Miriam Haughton: Staging Trauma. Bodies in Shadow.
Dublin: Palgrave Macmillan 2018. ISBN 978-1-137-53662-4. 243 S. Preis: € 98,99.
Abstract
"Staging the Unknowable, the Unspeakable, the Unrepresentable", lautet der Titel des einleitenden Kapitels der kürzlich bei Palgrave Macmillian erschienen Monographie von Miriam Haughton, die sich in ihrer Studie mit der Frage nach der Darstellbarkeit von traumatischen Erlebnissen auf Theaterbühnen auseinandersetzt. Sie untersucht anhand von vier zeitgenössischen Produktionen aus Irland und Großbritannien wie mit künstlerischen Mitteln aus unterschiedlichen Erfahrungen resultierende Traumata verhandelt werden. Daneben fällt der Fokus auf die Rezeption bzw. die "politics of reception", indem nach dem Zusammenhang von persönlichen Leidensgeschichten und dem Sinn und Zweck entsprechender ästhetischer Erfahrungen im Theater gefragt wird. Im Zentrum steht die Analyse der vier Theaterproduktionen On Raftery's Hill (2000) von Marina Car, Colder than here (2005) von Laura Wade, Laundry (2011) von Louise Lowe und Sanctuary (2013) von Teya Sepinuck, denen jeweils einzelne Kapitel gewidmet sind. Diese ausgewählten Bespiele divergieren inhaltlich und formal, teilen aber das Interesse für "weibliches Leiden" sowie die weibliche Erfahrung von traumatischen Erlebnissen, wobei das Spektrum derselben vom inzestuösen Kindesmissbrauch innerhalb einer patriarchalen Kleinfamilie zu Erlebnissen im Zusammenhang mit Tod, Flucht und Krieg reicht.
Im einleitenden Kapitel vermittelt die Autorin durch eine umfassende Diskussion ihrer theoretischen Vorüberlegungen ein fundiertes Grundwissen hinsichtlich der Relation zwischen Trauma und Performance. Zudem begründet Haughton die Auswahl der Untersuchungsgegenstände, indem sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeitet und dadurch ihre Auswahl konzeptualisiert. Das einführende Kapitel hält, was der Titel verspricht, nämlich eine knappe und klare Diskussion der Komplexität von Traumata sowie deren Ursachen, aber auch der Auswirkungen auf bzw. Bedeutung für davon betroffene Personen. Des Weiteren situiert Haughton Traumata in einem gesamtgesellschaftlichen und historischen Kontext, wobei sie präzise das Verhältnis von individuellem Leiden und Gesellschaft beleuchtet. Diese theoretische Kontextualisierung von Traumata gründet zudem auf einer historischen Einführung in die Entwicklung der Traumaforschung, die von Sigmund Freund bis zu TraumatheoretikerInnen wie Dominik LaCarpa oder Cathy Caruth reicht.
Über Trauma zu schreiben bedeute über ein Leiden zu schreiben, das schwer darstellbar sei, weil das Trauma sich in seiner Essenz der Vorstellbarkeit und somit der Möglichkeit der Darstellung entziehe. Die Motivation solch eine Studie durchzuführen begründet Haughton damit, dass zeitgenössische Theaterproduktionen aus Irland und England, die sich explizit mit gewaltvoller und traumatischer Geschichte weiblicher Protagonistinnen auseinandersetzen, von besonderer Bedeutung und Qualität seien. Generell würden mit solchen Themen befasste Künstlerinnen und Künstler besonders verantwortungsvoll agieren, um gleichzeitig öffentliche Debatten zu provozieren, weil das Leid von als real markierten Personen eben als Symptom gesellschaftlicher und politischer Zustände in Irland und England zu verstehen sei. Traumatische Geschichte und Geschichten korrespondieren zudem nolens volens mit gegenwärtiger Geschichtspolitik. Aus der thematischen Verflechtung von Performance, Trauma, Geschichte, Nation, Geschlecht und Gesellschaft resultiert damit ein komplexer und breit angelegter methodischer Zugang.
