Monika Bernold, Das Private Sehen. Fernsehfamilie Leitner, mediale Konsumkultur und nationale Identitätskonstruktion in Österreich nach 1955.

Wien/Berlin: LIT Verlag 2007. (Österreichische Kulturforschung, Bd. 6). ISBN 987-3-7000-0592-6. 224 S. Preis € 19,90.

Autor/innen

  • Christine Ehardt

Abstract

Mit den ersten Fernsehbildern, die 1955 über die österreichischen Bildschirme flimmerten, wurde parallel zur televisuellen Sensation auch ein neues nationales Selbstbild Österreichs heraufbeschworen. Kurz nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages und dem Abzug der Alliierten sollte das österreichische Fernsehen die Identität Österreichs als glanzvolle Kulturnation zeigen.

Die ersten Übertragungen spiegeln dieses Bestreben wider, die Wiedereröffnung des Burgtheaters und der Staatsoper markieren nicht nur die technischen und wirtschaftlichen Wiederaufbauleistungen des Landes, sondern zeichnen sich vor allem durch ihre identitätsstiftende Funktion aus.

 

"Die ersten Bilder von Fernsehkameras, die in einer breiteren Öffentlichkeit, das heißt einer printmedialen Öffentlichkeit, zirkulierten, zeigten diese Kameras in der Staatsopernloge, das Objektiv auf die Bühne gerichtet. Die Wiedereröffnung der Staatsoper (und wenige Wochen davor jene des Burgtheaters) kam somit via Fernsehübertragung und als vom Fernsehen übertragenes Ereignis in den gesellschaftlichen Blick. Staatskult und Medienkult verschränkten sich hier zu einer Art spektakulärer Kulturpolitik, die bezeichnend für die politische Kultur der nächsten Jahrzehnte bleiben wird." (S. 20)

 

Monika Bernold zeichnet in ihrem Buch den Beginn des österreichischen Fernsehens bis in die späten 1960er Jahre nach. Das Private Sehen ist die Kurzfassung ihrer 1997 approbierten Dissertation Die österreichische Fernsehfamilie. Die Fernsehserie Die Familie Leitner, die von 1958 bis 1967 zu einem der beliebtesten österreichischen Serienformate zählte, wird zum Ausgangspunkt ihrer Analyse früher Darstellungen des Privaten im Österreichischen Rundfunk.

 

Den Rahmen der kulturwissenschaftlichen Untersuchung bilden neben technischen, wirtschaftlichen und medienhistorischen Fragestellungen auch geschlechts- und nationalpolitische Diskurse der österreichischen Nachkriegszeit, die anhand von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln, Werbeanzeigen und TV-Aufzeichnungen aufgezeigt werden.

 

Während das erste Kapitel die Entwicklung des österreichischen Fernsehens nachzeichnet und mit der Konstruktion einer nationalstaatlichen Identität verknüpft, wird im zweiten Teil die (tele-)mediale Transformation der österreichischen Nachkriegsgesellschaft in eine moderne Konsumkultur aufgezeigt. Bernolds These der medialen Repräsentanz des Privaten beziehungsweise des Familialen im österreichischen Fernsehen bezieht sich vor allem auf das theoretische Modell des Kulturwissenschaftlers Raymond Williams von 1975 und dessen Begriff der  "Mobilen Privatisierung".

 

Mit den "Leitners" werden erstmals Bilder des Privaten in die österreichischen Haushalte geliefert. Die Familie Leitner steht dabei stellvertretend für ein hegemoniales Familienbild, dessen Ausgestaltung bis in die 1970er und 1980er Jahre hineinwirkte. Die Fernsehfamilie Leitner verkörperte den Idealtypus der österreichischen Familie.

 

"In der Familie Leitner wurden die Reproduktions- und Aufstiegsimperative der Nachkriegsgesellschaft frei von der Erinnerung an Krieg und Nationalsozialismus rezipierbar." (S. 15)

 

Nach einem gut recherchierten und argumentierten Hauptteil versucht Bernold im letzten Kapitel unter dem Titel "(Tele-)Visualisierungen des Privaten: Transformationen und Kontinuitäten", Verbindungslinien zu heutigen Serienformaten im österreichischen Fernsehen zu ziehen. Die verkürzte Rundumschau auf über fünfzig Jahre Fernsehgeschichte ist aber zu breit angelegt, um kausale Linien aufzuspüren. Zu unterschiedlich sind die dafür herangezogenen Beispiele von Wünsch dir was (einer populären Quizsendung der 1970er Jahre von Dietmar Schönherr und Vivi Bach) bis zu Reality TV-Formaten wie Taxi Orange und Big Brother.

 

Insgesamt gibt das Buch aber einen ausführlichen Einblick in die Fernsehgeschichte Österreichs und ihre kulturhistorischen Implikationen von ihren Anfängen bis zum Beschluss des ersten österreichischen Rundfunkgesetzes im Jahr 1967.

Autor/innen-Biografie

Christine Ehardt

Christine Ehardt ist Theater-, Film- und Medienwissenschafterin und arbeitet als Lehrbeauftragte am TFM. 2006–2009 wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Forschungsprojekt "Hörinszenierungen österreichischer Literatur im Radio 1945-2000" in Wien. Derzeit entsteht die Dissertation "Kulturgeschichte des Radios in Österreich".

Veröffentlicht

2009-05-06

Ausgabe

Rubrik

Medien