Richard Blank, Film & Licht. Die Geschichte des Filmlichts ist die Geschichte des Films.

Berlin: Alexander 2009, ISBN 978-3-89581-199-9. 264 S. Inkl. DVD. Preis: € 39,90.

Autor/innen

  • Marlis Schmidt

Abstract

Alles fing damit an, dass Richard Blank einen Film drehte. In diesem Film sollte es eine Szene geben, die sich nachts unter einem Baum abspielt. Vom Kameramann verlangte Blank, den Boden um den Baum herum halbkreisförmig auszuleuchten, damit Personen, die sich aus der Nacht dem Baum näherten, schlagartig ins Licht treten würden. 'Kann ich nicht machen', meinte der Kameramann: 'Der Mond wirft nämlich keinen halbkreisförmigen Schatten unter einen Baum.' 'Wieso der Mond?' fragte sich Blank. 'Wer führt denn hier Regie?'

Obwohl, wie Blank einleitend feststellt, was der Zuseher auf der Leinwand erblickt in hohem Maße vom Licht abhängt, so handelt es sich doch um ein 'Hintergrundphänomen', ein Phänomen, das man nicht sonderlich registriert (S. 11). Auf seiner Recherche fand er Unmengen an Publikationen über Schauspieler, über Regisseure – doch, abgesehen von Lehrbüchern, keine Analysen, keine historischen Überblicke, die das Licht in den Mittelpunkt stellen. Richard Blank stellte also die Lehrbücher auf den Kopf und ergänzte diese Informationen mit seinem eigenen praktischen Wissen – schließlich produziert er seit den späten 1970er Jahren selbst Filme und hatte überdies Gelegenheit, Interviews mit professionellen Beleuchtern zu führen. Das Ergebnis ist Film & Licht. Die Geschichte des Filmlichts ist die Geschichte des Films.

So erhält der geneigte Leser ein Gefühl dafür, was unter einer 'natürlichen Lichtquelle' zu verstehen ist, einem 'Führungslicht' und den diesen ergänzenden Vorder-, Gegen-, Streiflichtern oder sonstigen ausgeklügelten Beleuchtungsstrategien. Das bis heute gültige und in Regeln festgeschriebene Beleuchtungsschema verfolgt Blank bis in die 1920er Jahre des Hollywoodkinos, es ist "mit dem Beginn des Tonfilms, also um 1930, festgeschrieben." (S. 23) Dennoch gibt es einen kurzen historischen Überblick über die Produktionsbedingungen der Frühzeit, als noch großteils in Tageslichtateliers gedreht wurde und ein Schatten im Bild nicht als Stilmittel, sondern als Beleuchtungsfehler angesehen wurde.

Anschließend startet Blank seine analytischen Beobachtungen mit dem Jahr 1915: "Wege zum 'klassischen' Stil – Hollywood von 1915 bis 1925". Was er hier leistet, sind detaillierte, präzise Beobachtungen jedes noch so leisen Flackerns; kein erleuchtetes Rauchwölkchen, kein Sternchen entgeht seinem geschärften Auge. Nach Charlie Chaplins Champion und The Gold Rush sind Griffiths The Birth of a Nation und Intolerance an der Reihe, Filme, deren Beleuchtung, Schwenks, Massenszenen und raffinierte Kasch-Technik Blank mit großer Begeisterung schildert.

Weiter geht es mit Cecil B. DeMilles The Cheat, Joan the Woman, Old Wives for New sowie Manslaughter und schließlich Fred Niblos Ben Hur. "Der 'klassische Hollywoodstil' ist das Ergebnis einer Entwicklung, wurde aber zu einer bestimmten Zeit von außen festgelegt und zur Norm erklärt" (S. 55), stellt Blank fest. Zu diesem klassischen Stil gehört eine 'high key'-Beleuchtung, ganz entgegengesetzt also der Beleuchtung eines Film noir. Dazu gehört aber auch eine bestimmte Art der Story, der Architektur – und die Beachtung der bereits oben erwähnten 'natürlichen Lichtquelle'. Der klassische Hollywoodstil ist es, den wir bis heute überwiegend auf der Kinoleinwand und im Fernsehen präsentiert bekommen.

"Irritation" lautet der Titel des nächsten Kapitels, das sich mit Siodmaks in Berlin gedrehten Versionenfilm Tumultes/Stürme der Leidenschaft (1931) befasst. Was Blank hier so irritiert, ist eine Vernachlässigung des Natürlichen – so werden Akzente durch helle (oder hell erleuchtete) Gesichter und weiße Kleidungsstücke in einem eher dunkel gehaltenen Film gesetzt. Das Regelwerk der Beleuchtung wird hier wenig beachtet, das geht so weit, dass an einer Stelle gar ein dunkler Raum förmlich das Licht um den Protagonisten 'auffrisst' (S. 62).

Zurück nach Hollywood führt der nächste Abschnitt: "Scheitern". Griffiths Way Down East wird zunächst untersucht; Blank attestiert Griffith, dass er sich dem klassischen Hollywoodstil habe beugen müssen, alle Stilbesonderheit verloren habe. Maurice Tourneur hingegen komme in The Blue Bird am nächsten an den verlorenen Griffith-Stil heran – "Tourneur macht mit Licht und Dekoration, was er will." (S. 72) Allerdings auch hier ein Scheitern: Tourneur hatte auf Dauer keinen Erfolg, ging nach Europa zurück.

