Helga W. Kraft/Dagmar C. G. Lorenz (Hg.), From Fin-de-Siècle to Theresienstadt. The Works and Life of the Writer Elsa Porges-Bernstein.
New York/Washington, D.C./Baltimore u.a.: Peter Lang 2007. (Austrian culture: vol. 38). ISBN 978-0-8204-8180-7. 260 S. Preis: € 65,90.
Abstract
2002 wurde im Steppenwolf Theatre in Chicago Maria Arndt: A Play in Five Acts von Elsa Porges-Bernstein in der Übersetzung von Susanne Kord inszeniert. Ein Stück, das 1908 im renommierten Fischer Verlag erschienen und im gleichen Jahr in München uraufgeführt worden war. Im deutschen Sprachraum blieb es seit den frühen 1910er Jahren still um die Bühnenstücke der heute fast vergessenen Elsa Bernstein (1866-1949), die unter dem Pseudonym Ernst Rosmer publizierte. Wie kam es zur englischsprachigen Aufführung eines ihrer Dramen in Chicago?
Auskunft auf diese Frage gibt der von Helga W. Kraft und Dagmar C. G. Lorenz verfasste einleitende Essay "A Writer Beyond Nation and Time", in dem die fehlende Rezeption sowie wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dieser Autorin respektive ihrem Werk im deutschsprachigen Raum angesprochen wird. Helga W. Kraft beschäftigt sich im nächsten Beitrag, "Elsa Bernstein's Appeal to Contemporary Theater Audiences: Maria Arndt in Chicago 2002" mit dem Inhalt dieses Dramas, das um die Objekthaftigkeit der Frauen kreist, ihrem Ausgesetztsein gegenüber Missbrauch und Vergewaltigung in der Ehe – schwierigen Themen also, die auch heute in den USA noch mit Tabus belegt sind. Das Interesse des Chicagoer Theaters an diesem Text, so Curt Columbus im Interview mit den Herausgeberinnen, liegt vor allem in dessen Ästhetik begründet, da am Steppenwolf Theatre mit dem "new Naturalism" gearbeitet wird.
In den folgenden Beiträgen werden die Theaterstücke Elsa Bernsteins aus unterschiedlichsten Perspektiven und Kontexten vorgestellt und beleuchtet. Elke Liebs analysiert in "Bernstein's Königskinder. Utopia of the Power of Love" den erfolgreichsten Text der Autorin, das von Engelbert Humperdinck vertonte gleichnamige Libretto, an dem Liebs besonders dessen literarische Qualität hervorhebt.
Zu Bernsteins bekanntesten Theatertexten zählen Wir drei. Fünf Akte, erschienen in München 1891, Dämmerung. Schauspiel in fünf Akten, Berlin 1895, und das bereits genannte Stück Maria Arndt, Berlin 1908. Diese Dramen stehen im Zentrum der folgenden Analysen. Elizabeth Ametsbichler untersucht Maria Arndt und Nausikaa (Tragödie, Berlin 1906) unter dem Aspekt der Frauenbewegung; Astrid Weigert zeigt auf, auf welch subtile Weise Bernstein den Naturalismus und, damit verbunden, die damals oft geforderte "Verwissenschaftlichung" der Literatur in Dämmerung aufnimmt und kritisiert. Friederike B. Emonds verweist in ihrem Beitrag auf Richard Wagner und Henrik Ibsen, deren Werke großen Einfluss auf die Autorin hatten; weiters untersucht sie die Funktion von Bernsteins Pseudonym und stellt fest, dass dieses nötig war, um überhaupt über weibliche Sexualität und Erotik schreiben zu können.
Themistokles, Berlin 1897, Achill, Berlin 1910, und Nausikaa zählt Sabine von Mering zu den neoklassischen Dramen, und sie arbeitet heraus, dass auch in diesen Aufnahmen antiker Stoffe die Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Gender-Restriktionen zu finden ist. Familienstrukturen in Bernsteins Biographie sowie in ihren Dramen stehen im Zentrum von Gertrud Roeschs Beitrag, der interessante Details zum Leben der Autorin vermittelt. Die Auseinandersetzung mit weiblicher Homosexualität als Teil der Dreiecksbeziehung, wie sie in Wir drei deutlich wird, zeigt Susanne Kord auf.
"Bernstein in Historical Context" ist der Titel des letzten Abschnitts des klar gegliederten Bandes. Deborah Vietor-Engländer beschäftigt sich eingehend mit Bernsteins sehr ambivalentem Verhältnis zu ihrer jüdischen Herkunft sowie mit ihrer Deportation nach Theresienstadt. Dagmar C. G. Lorenz stellt die Autorin in den Kontext zeitgenössischer Mädchen- und Frauenbildung einerseits, andererseits in Bezug zu weiteren Frauen, die über den Holocaust schrieben – in ihrem Beitrag wird Bernsteins sehr eigenwillige Persönlichkeit besonders deutlich. Details zu ihrem Leben und Überleben in Theresienstadt finden sich in "Rediscovering Bernstein's Theresienstadt Memoir" von Rita Bake und Birgit Kiupel.
Die Beiträge dieses Bandes enthalten sehr genaue Analysen der Dramen Bernsteins unter verschiedensten Ansätzen. Aus der Perspektive der Theaterwissenschaft wird allerdings eine Textebene vernachlässigt, die Ebene der Didaskalien, wie etwa Regieanweisungen und Bühnenbildbeschreibungen; einzig Susanne Kord geht auf die Namen der Figuren in Wir Drei ein. Davon abgesehen bietet der Band nicht nur präzise Untersuchungen von Bernsteins Werk, sondern verdeutlicht überdies die Lebensumstände der Autorin und ihre – aus heutiger Perspektive – sehr widersprüchliche Persönlichkeit. Einen guten Überblick bieten "Chronology" und "Bibliography" im Anhang, die hoffentlich zu intensiver Auseinandersetzung mit den Werken dieser sehr interessanten Autorin auch im deutschen Sprachraum verleiten.
Diese Rezension wurde in The German Quarterly, Heft 81.4, Fall 2008, p. 499-501 publiziert.
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