Eugenio Barba: Land of Ashes and Diamonds; My Apprenticeship in Poland, Followed by 26 Letters from Jerzy Grotowski to Eugenio Barba.
(Aberystwyth: Black Mountain Press, 1999; European Contemporary Classics/Theatre). 183 Seiten. ISBN 1-9028-6701-7 (paperback)
Abstract
Das langerwartete neue Buch von Eugenio Barba, Leiter des Odin Teatret und Begründer der ISTA (International School of Theatre Anthropology), beinhaltet einen neuen Essay und bislang unveröffentlichte Briefe Jerzy Grotowskis an Barba.
Aus der Distanz von mehr als dreißig Jahren werden die Ereignisse rund um Grotowskis Aufstieg beleuchtet und damit ein Versuch unternommen, der längst erfolgten Mystifizierung dieser Periode mit Tatsachenberichten entgegenzuwirken. Die 26 kurzen Briefe Jerzy Grotowskis an Eugenio Barba stammen aus den 60er Jahren, der Zeit, als Grotowski noch öffentlich inszenierte. Der erste Brief ist mit 10. Juli 1963, der letzte mit 10. August 1969 datiert. Die dazugehörigen Briefe von Barba an Grotowski sind verlorengegangen.
Das Buch vermittelt einen Einblick in die frühen Jahre der theatralen Arbeit Grotowskis und Barbas und ermöglicht einen neuen Zugang zu zwei großen Persönlichkeiten, die das Theater unseres Jahrhunderts maßgeblich geprägt haben. Wer jedoch unbekannte Details, neue theoretische Aussagen oder sensationelle Überraschungen erwartet, wird ein wenig enttäuscht sein. Essay und Briefe zeigen, wie nahe die beiden "großen Meister" einander in ihrer Anfangszeit (Grotowski war zum Zeitpunkt des ersten Briefes 29, Barba 26 Jahre alt) gestanden haben. Der Essay dient als Einführung zu den Briefen und gibt Hintergrundinformationen zu Ereignissen, auf die in den Briefen Bezug genommen wird.
Der für Grotowski-Anhänger interessantere Teil sind die aus dem Polnischen ins Englische übersetzten Briefe aus einer Zeit, als Grotowski gerade dabei war, internationale Berühmtheit zu erlangen. Teilweise sind die Briefe sehr persönlich und zeigen die herzliche Beziehung zwischen den beiden Männern, die als Meister-Schüler bzw. sogar als Vater-Sohn-Verhältnis beschrieben wird. So sieht sich Grotowski selbst als Lama und sein Verhältnis zu Barba wird von ihm als "as close as a son" (S. 118) beschrieben. Der Stil der Briefe ist oft sehr metaphorisch und erinnert an die Schreibweise, in der Barbas spätere Schriften (zum Beispiel in The Paper Canue, London, New York: Routledge, 1995) gehalten sind. Großteils werden geschäftliche Dinge diskutiert, die Organisation von Vorträgen und Gastspielen im Ausland oder die Publikation von In search of a lost theatre, Barbas erstem Buch, mit dem er Grotowski im Ausland bekannt gemacht hat, betreffend. Ein immer wiederkehrendes Thema in Grotowskis Briefen sind die indischen Theatertechniken. Er verwendet Sanskrit-Ausdrücke, um die eigene Arbeit und seine Gedanken zu illustrieren. Grotowski bezieht sich dabei mehrmals auf indische Asketen und Philosophen wie Ramana Maharishi und Auribindo Ghose, und er bezeichnet die Arbeitsstätten des Teatr-Laboratorium in Opole bzw. Wrozlaw als Ashrams. Der große Einfluß, den die indischen Techniken auf Grotowski gehabt haben, wird in den Briefen offenkundig. So schreibt Grotowski am 26. April 1965 über seine Inszenierung von Der standhafte Prinz, eine Produktion, die von vielen Kritikern als die wichtigste des 20. Jahrhunderts angesehen wird: "this production represents an attempt to do research on the frontier between tantra and theatre..." (S. 145). Den letzten Brief verfaßte Grotowski auf seiner Reise durch Indien. Er erzählt darin von seinem Treffen mit einem Baul Meister und gibt seiner Begeisterung darüber Ausdruck: "It is amazing to see how certain aspects of the craft are objective." (S. 169) Es ist anzunehmen, daß hier die Grundlagen für Grotowskis Theater der Quellen (ab 1976) und Objective Drama (ab 1983) gelegt worden sind.
