Helmut Schmiedt (Hg.): Bühnenschwänke: Der Raub der Sabinerinnen, Pension Schöller, Die spanische Fliege.

Mit einem Essay von Volker Klotz. Würzburg: Königshausen & Neumann 2000. ISBN 3-8260-1833-8. Preis: ATS 496,--/DM 68,--/sfr 61,80.

Autor/innen

  • Brigitte Dalinger

Abstract

Die literarische Gattung des Bühnenschwankes war in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts eine der populärsten Bühnenformen überhaupt, in Deutschland wurden "während der Spielzeiten 1879/80 bis 1930/31 mindestens 1250 abendfüllende Schwänke" ur- und erstaufgeführt, wie Herausgeber Helmut Schmiedt in der Einleitung darlegt. Populär blieb der Schwank bis zur Weltwirtschaftskrise 1930 - erst mit dem Niedergang der ökonomischen Basis der mittelständisch-bürgerlichen Familie, der bevorzugten Spielgrundlage dieser Bühnenstücke, verloren sie an Popularität, ohne sie jedoch vollständig einzubüßen.

In den 50er Jahren waren sie immerhin noch so beliebt, daß die erfolgreichsten verfilmt wurden: Der Raub der Sabinerinnen (UA 1884) von Franz und Paul von Schönthan wurde 1953/54 von Kurt Hoffmann verfilmt, am Drehbuch arbeitete u.a. Johannes Mario Simmel mit; Pension Schöller (UA 1890), verfaßt von Carl Laufs und Wilhelm Jacoby, wurde 1952 und 1960 von Georg Jacoby (Wilhelm Jacobys Sohn) verfilmt; und Carl Boese führte 1954 bei Die spanische Fliege (UA 1913) von Franz Arnold und Ernst Bach Regie. Auch heute, Jahrzehnte nach der Uraufführung, finden sich die Titel auf den Spielplänen mancher Boulevardbühnen, Pension Schöller etwa, besetzt mit "Publikumslieblingen" , erfreut sich nach wie vor der Gunst eines Publikums, das Unterhaltungstheater sucht, ein "harmloses" Vergnügen abseits von sozialer oder politischer Kritik an bestehenden Verhältnissen.

Als ich mich entschied, dieses Buch zu rezensieren, geschah dies aus purer Neugierde. Ich wollte diese "Publikumsrenner", diese Stücke, deren Titel für mich wie Synonyme einer vollkommen veralteten, aber nach wie vor präsenten und populären Theaterform klingen, kennen lernen. Das Lesen der Schwänke erwies sich als ebenso amüsant wie ärgerlich. Amüsant waren die Taten der männlichen Hauptpersonen, die vor ihren gestrengen Ehegattinnen "um jeden Preis" etwas verbergen wollen: in Der Raub der Sabinerinnen will der honorige Professor Gollwitz seine "Jugendsünde" - die Römertragödie, die dem Schwank den Titel gibt - zwar auf der Bühne sehen, seine Autorschaft aber nicht bekannt werden lassen. Er weiß, daß ihm seine Frau einen eventuellen Durchfall nie verzeihen würde. So bleibt er gegenüber dem Anerbieten des in der Kleinstadt gastierenden Direktors Striese und dessen Ensembles, das die Römertragödie in Szene setzen will, erst zurückhaltend, kann aber der Versuchung nicht widerstehen und willigt in eine Aufführung ein. Prompt kommt die auf Kur geglaubte Gattin samt Tochter verfrüht nach Hause, glaubt ihren Gatten in ein Verhältnis mit Prinzipalin Striese verwickelt und will ihn nach dem Durchfall seines Römerdramas verlassen - bis Striese die Situation rettet, indem er behauptet, der Theaterabend sei doch ein Erfolg gewesen.

Auch in Die spanische Fliege ist die männliche Hauptperson - hier Mostrichfabrikant Ludwig Klinke - vor allem damit beschäftigt, eine Jugendsünde unter Verschluß zu halten. Diese besteht in einem unehelichen Sohn, den er mit einer spanischen Tänzerin (der "Spanischen Fliege") gezeugt haben soll und für den er nun schon jahrzehntelang zahlt. Seine Frau Emma hört gerüchteweise von einem angesehenen Mitglied der Gesellschaft, das seine außereheliche Vaterschaft bestreite, und will unbedingt die Wahrheit ans Licht bringen - ohne zu merken, daß ihr Mann in die Geschichte verwickelt ist ...

