Katalin Trencsényi: Dramaturgy in the Making. A User's Guide for Theatre Practitioners.

London/New Delhi/New York u. a.: Bloomsbury Methuen Drama 2015. ISBN: 978-1408155653. 352 S. Preis: £ 19,99 (Paperback).

Autor/innen

  • Stefanie Schmitt

Abstract

"Dramaturgen sitzen in der Dramaturgie wie Bäcker in der Bäckerei", schrieb Bernd Stegemann 2009 in seinem Schule machenden Lektionen-Band bei Theater der Zeit (S. 9). Ein wenig klingen diese Worte nach Backmischung und einsamer Stube. Traut man einem derart von der Außenwelt abgegrenzten Dramaturgen mehr zu, als bloß kleine Brötchen zu backen? Sechs Jahre später erfolgt mit Dramaturgy in the Making die Revision dieser Standortbestimmung durch die ungarische Dramaturgin Katalin Trencsényi. Sie agiert unter der Prämisse "dramaturgy as action" (S. xxi) und befreit den Dramaturgen aus seiner stillen Kammer. Er darf an Proben teilnehmen und wird als "consultant of knowledge" (S. 34) zum Zentrum aller Kommunikation im und über Theater.

Bei Dramaturgy in the Making handelt es sich um ein 'Benutzerhandbuch', das explizit den Theaterpraktiker adressiert, und das bedeutet: Es macht Freude, darin zu lesen. Bereits das Vorwort von Goeff Proehl diagnostiziert eine Fokusverschiebung von der naiven Frage "Was ist Dramaturgie?" hin zu einer aktiven Untersuchung des breiten Spektrums gegenwärtiger Praktiken, "found in the lives of individuals" (S. xi). Diesem Ansatz folgend sind in Trencsényis Text zahlreiche Gespräche mit europäischen, z. T. auch amerikanischen Dramaturgen eingeflossen, anhand derer die Autorin die Diversität der Produktionsbedingungen beispielhaft vorstellt. Ihre Leistung besteht in der Systematisierung individueller Erfahrung, der sie überdies eine theatertheoretische Rahmung gibt.

In Form einer 'Geschichte und Methoden'-Übersicht erläutert die Autorin, was Dramaturgie in der Praxis bedeutet. Gegliedert ist der User's Guide in drei große Themenblöcke bzw. Arbeitsbereiche: Institutional Dramaturgy, Production Dramaturgy und Dance bzw. New Dramaturgy. Für Theaterwissenschaftler besonders erfreulich ist der erste Teil, zumal dieser sich zu Anfang eines jeden Unterkapitels wahlweise historisch orientiert oder überraschende Fakten präsentiert. Ein Beispiel: Lediglich 2–6 Prozent der im Vereinigten Königreich publizierten Bücher seien Übersetzungen, in Deutschland immerhin spärliche 12,4 Prozent. Oder, zur Frage inwiefern das Jahresbudget der Theater durch staatliche Förderung gestützt wird: 4 Prozent beim Stratford Festival Canada, 25 Prozent im National Theatre London und 80–90 Prozent an der Schaubühne Berlin.

Trencsényis 'Geschichte des dramaturgischen Denkens' fängt in Hamburg an. Die Entwicklung des 'modernen', d. h. des "bourgeois drama", einhergehend mit der "transformation of the public sphere" (S. 3), sei der Anlass gewesen, neu über Theater nachzudenken. So wurde an den Bühnen ein neuer Posten vakant: der Dramaturg als einer, der über Theater denkt. Ihm oblag die Legitimierung und gesellschaftliche Verankerung der aufklärerischen Nationaltheater-Unternehmung. Bis heute zählt es zu seinen maßgeblichen Aufgaben, zur "narrative the organisation is creating about itself" (S. 32) beizutragen. Trencsényi zeichnet die Wechselbeziehungen von Theater und Gesellschaft historisch nach und zeigt gleichsam auf, wie sich Statusveränderungen des Einzelnen – z. B. "the rise of the playwright's status in society and the acknowledgement of their place in the theatre-making process" (S. 69) – strukturell auf alle Beteiligten auswirken. Mit "the emergence of the role of the modern director" (S. 35) kristallisieren sich im späten 19. Jahrhundert schließlich die Aufgaben der Produktionsdramaturgie heraus.