Als Grotowski im Jänner 1999 starb, wurde die englische Übersetzung dieses Buches gerade vorgestellt. Grotowski war immer extrem vorsichtig beim Publizieren von eigenen Texten, sodaß es kaum von ihm selbst verfaßte, sondern nur über ihn geschriebene Texte gibt. Der vorliegende Band bezieht seine besondere Bedeutung aus der Tatsache, daß Grotowski an seinem Lebensende sehr bewußt die Zustimmung zur Veröffentlichung dieser frühen, persönlichen Briefe gegeben hat, also zu Texten, die aus seiner "Periode der Aufführungen" stammen. Diese Arbeitsperiode ist seit langem abgeschlossen (die letzte öffentliche Aufführung, Apocalypsis cum figuris, wurde 1969 erarbeitet, die Vorstellungen liefen bis 1980), und es schien bisher, als habe sich Grotowski mit späteren Projekten wie Die Kunst als Fahrzeug sehr weit von seinen Anfängen entfernt.
In dem autobiographischen Essay, der den Briefen vorangestellt ist, berichtet Barba von dieser Zeit, von seinen ersten Kontakten mit Grotowski in Polen und verweist auf den bleibenden Einfluß, den Grotowski auf seine Arbeit in der Folge haben sollte. Barba kam nach Polen, um – mit einem Stipendium ausgestattet – Literatur zu studieren. Barba war damals sehr am Literatur- und Theaterkritiker Ludwik Flaszen interessiert, mit dem gemeinsam Grotowski in Opole das Teatr 13 Rzedow führte. Dort sah Barba erstmals eine Aufführung Grotowskis (Dziady von Adam Mickiewicz). Er erzählt, wie sich in der Folge eine intensive geistige und künstlerische Beziehung zwischen ihm und Grotowski entwickelt hat, die bis zum Tode Grotowskis anhalten sollte. Grotowski hatte Zeit seines Lebens immer einen "Privilegierten" an seiner Seite, zuletzt Thomas Richards. "From 1962 to 1964 I [Barba] was this privileged companion" (S. 26)
Barba betont die Bedeutung des "armen" Theaters, dessen Entstehung er als Grotowskis Regieassistent bei Akropolis und Doktor Faustus unmittelbar verfolgen konnte, und er spricht sich gegen eine verkürzenden Darstellung des "armen" Theaters aus. Oft würde diese "subversive action" nur auf "Lope de Vega's 'three tables, two people and one passion' " reduziert (S. 38). Damit werde man aber der wahren Bedeutung nicht gerecht. Die aufgehobene Trennung von Schauspieler und Zuschauer "was a Copernican revolution with unpredictable consequences for the dramaturgy of the production, for the performer of the actors and for the perception of the spectators". (S. 38)
Barba berichtet wenig über Proben und Schauspielertraining und ebensowenig über die vielen Gespräche, die er während dieser Zeit mit Grotowski geführt hat. Ein Teil des Essays ist seinen Reisen durch Europa gewidmet und den Schwierigkeiten bei der Kontaktaufnahme mit verschiedensten Persönlichkeiten, um Grotowski im Westen bekannt zu machen.
Breiten Raum widmet Barba den anekdotischen Geschehnissen rund um den ITI-Kongreß in Warschau 1963. Grotowski war mit dem Teatr-Laboratorium 13 Rzedow zwar nicht eingeladen worden, aber Barba schaffte es aufgrund seiner unermüdlichen Anstrengungen, einige Delegierte zu einer Vorführung von Doktor Faustus ins hundert Kilometer entfernte Lodz zu bringen. Die Begeisterung der ausländischen Gäste über die gelungene Aufführung markierte den Beginn von Grotowskis internationaler Rezeption.
Neben den Details, die auf den ersten Blick nur für Chronisten interessant sind, finden sich sowohl im Essay als auch in den Briefen Hinweise auf das laufende Schauspielertraining und Gedanken zum Methodischen. In Fußnoten werden notwendige Erklärungen zu vielen Einzelheiten der privaten Korrespondenz geliefert. Im Anhang des Buches findet sich ein umfangreicher Namensindex.
Veröffentlicht
Ausgabe
Rubrik
Lizenz
Dieser Rezensiontext ist verfügbar unter der Creative Commons-Lizenz CC BY-SA 4.0. Diese Lizenz gilt nicht für eingebundene Mediendaten.