Daniela Kuschel: Spanischer Bürgerkrieg goes Pop. Modifikationen der Erinnerungskultur in populärkulturellen Diskursen.
Bielefeld: transcript 2019. ISBN: 978-3-8376-4871-3. 282 S., Preis: € 39,99.
DOI:
https://doi.org/10.25365/rezens-2020-2-14Abstract
Der Spanische Bürgerkrieg von 1936 bis 1939 war, wenngleich das hierzulande mitunter übersehen wird, ein bedeutsames historisches Zwischenspiel, dessen Implikationen und Konsequenzen weit über die Landesgrenzen Spaniens hinausreichten. In ihrer Dissertationsschrift spürt die Literatur- und Medienwissenschaftlerin Daniela Kuschel der Aufarbeitung des Bürgerkrieges in populärkulturellen Produkten nach.
Eines vorweg: Dieses Buch beruht auf einer Dissertationsschrift. Es ist sinnvoll, auf diesen Umstand hinzuweisen, da derartige Publikationen die Charakteristika wissenschaftlicher Qualifikationsschriften recht deutlich umsetzen. Das betrifft in diesem Fall nicht lediglich Aufbau und Struktur der Arbeit (mit einer Unterteilung zwischen theoretischer Aufarbeitung der jeweiligen Themenbereiche, gefolgt von ausführlichen Analyseteilen), sondern etwa auch den Umstand, dass die zahlreichen Zitate ausschließlich in Spanischer Sprache gebracht werden. Ein Umstand, der auch gleich etwas über die Stoßrichtung des Buches verrät: Die Autorin wendet sich explizit an eine Leser*innenschaft, die ein spezielles Interesse für das verhandelte Thema mitbringt. In Anbetracht der hohen Komplexität des Spanischen Bürgerkriegs ist das nicht die schlechteste Strategie. Wäre das nicht so, müsste man wohl einen weit umfangreicheren Einleitungsteil voranstellen.
Kuschel springt stattdessen direkt ins Feld. Ihre Einleitung gilt demnach nicht dem Kriegsverlauf oder dessen Vorbedingungen, sondern dem für ihre Analyse wesentlichen Bereich der Aufarbeitung und der Erinnerungskultur. Hier liegt dann auch gleich eine Stärke dieser Arbeit. Ziemlich genau das erste Drittel des Buches lässt sich als solides Arbeitsbuch verstehen. In atemberaubendem Tempo jongliert Kuschel die maßgebende Referenzliteratur, stellt Entwicklungslinien dar, streicht Tendenzen und Moden heraus. Dabei nimmt sie oft auch Bezug auf Analysen anderer Ereignisse mit traumatischer Qualität, allen voran des Zweiten Weltkriegs und des Holocausts. Ein Vergleich, der einerseits der Quellenlage geschuldet ist, andererseits dabei hilft, das eigentliche Thema der Arbeit, das im deutschsprachigen Raum keine herausragende Aufmerksamkeit erfährt, besser zu verorten.
Nach dieser profunden und gekonnten Abhandlung, widmet sich die Autorin ihrem zu untersuchenden Material. Für die Gattung der erzählenden Literatur sind dies zwei Werke: Soldados de Salamina (2001) von Javier Cercas und La comedia salvaje (2009) von José Ovejero. Ersterer Roman ist bereits so etwas wie ein Referenzwerk jener spanischen Bürgerkriegsliteratur, deren Autor*innen der Nachgeborenengeneration angehören. Cercas, Schriftsteller und Literaturwissenschaftler ist Jahrgang 1962, war also zum Ende der Franco-Diktatur (1975) gerade einmal dem Kindesalter entwachsen. Wichtig ist das deshalb, weil mit diesem Generationswechsel eine Diskussion über einen Wandel der Erzählweisen in der Bürgerkriegsliteratur einhergeht, für den Cercas Roman als beispielhaft gilt.