Allein, eine lineare Narration lässt sich für die 'Evolution' des Dramaturgenfaches nicht entwickeln und entsprechend vage muss auch die Beschreibung seiner Zuständigkeiten bleiben. Denn was der deutschsprachige Dramaturg in ökonomisierter Personalunion zu bewältigen hat, verlagert sich anderswo auf mehrere spezialisierte Individuen und ihr Heer von Heinzelmännchen. Textbezogene Entscheidungen trifft in England beispielsweise der 'literary manager', dem sogenannte 'script reader' bei der Sichtung und Einschätzung von Stücktexten zuarbeiten. Er befasst sich mit der umsichtigen Auswahl von Texten, dem Aufbau eines Repertoires und der Stückentwicklung. In England wird 'literary management' Anfang des 20. Jahrhunderts als "official answering to the German Dramaturg" im "proposal for a British National Theatre" näher bestimmt (S. 14), wobei sich die dort genannten Aufgaben von denen des 'reading commitee' abheben. In Amerika etabliert sich die Bezeichnung 'dramaturge' erst in den 1960er-Jahren.

Natürlich operiert die Autorin mit einigen Vereinfachungen, zumal was tradierte Annahmen der deutschsprachigen Theaterwissenschaft anbelangt. "[D]ramaturgy can find its origins in theatre criticism" (S. 107), schreibt Trencsényi und labelt den Dramaturgen als einen dem Theater eingemeindeten Kritiker. Interessanterweise wiederholt sie diese Gründungsmär für die Entwicklung der New Dramaturgy, die sie im Kontext von Pina Bauschs Wuppertaler Tanztheater lokalisiert. Tanztheaterdramaturgie also ist es, der das Zukunftsversprechen gehört. Dieser Berufsbezeichnung jüngeren Datums ist der dritte und letzte Teil des Buches gewidmet, der sich anhand von Fallgeschichten aus dem Produktionsgeschehen auf Entdeckungsreise begibt.

Dem Dramaturgen ist das 'Drama' bereits eingeschrieben. Entsprechend gilt ein elementarer Teil seiner Aufmerksamkeit dem Text und der Arbeit damit. Chris Campbell, derzeit Dramaturg am Royal Court Theatre, verortet seinen Beruf im Zentrum des Dreiecks aus Autor, Übersetzer und Regisseur. Das 'new writers theatre' verschreibt sich der Stückentwicklung, während es andernorts die Übersetzungswerkstätten sind, die mit gut dotierten Mitteln bestückt werden. Doch die versierteste Ausstattung vermag nichts auszurichten, wenn das Gespür für die beteiligten Menschen fehlt. Auffallend ist, dass immer wieder dezidierte Anforderungen an die Persönlichkeitsstruktur des Dramaturgen (aka Theatertherapeuten) gestellt werden, bis Amt und Person kaum mehr voneinander zu trennen sind. "Seeing something in people and having the imagination to bring it out of them" (S. 40) formuliert Péter Kárpáti als entscheidende Begabung. Hinzu kommen unzählige fachliche Fertigkeiten, z. B. die ausdrückliche Eignung zu 'curating', 'mentoring' und 'communication'. Als 'context manager' und 'systems analyst' ist der Dramaturg überdies für die 'public relations' verantwortlich und vermittelt nicht nur zwischen den einzelnen Abteilungen, sondern auch zwischen Öffentlichkeit und Theater.

Der Dramaturg zerfällt. Er zerfällt in unzählige Betätigungsfelder und Zuständigkeiten. Entsprechend naheliegend ist es, dass seine Aufgaben nicht auf eine Person beschränkt bleiben, sondern (vor allem in kollektiven Arbeiten) dem Regisseur, Ensemble und mitunter sogar dem Publikum zugesprochen werden. So löst er sich sukzessive auf in unterschiedliche Persönlichkeiten. Statt das Berufsbild festzuzimmern, stellt die Autorin vielzählige Arbeitsweisen vor, die, alle zusammengenommen, eine ideale Dramaturgenschöpfung ergäben. Leider jedoch sind all diese Verantwortlichkeiten zu viel für die einzelne Person des Dramaturgen, dem vor allem eines fehlt: die Zeit, sich Texten, Inhalten und Menschen gleichermaßen zu widmen. Die deutschen Theater könnten von dem Blick über den Tellerrand also durchaus profitieren. Denn so wie DER Dramaturg am Ende des Buches kaum mehr greifbar ist, ist es für den Dramaturgen realiter unmöglich, als Einzelperson all seine Schäfchen zusammenzuhalten.