In beiden Schwänken ebenso wie in Pension Schöller, die der Gutsbesitzer Philipp Klapproth für ein Irrenhaus hält und deren ihn besuchende "Insassen" er einsperrt, kommen die Männer gerade noch davon: ihre "Jugendsünden" erweisen sich als nicht existent (der vermeintliche uneheliche Sohne in Die Spanische Fliege) oder als doch gelungen (die Inszenierung des Raub[s] der Sabinerinnen wird durch das Anhängen eines - Schwankes gerettet!). Soweit das Amüsante.

Bedingt wird das Amüsement über die Taten der Männer und die daraus entstehenden Verwicklungen aber durch die Haltung und Charakterisierung der Frauen. Ihre Ehefrauen sind als tugendhaft, ernsthaft, ohne einen Funken Humor gezeichnet. Sie gehen vollkommen in der Präsentation der bürgerlichen Familie nach außen auf und beschäftigen sich außer mit den Dienstboten und der Erziehung der (in diesen Schwänken ausschließlich weiblichen) Kinder mit der Hochhaltung der moralischen Werte. Die Töchter wiederum sind durchwegs jung, hübsch und auf einen Ehemann erpicht; teilweise schaffen sie sich sogar die Gelegenheit, diesen selbst zu wählen (Ida und Franziska in Pension Schöller; Paula und Wally in Die Spanische Fliege). Sind sie jedoch bereits verheiratet, haben sie nichts Besseres zu tun, als ihren Ehemann nach einem eventuellen "Vorleben" auszufragen, und bekommen schließlich eine genervte, erschwindelte Antwort, die jedoch ihre Phantasie anheizt ...

Das Ärgerliche ist nun nicht (nur) die karikaturenhafte Zeichnung der Frauen und Mädchen (die handelnden Männer sind ja auch nicht gerade begehrenswert), sondern daß dieses hier vermittelte Bild einer weiblichen und männlichen Rollenzuteilung noch immer funktioniert, daß es nach wie vor eine Basis für diese Schwänke gibt, eine Basis, die zwar zweifellos dünner als in den 50er Jahren, aber doch noch vorhanden ist.

Die Bühnenschwänke sind kurzweilig, dramaturgisch auf den Punkt (sonst würden die Verwicklungen nicht funktionieren), ohne großen Aufwand zu inszenieren und enthalten tolle Rollen. In dem den Bühnentexten folgenden Essay nennt Volker Klotz das mittlere Bürgertum als "gesellschaftliche Schicht, der sich der Schwank auf und vor der Bühne" widme (S. 271). Als "Paradesituation" beschreibt Klotz einen Mann, der sich (körperlich) austobt und dabei von (s)einer Frau ertappt wird. Der Ertappte versucht seinen Ausrutscher zu vertuschen, die Frau wiederum läßt sich nichts anmerken. Klotz: "Hier formieren sich widerstreitende Interessensfronten nach Geschlechtern. [...] Die männliche Partei hat dabei etwas zu verbergen, das die weibliche gerade herausbringen will." (S. 272)

In der folgenden Analyse der Bühnengattung Schwank beschränkt sich Klotz nicht auf die im vorliegenden Band abgedruckten, sondern bezieht weitere Bühnentexte mit ein - Labiches Célimare le bien-aimeé (1863), Feydeaus Le Dindon (1896), Schönthans Der Raub der Sabinerinnen (1885) und Die vertagte Nacht von Arnold und Bach (1924). Die "unverzichtbare und unangefochtene Spielgrundlage" aller Schwänke sei, so Klotz, die bürgerliche Familie, aus deren Schema die "Geschlechterfronten ihre dramaturgische und ideologische Formel" bezögen. Klotz beschreibt, was die Geschlechter so sehr gegeneinander aufbringe: "Jedesmal gehts um eine Kreuzung und Durchkreuzung von zulässiger und unzulässiger Sexualität." (S. 275) Auch in Der Raub der Sabinerinnen, in dem die unerlaubte Komponente im Zusammentreffen mit dem Schmierenensemble des Direktor Striese zu sehen sei.