Man muss hierfür kurz ausholen: Soldados de Salamina beruht auf einer formalen Dreiteilung des Textes in Vorgeschichte, Geschichte und Nachgeschichte. Das Herzstück bildet dabei eine Episode um den Schriftsteller und Falange-Mitbegründer Rafael Sánchez Mazas, der in den letzten Tagen des Bürgerkriegs seiner Erschießung entkommen kann und dessen Leben in Folge von einem republikanischen Soldaten geschont wird. Die Vorgeschichte ist die des fiktiven (!) Cercas, der sich des Themas annimmt, die Nachgeschichte die des republikanischen Soldaten, dem Sánchez Mazas sein Leben zu verdanken hat, und den der (abermals fiktive) Cercas ausfindig zu machen versucht. Das Buch wurde ein riesiger Erfolg. Nicht zuletzt, weil – wie Kuschel für alle von ihr verhandelten Werke präzise ausführt – Spanien zu dieser Zeit inmitten einer leidenschaftlich geführten Diskussion um die Erinnerungskultur an den Bürgerkrieg steckte (und im Grunde noch immer steckt). Die Beschäftigung eines als politisch links verorteten Autors mit dem rechten Ideologen Sánchez Mazas, dessen Charakterisierung noch dazu nicht ausschließlich negativ ausfiel, war ein beachtliches Wagnis. Wer es guthieß, sprach von einer historischen und notwendigen Versöhnung der beiden Lager, wer nicht, von Verrat. Sicher scheint dabei vor allem eines: Die Polemik hat der Popularität des Romans nicht geschadet. Die bereits erörterte Erzählperspektive, die Cercas geschickt anwendet, um die unvermeidliche Fiktionalisierung eines weit zurückliegenden Ereignisses im Text selbst erfahrbar zu machen, fand große Zustimmung und machte das Buch rasch zu einem Referenzwerk. So weit, so bekannt. Kuschel referiert all diese Stationen ausführlich. So gut die Autorin es auch vermag, bekannte Stimmen zusammenzufassen, so wenig versteht sie es, eigenes hinzuzufügen oder gar zu widersprechen. Ordentlich reiht sie Beleg an Beleg, bemüht Literaturwissenschaft und -kritik. Was gelobt wurde, lobt auch sie, was kritisiert wurde, streicht auch sie negativ hervor. Dabei wäre eine derart affirmative Haltung gar nicht notwendig, ist zu diesem Roman doch noch lange nicht alles gesagt. Und auch nicht alles, was gesagt wurde, muss widerspruchslos hingenommen werden. So ließe sich etwa die durchwegs als positiv gewertete Erzählstrategie auch kritisch hinterfragen. Wenn der reale Javier Cercas einen fiktiven Javier Cercas einführt, um durch dieses selbstreflexive, die Fiktion entzaubernde Manöver einer vermittelnden Instanz Rechnung zu tragen – und seinen Text von der Masse der Bürgerkriegsromane abzuheben – ist dies, so ließe sich argumentieren, nichts anderes als der Versuch, den sprichwörtlichen Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben: Eine Fiktion soll eine andere retten. Alles andere wäre nämlich kein Roman mehr. Spätestens an dieser Stelle wäre dann die Brücke zu Enzensbergers Der kurze Sommer der Anarchie (1972) zu schlagen. Ein bis heute weit herausragendes Werk, das – auf Interviews beruhend und eben doch auch als Roman ausgewiesen – das Verhältnis zwischen Fiktion und authentischem Zeugnis am Beispiel der Biographie des berühmten Anarchisten Buenaventura Durruti genau von der entgegengesetzten Richtung her befragt. Dass weder dieses Werk, noch andere vergleichbare Referenztexte (etwa von George Orwell oder Franz Borkenau) Erwähnung finden, mag verwundern, kann aber kein Zufall sein. Stattdessen lässt sich die Autorin gleich zweimal dazu hinreißen, einer Kritik am "emotionalen Ende" von Soldados de Salamina stattzugeben (S. 70 und 82). Hier scheint – einmal mehr – ein Missverständnis zwischen Literaturkritik und Literaturwissenschaft zu bestehen. Ganz so, als ob es die Aufgabe Letzterer wäre, zu entscheiden, wann ein Autor/eine Autorin "emotional" – ohne zu belegen, was das überhaupt sein soll – schreiben dürfe, und wann nicht. Dabei gäbe es an Cercas Roman auch konkret Belegbares zu kritisieren: das nachgerade erschreckende Frauenbild etwa, das dieses sonst so bemerkenswerte Buch begleitet. Doch darüber kein Wort. Fraglich bleibt bei all dem also das Warum. Alles was man hier liest, ist bereits bestens bekannt, zählt Soldados de Salamina doch seit bald zwanzig Jahren zu den am eifrigsten verhandelten Beiträgen der Bürgerkriegsliteratur.