Und die, die aus Europa kamen, die fliehen mussten? Im Kapitel "Emigranten" widmet sich der Autor Fritz Lang (Die Nibelungen, M – Eine Stadt sucht einen Mörder), Siodmak (Deported, Phantom Lady), Murnau (Der letzte Mann, Faust, Sunrise) und Max Ophüls (Liebelei, The Exile, La Ronde). Der Autor wirft dabei die Frage auf, wie es Ophüls gelang, 'unverletzt' aus Amerika nach Europa zurückzukehren, wie er derart 'unrealistische' Filme drehen konnte – von denen der Zuschauer sich dennoch genauso mitgerissen fühlt wie von einem klassisch arrangierten und beleuchteten Hollywoodstreifen. "Er schafft seine eigene Realität und präsentiert sie als etwas Selbstverständliches, Natürliches", folgert Blank. (S. 124)

Im Abschnitt "Fernsehen – Aristoteles, Hollywood, Appia, das Fernsehen und andere Unverträglichkeiten" spürt Blank unter anderem dem Grundstock der heutigen TV-Ästhetik nach und wird bei DeMille fündig: "Das ist die Fernsehrealität, die vorgibt, Spiegel unserer Alltagswirklichkeit zu sein […]: Das Gute siegt, die Liebe triumphiert und den Rest regeln hervorragende Fachkräfte." (S. 137)

Doch beim Fernsehen zieht Blank noch lange keinen Schlussstrich: "Alles neu" ist der nächste größere Abschnitt übertitelt, der sich mit Neorealismus (Rosselinis Roma, città aperta, Vittorio De Sicas Ladri di biciclette), Nouvelle Vague (Truffauts Les quatre cents coups, Godards À bout de souffle) und New Hollywood (Robert Altmans M.A.S.H., Scorseses Taxi Driver) befasst. Seine Beobachtungen hier wiederzugeben, würde den Rahmen der Rezension deutlich sprengen.

Ein letzter Abschnitt widmet sich fünf einzelnen Filmen und heißt "Einzelgänger". So unterschiedliche Werke wie Eisensteins Ivan Grosnyj (Iwan der Schreckliche), Orson Welles' Le procès, Buñuels Cet obscur objet du désir, Wong Kar-Wais In the Mood for Love, und Lars von Triers Dogville finden sich in dieser letzten erlesenen Runde. Dass diese jedoch nichts mit dem klassischen Hollywood-Licht zu tun, darauf keinen Einfluss habe, gesteht Blank auch ein. Nur aus einer ökonomischen Notwendigkeit heraus könnte in Hollywood ein Stilwandel ausgelöst werden, ist er überzeugt.

Die Regeln nicht zu verteufeln, dazu ruft der Autor in seiner Schlussbemerkung auf; sie hätten auch hie und da ihren Sinn. Nur: daran ketten solle man sich nicht, weil dadurch nicht zwangsläufig ein realistisches Abbild der Welt geschaffen werden könne. "Jeder Film hat seine eigene Realität. Die Realität des Films ist das, was im Bild erscheint." (S. 213)

Licht ist, wenn nicht zu einer Obsession, so zu einer Leidenschaft für Richard Blank geworden, er kann es nicht weg-, nicht übersehen, es ist für ihn untrennbar mit dem Stil, der Szenerie verknüpft. Wo Blank nicht zitiert, schreibt er meist frei von der Leber weg in einem locker-flockigen Stil. An Ausrufe wie "Oder wie oder was?" (S. 96) muss man sich unter Umständen erst gewöhnen. Doch lässt man sich auf die Passion des Autors ein, so wird man hineingezogen in sein Universum des Lichts, spürt den Akzenten, den Schatten, den natürlichen und den anderen Lichtquellen nach, lässt sich von seiner Faszination anstecken. Blank liefert in Film & Licht eine umfassende Analyse des klassischen Hollywoodstils – und auch der Ausreißer, der Einzelgänger, der Stilbrüchigen. Mit beinahe unvorstellbarem Aufwand hat er dutzende, wenn nicht hunderte Filme untersucht und seine Ergebnisse hier präsentiert – ein gelungenes und ansehnliches Werk.

Aufwendig war bestimmt auch die Produktion der beiliegenden DVD – auf ihr befinden sich über 40 kurze Filmausschnitte aus den besprochenen Filmen, den bedeutendsten Szenen. Ein unverzichtbarer Begleiter! Als Bonus findet sich auf der DVD ein Ausschnitt aus dem Film, den Richard Blank schließlich gedreht hat; der, in dem ein halbkreisförmiger Schatten eine Rolle spielen sollte…

Autor/innen-Biografie

Marlis Schmidt

Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft und der Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Seit 2006 Mitarbeiterin des Filmarchiv Austria. Diplomarbeit (2008): Filmprogramme. Vorläufer, Funktionen und Aufmachung von den Anfängen bis 1914. Ein erster Überblick.

Veröffentlicht

2010-06-01

Ausgabe

Rubrik

Film