Weiters geht Klotz auf die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der mittelständischen Bürgerehen ein, er weist darauf hin, daß es kein "gleichartiges und gleichgewichtiges Verhältnis" zwischen Mann und Frau gegeben hätte, sondern sehr ungleiche Bedingungen für beide. Als "Waffe" des Mannes nennt Klotz die Lüge, Frauen kämpften mit moralischer Erpressung - und sie hätten trotzdem gewonnen. Interessant ist die Begründung, warum die Frauen, trotz ihrer ökonomischen Abhängigkeit von und Untertänigkeit gegenüber dem Familienoberhaupt, am Ende der Schwänke dennoch die Oberhand behielten. Der Mann habe die Oberaufsicht über das Kapital der Familie, über ihre ökonomische Basis. Die Frauen seien vor allem zur Pflege der Familie und des Nachwuchses da: "Und als Ersatz für die wirtschaftliche, rechtliche, sexuelle Unterjochung wird ihr eine Machtstellung eingeräumt. Wie der Mann den Besitz, verwaltet sie die Moral. [...] Die Sittsamkeit aufrechterhalten heißt zugleich den Besitzstand aufrechterhalten." (S. 276) "Hieraus erklärt sich, warum die Männer in den Schwänken am Ende klein beigeben. Sie wissen, daß die Ehefrauen weniger ihre persönliche als die allgemeine Moral ihrer Klasse vertreten." (S. 278)

Die Unterschiede zwischen französischen und deutschen Schwänken, etwa in der Alterstruktur der dramatis personae, und wie sie sich in Inhalt und Dramaturgie auswirken, werden in einem weiteren Abschnitt beschrieben. Der letzte Teil des Essays ist überschrieben mit "Zum Lachen? Zum Lachen!", Klotz führt darin aus, daß der Zuschauer des Schwanks gleichzeitig "sich einfühlen und Abstand nehmen" könne - "Das schadenfrohe Gelächter ballert dabei über die eigenen Schäden hinweg." (S. 296)

Das vorliegende Buch mit der Einleitung des Herausgebers Helmut Schmiedt, den drei Bühnenschwänken und dem Essay von Volker Klotz ist ein guter Einstieg zur Auseinandersetzung mit Unterhaltungskultur und populärem Theater. In der Einführung wird ein kurzer theatergeschichtlicher Rahmen geboten; die Schwänke sind von ihren Titeln her nach wie vor bekannt; und der Band schließt mit dem interessanten Essay von Volker Klotz, der einen sehr guten Einblick in das Genre, die Funktionsweisen und die Wirkung des Schwankes bietet und zu weiterer kritischer Auseinandersetzung mit Unterhaltungskultur einlädt.

Autor/innen-Biografie

Brigitte Dalinger

Freie Wissenschafterin und Lehrbeauftragte am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien. Derzeit wissenschaftliche Aufarbeitung des "Komplex Mauerbach" am Don Juan Archiv Wien.

Studium der Theaterwissenschaft und der Geschichte in Wien; während des Studiums verschiedene Tätigkeiten im Theaterbereich. Intensive Beschäftigung mit dem Thema jüdisches Theater und Dramatik, in Zusammenhang damit Forschungsaufenthalte in Israel und den USA. Habilitation im März 2004.

Weitere Arbeitsschwerpunkte: Theater im Nationalsozialismus; Theater und Interkulturalität; Theater im 19. und 20. Jahrhundert; Amerikanische und Britische Gegenwartsdramatik.

Publikationen:

(Auswahl)

Brigitte Dalinger: 'Trauerspiele mit Gesang und Tanz.' Zur Ästhetik und Dramaturgie jüdischer Theaterstücke. Wien/Köln/Weimar: Böhlau 2010.

-: "Interkulturalität, Kulturtransfer und Theaterwissenschaft". In: Weltbühne Wien / World Stage Vienna. Vol. 1: Approaches to Cultural Transfer. Hg. v. Ewald Mengel/Ludwig Schnauder/Rudolf Weiss. Trier: Wissenschaftlicher Verlag 2010, S. 105–115.

-/Werner Hanak-Lettner (Hg.): Being Shylock. Ein Experiment am Yiddish Art Theatre New York. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Jüdischen Museum Wien. Wien: Jüdisches Museum der Stadt Wien 2009.

-: "'Mein Vaterland ist das Volk'. Aspekte zu Figurengestaltung, Theatralität und Aktualität ausgewählter Theatertexte Ödön von Horváths". In: 'Felix Austria – Dekonstruktion eines Mythos?' Das österreichische Drama und Theater seit Beginn des 20. Jahrhunderts. Hg. v. Malgorzata Leyko/Artur Pelka/Karolina Prykowska-Michalak. o. O.: Litblockin 2009, S. 214–223.

-: 'Verloschene Sterne'. Geschichte des jüdischen Theaters in Wien. Wien: Picus 1998.

Veröffentlicht

2001-04-24

Ausgabe

Rubrik

Theater