Tino Balio: Hollywood in the New Millenium.
Basingstoke: Palgrave Macmillan 2013. (International Screen Industries). ISBN 978-1-8445-7380-6. 178 S. Preis: € 18,80.
Abstract
Tino Balio ist einer der Väter der modernen amerikanischen Filmgeschichtsschreibung. Er war einer der Ersten, die sich mit Themen wie Produktionsgeschichte und -ästhetik auseinandergesetzt haben. In einer Disziplin, in der die ökonomischen Grundlagen noch immer zugunsten von Interpretationen künstlerischer 'Texte' vernachlässigt werden, ist Balios Pionierarbeit gar nicht hoch genug zu schätzen. In seinen Arbeiten zur Geschichte von United Artists (United Artists. The Company Built By The Stars von 1976) oder seinem Band Grand Design. Hollywood as a Modern Business Enterprise, 1930–1939 von 1993 hat er auch die Grundlagen für die in jüngster Zeit boomenden Production Studies gelegt.
Als nunmehr emeritierter Professor hat sich Balio der Entwicklung der amerikanischen Filmindustrie in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren angenommen – also der aktuellen Entwicklung Hollywoods.
Balio behandelt dabei alle Bereiche von Produktion, Vertrieb und Vorführung und beschäftigt sich zunächst mit den diversen Zusammenschlüssen, Käufen und Bankrotten der großen Medienkonzerne, in welche die Majors heute eingebunden sind. Dieser etwas unübersichtlichen Abhandlung hätten diverse Grafiken gut getan, um die Chronologie und Zusammensetzung der Konglomerate anschaulich zu machen.
Noch weniger als in dieser Nacherzählung der ökonomischen Hochzeiten und Scheidungen gelingt es Balio im folgenden Kapitel zur Produktion, über die Aufzählung von Filmtiteln und Einspielergebnisse hinauszukommen – was beim Rezensenten stellenweise ermüdende Affekte auslöste. Die Tendenz hin zu Franchise und Tentpoles, also zur weitgehenden Absicherung des finanziellen Erfolgs mittels Wiederholung bzw. dem Setzen auf einzelne Produktionen, welche die Studios einer Zeltstange (Tentpole) vergleichbar stützen sollen, führte bekanntlich zur anhaltenden Welle großer Blockbuster für ein jugendliches Publikum sowie zu Familienfilmen à la Disney.
Das zentrale Mittel der Vermarktung nicht nur dieser Blockbuster, sind nach wie vor Trailer und Teaser; der wesentliche Kanal diese zu vertreiben ist noch immer das Fernsehen. Die Filmindustrie sah sich mit dem Internet und dem Aufkommen von Fanseiten wie Ain't-it-cool-news vor neue Herausforderungen gestellt, da Informationen über Testvorführungen lange vor dem Kinoeinsatz im Netz verbreitet werden können und damit positive oder negative Stimmung für den Film machen. Die erfolgreichsten Franchise-Produktionen wie Lord of the Rings oder Harry Potter haben es geschafft, Fanseiten und Social Media für sich zu gewinnen und diese schon während der Produktion in ihre Marketingstrategien mit einzubeziehen.
Die Entwicklung zur Digitalisierung der Kinos, die eine der Voraussetzungen des aktuellen 3D-Booms ist, führt zur Kostenreduktion im Bereich Vorführung und Distribution. Die technische Aufrüstung soll höhere Eintrittspreise rechtfertigen und wieder Publikum ins Kino locken.
Die Vermarktungskette von Filmen hat sich in den letzten zehn Jahren drastisch geändert. Hollywood hat seit 2007 mit dem Rückgang der DVD-Verkäufe zu kämpfen. Nach wie vor ist der Kinoeinsatz die wichtigste und größte Einnahmenquelle von Hollywoodfilmen; neuere Modelle wie Video on Demand (VOD) und Pay per View (PPV) – ob über Kabel oder Internet – fangen erst seit der flächendeckenden Versorgung amerikanischer Haushalte mit Broadband-Internet langsam an profitabel zu werden. Aber weder VOD/PPV noch die Blue Ray Disc dürften in der Lage sein, die sinkenden Einnahmen aus DVD-Verkäufen aufzuwiegen.
Im letzten Kapitel wendet sich Balio schließlich den Independents zu, jenen unabhängigen Filmproduktionen, die so unabhängig nicht sind. So wurden und werden zahlreiche Independents de facto von Tochterfirmen der Majors produziert. Die Wirtschaftskrise betraf auch diesen Bereich; etliche echte und vermeintliche Independents wurden entweder von ihren Mutterfirmen geschlossen oder von Majors aufgekauft.
Zusammengefasst haben die von der Wirtschaftskrise und den technischen Innovationen (Digitalisierung, 3D) geprägten Nullerjahre des 21. Jahrhunderts dazu geführt, dass die Major Studios vermehrt auf ihre Blockbuster setzen, um die Risiken nach Möglichkeit reduzieren. Damit wird der Platz für mittlere und kleinere Produktionen immer enger. Im Zuge dieser Entwicklungen werden daher exklusivere, teurere Modelle der Kinovorführung diskutiert, die jedoch am Zielpublikum – Jugendliche und Familien – vorbei gehen dürften.
Tino Balios Darstellung der ökonomischen und technischen Entwicklung im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts beschreibt kurz und bündig die wesentlichen Trends. Insofern ist dieser Band als Einführungswerk zur aktuellen amerikanischen Filmindustrie gut zu gebrauchen. Viele der besprochenen Tendenzen und Entwicklungen dauern noch an; die Zukunft kann naturgemäß nicht vorausgesagt werden. In der Analyse und Kontextualisierung des hier dargestellten Materials ist Balio allerdings weit von seinen historischen Arbeiten entfernt.
Das liegt auch daran, dass der Blick auf die Filmindustrie, den Balio hier präsentiert, fast ausschließlich auf zwei Quellen basiert: auf der New York Times und Variety. Dieser Blick schwankt somit zwischen Selbstdarstellung und journalistischer Berichterstattung. Was dabei vermisst wird ist die nüchterne Analyse, der kritische Zugang.
Wer über die letzten zehn Jahre der amerikanischen Filmindustrie Bescheid wissen will, ist mit den jährlichen Analysen der Einspielergebnisse in den USA gezeigter Filme in den März-Ausgaben der Film Comment jedenfalls besser bedient (zuletzt Wilson 2013). Hier wird der jeweils aktuelle Stand der Dinge auf den Punkt gebracht, Entwicklungen werden dar- und kritische Überlegungen angestellt. Kontextualisierung und Interpretation dieses in der Zeit verhafteten Materials sind allerdings die nötigen Voraussetzungen, um daraus die richtigen Schlüsse ziehen zu können.
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