Auf der Suche nach "serious plays that […] have an engagement with the reality" (S. 39) ist das sich ständig entwickelnde Berufsfeld fortwährend mit neuen technischen Möglichkeiten, einer im Wandel befindlichen Publikumsdemographie, neuer Dramatik, sich verändernden Theaterstrukturen, Organisationsformen und Zusammensetzungen des Ensembles (falls vorhanden) konfrontiert und muss beständig dazulernen. Dem Dramaturgen obliegt es, Antworten darauf zu finden, was all dies für Ästhetik und Ausdruck bedeutet. Diese Definitionsmacht bringt ihn mithin in Misskredit bei den Kollegen. Denn dass das Verhältnis zwischen Schauspielern und Dramaturgen ein diffiziles ist, damit sah sich bereits der Urvater des Faches konfrontiert: "The leading actor's interference made Lessing stop writing about the acting" (S. 8).

Müßig ist es, über "Glanz und Elend des Dramaturgen" – so der Titel eines Beitrags von Herrmann Beil im Deutschlandfunk 2007 – zu lamentieren. Dort sagt er: "Die Hauptsache ist, zwischen der großen Idee und dem kleinen Detail einen Zusammenhang herzustellen, einen Zusammenhang, der für alle spürbar wird." Dramaturgie ist keine sichtbare Kunst – sie wird erst bemerkt, wo sie fehlt oder ihr Gewebe Mängel aufweist. Ein Wert dieser Publikation liegt darin, dass die Autorin individuelle Stimmen hörbar macht, Artikel aufspürt, in denen Dramaturgen von ihrem Tun berichten und gezielt Fragen nach Arbeitszusammenhängen stellt. Denn auch wenn Dramaturgen Textarbeiter sind, gilt ihr Schreiben meist den Anderen, nicht sich selbst.

Als einziger Wermutstropfen dieses so facettenreichen wie reflektierten Praxishandbuches ist zu vermerken: Die mitunter prekären Arbeitsverhältnisse klingen nur in Nebensätzen an, indes ausschweifend von luxuriös anmutenden fünfjährigen Stückentwicklungsprozessen die Rede ist und anderthalbjährige Probenphasen gründlich dokumentiert werden – wobei die Schauspieler ohne Gage arbeiten. Hiervon abgesehen ist Dramaturgy in the Making eine höchst erfreuliche Lektüre, die Wissenschaftlern zeigt, was dramaturgisches Denken leisten kann und Praktikern vor Augen führt, welche Möglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen. Vielleicht, und hierin liegt die Chance dieser Schrift, erinnert Trencsényi den einen oder anderen Leser auch daran, dass Strukturen keineswegs gottgegeben sind, sondern der Blick auf alternative Arbeitsprozesse sehr gewinnversprechend ist.

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Herrmann Beil: "Über Glanz und Elend des Dramaturgen". Deutschlandfunk. 10.06.2007. http://www.deutschlandfunk.de/ueber-glanz-und-elend-des-dramaturgen.1184.de.html?dram:article_id=185229. Zugriff: 29.06.2015.

Autor/innen-Biografie

Stefanie Schmitt

1983 in Saarbrücken geboren. Studium in Glasgow (Scottish Literature) und Wien (Theater-, Film- und Medienwissenschaft), dort von 2007 bis 2010 Assistentin der Institutsleitung. Hospitanzen und Assistenzen am Saarländischen Staatstheater und dem Burgtheater Wien; eigene Arbeiten in den Bereichen Dramaturgie, Text, Regie und Ausstattung. Diplomarbeit über Medizin, Malerei und Menschendarstellung im 18. Jahrhundert ("Von der Oberfläche des Leibes zum Inneren der Seele"). Derzeit tätig als Inspizientin am Burgtheater und in den Redaktionen von Maske und Kothurn. Internationale Beiträge zur Theater-, Film und Medienwissenschaft und rezens.tfm.

Forschungsinteressen: Dramaturgie, Anthropologie und Erzähltheorie, Kunst und Schauspielkunst im 18. Jahrhundert in Deutschland und England; Gegenwartsdramatik, Text- und Aufführungsanalyse.

Veröffentlicht

2015-06-29

Ausgabe

Rubrik

Theater