Harun Maye/Cornelius Reiber/Nikolaus Wegmann (Hg.), Original-Ton. Zur Mediengeschichte des O-Tons.
Konstanz: Universitätsverlag 2007. (kommunikation audiovisuell, Band 34) ISBN 978-3-89669-446-1. 408 S., Hörbeispiele auf CD. Preis: € 39,-.
Abstract
Original-Ton. Zur Mediengeschichte des O-Tons ist in der Reihe "kommunikation audiovisuell" der Abteilung Kommunikation und Medienwissenschaft der Hochschule für Fernsehen und Film München erschienen, der Band beinhaltet Beiträge des gleichnamigen zweitägigen Workshops in Potsdam.
Der Begriff "Originalton" hat in der Kultur- und Medienwissenschaft der letzten Jahre nicht zuletzt durch das zunehmende Interesse an medienhistoriographischen Untersuchungen an Bedeutung gewonnen. In der Medienpraxis ist er seit Einführung des institutionalisierten Rundfunks in Verwendung und bezeichnet, als terminus technicus, einen unverzichtbaren Teil jedes sogenannten gebauten Radiobeitrages.[1] Das Buch versucht sich sowohl der wissenschaftlichen Rezeption als auch der medienpraktischen Relevanz von Originaltönen anzunähern.
Der Originalton ist ein aufgezeichneter oder von einem Aufnahme-Ort übertragener Ton. Die Paradoxie des Begriffs Originalton wird im Aufsatz von Oliver Jungen "What you hear is what you get. Das Original als gefühlte Größe" verhandelt. Der originale Ton als konservierbare Massenware ist eine begriffliche Unstimmigkeit, die bereits Thomas Alva Edison zur Vermarktung seines Phonographen nutzte.[2] Nikolaus Wegmann und Jürg Häusermann behandeln in ihren Beiträgen ebenfalls die Frage der Authentizität. Dem Originalton haftet immer die Aura des Authentischen an, oder wie es Wegmann formuliert: "Der Originalton ist als Ereignis echt" (S. 20). Während aber Wegmann die medienphilosophische Bedeutung herausstreicht, behandelt Häusermann die kommunikationswissenschaftlichen Aspekte des O-Tons und überprüft den Begriff für die journalistische Praxis. Alle drei Beiträge bilden gemeinsam mit einem Essay von Katja Kessler den ersten Teil des Sammelbandes und sind unter dem Titel "Begriff, Geschichte, Wert" subsumiert.
Daran anschließend werden einzelne Beispiele sowie historische und technische Entwicklungen der Originaltonaufnahme nachgezeichnet und in die Bereiche "Radio", "Film", "Literatur" und "Archiv" unterteilt. Die Beiträge dieser Themenschwerpunkte reichen von den propagandistischen Wirkungsweisen des O-Tons im Nationalsozialismus (Muriel Favre, "Goebbels' 'phantastische Vorstellung'. Sinn und Zweck des O-Tons im Nationalsozialismus") über die Bedeutung der Tonaufzeichnung im frühen Werbefilm (Ralf Forster, "Die Bedeutung des Synchronsounds in frühen deutschen Werbetonfilmen 1928–1931") bis hin zur Frage nach der Originalität der Stimme im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit (Matthias Bickenbach, "Dichterlesung im medientechnischen Zeitalter. Thomas Klings intermediale Poetik der Sprachinstallation").
Aktuelle Beispiele von Originaltönen und ihrer zeitgenössischen Verwendung finden sich auch im Beitrag von Arno Meteling ("Geisterstimmen. O-Töne aus dem Schattenreich"). Der Gebrauch von rein akustischen Botschaften, zumeist übers Telefon kommuniziert, ist ein immer noch beliebter Kunstgriff des Horrorfilmgenres. Meteling spricht dabei ein wichtiges Konstitutiv des Originaltons an: Der rein akustisch vermittelte Ton lässt seine Herkunft immer im Dunkeln, sein Ursprung bleibt immer geheimnisumwoben.
Ein Problem, das auch das moderne Gerichtswesen kennt, wird von Cornelius Reiber in seinem Aufsatz "Das Recht der Stimme. O-Töne in der gerichtlichen und geheimdienstlichen Verwertung" aufgezeigt, indem er die ethischen und technischen Bedenken dieser umstrittenen Praxis analysiert. Das Abhören von nicht-öffentlich gesprochenen Worten ist in der Bundesrepublik seit 1968 gesetzlich geregelt und unter dem euphemistischen Schlagwort "Lauschangriff" bekannt geworden. Bereits seit dem Zweiten Weltkrieg wird an spektographischen und biometrischen Verfahrensweisen gearbeitet, um die Unverwechselbarkeit der Stimme auch anhand von wissenschaftlichen Kriterien nachweisen zu können.
Mit welcher semantischen Bedeutung Alltagstöne aufgeladen sein können, zeichnet Uta C. Schmidt anhand des akustischen Denkmalprojekts der Bergbauzeche "Minister Stein" in Dortmund nach. Der Versuch, ein akustisches Signal, in diesem Fall den Klang der Schachtglocke, als historischen Erinnerungsort zu etablieren, fällt dabei einer neuen Arbeitswelt zum Opfer. Das Schachtsignal passt nicht mehr in den aktuellen Arbeitsrhythmus und wird dadurch als Störung empfunden. Der historische Originalton zeigt damit auch einen "Transformierungsprozess von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft" (S. 377) auf.
Insgesamt bietet der Band einen interessanten Querschnitt über gegenwärtige, medientheoretische und medienpraktische Untersuchungen zur Geschichte des O-Tons. Durch die Fülle der heterogenen Beiträge findet sich allerdings kein roter Faden, der die einzelnen Beiträge thematisch zusammenführen kann, die Aufsätze reihen sich wahllos aneinander. Im Gegensatz dazu hat es das Tagungsprogramm des gleichnamigen Workshops wesentlich besser verstanden, die einzelnen Beiträge miteinander zu verbinden und wirkt insgesamt thematisch durchgängiger konzipiert[3] als der daraus entstandene Sammelband. Nichtsdestotrotz skizzieren die AutorenInnen interessante und bisher von der Wissenschaft unberücksichtigte Forschungsfelder des O-Tons.
Der Band ist mit einer Begleit-CD versehen, die neben den Signaltönen aus Dortmund einige aufschlussreiche O-Töne der letzten achtzig Jahre Tonaufzeichnung beinhaltet und die Beiträge akustisch ergänzt.
[1] Unter gebautem Beitrag versteht man im Radiojournalismus einen Radiobeitrag, der aus Kommentaren, verschiedenen O-Tönen und Live-Aufnahmen zusammengesetzt ist.
[2] Vgl. John Durham Peters, Helmholtz und Edison. Zur Endlichkeit der Stimme, in: Zwischen Rauschen und Offenbarung. Zur Kultur- und Mediengeschichte der Stimme, Hg. Friedrich Kittler/Thomas Macho/Sigrid Weigel. Berlin 2002, S. 305.
[3] http://www.uni-koeln.de/phil-fak/idsl/dozenten/wegmann/tagungen.html
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