Ganz anders beim zweiten Beispiel zeitgenössischer Literatur. Allein die Wahl des Werks La comedia salvaje ist ein guter Griff, ist der Roman des im deutschen Sprachraum wenig bekannten Autors José Ovejero von der Literaturwissenschaft bisher doch kaum beachtet worden. Das holt Kuschel nun nach. Gründlich beleuchtet sie dieses mit Querverweisen, Referenzen und Zitaten gespickte – vielleicht auch überladene – Werk, das von der Frage nach der Bedeutung von Geschichten und deren Wahrheitsgehalt durchzogen wird. Nicht umsonst lautet der erste Satz des Buches "¡Todo es mentira!, Alles ist Lüge!", um im nächsten Moment eine ausladende, bildsprachlich überhöhte Eröffnungsszene folgen zu lassen, in der Blut, Staub, Schmutz, schlechter Atem, würgende Griffe, eingeschlafene und abgerissene Extremitäten und schließlich gar Gottes Abwesenheit bemüht werden, um die Gräuel eines Krieges sprachlich zu fassen. Eine implizite und weniger offensichtliche Form – gleichzeitig ein Kontrapunkt zur betont nüchternen Sprache eines Javier Cercas – die für erzählende Literatur notwendige Fiktionalisierung zu thematisieren. Kuschel analysiert diesen Ansatz anhand ausgewählter Szenen und kann dabei das einlösen, was sie bei Cercas Roman verfehlt hat. Gleichzeitig leistet sie Pionierarbeit. Zumindest in Bezug auf diesen Abschnitt der Arbeit geht allerdings ihr Titel fehl: Ovejero und Cercas mögen vieles sein, Vertreter einer Populärkultur sind sie nicht. (Ein Off-topic Hinweis sei an dieser Stelle erlaubt: Ovejeros fesselnder Wirtschaftskrimi Las vidas ajenas (2005) ist ein Meisterwerk der multiperspektivischen Erzählkunst und ein guter Einstieg in das Oeuvre des Autors.)
Sehr wohl aus dem Bereich der Populärkultur stammen hingegen die in Folge untersuchten filmischen Arbeiten. Kuschel hat hierfür drei Beispiele gewählt. Einerseits La espinaza del diablo (2001) und El laberinto del fauno (2006) des aus Mexiko stammenden, mittlerweile mit einem Oscar bedachten Regisseurs Guillermo del Toro, und La balada triste de la trompeta (2010) des spanischen Kult-Regisseurs Alex de la Iglesia. Die drei Arbeiten eint, dass sie den Spanischen Bürgerkrieg nicht explizit adressieren, sondern als Hintergrund für andere Erzählungen verhandeln. Aus Kuschels Analyse spricht dann eine ähnliche Ambivalenz, wie sie schon in Hinblick auf die Romanbeispiele bemerkbar wurde: Es besteht kein Zweifel daran, dass die Autorin ihr Feld überblickt und ihre Materialien genauestens kennt. Ihre Einführung, in der sie relevante Literatur und die daran anknüpfenden Diskurse beleuchtet, ist vorbildlich, die eigentliche Analyse fällt dann trotzdem zwiespältig aus. Umfangreich recherchierte biografische und filmische Daten reihen sich an seminararbeitsähnliche Inhaltsangaben und genrespezifische Ergänzungen – im Falle von de la Iglesia etwa Betrachtungen zur Bedeutung der Groteske in Literatur, Theater und Malerei. Auch werden die Filme gründlich auf ihre Anschlussfähigkeit in Bezug auf die einleitend diskutierten Fragestellungen einer aktuellen Erinnerungskultur überprüft. Und dennoch: Nach mehr als sechzig Seiten, die die Autorin diesem Abschnitt widmet, fragt man sich, was denn nun die Erkenntnis dieser Analyse, was denn nun das Besondere an den so umfangreich untersuchten Filmen sein soll.