Die nächsten vier Kapitel stehen im Zentrum der Monographie und problematisieren jeweils eine der ausgewählten Produktionen. Zunächst steht On Raftery's Hill der irischen Dramatikerin Marina Carr aus dem Jahr 2000 zur Debatte. Eine typische irische Familie als Schauplatz von inzestuösem Kindesmissbrauch wird mit einer moralischen Krise der irischen Gesellschaft in den späten 1990er Jahren in Verbindung gebracht. Die Anzahl der ungeklärten Missbrauchsfälle sowie ihre Tabuisierung wirke bis heute nach, betont Haughton, was die Relevanz dieses Dramas für die irische Gesellschaft akzentuiere. On Raftery's Hill zeichne sich zudem durch seine schonungslose und brutale Darstellung der Vergewaltigung aus, womit das Tabu des inzestuösen Kindesmissbrauchs gewaltsam gebrochen und in Unmittelbarkeit überführt werde.
Colder Than Here (2005) der englischen Schriftstellerin Laura Wade thematisiert die traumatische Erfahrung des Todes, der sich die britische kleinbürgerliche Familie Bradley stellen muss. Die Komödie untersucht neben dem prozessualen traumatischen Erleben des bevorstehenden eigenen Todes die traumatische Erfahrung einen nahestehende Menschen durch eine tödliche Krankheit zu verlieren. Die Komplexität dieser Komödie bestehe aus der Kollision unterschiedlicher traumatischer Erlebnisse in einem gemeinschaftlich durchlebten Ereignis, dem sich niemand entziehen kann. Colder Than Here wird dabei theoretisch sowohl aus dem Blickwinkel der Theatre and Performance Studies als auch der Death Studies und Trauma Studies diskutiert.
Die sogenannten "Magdalen Laundries" gehören bis weit in die 1980er Jahre zur verdrängten irischen Geschichte. Die Waschhäuser, in denen gesellschaftlich geächtete und marginalisierte Frauen gegen ihren Willen festgehalten wurden, sind Thema und zugleich Austragungsort der Performance Laundry (2011) der Regissuerin Louise Lowe. Einen Ort des Vergessens, der Unterdrückung und Ausbeutung von Frauen als Austragungs- und Erinnerungsort von verdrängter und tabuisierter Vergangenheit zu präsentieren, entfalte eine geisterhafte Stimmung, denn das Publikum werde an den Ort des Geschehens und damit in die Vergangenheit der unterdrückten Frauen geführt. Anderseits sei gleichzeitig auch eine Überschreibung eines solchen Ortes durch neue Narrative, Begegnungen und Erinnern möglich, womit die Produktion Wissen über verdrängte Geschichte zu Bewusstsein bringe, gleichzeitig aber auch Handlungsräume für Reaktionen öffne.
Die Performance Sanctuary (2013), inszeniert von Teya Sepinuck, versteht Haughton als räumliches und zeitliches "Liminalitäts-Drahtseil", das zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft pendle. Hoffnung, das Ausagieren und Durcharbeiten von traumatischen Erlebnissen im psychotherapeutischen Sinn sowie Gemeinschaftsbildung sind die Aspekte, unter denen die irische und auf Zeitzeugnissen basierende Theaterproduktion Sanctuary analysiert wird. Aus den Lebensrealitäten der Figuren, die sich teilweise stark voneinander unterscheiden, resultiert letztendlich immer derselbe Wunsch, nämlich jener nach Gemeinschaftlichkeit, die gleichzeitig im Theaterraum hergestellt werde. Den Künsten allgemein und Theateraufführungen insbesondere wird somit das Potenzial zugeschrieben, gesellschaftliche Transformationsprozesse in Gang zu bringen, woran die affektive Wirkungsmacht dargebotener Zeugnisse entscheidenden Anteil nehme.
Die im Untertitel der Monographie erwähnten "Bodies in Shadow" werden zur Chiffre des abschließenden Kapitels. Gemeint sind damit verborgene Lebensgeschichten, die durch Theater erst sichtbar gemacht und in das gesellschaftliche Bewusstsein eingeschrieben werden. Durch die Intimität, die im Theaterraum das Erleben persönlicher Leidensgeschichten erzeuge, involvieren sich Zuschauende in diese Geschichten, während sie als adressiertes Publikum gleichzeitig eine Gemeinschaft bilden.
Durch die Auswahl ihrer facettenreichen Beispiele ermöglicht Miriam Haughton einen breit gefächerten Einblick in verschiedene künstlerische Strategien, das "Unbekannte", "Unaussprechbare" und "Undarstellbare" von Traumata durch Theater erfahrbar zu machen. Zusätzlich schafft die Monographie Zugänge zu jener irischen und britischen Geschichte, die im Schnittpunkt von Politik, Nation und Geschlecht einer Aufarbeitung marginalisierter Frauengeschichte(n) bedarf.
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