Genderforschung, Dramatik des 19. und 20. Jahrhunderts, österreichische Gegenwartsdramatik. 

 

Publikationen:

Beate Hochholdinger-Reiterer, "Zu den Anfängen einer Theoretisierung von Schauspielkunst im deutschsprachigen Raum," Maske und Kothurn, 54/Heft 4 (2008), S. 107-119.

–, "'Mich hat Film immer mehr interessiert. 'Zur 'Malina'-Verfilmung nach dem Drehbuch von Elfriede Jelinek, " in: Pia Janke (Hg.): Elfriede Jelinek: "Ich will kein Theater". Mediale Überschreitungen. Diskurse.Kontexte.Impulse 3, Wien: Praesens 2007, S. 343-364.

–, "'1941. Alles äußerst heiter!': Zur Komik in Elfriede Jelineks 'Burgtheater. Posse mit Gesang'", in: Hilde Haider-Pregler, Brigitte Marschall, Monika Meister, Angelika Beckmann und Patric Blaser (Hg.), Komik: Ästhetik. Theorien. Vermittlungsstrategien. Maske und Kothurn 51/H. 4, Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2006, S. 447-456.

–, "'doppeltes Vergnügen – doppelter Reiz': Gender und Theater(wissenschaft). Schauspieltheorien als Beispiel." Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft Universität Wien (Hg.), Theater Kunst Wissenschaft: Festschrift für Wolfgang Greisenegger zum 66. Geburtstag, Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2004, S. 199-209.

–/Birgit Peter (Hg.), Burgtheater: Mythos – Eros – Imago. Maske und Kothurn, 50/Heft 2 (2004).

Veröffentlicht

2005-10-03

Ausgabe

Rubrik

Theater

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