Vergleichsweise präzise fällt ein Kapitel über den Comic aus. Nach einer Einführung in das Thema unter besonderer Beachtung der spanischen Tradition als auch der thematischen Orientierung an Werken, die Kriege thematisieren, wobei Art Spiegelmans bekannter Comic über die Shoah (MAUS, 1989) als Referenzpunkt dient, wendet sich Kuschel dem Comic 1936 – La batalla de Madrid zu. Dass sie in diesem Fall bei einem einzigen Werk bleibt, erweist sich als Vorteil. Kuschel macht den 2014 erschienen Comic, in dem der in Bedrängnis geratenen Republik eine Einheit von Superhelden zur Hilfe eilt, als Werk begreifbar, das seine genretypische, offensichtliche Vermittlungsstruktur nutzt, um dem Postulat des Historisch-Authentischen erzählerische Freiheiten abzutrotzen und tradierte Mythen zu hinterfragen. Nun kann man die hier wirksamen Genrespezifika der Superheldencomics US-amerikanischer Prägung mögen oder nicht, die Analyse macht jedenfalls Neugierig auf das untersuchte Werk und beweist, dass mitunter auch eine Fallstudie reichen kann, um ein ganzes Genre zu umreißen. (Hinweis: Michel Matlys Opus El cómic sobre la guerra Civil wäre das Gegenprogramm dazu.)
Nicht zufällig widmet sich das letzte Kapitel des Buches der Welt des Videospiels. Hieraus sei nur ein Gedanke hervorgehoben, der in seiner Dimension jedoch noch einmal all das umfasst, was dieses Buch sich zu untersuchen vorgenommen hat: "Tú decides la historia, Du entscheidest die Geschichte", der Marketingslogan des Computerspiels Sombras de Guerra bringt das Missverhältnis zwischen Spiel (das per Definition einen offenen Ausgang haben muss) und historischer Authentizität deutlich auf den Punkt. Eben diesen Widerspruch problematisiert die Autorin am Schluss ihrer Arbeit. Derartige Computerspiele erscheinen ihr dabei als Antwort auf sich verändernde Bedürfnisse in Hinblick auf eine kollektive Identitätsbildung und Erinnerungskultur, wobei einer damit eihergehenden Offenheit von Geschichte Tendenzen der Banalisierung und Enttabuisierung entgegengehalten werden.
Wie eingangs angemerkt, beruht Kuschels Buch auf einer Dissertationsschrift. Das ist in diesem Fall auch ein bisschen eine vergebene Chance. Etwas abgespeckt, dem bemüht akademischen Duktus enthoben und gründlich lektoriert, hätte so ein Standardwerk für den untersuchten Gegenstandsbereich entstehen können. Was bleibt, ist ein solides Arbeitsbuch, das vor allem durch seine Einführungen in die untersuchten Genres und die Aufarbeitung eines aktuellen Forschungsstandes besticht.
Literatur:
Borkenau, Franz: Kampfplatz Spanien. Politische und soziale Konflikte im Spanischen Bürgerkrieg, Stuttgart: Klett-Cotta 1986 [orig. 1937].
Cercas, Javier: Soldados de Salamina, Barcelona: Tusquets 2008.
Enzensberger, Hans Magnus: Der kurze Sommer der Anarchie. Buenaventura Durrutis Leben und Tod, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972.
Jiménez, Rafael/Sollero, José Antonio: 1936 La batalla de Madrid, Córdoba: Almuzara 2014.
Orwell, George: Mein Katalonien. Bericht über den Spanischen Bürgerkrieg, Zürich: Diogenes 1975 [orig. 1938].
Malty, Michel: El cómic sobre la guerra civil, Madrid: Cátedra 2018.
Ovejero, José: La comedia salvaje, Madrid: Alfaguara 2009.
Ovejero, José: Las vidas ajenas, Madrid: Espasa 2005.
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