Kurt Ifkovits, Hermann Bahr – Jaroslav Kvapil. Briefe, Texte, Dokumente. Unter Mitarbeit von Hana Blahová.

Bern u.a.: Peter Lang 2007. (Wechselwirkungen. Österreichische Literatur im internationalen Kontext 11). ISBN 978-3-03910-990-6. 725 S., Abb., Register. Preis: € 92,20.

Autor/innen

  • Katharina Wessely

Abstract

Mit dem Briefwechsel zwischen Hermann Bahr und Jaroslav Kvapil legt Kurt Ifkovits ein theater- und kulturgeschichtlich aufschlussreiches Dokument über die Netzwerke zweier österreichischer Kulturvermittler jenseits der Sprach- und Nationalitätengrenzen vor. Die beiden gehörten wohl zu den kulturpolitisch einflussreichsten Künstlern ihrer jeweiligen Länder - bzw., und damit ist man schon mitten im Thema, Cisleithaniens. Denn die Zeit ihres Kontaktes erstreckte sich von den Jahren um die Jahrhundertwende über den Ersten Weltkrieg und das Ende der Monarchie hinaus bis in die beiden jungen Republiken. Ihre Haltung diesen historischen Veränderungen gegenüber war dabei höchst unterschiedlich, wie sich auch das Verhältnis zwischen ihnen über die Jahre veränderte – beides kann der Leser, die Leserin, anhand des Briefwechsels sowie der ihn begleitenden Texte wunderbar nachvollziehen.

1896 tritt der außerhalb Prags gänzlich unbekannte Kvapil erstmals an den berühmten und einflussreichen "Erfinder" der Wiener Moderne heran. Er, der sich auf der tschechischen Bühne für einen modernen Inszenierungsstil und aktuelle Werke einsetzt, möchte Stücke von Hermann Bahr aufführen. 1906 kommt es dann tatsächlich zu einem Zusammentreffen der beiden in Prag, Kvapil ist mittlerweile Regisseur am tschechischen Nationaltheater. Obwohl der Erfolg seiner Bahr-Inszenierungen ein äußerst wechselhafter ist, vertraut Bahr die meisten seiner Texte ihm, und nicht dem Neuen Deutschen Theater in Prag, für die Premieren in Böhmen und Mähren an, diese sind also hier auf tschechisch früher zu sehen als auf deutsch. Denn Bahr und Kvapil freunden sich an, Kvapil macht Bahr auf die tschechische Moderne aufmerksam, und Bahr propagiert bald die intellektuellen und künstlerischen Leistungen der Tschechen im deutschsprachigen Raum. Wie Ifkovits in seiner hilfreichen, gar nicht überladenen, aber die wichtigsten Informationen liefernden Einleitung darstellt, kommt es dabei zu diversen Missverständnissen bzw. Fehlinterpretationen: Bahr kann kein tschechisch, seine Wahrnehmung der tschechischen Kultur ist somit zwangsläufig durch Kvapil gefiltert, der die Termine in Prag koordiniert und somit auch bestimmt, wen Bahr persönlich kennenlernt. Doch macht der Briefwechsel – und auch die im Anhang angefügten deutsch-böhmischen Reaktionen auf Bahrs Sichtweise – deutlich, welche Ausnahme Bahrs Interesse für die tschechische Kunst im damaligen vom Nationalitätenkonflikt zunehmend geprägten Österreich darstellt. Diese Ausnahmestellung ist es auch, die die Freundschaft von Kvapil und Bahr begründet, denn bei allen politischen Divergenzen, die in den nächsten Jahren zwangsläufig auftreten – Bahr träumt von einer freien Donauföderation unter der Führung Habsburgs, Kvapil ist in der tschechischen Widerstandsbewegung tätig und wird später auch Sektionschef im tschechoslowakischen Unterrichtsministerium – vergisst Kvapil dieses frühe Eintreten für die tschechische Kultur als gleichwertige nicht. Gleichzeitig ist das Interesse aneinander kein rein selbstloses: "Beide benötigten einander. Während Kvapil das Lob eines international anerkannten Mannes wie Bahr sicherlich schmeichelte und er damit seine Position im Nationaltheater absichern konnte, erhielt Bahr von Kvapil die nötigen Informationen und Kontakte, die es ihm ermöglichten, eine 'österreichische Identität' zu konstruieren." (S. 33)

 

Doch nicht nur für das Verhältnis zwischen deutschsprachigen und tschechischen Intellektuellen und Künstlern ist der Band aufschlussreich, auch bezüglich der multikulturellen Verflechtungen der österreichischen Theatergeschichte sowie der Theaterpraxis zwischen Plänen und Realisationsmöglichkeiten findet sich viel interessantes Material, so zu verschiedenen Aufführungen deutschsprachiger Autoren im tschechischen Nationaltheater oder zum Verhältnis des Prager tschechischen und deutschen Theaters zueinander. Dies betrifft zum einen die ganz praktische Zusammenarbeit (oder mitunter eben auch Nicht-Zusammenarbeit) zwischen den beiden Häusern. So schreibt Kvapil beispielsweise darüber, dass ihm das Neue Deutsche Theater Schwierigkeiten bereitete, weil er die Strauss-Oper Elektra als erste Prager Bühne herausbringen wollte; dies widersprach allerdings dem traditionellen Prager Erstaufführungsrecht (bei dem es sich jedoch eher um eine Gewohnheit, denn um ein Recht handelte), nach dem die Elektra als Werk eines deutschsprachigen Komponisten zuerst am Neuen Deutschen Theater aufgeführt werden sollte, Werke slawischer KünstlerInnen dagegen am tschechischen Národní Divadlo.

 

Man kann hier aber andererseits auch erkennen, wie sich die Konkurrenz der beiden Bühnen positiv auf die Qualität der Inszenierungen ausgewirkt hat: Nachdem Kvapil – trotz dieser Prager Erstaufführungstradition – den Verfasser überzeugt hatte, ihm das Werk zur Prager Premiere zu überlassen, musste er auch beweisen, dass diese Entscheidung richtig war.

 

Was die Benutzung des Briefwechsels als Materialienband insbesondere erleichtert, ist die Einbettung in den kulturhistorischen Kontext, die vom Herausgeber auf verschiedene Weise erreicht wird: Neben dem schon erwähnten prägnanten Einleitungskapitel findet sich ein reicher Anmerkungsapparat, der versucht, alle in den Briefen genannten Personen und Ereignisse in Kürze zu klären, und darüber hinaus neben den den Briefen beiliegenden Zeitungsartikeln auch Briefe dritter, Tagebuchstellen und Stellen aus Texten abdruckt, auf die sich die Schreiber unmittelbar beziehen. Zusammen mit den in einem eigenen Materialienteil befindlichen Texten, die für größere Zusammenhänge von Bedeutung sind (darunter zwei bisher unpublizierte Texte Bahrs), überschreitet die Länge dieser "Zugaben" die der eigentlichen Korrespondenz bei weitem. Ein Personen- und Werkregister schließlich ermöglicht das rasche Nachschlagen von Einzelinformationen, auch der konsequent doppelte Abdruck von tschechischen Texten im Original und in Übersetzung (von Hana Blahová, die auch an der Herausgabe beteiligt ist) soll noch positiv vermerkt werden.

 

Alles in allem also ein Band, der sowohl die Lektüre der Korrespondenz zweier zentraler  mitteleuropäischer Kulturpolitiker ermöglicht und kulturgeschichtliche Facetten des Verhältnisses zwischen Deutschen und Tschechen aufzeigt, als auch als wissenschaftliches Nachschlagewerk für theater- und kulturgeschichtliche Fragestellungen bestens geeignet ist.

Autor/innen-Biografie

Katharina Wessely

Studium der Theaterwissenschaft, Geschichte und Philosophie an der Universität Wien, promovierte mit einer Arbeit über das deutschsprachige Theater im Brünn der Zwischenkriegszeit, 2006-2009 Lektorin der Österreich-Kooperation am Institut für Germanistik an der Philosophischen Fakultät der Masaryk Universität Brno. Derzeit freie Wissenschaftlerin in Basel, Lehrbeauftrage am Institut TFM der Universität Wien.

Veröffentlicht

2008-09-15

Ausgabe

Rubrik

Theater